Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Friede mit Rom.

dieses Kampfes die Pcirteiinteressen zu fördern und sich die Negierung dienstbar
zu machen. Die wirtschaftliche Not des Staates und die mit derselben not¬
wendig werdende Veränderung in der Zoll- und Steuerpolitik brachte eine Ver¬
änderung in den Parteien hervor. Um den Staat zu erhalten, mußte die Re¬
gierung neben dem Kampfe um ideelle Güter auch noch einen solchen um
materielle führen, und bei der ganzen politischen Lage nach innen und außen
war ein solcher doppelter Kampf unmöglich. Diejenigen, welche in dem Gesetz
vom 29. April 1887 die Vesiegclung des Rückzuges des Staates sehen, mögen
sich selbst fragen, ob sie auch ihrerseits alles gethan haben, um den Staat
gegen den Kampf mit Rom zu unterstützen, und wenn sie die Hand aufs Herz
legen, werden sie diese Frage nicht bejahen können. Es war ein Glück und
eine weise Politik, daß der Kanzler sich durch nichts beirren ließ, daß er daran
festhielt, zum Frieden durch den Kampf zu gelangen, und daß ihm die Thron¬
besteigung des friedlichen Papstes Leo die Gelegenheit bot, dieses Ziel zu er¬
reichen. Staat wie Kirche waren zu diesem Frieden geneigt, die Interessen
beider waren gleich, denn wie wenig die katholische Kirche in ihrem innern
Wesen durch den Kampf gefördert war, das ergiebt sich aus den am Eingange
dieses Aufsatzes geschilderten Vorgängen, und das konnte einem Staatsmanne
von der Bedeutung Leos XIII. nicht entgehen. Daß auf einen Krieg ein Frieden
folgt, der von beiden Teilen Zugeständnisse verlangt, das ist eine geschichtlich
anerkannte Wahrheit, das ist ebenso der Fall bei einem Frieden zwischen zwei
Staaten, wie bei dem Friedensschluß im Innern, hier sogar noch in höherem
Maße, weil das Staatsleben sich fortwährend aus Kompromissen zusammen¬
setzt. Der Friedensschluß ist keine Schande; er ist es am wenigsten für einen
Staatsmann, dessen ganzes Ziel auch während des Kampfes immer auf den
Frieden gerichtet blieb. Selbst wenn der Friedensschluß den status quo links
allein wieder hergestellt hätte, wie dies so häufig nach langen und blutigen
Völkerkriegen der Fall gewesen ist, brauchte sich der Staat und die Negierung
des Friedens nicht zu schämen. Betrachten wir aber die Ergebnisse des
Friedensschlusses, so ergiebt sich, daß die Vorteile auf Seiten des Staates
liegen, so jedoch, daß die katholische Kirche ihre Aufgaben ungehindert erfüllen
kann. Es sollen hier nur einige wesentliche Punkte hervorgehoben werden.

Wieder gut gemacht ist die schwere Sünde der Revolution, welche die katho¬
lische Kirche von jeder staatlichen Aufsicht befreite; die entsprechenden Vorschriften
der Artikel 15, 16 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde sind beseitigt.
Aufgehoben bleibt die katholische Abteilung im Kultusministerium -- vielleicht
der größte Gewinn aus dem Kulturkampfe --, weil sie nicht die Mrs oirog. sacra
vertrat, sondern unter dem Scheine, dies zu thun, den Staat in die Abhängig¬
keit päpstlicher und vor allen Dingen polonisirender Koterim und polnischer
Aristokraten brachte. Wenn die östlichen Provinzen der Monarchie noch heute
unter dem polnischen Joche seufzen und das Deutschtum in den dreißig Jahren


Der Friede mit Rom.

