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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Friede mit Row.

Freilich der orthodoxe reaktionäre Protestant hält das alles für Spiegel¬
fechterei, nach ihm liegt überall ein abgekartetes Spiel zwischen dem Papste und
Bischof Kopp wie dem Zentrum vor, der Papst als Antichrist kämpft mit allen Mit¬
teln alter und neuer Diabolik. Gegen eine solche Anschauung läßt sich mit ernsten
Gründen nicht ankämpfen; sie begreift es nicht, daß dies ein Spiel mit zweischeidigcn
Waffen wäre und eine Organisation voraussetzen würde, der gegenüber schon heute
der moderne Staat die Waffen strecken müßte. Nur der Vollständigkeit wegen
ist auch diese Anschauung über das neue Kirchengesetz hier angedeutet worden.

Enttäuscht über den durch das Gesetz vom 29. April gekennzeichneten Aus¬
gang des Kulturkampfes ist die große Zahl derer, die insbesondre auf prote¬
stantischer Seite in den Falkschen Maigesetzen organische Vorschriften sehen,
welche bestimmt sein sollten, den tausendjährigen Streit zwischen imxsrwm und
Lg-osräMuin zu Gunsten der Staatsgewalt zu entscheiden. Die Mißstimmung
dieser Kreise fällt umso mehr ins Gewicht, als aus ihnen sich diejenigen Par¬
teien bilden, welche in allen Fällen treu zu Kaiser und Reich stehen und der Re¬
gierung in den meisten Fragen ihre parlamentarische Unterstützung gewähren.
Ihr Widerstreben geht aber nicht so weit, das Band mit der Regierung zu
zerreißen, vorausgesetzt, daß diese namentlich in den preußischen Ostprovinzen
von dem staatlichen Rechte so ernst Gebrauch macht, daß die katholische Geist¬
lichkeit verhindert wird, ihre bisherigen polonisirenden Neigungen festzuhalten.
Auch diese widerstrebenden Kreise werden sich versöhnen, sobald sich die Seg¬
nungen des innern Friedens geltend machen und so lange zwischen Negierung
und Kurie ein friedliches Einvernehmen besteht. Es ist hier am Orte, besonders
hervorzuheben, daß diese Enttäuschung doch nur eine Folge von Selbsttäuschung
und nicht durch die Politik des Reichskanzlers veranlaßt war.

In dieser Hinsicht sind die in jüngster Zeit von der "Norddeutschen All¬
gemeinen Zeitung" veröffentlichten Depeschen aus der vatikanischen Konzilszeit
von hohem Interesse. Heute wie vor fünfzehn Jahren hat die Frage Berech¬
tigung, wie es wohl kam, daß das kaum ein halbes Jahr alte deutsche Reich
nach einem blutigen Kriege und noch ehe das Einheitsband alle partiknlaristischen
Neigungen überwunden hatte, einen ernsten und schweren Kampf begann mit
einer der mächtigsten Organisationen der Welt. Hätte es wirklich zu den Auf¬
gaben des neuen Reiches gehört, den Kampf zwischen weltlicher und geistlicher
Gewalt zum Austrage zu bringen, so hätte es doch nur einer geringen Dosis
politischer Einsicht bedurft, um den Beginn des Streites auf einen geeigneteren
Zeitpunkt zu verschieben. Nach den Erfahrungen, welche Deutschland mit der
politischen Begabung des Fürsten Bismarck gemacht hat, wird die Behauptung
unwidersprochen bleiben, daß ein Mangel an solcher Einsicht ihm nicht vorzu¬
werfen ist. Zur Abwälzung eigner Schuld brachte die Zentrumspesfe die Legende
auf, daß der preußische Kulturkampf durch die auf dem vatikanischen Konzil
verkündete Unfehlbarkeit des Papstes veranlaßt worden sei. Diese Auffassung


Der Friede mit Row.

Freilich der orthodoxe reaktionäre Protestant hält das alles für Spiegel¬
fechterei, nach ihm liegt überall ein abgekartetes Spiel zwischen dem Papste und
Bischof Kopp wie dem Zentrum vor, der Papst als Antichrist kämpft mit allen Mit¬
teln alter und neuer Diabolik. Gegen eine solche Anschauung läßt sich mit ernsten
Gründen nicht ankämpfen; sie begreift es nicht, daß dies ein Spiel mit zweischeidigcn
Waffen wäre und eine Organisation voraussetzen würde, der gegenüber schon heute
der moderne Staat die Waffen strecken müßte. Nur der Vollständigkeit wegen
ist auch diese Anschauung über das neue Kirchengesetz hier angedeutet worden.

Enttäuscht über den durch das Gesetz vom 29. April gekennzeichneten Aus¬
gang des Kulturkampfes ist die große Zahl derer, die insbesondre auf prote¬
stantischer Seite in den Falkschen Maigesetzen organische Vorschriften sehen,
welche bestimmt sein sollten, den tausendjährigen Streit zwischen imxsrwm und
Lg-osräMuin zu Gunsten der Staatsgewalt zu entscheiden. Die Mißstimmung
dieser Kreise fällt umso mehr ins Gewicht, als aus ihnen sich diejenigen Par¬
teien bilden, welche in allen Fällen treu zu Kaiser und Reich stehen und der Re¬
gierung in den meisten Fragen ihre parlamentarische Unterstützung gewähren.
Ihr Widerstreben geht aber nicht so weit, das Band mit der Regierung zu
zerreißen, vorausgesetzt, daß diese namentlich in den preußischen Ostprovinzen
von dem staatlichen Rechte so ernst Gebrauch macht, daß die katholische Geist¬
lichkeit verhindert wird, ihre bisherigen polonisirenden Neigungen festzuhalten.
Auch diese widerstrebenden Kreise werden sich versöhnen, sobald sich die Seg¬
nungen des innern Friedens geltend machen und so lange zwischen Negierung
und Kurie ein friedliches Einvernehmen besteht. Es ist hier am Orte, besonders
hervorzuheben, daß diese Enttäuschung doch nur eine Folge von Selbsttäuschung
und nicht durch die Politik des Reichskanzlers veranlaßt war.

