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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Beusts Erinnerungen.

Nachdem Beust aufgehört hat, Sachse zu sein, giebt er sich, wie man an¬
erkennen muß. redliche Mühe, Österreicher zu werden. Freilich stellt er sich
einen solchen Umwandlnngsprozcß leichter vor, als er ist. "Es hätte einer
meinem ganzen Wesen fremden Ziererei (!) bedurft, um mit der Annnahme der
an mich gelangten Berufung zu zögern." Aber die Folge hat gelehrt, daß
mit der ohne "Zögern" angelegten österreichischen Uniform und mit der Beob¬
achtung der österreichischen Dinge von Dresden aus doch nicht alles gethan
war; er selbst freilich begreift garnicht, daß er den Österreichern immer ein
Fremder bleiben konnte. Schreibt er doch manchmal ein Deutsch, welches er
weder auf der Kreuzschule noch auf der Universität Göttingen gelernt haben
wird: "ich bin gestanden, wir hatten uns begegnet, ich erinnere mich darauf"
u, dergl. in.; und das gelegentliche Geistreicheln verrät wenigstens den guten
Willen, sich nach Wiener Feuilletonmustern zu bilden. Hier kam ihm natür¬
liche Neigung zu Hilfe. Deun unter seinen "Aufzeichnungen" findet sich auch
jedes Witzwort, welches er einmal angebracht hat, selbst wenn es unter die
Marke Kalauer fällt, und mit besondern: Behagen werden "Quatrains" mit¬
geteilt, die wohl mitunter an Gramonts oxvrg. eoinicius erinnern.

Wir dürfen auch nicht unterlassen, der Art zu gedenken, wie Beust, nicht
immer mit Grazie, über Episoden hinweggleitet, in denen weder seine Gabe der
Weissagung, noch seine überlegene Staatskunst zur Erscheinung gekommen ist.
Die Neaktivirung der ständischen Vertretung in Sachsen war "gerechtfertigt,"
weil das Wahlgesetz von 1848 nur provisorischen Charakter hatte, wogegen
die Beseitigung der österreichischen Verfassung von 1849 mit Recht als ein
verhängnisvoller Fehler bezeichnet wird; die Universität Leipzig mußte ver¬
gewaltigt und so ausgezeichneter Kräfte wie Jahr. Haupt u. s. w. beraubt
werden, weil ihr Widerstand dem Ministerium lästig war; die Nichtbcstätigung
von Stadträten, weil sie dem Nationalverein angehörten, bedarf gar keiner
Rechtfertigung. Als Entlastungszeuge gegen den Vorwurf der Reaktion wird --
Herr Vebel aufgerufen, der einmal im sächsischen Landtage der Regierung seine
Anerkennung ausgesprochen hat, aber nur für die Zeit von 1861 bis 1866, in
welcher Beust bekanntlich "liberal" war. Preußens Hilfe im Mai 1849 war
"selbstverständlich," da Friedrich Wilhelm IV. den König von Sachsen auf¬
gefordert hatte, die Reichsverfassung nicht anzuerkennen; folglich war Sachsen
nicht zur Dankbarkeit verpflichtet, sondern umgekehrt Preußen, für das Sachsen
die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte. Die Veröffentlichung des Abschieds¬
briefes des Königs Johann an Beust noch während der Friedensverhandlungen,
die damals so böses Blut machte, kann nicht durch Beust veranlaßt worden
sein, weil -- der Brief in der "Wiener Zeitung" abgedruckt war, welcher Beust
damals nichts zu befehlen hatte. Wen das nicht überzeugt, der ist freilich nicht
zu überzeugen. Wer aber den Brief der "Wiener Zeitung" überlassen hat, das
scheint unser Autor nicht ermittelt zu haben, als er die Macht dazu besaß.


Beusts Erinnerungen.

Nachdem Beust aufgehört hat, Sachse zu sein, giebt er sich, wie man an¬
erkennen muß. redliche Mühe, Österreicher zu werden. Freilich stellt er sich
einen solchen Umwandlnngsprozcß leichter vor, als er ist. „Es hätte einer
meinem ganzen Wesen fremden Ziererei (!) bedurft, um mit der Annnahme der
an mich gelangten Berufung zu zögern." Aber die Folge hat gelehrt, daß
mit der ohne „Zögern" angelegten österreichischen Uniform und mit der Beob¬
achtung der österreichischen Dinge von Dresden aus doch nicht alles gethan
war; er selbst freilich begreift garnicht, daß er den Österreichern immer ein
Fremder bleiben konnte. Schreibt er doch manchmal ein Deutsch, welches er
weder auf der Kreuzschule noch auf der Universität Göttingen gelernt haben
wird: „ich bin gestanden, wir hatten uns begegnet, ich erinnere mich darauf"
u, dergl. in.; und das gelegentliche Geistreicheln verrät wenigstens den guten
Willen, sich nach Wiener Feuilletonmustern zu bilden. Hier kam ihm natür¬
liche Neigung zu Hilfe. Deun unter seinen „Aufzeichnungen" findet sich auch
jedes Witzwort, welches er einmal angebracht hat, selbst wenn es unter die
Marke Kalauer fällt, und mit besondern: Behagen werden „Quatrains" mit¬
geteilt, die wohl mitunter an Gramonts oxvrg. eoinicius erinnern.

