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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

denn sie erinnert an das Attentat Karakasows auf Alexander II. (4./16. April
1866). "Du sollst die Hand nicht erheben gegen seinen Gesalbten' lautet die
Inschrift in altrussischen Charakteren über dem Portal. Und tritt man an der
Rückseite des Gartens hinaus, dann trifft der Blick über die Moika hin d.e
hier mit der breiteren Fontcmka zusammenfließt, auf die jetzige ^ngemeurschule.
das alte Michajlowskijsche Palais, ein massives Viereck mit abgerundeten Ecken,
das PM I. baute und mit Wallgraben. Zugbrücken und Bastionen umgab
eine Festung inmitten seiner Hauptstadt, und wo er doch wenige Monate nach
ihrer Vollendung einer Militärverschwörung erlag (24. März 1801)

Ein kolossales Eisengitter. eine Spezialität Petersburgs, dasselbe, um
deswillen allein, wie erzählt wird, ein Engländer die Reise unternahm um
dann sofort wieder heimzukehren, schließt den Sommergarten gegen die Newa¬
seite hin ab. Wenige hundert Schritte unterhalb des Ausganges si-hre me
Trojzkijbrücke. eine Schiffbrücke, über den Strom, die längste unter allen wer
Newabrücken, denn hier ist die Newa etwa 660 Meter breit, kurz oberhalb
ihrer Spaltung in die Newa und Newla. Von der Mitte dieser Brücke eröffnet
sich ein einzig großartiges Bild. Stromaufwärts sehen wir hinauf nach der
eisernen Alexanderbrücke, stromauf und stromab ziehen sich hohe gemauerte
Uferbäume aus rotem finnischen Granit, von denen breite Treppen hinunter
nach den Überfahrtsplätzen führen, dahinter dehnt sich unabsehbar die ^eM ver
Paläste. Zur Rechten erheben sich unmittelbar an der Brücke die grauen
Granitwälle der Peter-Paulsfestuug. und gerade vor uns jenseits des hier
seeartig breiten Wasserspiegels teilt die stumpfe Ostspitze von Wasstly Ostrow
die Strjelka, den mächtigen Strom, gekrönt von der Börse zwischen zwei
römischen Säulen mit ehernen Schiffsschnäbeln. Hier fürwahr begreift man,
warum der Petersburger für seine "Matuschka Newa." sein "Mütterchen Newa
schwärmt, die im Sommer lebenspendend seine Stadt durchflutet, hell und grün
wie ein fließendes Meer, im Winter, ein Drittel des Jahres hindurch, sie mit
glitzerndem Eispanzer schmückt.

^.,..
Jenseits erhebt sich die "Festung," der älteste Teil der Stadt, die
eigentliche ..Petersburg." auf einer Insel, in Gestalt eines langgezogenen ba-
stionirten Sechsecks von ziemlich beträchtlichem Umfange, der dem der innern
Altstadt Dresden ungefähr entspricht. Noch starren hinter breiten Wasser¬
gräben die Granitwälle empor, und auf der Mittelbastion über der Newa,
welche die kaiserliche Flagge trägt, drohen die Geschütze; indes beschränkt sich
jetzt die Bedeutung der Werke auf die Funktion als Staatsgefängms und
vielleicht als letzter Zufluchtsort für verzweifelte Fälle. Dafür ist die "Festung
in mancher Beziehung ein Nationalheiligtum geworden, denn die Peter-Pauls-
Kathedrale, ein einfacher, nüchterner Bau noch aus der Zeit Peters des Großen
mit schlankaufsteigender vergoldeter Turmspitze und der Kuppel über dem Chor,
enthält die Kaisergruft. Sie selbst ist unzugänglich, aber über ihr erheben sich


Russische Skizzen.

denn sie erinnert an das Attentat Karakasows auf Alexander II. (4./16. April
1866). „Du sollst die Hand nicht erheben gegen seinen Gesalbten' lautet die
Inschrift in altrussischen Charakteren über dem Portal. Und tritt man an der
Rückseite des Gartens hinaus, dann trifft der Blick über die Moika hin d.e
hier mit der breiteren Fontcmka zusammenfließt, auf die jetzige ^ngemeurschule.
das alte Michajlowskijsche Palais, ein massives Viereck mit abgerundeten Ecken,
das PM I. baute und mit Wallgraben. Zugbrücken und Bastionen umgab
eine Festung inmitten seiner Hauptstadt, und wo er doch wenige Monate nach
ihrer Vollendung einer Militärverschwörung erlag (24. März 1801)

Ein kolossales Eisengitter. eine Spezialität Petersburgs, dasselbe, um
deswillen allein, wie erzählt wird, ein Engländer die Reise unternahm um
dann sofort wieder heimzukehren, schließt den Sommergarten gegen die Newa¬
seite hin ab. Wenige hundert Schritte unterhalb des Ausganges si-hre me
Trojzkijbrücke. eine Schiffbrücke, über den Strom, die längste unter allen wer
Newabrücken, denn hier ist die Newa etwa 660 Meter breit, kurz oberhalb
ihrer Spaltung in die Newa und Newla. Von der Mitte dieser Brücke eröffnet
sich ein einzig großartiges Bild. Stromaufwärts sehen wir hinauf nach der
eisernen Alexanderbrücke, stromauf und stromab ziehen sich hohe gemauerte
Uferbäume aus rotem finnischen Granit, von denen breite Treppen hinunter
nach den Überfahrtsplätzen führen, dahinter dehnt sich unabsehbar die ^eM ver
Paläste. Zur Rechten erheben sich unmittelbar an der Brücke die grauen
Granitwälle der Peter-Paulsfestuug. und gerade vor uns jenseits des hier
seeartig breiten Wasserspiegels teilt die stumpfe Ostspitze von Wasstly Ostrow
die Strjelka, den mächtigen Strom, gekrönt von der Börse zwischen zwei
römischen Säulen mit ehernen Schiffsschnäbeln. Hier fürwahr begreift man,
warum der Petersburger für seine „Matuschka Newa." sein „Mütterchen Newa
schwärmt, die im Sommer lebenspendend seine Stadt durchflutet, hell und grün
wie ein fließendes Meer, im Winter, ein Drittel des Jahres hindurch, sie mit
glitzerndem Eispanzer schmückt.

