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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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der preußischen Verfassung so bedeutende Rückschritte gemacht hat, so liegt die
tiefere Ursache in der Thätigkeit jener katholischen Abteilung, welche das Pri-
matentum des frühern Erzbischofs Ledochowski und bei Besetzung der bischöf¬
lichen Stühle den Jesuitismus und Polonismus groß gezogen hatte. Wieder
hergestellt ist durch das Gesetz vom 11. März 1872 der durch die katholische
Abteilung ruinirte Satz des Allgemeinen Landrechts, daß die Schulen "Ver¬
anstaltungen des Staates" sind, und daß die Aufsicht über diese Anstalten dem
Staate allein zusteht. Die unbeschränkte Zügellosigkeit in der Errichtung von
Ordensniederlassungen ist auf das richtige Maß zurückgeführt und gesetzlich ge¬
regelt, die Jesuiten und die ihnen affiliirten Orden sind für immer aus dem
Reichsgebiete ausgeschlossen. Der Mißbrauch der Kanzel zu agitatorischen
Wühlereien ist durch den Kanzelparagraphcn unmöglich gemacht, der unberech¬
tigte Einfluß der Geistlichkeit auf das bürgerliche Leben in seinen wichtigsten
Beziehungen zur Ehe ist durch die obligatorische Zivilehe nach dem Gesetz vom
6. Februar 1875 zurückgebannt. Bei der Besetzung der Pfarrämter ist dem
Staate ein Einspruchsrecht ob "zausas (ziviles oft xo1ni<zg,s eingeräumt und dem
Geistlichen dadurch zu Gemüte geführt, daß er auch auf den Staat die Rücksicht
zu nehmen hat, wie sie jedem obliegen sollte, der sich in einer staatlichen Ge¬
meinschaft befindet und unter ihrem Schutz in Recht und Frieden seinem Berufe
nachleben kann. Die "Germania" hat in ihren Nummern 48 und 49 vom
1. und 2. März d. I. einen ganzen Katalog der Bestimmungen aufgeführt,
die noch zurückgeblieben sind und ihrer Meinung nach aufgehoben werden müssen.
Davon kann keine Rede sein, denn das hieße, wie unter Friedrich Wilhelm IV.,
die vitalsten Rechte des Staates dem Phantom eines Friedens mit der katho¬
lischen Kirche, der in Wahrheit eine Unterjochung wäre, opfern. Für eine
solche "Revision" fände auch der mächtigste Staatsmann in einem deutschen und
preußischen Parlamente keine Unterstützung. Auf der andern Seite hat die
katholische Kirche die vollste Freiheit ihres kirchlichen Lebens wiedererlangt; sie
hat die volle Erziehung ihrer Geistlichen in der Hand, sie hat die uneinge¬
schränkte Disziplin über dieselben, sie ist unbehindert in ihren religiösen
Funktionen, in der Spendung der Sakramente, in der Ausbreitung durch eine
Reihe religiöser Genossenschaften. Beide, Staat wie Kirche, können nach dem
gegenwärtigen Rechte ruhig mit- und nebeneinander leben, und wenn innerhalb
dieser Grenzen kein Teil auf das Gebiet des andern hinübergreife, so darf mit
Zuversicht auf eine lange Dauer des Friedens gehofft werden.

Auch die Bedingungen des Friedensschlusses sind daher für keinen Teil be¬
schämend, und dies sollten namentlich diejenigen begreifen, welche vom Stand¬
punkte der staatlichen Rechte dem Gesetz vom 29. April abgeneigt sind.

Vor allen Dingen aber bietet dieser Friede mit Rom keinen Anlaß, um
vom protestantischen Standpunkte dagegen zu zetern und für die evangelische
Kirche die Gewährung ähnlicher Freiheiten und die Emanzipation vom Staate


der preußischen Verfassung so bedeutende Rückschritte gemacht hat, so liegt die
tiefere Ursache in der Thätigkeit jener katholischen Abteilung, welche das Pri-
matentum des frühern Erzbischofs Ledochowski und bei Besetzung der bischöf¬
lichen Stühle den Jesuitismus und Polonismus groß gezogen hatte. Wieder
hergestellt ist durch das Gesetz vom 11. März 1872 der durch die katholische
Abteilung ruinirte Satz des Allgemeinen Landrechts, daß die Schulen „Ver¬
anstaltungen des Staates" sind, und daß die Aufsicht über diese Anstalten dem
Staate allein zusteht. Die unbeschränkte Zügellosigkeit in der Errichtung von
Ordensniederlassungen ist auf das richtige Maß zurückgeführt und gesetzlich ge¬
regelt, die Jesuiten und die ihnen affiliirten Orden sind für immer aus dem
Reichsgebiete ausgeschlossen. Der Mißbrauch der Kanzel zu agitatorischen
Wühlereien ist durch den Kanzelparagraphcn unmöglich gemacht, der unberech¬
tigte Einfluß der Geistlichkeit auf das bürgerliche Leben in seinen wichtigsten
Beziehungen zur Ehe ist durch die obligatorische Zivilehe nach dem Gesetz vom
6. Februar 1875 zurückgebannt. Bei der Besetzung der Pfarrämter ist dem
Staate ein Einspruchsrecht ob «zausas (ziviles oft xo1ni<zg,s eingeräumt und dem
Geistlichen dadurch zu Gemüte geführt, daß er auch auf den Staat die Rücksicht
zu nehmen hat, wie sie jedem obliegen sollte, der sich in einer staatlichen Ge¬
meinschaft befindet und unter ihrem Schutz in Recht und Frieden seinem Berufe
nachleben kann. Die „Germania" hat in ihren Nummern 48 und 49 vom
1. und 2. März d. I. einen ganzen Katalog der Bestimmungen aufgeführt,
die noch zurückgeblieben sind und ihrer Meinung nach aufgehoben werden müssen.
Davon kann keine Rede sein, denn das hieße, wie unter Friedrich Wilhelm IV.,
die vitalsten Rechte des Staates dem Phantom eines Friedens mit der katho¬
lischen Kirche, der in Wahrheit eine Unterjochung wäre, opfern. Für eine
solche „Revision" fände auch der mächtigste Staatsmann in einem deutschen und
preußischen Parlamente keine Unterstützung. Auf der andern Seite hat die
katholische Kirche die vollste Freiheit ihres kirchlichen Lebens wiedererlangt; sie
hat die volle Erziehung ihrer Geistlichen in der Hand, sie hat die uneinge¬
schränkte Disziplin über dieselben, sie ist unbehindert in ihren religiösen
Funktionen, in der Spendung der Sakramente, in der Ausbreitung durch eine
Reihe religiöser Genossenschaften. Beide, Staat wie Kirche, können nach dem
gegenwärtigen Rechte ruhig mit- und nebeneinander leben, und wenn innerhalb
dieser Grenzen kein Teil auf das Gebiet des andern hinübergreife, so darf mit
Zuversicht auf eine lange Dauer des Friedens gehofft werden.

