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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

Es ist nur ein kleiner Umkreis innerhalb der riesigen Stadt, den wir
durchmessen haben, aber weiterzugehen hieße ein Buch schreiben. Nur einige
besonders charakteristische Anstalten außerhalb der hier umschriebenen Linie sollen
noch mit wenigen Worten berührt werden, die beiden größten Klöster Se. Peters¬
burgs. Ganz im Südosten, am Eude des Newskij-Prvspekts, begründete Peter
der Große das Kloster des heiligen Alexander Newskij an der Stelle des Newa¬
ufers, wo am 15. Juli 1240 dieser Großfürst von Nowgorod und Wladimir
der Überlieferung zufolge die Schweden schlug. Der Zar wollte offenbar an¬
knüpfen an eine national-russische Erinnerung, die an sich dieser finnischen
Landschaft ganz fern liegt, und ließ deshalb auch die Gebeine des Heiligen
1724 hierher übertragen, wie 1710 das Kasansche Muttergottesbild von
Moskau. Indem er zugleich das Kloster zur Lawra (Kloster mit geistlicher
Akademie) erhob, wies er ihm die Stelle neben den uralten beiden Klöstern
des heiligen Sergius bei Moskau (Trojzkaja Lawra, Dreieinigkeitskloster) und
von Kiew an. Wie eine Festung liegt der ausgedehnte Gebäudekomplex, in
seiner jetzigen Gestalt ein Werk Katharinas II., mit seinen ausgedehnten Gärten
und Wirtschaftsgebäuden auf einer Art Insel, die von der Newa und mehreren
schmalen Kanälen gebildet wird. Das Kloster selbst bildet ein verschobenes
Viereck, auf drei Seiten umgeben von langgestreckten, einstöckigen, weißgetünchten
Gebäuden; auf der vierten, der Ostseite, erhebt sich die Kirche in der gewöhn¬
lichen Anlage, aber nicht in byzantinischem, sondern in italienischem Stil: die
Kuppel über der Vierung, zwei niedrige Glockentürme auf dem anschließenden
Langschiff, die Außenseite der Kirche wie die der Klostergebäude weißgetüncht
mit grünen Ornamenten unter grünen Dächern, alles sauber, geleckt, ohne eine
Spur des Reizes, den ältere Gebäude derart haben können. Erinnerten nicht
die Vaumgänge des Klosterhofes mit ihren riesigstarken Birken, die auf ihren
weißen Stämmen tintenartig behandelte Kronen tragen, den Beschauer daran,
daß er auf einem Boden steht, der schon vor mehr als anderthalb Jahrhunderten
angebaut worden ist, er könnte glauben, das alles wäre gestern vollendet. Weit
historischer mutet der Friedhof auf der Nordseite des Klosters an, wo unter
dem Schutze desselben die Mitglieder vieler der angesehensten Geschlechter des
Reiches sich haben begraben lassen. Im Schatten hoher Trauerweiden, dunkler
Cypressen und weißstämmiger Birken drängen sich hier dicht aneinander die Grab¬
mäler, meist aus Marmor und Granit, oft in schwerem, halb antikem, halb
byzantinischem Stil, manche auch nach dem Muster des Felsens vom Denkmal
Peters des Großen, der hier zu einer Art architektonischen Motivs geworden
zu sein scheint, viele mit längern, die Verdienste und Schicksale des Verstorbenen
feiernden Inschriften, wie das des Dichters Gnjeditsch (geht. 1833), der -- so
heißt es -- "die russische Literatur mit einer Übersetzung Homers bereichert hat."

Ist das Alexander-Newskij-Kloster in der Hauptsache eine Gründung Peters
des Großen, so verehrt eine andre Anlage derart Katharina II. als ihre


Russische Skizzen.

Es ist nur ein kleiner Umkreis innerhalb der riesigen Stadt, den wir
durchmessen haben, aber weiterzugehen hieße ein Buch schreiben. Nur einige
besonders charakteristische Anstalten außerhalb der hier umschriebenen Linie sollen
noch mit wenigen Worten berührt werden, die beiden größten Klöster Se. Peters¬
burgs. Ganz im Südosten, am Eude des Newskij-Prvspekts, begründete Peter
der Große das Kloster des heiligen Alexander Newskij an der Stelle des Newa¬
ufers, wo am 15. Juli 1240 dieser Großfürst von Nowgorod und Wladimir
der Überlieferung zufolge die Schweden schlug. Der Zar wollte offenbar an¬
knüpfen an eine national-russische Erinnerung, die an sich dieser finnischen
Landschaft ganz fern liegt, und ließ deshalb auch die Gebeine des Heiligen
1724 hierher übertragen, wie 1710 das Kasansche Muttergottesbild von
Moskau. Indem er zugleich das Kloster zur Lawra (Kloster mit geistlicher
Akademie) erhob, wies er ihm die Stelle neben den uralten beiden Klöstern
des heiligen Sergius bei Moskau (Trojzkaja Lawra, Dreieinigkeitskloster) und
von Kiew an. Wie eine Festung liegt der ausgedehnte Gebäudekomplex, in
seiner jetzigen Gestalt ein Werk Katharinas II., mit seinen ausgedehnten Gärten
und Wirtschaftsgebäuden auf einer Art Insel, die von der Newa und mehreren
schmalen Kanälen gebildet wird. Das Kloster selbst bildet ein verschobenes
Viereck, auf drei Seiten umgeben von langgestreckten, einstöckigen, weißgetünchten
Gebäuden; auf der vierten, der Ostseite, erhebt sich die Kirche in der gewöhn¬
lichen Anlage, aber nicht in byzantinischem, sondern in italienischem Stil: die
Kuppel über der Vierung, zwei niedrige Glockentürme auf dem anschließenden
Langschiff, die Außenseite der Kirche wie die der Klostergebäude weißgetüncht
mit grünen Ornamenten unter grünen Dächern, alles sauber, geleckt, ohne eine
Spur des Reizes, den ältere Gebäude derart haben können. Erinnerten nicht
die Vaumgänge des Klosterhofes mit ihren riesigstarken Birken, die auf ihren
weißen Stämmen tintenartig behandelte Kronen tragen, den Beschauer daran,
daß er auf einem Boden steht, der schon vor mehr als anderthalb Jahrhunderten
angebaut worden ist, er könnte glauben, das alles wäre gestern vollendet. Weit
historischer mutet der Friedhof auf der Nordseite des Klosters an, wo unter
dem Schutze desselben die Mitglieder vieler der angesehensten Geschlechter des
Reiches sich haben begraben lassen. Im Schatten hoher Trauerweiden, dunkler
Cypressen und weißstämmiger Birken drängen sich hier dicht aneinander die Grab¬
mäler, meist aus Marmor und Granit, oft in schwerem, halb antikem, halb
byzantinischem Stil, manche auch nach dem Muster des Felsens vom Denkmal
Peters des Großen, der hier zu einer Art architektonischen Motivs geworden
zu sein scheint, viele mit längern, die Verdienste und Schicksale des Verstorbenen
feiernden Inschriften, wie das des Dichters Gnjeditsch (geht. 1833), der — so
heißt es — „die russische Literatur mit einer Übersetzung Homers bereichert hat."

Ist das Alexander-Newskij-Kloster in der Hauptsache eine Gründung Peters
des Großen, so verehrt eine andre Anlage derart Katharina II. als ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/394>, abgerufen am 17.09.2024.