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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Friede mit Rom.

feierlich gegen dasselbe erklärt hätte? Es hätte ein sehr viel heftigerer
Glaubenskampf auf einmal und an allen Orten ausbrechen müssen. Die ver¬
öffentlichten Depeschen bezeichnen als wahren Grund und als die eigentliche
Ursache des Kulturkampfes die Parteinahme des Papstes für die regierungs¬
feindliche Partei, welche sich bald nach dem französischen Kriege unter dem
Namen Zentrum bildete. Diese Thatsache steht dokumentarisch fest und wird
durch die Haltung bestätigt, welche der Reichskanzler dieser Partei gegenüber
während des ganzen Verlaufes des Kampfes einnahm. Diejenigen, welche von
dem Kulturkampfe eine Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat erwarteten,
werden vielleicht zu dem Glauben geneigt sein, daß um kleiner Ursachen
willen zu große Mittel angewendet wurden seien, daß, um ein El zu kochen,
ein Haus angesteckt worden sei. Eine solche Beurteilung der Sachlage würde
fehl gehen und in das Gegenteil verfallen, daß eine Sache von Bedeutung unter¬
schätzt wird. Man muß sich daran erinnern, daß sich bis nach dem Frank¬
furter Friedensschluß die katholische Kirche in Preußen in einer von Papst und
Laien als außerordentlich günstig anerkannten Lage befand. Ob es eine richtige
Politik war, daß Friedrich Wilhelm IV. die katholische Kirche gänzlich von der
Staatsgewalt frei machte und vermöge der Verfassung alle Hoheitsrechte des
Staates, wie sie im Allgemeinen Landrecht enthalten waren, opferte, das soll
hier nicht erörtert werden. Aber thatsächlich haben mehr als einmal die preu¬
ßischen Landesbischöfe wie der römische Stuhl ihrer Befriedigung Ausdruck
gegeben, daß in keinem Lande Europas sich die katholische Religion so voll¬
kommener Freiheiten erfreute als in dem ketzerischen Preußen. Die Regierungs-
zeit des Königs Wilhelm hat bis zu dem erwähnten Zeitpunkte nicht ein Jota
daran geändert; kein Gesetz, keine Verordnung war erschienen, welche die Über¬
lieferungen Friedrich Wilhelms IV. gestört hätte, die katholische Abteilung im
Kultusministerium führte die Oberaufsicht in dem bisherigen Sinne weiter,
nicht als ob sie eine preußische Instanz, sondern eine Abteilung der Ouri"
RoinWg. mit polnischer Mischung wäre. Die Beziehungen von Hof und Re¬
gierung zu den Bischöfen und den Domkapiteln waren die besten; selbst die¬
jenigen Bischöfe, welche wie Melchers und Ledochowski sich nachher als die
streitbarsten und widersetzlichsten gezeigt haben, gaben Zeugnis von der günstigen
Lage der Katholiken, als sie in Berlin dem Monarchen den Huldigungseid
leisteten. Ungeachtet dieses friedlichen Zustandes tauchte wider alle Erwartung
während der Wahlen zum ersten deutschen Reichstag eine katholische Agitation
auf, welche, von den Geistlichen geleitet und gefördert, überall betonte, daß die
Vertretung der bedrohten Rechte der Katholiken eine energische und scharfe sein
müsse; sie beseitigte in einer ganzen Reihe von Wahlkreisen die bisherigen
katholischen Abgeordneten und ersetzte sie durch andre, welche sich zu dem ent-
schiednen Programm bekannten; sie fanatisirte unter geistlicher Flagge die
Massen und besiegte z. B. am Rhein das bisher an der Herrschaft befindliche


Der Friede mit Rom.

feierlich gegen dasselbe erklärt hätte? Es hätte ein sehr viel heftigerer
Glaubenskampf auf einmal und an allen Orten ausbrechen müssen. Die ver¬
öffentlichten Depeschen bezeichnen als wahren Grund und als die eigentliche
Ursache des Kulturkampfes die Parteinahme des Papstes für die regierungs¬
feindliche Partei, welche sich bald nach dem französischen Kriege unter dem
Namen Zentrum bildete. Diese Thatsache steht dokumentarisch fest und wird
durch die Haltung bestätigt, welche der Reichskanzler dieser Partei gegenüber
während des ganzen Verlaufes des Kampfes einnahm. Diejenigen, welche von
dem Kulturkampfe eine Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat erwarteten,
werden vielleicht zu dem Glauben geneigt sein, daß um kleiner Ursachen
willen zu große Mittel angewendet wurden seien, daß, um ein El zu kochen,
ein Haus angesteckt worden sei. Eine solche Beurteilung der Sachlage würde
fehl gehen und in das Gegenteil verfallen, daß eine Sache von Bedeutung unter¬
schätzt wird. Man muß sich daran erinnern, daß sich bis nach dem Frank¬
furter Friedensschluß die katholische Kirche in Preußen in einer von Papst und
Laien als außerordentlich günstig anerkannten Lage befand. Ob es eine richtige
Politik war, daß Friedrich Wilhelm IV. die katholische Kirche gänzlich von der
Staatsgewalt frei machte und vermöge der Verfassung alle Hoheitsrechte des
Staates, wie sie im Allgemeinen Landrecht enthalten waren, opferte, das soll
hier nicht erörtert werden. Aber thatsächlich haben mehr als einmal die preu¬
ßischen Landesbischöfe wie der römische Stuhl ihrer Befriedigung Ausdruck
gegeben, daß in keinem Lande Europas sich die katholische Religion so voll¬
kommener Freiheiten erfreute als in dem ketzerischen Preußen. Die Regierungs-
zeit des Königs Wilhelm hat bis zu dem erwähnten Zeitpunkte nicht ein Jota
daran geändert; kein Gesetz, keine Verordnung war erschienen, welche die Über¬
lieferungen Friedrich Wilhelms IV. gestört hätte, die katholische Abteilung im
Kultusministerium führte die Oberaufsicht in dem bisherigen Sinne weiter,
nicht als ob sie eine preußische Instanz, sondern eine Abteilung der Ouri»
RoinWg. mit polnischer Mischung wäre. Die Beziehungen von Hof und Re¬
gierung zu den Bischöfen und den Domkapiteln waren die besten; selbst die¬
jenigen Bischöfe, welche wie Melchers und Ledochowski sich nachher als die
streitbarsten und widersetzlichsten gezeigt haben, gaben Zeugnis von der günstigen
Lage der Katholiken, als sie in Berlin dem Monarchen den Huldigungseid
leisteten. Ungeachtet dieses friedlichen Zustandes tauchte wider alle Erwartung
während der Wahlen zum ersten deutschen Reichstag eine katholische Agitation
auf, welche, von den Geistlichen geleitet und gefördert, überall betonte, daß die
Vertretung der bedrohten Rechte der Katholiken eine energische und scharfe sein
müsse; sie beseitigte in einer ganzen Reihe von Wahlkreisen die bisherigen
katholischen Abgeordneten und ersetzte sie durch andre, welche sich zu dem ent-
schiednen Programm bekannten; sie fanatisirte unter geistlicher Flagge die
Massen und besiegte z. B. am Rhein das bisher an der Herrschaft befindliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/410>, abgerufen am 17.09.2024.