Wir dürfen auch nicht unterlassen, der Art zu gedenken, wie Beust, nicht
immer mit Grazie, über Episoden hinweggleitet, in denen weder seine Gabe der
Weissagung, noch seine überlegene Staatskunst zur Erscheinung gekommen ist.
Die Neaktivirung der ständischen Vertretung in Sachsen war „gerechtfertigt,"
weil das Wahlgesetz von 1848 nur provisorischen Charakter hatte, wogegen
die Beseitigung der österreichischen Verfassung von 1849 mit Recht als ein
verhängnisvoller Fehler bezeichnet wird; die Universität Leipzig mußte ver¬
gewaltigt und so ausgezeichneter Kräfte wie Jahr. Haupt u. s. w. beraubt
werden, weil ihr Widerstand dem Ministerium lästig war; die Nichtbcstätigung
von Stadträten, weil sie dem Nationalverein angehörten, bedarf gar keiner
Rechtfertigung. Als Entlastungszeuge gegen den Vorwurf der Reaktion wird —
Herr Vebel aufgerufen, der einmal im sächsischen Landtage der Regierung seine
Anerkennung ausgesprochen hat, aber nur für die Zeit von 1861 bis 1866, in
welcher Beust bekanntlich „liberal" war. Preußens Hilfe im Mai 1849 war
«selbstverständlich," da Friedrich Wilhelm IV. den König von Sachsen auf¬
gefordert hatte, die Reichsverfassung nicht anzuerkennen; folglich war Sachsen
nicht zur Dankbarkeit verpflichtet, sondern umgekehrt Preußen, für das Sachsen
die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte. Die Veröffentlichung des Abschieds¬
briefes des Königs Johann an Beust noch während der Friedensverhandlungen,
die damals so böses Blut machte, kann nicht durch Beust veranlaßt worden
sein, weil — der Brief in der „Wiener Zeitung" abgedruckt war, welcher Beust
damals nichts zu befehlen hatte. Wen das nicht überzeugt, der ist freilich nicht
zu überzeugen. Wer aber den Brief der „Wiener Zeitung" überlassen hat, das
scheint unser Autor nicht ermittelt zu haben, als er die Macht dazu besaß.


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[0039] Beusts Erinnerungen. Nachdem Beust aufgehört hat, Sachse zu sein, giebt er sich, wie man an¬ erkennen muß. redliche Mühe, Österreicher zu werden. Freilich stellt er sich einen solchen Umwandlnngsprozcß leichter vor, als er ist. „Es hätte einer meinem ganzen Wesen fremden Ziererei (!) bedurft, um mit der Annnahme der an mich gelangten Berufung zu zögern." Aber die Folge hat gelehrt, daß mit der ohne „Zögern" angelegten österreichischen Uniform und mit der Beob¬ achtung der österreichischen Dinge von Dresden aus doch nicht alles gethan war; er selbst freilich begreift garnicht, daß er den Österreichern immer ein Fremder bleiben konnte. Schreibt er doch manchmal ein Deutsch, welches er weder auf der Kreuzschule noch auf der Universität Göttingen gelernt haben wird: „ich bin gestanden, wir hatten uns begegnet, ich erinnere mich darauf" u, dergl. in.; und das gelegentliche Geistreicheln verrät wenigstens den guten Willen, sich nach Wiener Feuilletonmustern zu bilden. Hier kam ihm natür¬ liche Neigung zu Hilfe. Deun unter seinen „Aufzeichnungen" findet sich auch jedes Witzwort, welches er einmal angebracht hat, selbst wenn es unter die Marke Kalauer fällt, und mit besondern: Behagen werden „Quatrains" mit¬ geteilt, die wohl mitunter an Gramonts oxvrg. eoinicius erinnern. Wir dürfen auch nicht unterlassen, der Art zu gedenken, wie Beust, nicht immer mit Grazie, über Episoden hinweggleitet, in denen weder seine Gabe der Weissagung, noch seine überlegene Staatskunst zur Erscheinung gekommen ist. Die Neaktivirung der ständischen Vertretung in Sachsen war „gerechtfertigt," weil das Wahlgesetz von 1848 nur provisorischen Charakter hatte, wogegen die Beseitigung der österreichischen Verfassung von 1849 mit Recht als ein verhängnisvoller Fehler bezeichnet wird; die Universität Leipzig mußte ver¬ gewaltigt und so ausgezeichneter Kräfte wie Jahr. Haupt u. s. w. beraubt werden, weil ihr Widerstand dem Ministerium lästig war; die Nichtbcstätigung von Stadträten, weil sie dem Nationalverein angehörten, bedarf gar keiner Rechtfertigung. Als Entlastungszeuge gegen den Vorwurf der Reaktion wird — Herr Vebel aufgerufen, der einmal im sächsischen Landtage der Regierung seine Anerkennung ausgesprochen hat, aber nur für die Zeit von 1861 bis 1866, in welcher Beust bekanntlich „liberal" war. Preußens Hilfe im Mai 1849 war «selbstverständlich," da Friedrich Wilhelm IV. den König von Sachsen auf¬ gefordert hatte, die Reichsverfassung nicht anzuerkennen; folglich war Sachsen nicht zur Dankbarkeit verpflichtet, sondern umgekehrt Preußen, für das Sachsen die Kastanien aus dem Feuer geholt hatte. Die Veröffentlichung des Abschieds¬ briefes des Königs Johann an Beust noch während der Friedensverhandlungen, die damals so böses Blut machte, kann nicht durch Beust veranlaßt worden sein, weil — der Brief in der „Wiener Zeitung" abgedruckt war, welcher Beust damals nichts zu befehlen hatte. Wen das nicht überzeugt, der ist freilich nicht zu überzeugen. Wer aber den Brief der „Wiener Zeitung" überlassen hat, das scheint unser Autor nicht ermittelt zu haben, als er die Macht dazu besaß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/39>, abgerufen am 17.09.2024.