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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Friede mit Rom.

bürgerliche Element. Während die Truppen in Frankreich standen, die Ne¬
gierung ihren Schwerpunkt in Versailles auf die äußern Angelegenheiten ge¬
richtet hatte, die Aufmerksamkeit der Mehrheit des Volkes auf den Fnedens-
kvngreß in Frankfurt gestellt war, hatte sich diese neukatholische Bewegung im
Stillen und unvermerkt zu einer festen Organisation vorbereitet. Die Re¬
gierung war ebenso überrascht wie das Volk, als noch am 21. März, am Er¬
öffnungstage des ersten deutschen Reichstages, die neue katholische Partei unter
dem Namen Zentrum sich konstituirte. So wenig wußte man von ihren letzten
Zielen, daß alles ihr gegenüber eine zuwartende Haltung annahm, da niemand
ein Bedürfnis für diese Partei anerkannte. Was von ihr zu erwarten stand,
zeigte sich schon in den ersten Wochen der Session. Bereits die Adreßdebatte
deutete den Krieg der Partei gegen Regierung und Reich an. indem das
Zentrum sich gegen den in der Adresse beantragten Satz der Nichtintcrventwn
erklärte und nach kaum beendigtem blutigen Kampfe einen Feldzug gegen das
geeinigte Italien zu Gunsten der weltlichen Macht des Papstes verlangte.
Gleich darauf brachte das Zentrum bei Beratung der deutschen Verfassung An¬
träge ein. durch welche in dieselbe nach Muster der preußischen Verfassung
Grundrechte eingeführt werden sollten, um das Vereins- und Versammlungsrecht,
die Preßfreiheit und die Unabhängigkeit der Kirche sicher zu stellen. Der An¬
trag war doppelt befremdlich als in dieser Partei die verschiedensten politischen
Elemente, konservative wie radikale, zusammensaßen, als keines dieser Rechte
bedroht war und die Mehrzahl dieser konstitutionellen Freiheiten noch kurz
vorher im Syllabus die kirchliche Verdammung erfahren hatte, auch das Ganze
den Partikularistischen Tendenzen dieser Partei fremd war. Gleich darauf folgte
eine Erklärung der Partei zu Gunsten der Polen und eine Auflehnung der¬
selben gegen die Germaiiisirungsbestrebungen in Elsaß-Lothringen; dazu kam.
daß die Anhänger der vertriebenen hannoverschen Königsfamilie, welche offen¬
kundig und ohne Scheu das Ausland gegen das neue Reich aufboten, nicht
nur im Zentrum saßen, sondern auch begannen, darin die Führung zu
übernehmen. Hätte es sich um eine gewöhnliche Oppositionspartei gehandelt,
so wäre eine besondre Besorgnis nicht gerechtfertigt gewesen, aber hier lag die
Eigentümlichkeit vor, daß die Partei ihre ganze Stärke aus der Unterstützung
der Geistlichkeit und dem Mißbrauch des päpstlichen Namens zog, und es war
die Gefahr begründet, daß bei der Vermischung der kirchlichen und der weltlichen
Dinge, bei der Freiheit, der sich die katholische Kirche in Preußen erfreute, em
unnatürlicher Zwang auf die Negierungspolitik geübt werden würde. Es Ware
eine Pflichtwidrigkeit des Reichskanzlers gewesen, wenn er der Entwicklung der
Dinge ruhig zugesehen und sich nicht an den Papst als an denjenigen gewandt
hätte, unter dessen Deckmantel sich die Partei gebildet hatte. Es unterliegt
jetzt keinem Zweifel mehr, daß Kardinal Antonelli und Pius IX. im An¬
fang den Heißspornen im Zentrum wenig geneigt waren; sie hatten keinen


Der Friede mit Rom.