In dieser Hinsicht sind die in jüngster Zeit von der „Norddeutschen All¬
gemeinen Zeitung" veröffentlichten Depeschen aus der vatikanischen Konzilszeit
von hohem Interesse. Heute wie vor fünfzehn Jahren hat die Frage Berech¬
tigung, wie es wohl kam, daß das kaum ein halbes Jahr alte deutsche Reich
nach einem blutigen Kriege und noch ehe das Einheitsband alle partiknlaristischen
Neigungen überwunden hatte, einen ernsten und schweren Kampf begann mit
einer der mächtigsten Organisationen der Welt. Hätte es wirklich zu den Auf¬
gaben des neuen Reiches gehört, den Kampf zwischen weltlicher und geistlicher
Gewalt zum Austrage zu bringen, so hätte es doch nur einer geringen Dosis
politischer Einsicht bedurft, um den Beginn des Streites auf einen geeigneteren
Zeitpunkt zu verschieben. Nach den Erfahrungen, welche Deutschland mit der
politischen Begabung des Fürsten Bismarck gemacht hat, wird die Behauptung
unwidersprochen bleiben, daß ein Mangel an solcher Einsicht ihm nicht vorzu¬
werfen ist. Zur Abwälzung eigner Schuld brachte die Zentrumspesfe die Legende
auf, daß der preußische Kulturkampf durch die auf dem vatikanischen Konzil
verkündete Unfehlbarkeit des Papstes veranlaßt worden sei. Diese Auffassung


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[0408] Der Friede mit Row. Freilich der orthodoxe reaktionäre Protestant hält das alles für Spiegel¬ fechterei, nach ihm liegt überall ein abgekartetes Spiel zwischen dem Papste und Bischof Kopp wie dem Zentrum vor, der Papst als Antichrist kämpft mit allen Mit¬ teln alter und neuer Diabolik. Gegen eine solche Anschauung läßt sich mit ernsten Gründen nicht ankämpfen; sie begreift es nicht, daß dies ein Spiel mit zweischeidigcn Waffen wäre und eine Organisation voraussetzen würde, der gegenüber schon heute der moderne Staat die Waffen strecken müßte. Nur der Vollständigkeit wegen ist auch diese Anschauung über das neue Kirchengesetz hier angedeutet worden. Enttäuscht über den durch das Gesetz vom 29. April gekennzeichneten Aus¬ gang des Kulturkampfes ist die große Zahl derer, die insbesondre auf prote¬ stantischer Seite in den Falkschen Maigesetzen organische Vorschriften sehen, welche bestimmt sein sollten, den tausendjährigen Streit zwischen imxsrwm und Lg-osräMuin zu Gunsten der Staatsgewalt zu entscheiden. Die Mißstimmung dieser Kreise fällt umso mehr ins Gewicht, als aus ihnen sich diejenigen Par¬ teien bilden, welche in allen Fällen treu zu Kaiser und Reich stehen und der Re¬ gierung in den meisten Fragen ihre parlamentarische Unterstützung gewähren. Ihr Widerstreben geht aber nicht so weit, das Band mit der Regierung zu zerreißen, vorausgesetzt, daß diese namentlich in den preußischen Ostprovinzen von dem staatlichen Rechte so ernst Gebrauch macht, daß die katholische Geist¬ lichkeit verhindert wird, ihre bisherigen polonisirenden Neigungen festzuhalten. Auch diese widerstrebenden Kreise werden sich versöhnen, sobald sich die Seg¬ nungen des innern Friedens geltend machen und so lange zwischen Negierung und Kurie ein friedliches Einvernehmen besteht. Es ist hier am Orte, besonders hervorzuheben, daß diese Enttäuschung doch nur eine Folge von Selbsttäuschung und nicht durch die Politik des Reichskanzlers veranlaßt war. In dieser Hinsicht sind die in jüngster Zeit von der „Norddeutschen All¬ gemeinen Zeitung" veröffentlichten Depeschen aus der vatikanischen Konzilszeit von hohem Interesse. Heute wie vor fünfzehn Jahren hat die Frage Berech¬ tigung, wie es wohl kam, daß das kaum ein halbes Jahr alte deutsche Reich nach einem blutigen Kriege und noch ehe das Einheitsband alle partiknlaristischen Neigungen überwunden hatte, einen ernsten und schweren Kampf begann mit einer der mächtigsten Organisationen der Welt. Hätte es wirklich zu den Auf¬ gaben des neuen Reiches gehört, den Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt zum Austrage zu bringen, so hätte es doch nur einer geringen Dosis politischer Einsicht bedurft, um den Beginn des Streites auf einen geeigneteren Zeitpunkt zu verschieben. Nach den Erfahrungen, welche Deutschland mit der politischen Begabung des Fürsten Bismarck gemacht hat, wird die Behauptung unwidersprochen bleiben, daß ein Mangel an solcher Einsicht ihm nicht vorzu¬ werfen ist. Zur Abwälzung eigner Schuld brachte die Zentrumspesfe die Legende auf, daß der preußische Kulturkampf durch die auf dem vatikanischen Konzil verkündete Unfehlbarkeit des Papstes veranlaßt worden sei. Diese Auffassung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/408>, abgerufen am 17.09.2024.