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Jenseits erhebt sich die „Festung," der älteste Teil der Stadt, die
eigentliche ..Petersburg." auf einer Insel, in Gestalt eines langgezogenen ba-
stionirten Sechsecks von ziemlich beträchtlichem Umfange, der dem der innern
Altstadt Dresden ungefähr entspricht. Noch starren hinter breiten Wasser¬
gräben die Granitwälle empor, und auf der Mittelbastion über der Newa,
welche die kaiserliche Flagge trägt, drohen die Geschütze; indes beschränkt sich
jetzt die Bedeutung der Werke auf die Funktion als Staatsgefängms und
vielleicht als letzter Zufluchtsort für verzweifelte Fälle. Dafür ist die »Festung
in mancher Beziehung ein Nationalheiligtum geworden, denn die Peter-Pauls-
Kathedrale, ein einfacher, nüchterner Bau noch aus der Zeit Peters des Großen
mit schlankaufsteigender vergoldeter Turmspitze und der Kuppel über dem Chor,
enthält die Kaisergruft. Sie selbst ist unzugänglich, aber über ihr erheben sich


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[0391] Russische Skizzen. denn sie erinnert an das Attentat Karakasows auf Alexander II. (4./16. April 1866). „Du sollst die Hand nicht erheben gegen seinen Gesalbten' lautet die Inschrift in altrussischen Charakteren über dem Portal. Und tritt man an der Rückseite des Gartens hinaus, dann trifft der Blick über die Moika hin d.e hier mit der breiteren Fontcmka zusammenfließt, auf die jetzige ^ngemeurschule. das alte Michajlowskijsche Palais, ein massives Viereck mit abgerundeten Ecken, das PM I. baute und mit Wallgraben. Zugbrücken und Bastionen umgab eine Festung inmitten seiner Hauptstadt, und wo er doch wenige Monate nach ihrer Vollendung einer Militärverschwörung erlag (24. März 1801) Ein kolossales Eisengitter. eine Spezialität Petersburgs, dasselbe, um deswillen allein, wie erzählt wird, ein Engländer die Reise unternahm um dann sofort wieder heimzukehren, schließt den Sommergarten gegen die Newa¬ seite hin ab. Wenige hundert Schritte unterhalb des Ausganges si-hre me Trojzkijbrücke. eine Schiffbrücke, über den Strom, die längste unter allen wer Newabrücken, denn hier ist die Newa etwa 660 Meter breit, kurz oberhalb ihrer Spaltung in die Newa und Newla. Von der Mitte dieser Brücke eröffnet sich ein einzig großartiges Bild. Stromaufwärts sehen wir hinauf nach der eisernen Alexanderbrücke, stromauf und stromab ziehen sich hohe gemauerte Uferbäume aus rotem finnischen Granit, von denen breite Treppen hinunter nach den Überfahrtsplätzen führen, dahinter dehnt sich unabsehbar die ^eM ver Paläste. Zur Rechten erheben sich unmittelbar an der Brücke die grauen Granitwälle der Peter-Paulsfestuug. und gerade vor uns jenseits des hier seeartig breiten Wasserspiegels teilt die stumpfe Ostspitze von Wasstly Ostrow die Strjelka, den mächtigen Strom, gekrönt von der Börse zwischen zwei römischen Säulen mit ehernen Schiffsschnäbeln. Hier fürwahr begreift man, warum der Petersburger für seine „Matuschka Newa." sein „Mütterchen Newa schwärmt, die im Sommer lebenspendend seine Stadt durchflutet, hell und grün wie ein fließendes Meer, im Winter, ein Drittel des Jahres hindurch, sie mit glitzerndem Eispanzer schmückt. ^.,.. Jenseits erhebt sich die „Festung," der älteste Teil der Stadt, die eigentliche ..Petersburg." auf einer Insel, in Gestalt eines langgezogenen ba- stionirten Sechsecks von ziemlich beträchtlichem Umfange, der dem der innern Altstadt Dresden ungefähr entspricht. Noch starren hinter breiten Wasser¬ gräben die Granitwälle empor, und auf der Mittelbastion über der Newa, welche die kaiserliche Flagge trägt, drohen die Geschütze; indes beschränkt sich jetzt die Bedeutung der Werke auf die Funktion als Staatsgefängms und vielleicht als letzter Zufluchtsort für verzweifelte Fälle. Dafür ist die »Festung in mancher Beziehung ein Nationalheiligtum geworden, denn die Peter-Pauls- Kathedrale, ein einfacher, nüchterner Bau noch aus der Zeit Peters des Großen mit schlankaufsteigender vergoldeter Turmspitze und der Kuppel über dem Chor, enthält die Kaisergruft. Sie selbst ist unzugänglich, aber über ihr erheben sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/391>, abgerufen am 17.09.2024.