bürgerliche Element. Während die Truppen in Frankreich standen, die Ne¬
gierung ihren Schwerpunkt in Versailles auf die äußern Angelegenheiten ge¬
richtet hatte, die Aufmerksamkeit der Mehrheit des Volkes auf den Fnedens-
kvngreß in Frankfurt gestellt war, hatte sich diese neukatholische Bewegung im
Stillen und unvermerkt zu einer festen Organisation vorbereitet. Die Re¬
gierung war ebenso überrascht wie das Volk, als noch am 21. März, am Er¬
öffnungstage des ersten deutschen Reichstages, die neue katholische Partei unter
dem Namen Zentrum sich konstituirte. So wenig wußte man von ihren letzten
Zielen, daß alles ihr gegenüber eine zuwartende Haltung annahm, da niemand
ein Bedürfnis für diese Partei anerkannte. Was von ihr zu erwarten stand,
zeigte sich schon in den ersten Wochen der Session. Bereits die Adreßdebatte
deutete den Krieg der Partei gegen Regierung und Reich an. indem das
Zentrum sich gegen den in der Adresse beantragten Satz der Nichtintcrventwn
erklärte und nach kaum beendigtem blutigen Kampfe einen Feldzug gegen das
geeinigte Italien zu Gunsten der weltlichen Macht des Papstes verlangte.
Gleich darauf brachte das Zentrum bei Beratung der deutschen Verfassung An¬
träge ein. durch welche in dieselbe nach Muster der preußischen Verfassung
Grundrechte eingeführt werden sollten, um das Vereins- und Versammlungsrecht,
die Preßfreiheit und die Unabhängigkeit der Kirche sicher zu stellen. Der An¬
trag war doppelt befremdlich als in dieser Partei die verschiedensten politischen
Elemente, konservative wie radikale, zusammensaßen, als keines dieser Rechte
bedroht war und die Mehrzahl dieser konstitutionellen Freiheiten noch kurz
vorher im Syllabus die kirchliche Verdammung erfahren hatte, auch das Ganze
den Partikularistischen Tendenzen dieser Partei fremd war. Gleich darauf folgte
eine Erklärung der Partei zu Gunsten der Polen und eine Auflehnung der¬
selben gegen die Germaiiisirungsbestrebungen in Elsaß-Lothringen; dazu kam.
daß die Anhänger der vertriebenen hannoverschen Königsfamilie, welche offen¬
kundig und ohne Scheu das Ausland gegen das neue Reich aufboten, nicht
nur im Zentrum saßen, sondern auch begannen, darin die Führung zu
übernehmen. Hätte es sich um eine gewöhnliche Oppositionspartei gehandelt,
so wäre eine besondre Besorgnis nicht gerechtfertigt gewesen, aber hier lag die
Eigentümlichkeit vor, daß die Partei ihre ganze Stärke aus der Unterstützung
der Geistlichkeit und dem Mißbrauch des päpstlichen Namens zog, und es war
die Gefahr begründet, daß bei der Vermischung der kirchlichen und der weltlichen
Dinge, bei der Freiheit, der sich die katholische Kirche in Preußen erfreute, em
unnatürlicher Zwang auf die Negierungspolitik geübt werden würde. Es Ware
eine Pflichtwidrigkeit des Reichskanzlers gewesen, wenn er der Entwicklung der
Dinge ruhig zugesehen und sich nicht an den Papst als an denjenigen gewandt
hätte, unter dessen Deckmantel sich die Partei gebildet hatte. Es unterliegt
jetzt keinem Zweifel mehr, daß Kardinal Antonelli und Pius IX. im An¬
fang den Heißspornen im Zentrum wenig geneigt waren; sie hatten keinen


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[0411] Der Friede mit Rom. bürgerliche Element. Während die Truppen in Frankreich standen, die Ne¬ gierung ihren Schwerpunkt in Versailles auf die äußern Angelegenheiten ge¬ richtet hatte, die Aufmerksamkeit der Mehrheit des Volkes auf den Fnedens- kvngreß in Frankfurt gestellt war, hatte sich diese neukatholische Bewegung im Stillen und unvermerkt zu einer festen Organisation vorbereitet. Die Re¬ gierung war ebenso überrascht wie das Volk, als noch am 21. März, am Er¬ öffnungstage des ersten deutschen Reichstages, die neue katholische Partei unter dem Namen Zentrum sich konstituirte. So wenig wußte man von ihren letzten Zielen, daß alles ihr gegenüber eine zuwartende Haltung annahm, da niemand ein Bedürfnis für diese Partei anerkannte. Was von ihr zu erwarten stand, zeigte sich schon in den ersten Wochen der Session. Bereits die Adreßdebatte deutete den Krieg der Partei gegen Regierung und Reich an. indem das Zentrum sich gegen den in der Adresse beantragten Satz der Nichtintcrventwn erklärte und nach kaum beendigtem blutigen Kampfe einen Feldzug gegen das geeinigte Italien zu Gunsten der weltlichen Macht des Papstes verlangte. Gleich darauf brachte das Zentrum bei Beratung der deutschen Verfassung An¬ träge ein. durch welche in dieselbe nach Muster der preußischen Verfassung Grundrechte eingeführt werden sollten, um das Vereins- und Versammlungsrecht, die Preßfreiheit und die Unabhängigkeit der Kirche sicher zu stellen. Der An¬ trag war doppelt befremdlich als in dieser Partei die verschiedensten politischen Elemente, konservative wie radikale, zusammensaßen, als keines dieser Rechte bedroht war und die Mehrzahl dieser konstitutionellen Freiheiten noch kurz vorher im Syllabus die kirchliche Verdammung erfahren hatte, auch das Ganze den Partikularistischen Tendenzen dieser Partei fremd war. Gleich darauf folgte eine Erklärung der Partei zu Gunsten der Polen und eine Auflehnung der¬ selben gegen die Germaiiisirungsbestrebungen in Elsaß-Lothringen; dazu kam. daß die Anhänger der vertriebenen hannoverschen Königsfamilie, welche offen¬ kundig und ohne Scheu das Ausland gegen das neue Reich aufboten, nicht nur im Zentrum saßen, sondern auch begannen, darin die Führung zu übernehmen. Hätte es sich um eine gewöhnliche Oppositionspartei gehandelt, so wäre eine besondre Besorgnis nicht gerechtfertigt gewesen, aber hier lag die Eigentümlichkeit vor, daß die Partei ihre ganze Stärke aus der Unterstützung der Geistlichkeit und dem Mißbrauch des päpstlichen Namens zog, und es war die Gefahr begründet, daß bei der Vermischung der kirchlichen und der weltlichen Dinge, bei der Freiheit, der sich die katholische Kirche in Preußen erfreute, em unnatürlicher Zwang auf die Negierungspolitik geübt werden würde. Es Ware eine Pflichtwidrigkeit des Reichskanzlers gewesen, wenn er der Entwicklung der Dinge ruhig zugesehen und sich nicht an den Papst als an denjenigen gewandt hätte, unter dessen Deckmantel sich die Partei gebildet hatte. Es unterliegt jetzt keinem Zweifel mehr, daß Kardinal Antonelli und Pius IX. im An¬ fang den Heißspornen im Zentrum wenig geneigt waren; sie hatten keinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/411>, abgerufen am 17.09.2024.