dieses Kampfes die Pcirteiinteressen zu fördern und sich die Negierung dienstbar
zu machen. Die wirtschaftliche Not des Staates und die mit derselben not¬
wendig werdende Veränderung in der Zoll- und Steuerpolitik brachte eine Ver¬
änderung in den Parteien hervor. Um den Staat zu erhalten, mußte die Re¬
gierung neben dem Kampfe um ideelle Güter auch noch einen solchen um
materielle führen, und bei der ganzen politischen Lage nach innen und außen
war ein solcher doppelter Kampf unmöglich. Diejenigen, welche in dem Gesetz
vom 29. April 1887 die Vesiegclung des Rückzuges des Staates sehen, mögen
sich selbst fragen, ob sie auch ihrerseits alles gethan haben, um den Staat
gegen den Kampf mit Rom zu unterstützen, und wenn sie die Hand aufs Herz
legen, werden sie diese Frage nicht bejahen können. Es war ein Glück und
eine weise Politik, daß der Kanzler sich durch nichts beirren ließ, daß er daran
festhielt, zum Frieden durch den Kampf zu gelangen, und daß ihm die Thron¬
besteigung des friedlichen Papstes Leo die Gelegenheit bot, dieses Ziel zu er¬
reichen. Staat wie Kirche waren zu diesem Frieden geneigt, die Interessen
beider waren gleich, denn wie wenig die katholische Kirche in ihrem innern
Wesen durch den Kampf gefördert war, das ergiebt sich aus den am Eingange
dieses Aufsatzes geschilderten Vorgängen, und das konnte einem Staatsmanne
von der Bedeutung Leos XIII. nicht entgehen. Daß auf einen Krieg ein Frieden
folgt, der von beiden Teilen Zugeständnisse verlangt, das ist eine geschichtlich
anerkannte Wahrheit, das ist ebenso der Fall bei einem Frieden zwischen zwei
Staaten, wie bei dem Friedensschluß im Innern, hier sogar noch in höherem
Maße, weil das Staatsleben sich fortwährend aus Kompromissen zusammen¬
setzt. Der Friedensschluß ist keine Schande; er ist es am wenigsten für einen
Staatsmann, dessen ganzes Ziel auch während des Kampfes immer auf den
Frieden gerichtet blieb. Selbst wenn der Friedensschluß den status quo links
allein wieder hergestellt hätte, wie dies so häufig nach langen und blutigen
Völkerkriegen der Fall gewesen ist, brauchte sich der Staat und die Negierung
des Friedens nicht zu schämen. Betrachten wir aber die Ergebnisse des
Friedensschlusses, so ergiebt sich, daß die Vorteile auf Seiten des Staates
liegen, so jedoch, daß die katholische Kirche ihre Aufgaben ungehindert erfüllen
kann. Es sollen hier nur einige wesentliche Punkte hervorgehoben werden.