Auch die Bedingungen des Friedensschlusses sind daher für keinen Teil be¬
schämend, und dies sollten namentlich diejenigen begreifen, welche vom Stand¬
punkte der staatlichen Rechte dem Gesetz vom 29. April abgeneigt sind.

Vor allen Dingen aber bietet dieser Friede mit Rom keinen Anlaß, um
vom protestantischen Standpunkte dagegen zu zetern und für die evangelische
Kirche die Gewährung ähnlicher Freiheiten und die Emanzipation vom Staate


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[0414] der preußischen Verfassung so bedeutende Rückschritte gemacht hat, so liegt die tiefere Ursache in der Thätigkeit jener katholischen Abteilung, welche das Pri- matentum des frühern Erzbischofs Ledochowski und bei Besetzung der bischöf¬ lichen Stühle den Jesuitismus und Polonismus groß gezogen hatte. Wieder hergestellt ist durch das Gesetz vom 11. März 1872 der durch die katholische Abteilung ruinirte Satz des Allgemeinen Landrechts, daß die Schulen „Ver¬ anstaltungen des Staates" sind, und daß die Aufsicht über diese Anstalten dem Staate allein zusteht. Die unbeschränkte Zügellosigkeit in der Errichtung von Ordensniederlassungen ist auf das richtige Maß zurückgeführt und gesetzlich ge¬ regelt, die Jesuiten und die ihnen affiliirten Orden sind für immer aus dem Reichsgebiete ausgeschlossen. Der Mißbrauch der Kanzel zu agitatorischen Wühlereien ist durch den Kanzelparagraphcn unmöglich gemacht, der unberech¬ tigte Einfluß der Geistlichkeit auf das bürgerliche Leben in seinen wichtigsten Beziehungen zur Ehe ist durch die obligatorische Zivilehe nach dem Gesetz vom 6. Februar 1875 zurückgebannt. Bei der Besetzung der Pfarrämter ist dem Staate ein Einspruchsrecht ob «zausas (ziviles oft xo1ni<zg,s eingeräumt und dem Geistlichen dadurch zu Gemüte geführt, daß er auch auf den Staat die Rücksicht zu nehmen hat, wie sie jedem obliegen sollte, der sich in einer staatlichen Ge¬ meinschaft befindet und unter ihrem Schutz in Recht und Frieden seinem Berufe nachleben kann. Die „Germania" hat in ihren Nummern 48 und 49 vom 1. und 2. März d. I. einen ganzen Katalog der Bestimmungen aufgeführt, die noch zurückgeblieben sind und ihrer Meinung nach aufgehoben werden müssen. Davon kann keine Rede sein, denn das hieße, wie unter Friedrich Wilhelm IV., die vitalsten Rechte des Staates dem Phantom eines Friedens mit der katho¬ lischen Kirche, der in Wahrheit eine Unterjochung wäre, opfern. Für eine solche „Revision" fände auch der mächtigste Staatsmann in einem deutschen und preußischen Parlamente keine Unterstützung. Auf der andern Seite hat die katholische Kirche die vollste Freiheit ihres kirchlichen Lebens wiedererlangt; sie hat die volle Erziehung ihrer Geistlichen in der Hand, sie hat die uneinge¬ schränkte Disziplin über dieselben, sie ist unbehindert in ihren religiösen Funktionen, in der Spendung der Sakramente, in der Ausbreitung durch eine Reihe religiöser Genossenschaften. Beide, Staat wie Kirche, können nach dem gegenwärtigen Rechte ruhig mit- und nebeneinander leben, und wenn innerhalb dieser Grenzen kein Teil auf das Gebiet des andern hinübergreife, so darf mit Zuversicht auf eine lange Dauer des Friedens gehofft werden. Auch die Bedingungen des Friedensschlusses sind daher für keinen Teil be¬ schämend, und dies sollten namentlich diejenigen begreifen, welche vom Stand¬ punkte der staatlichen Rechte dem Gesetz vom 29. April abgeneigt sind. Vor allen Dingen aber bietet dieser Friede mit Rom keinen Anlaß, um vom protestantischen Standpunkte dagegen zu zetern und für die evangelische Kirche die Gewährung ähnlicher Freiheiten und die Emanzipation vom Staate

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/414>, abgerufen am 17.09.2024.