Wieder gut gemacht ist die schwere Sünde der Revolution, welche die katho¬
lische Kirche von jeder staatlichen Aufsicht befreite; die entsprechenden Vorschriften
der Artikel 15, 16 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde sind beseitigt.
Aufgehoben bleibt die katholische Abteilung im Kultusministerium — vielleicht
der größte Gewinn aus dem Kulturkampfe —, weil sie nicht die Mrs oirog. sacra
vertrat, sondern unter dem Scheine, dies zu thun, den Staat in die Abhängig¬
keit päpstlicher und vor allen Dingen polonisirender Koterim und polnischer
Aristokraten brachte. Wenn die östlichen Provinzen der Monarchie noch heute
unter dem polnischen Joche seufzen und das Deutschtum in den dreißig Jahren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0413" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288866"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Friede mit Rom.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1171" prev="#ID_1170"> dieses Kampfes die Pcirteiinteressen zu fördern und sich die Negierung dienstbar<lb/>
zu machen. Die wirtschaftliche Not des Staates und die mit derselben not¬<lb/>
wendig werdende Veränderung in der Zoll- und Steuerpolitik brachte eine Ver¬<lb/>
änderung in den Parteien hervor. Um den Staat zu erhalten, mußte die Re¬<lb/>
gierung neben dem Kampfe um ideelle Güter auch noch einen solchen um<lb/>
materielle führen, und bei der ganzen politischen Lage nach innen und außen<lb/>
war ein solcher doppelter Kampf unmöglich. Diejenigen, welche in dem Gesetz<lb/>
vom 29. April 1887 die Vesiegclung des Rückzuges des Staates sehen, mögen<lb/>
sich selbst fragen, ob sie auch ihrerseits alles gethan haben, um den Staat<lb/>
gegen den Kampf mit Rom zu unterstützen, und wenn sie die Hand aufs Herz<lb/>
legen, werden sie diese Frage nicht bejahen können.  Es war ein Glück und<lb/>
eine weise Politik, daß der Kanzler sich durch nichts beirren ließ, daß er daran<lb/>
festhielt, zum Frieden durch den Kampf zu gelangen, und daß ihm die Thron¬<lb/>
besteigung des friedlichen Papstes Leo die Gelegenheit bot, dieses Ziel zu er¬<lb/>
reichen. Staat wie Kirche waren zu diesem Frieden geneigt, die Interessen<lb/>
beider waren gleich, denn wie wenig die katholische Kirche in ihrem innern<lb/>
Wesen durch den Kampf gefördert war, das ergiebt sich aus den am Eingange<lb/>
dieses Aufsatzes geschilderten Vorgängen, und das konnte einem Staatsmanne<lb/>
von der Bedeutung Leos XIII. nicht entgehen. Daß auf einen Krieg ein Frieden<lb/>
folgt, der von beiden Teilen Zugeständnisse verlangt, das ist eine geschichtlich<lb/>
anerkannte Wahrheit, das ist ebenso der Fall bei einem Frieden zwischen zwei<lb/>
Staaten, wie bei dem Friedensschluß im Innern, hier sogar noch in höherem<lb/>
Maße, weil das Staatsleben sich fortwährend aus Kompromissen zusammen¬<lb/>
setzt. Der Friedensschluß ist keine Schande; er ist es am wenigsten für einen<lb/>
Staatsmann, dessen ganzes Ziel auch während des Kampfes immer auf den<lb/>
Frieden gerichtet blieb.  Selbst wenn der Friedensschluß den status quo links<lb/>
allein wieder hergestellt hätte, wie dies so häufig nach langen und blutigen<lb/>
Völkerkriegen der Fall gewesen ist, brauchte sich der Staat und die Negierung<lb/>
des Friedens nicht zu schämen.  Betrachten wir aber die Ergebnisse des<lb/>
Friedensschlusses, so ergiebt sich, daß die Vorteile auf Seiten des Staates<lb/>
liegen, so jedoch, daß die katholische Kirche ihre Aufgaben ungehindert erfüllen<lb/>
kann.  Es sollen hier nur einige wesentliche Punkte hervorgehoben werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1172" next="#ID_1173"> Wieder gut gemacht ist die schwere Sünde der Revolution, welche die katho¬<lb/>
lische Kirche von jeder staatlichen Aufsicht befreite; die entsprechenden Vorschriften<lb/>
der Artikel 15, 16 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde sind beseitigt.<lb/>
Aufgehoben bleibt die katholische Abteilung im Kultusministerium &#x2014; vielleicht<lb/>
der größte Gewinn aus dem Kulturkampfe &#x2014;, weil sie nicht die Mrs oirog. sacra<lb/>
vertrat, sondern unter dem Scheine, dies zu thun, den Staat in die Abhängig¬<lb/>
keit päpstlicher und vor allen Dingen polonisirender Koterim und polnischer<lb/>
Aristokraten brachte. Wenn die östlichen Provinzen der Monarchie noch heute<lb/>
unter dem polnischen Joche seufzen und das Deutschtum in den dreißig Jahren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0413] Der Friede mit Rom. dieses Kampfes die Pcirteiinteressen zu fördern und sich die Negierung dienstbar zu machen. Die wirtschaftliche Not des Staates und die mit derselben not¬ wendig werdende Veränderung in der Zoll- und Steuerpolitik brachte eine Ver¬ änderung in den Parteien hervor. Um den Staat zu erhalten, mußte die Re¬ gierung neben dem Kampfe um ideelle Güter auch noch einen solchen um materielle führen, und bei der ganzen politischen Lage nach innen und außen war ein solcher doppelter Kampf unmöglich. Diejenigen, welche in dem Gesetz vom 29. April 1887 die Vesiegclung des Rückzuges des Staates sehen, mögen sich selbst fragen, ob sie auch ihrerseits alles gethan haben, um den Staat gegen den Kampf mit Rom zu unterstützen, und wenn sie die Hand aufs Herz legen, werden sie diese Frage nicht bejahen können. Es war ein Glück und eine weise Politik, daß der Kanzler sich durch nichts beirren ließ, daß er daran festhielt, zum Frieden durch den Kampf zu gelangen, und daß ihm die Thron¬ besteigung des friedlichen Papstes Leo die Gelegenheit bot, dieses Ziel zu er¬ reichen. Staat wie Kirche waren zu diesem Frieden geneigt, die Interessen beider waren gleich, denn wie wenig die katholische Kirche in ihrem innern Wesen durch den Kampf gefördert war, das ergiebt sich aus den am Eingange dieses Aufsatzes geschilderten Vorgängen, und das konnte einem Staatsmanne von der Bedeutung Leos XIII. nicht entgehen. Daß auf einen Krieg ein Frieden folgt, der von beiden Teilen Zugeständnisse verlangt, das ist eine geschichtlich anerkannte Wahrheit, das ist ebenso der Fall bei einem Frieden zwischen zwei Staaten, wie bei dem Friedensschluß im Innern, hier sogar noch in höherem Maße, weil das Staatsleben sich fortwährend aus Kompromissen zusammen¬ setzt. Der Friedensschluß ist keine Schande; er ist es am wenigsten für einen Staatsmann, dessen ganzes Ziel auch während des Kampfes immer auf den Frieden gerichtet blieb. Selbst wenn der Friedensschluß den status quo links allein wieder hergestellt hätte, wie dies so häufig nach langen und blutigen Völkerkriegen der Fall gewesen ist, brauchte sich der Staat und die Negierung des Friedens nicht zu schämen. Betrachten wir aber die Ergebnisse des Friedensschlusses, so ergiebt sich, daß die Vorteile auf Seiten des Staates liegen, so jedoch, daß die katholische Kirche ihre Aufgaben ungehindert erfüllen kann. Es sollen hier nur einige wesentliche Punkte hervorgehoben werden. Wieder gut gemacht ist die schwere Sünde der Revolution, welche die katho¬ lische Kirche von jeder staatlichen Aufsicht befreite; die entsprechenden Vorschriften der Artikel 15, 16 und 18 der preußischen Verfassungsurkunde sind beseitigt. Aufgehoben bleibt die katholische Abteilung im Kultusministerium — vielleicht der größte Gewinn aus dem Kulturkampfe —, weil sie nicht die Mrs oirog. sacra vertrat, sondern unter dem Scheine, dies zu thun, den Staat in die Abhängig¬ keit päpstlicher und vor allen Dingen polonisirender Koterim und polnischer Aristokraten brachte. Wenn die östlichen Provinzen der Monarchie noch heute unter dem polnischen Joche seufzen und das Deutschtum in den dreißig Jahren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/413
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/413>, abgerufen am 17.09.2024.