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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoeten.


Wenn unsre jungen Adepten der Dichtkunst - es giebt ihrer, o unglaub¬
lich es in diesen Literaturläuften erscheinen mag. sehr viel, leider viel M viel -
sich bei einem "voll und ganz auf dem Boden der Jetztzeit stehenden" Poetiker
nach der "Methode" erkundigten, mit der man "ein großer Dichter wird, so
müßten sie zuversichtlich dieselbe Antwort erhalten. Vorausgesetzt nämlich, daß
der Mann die poetischen Anschauungen, wie sie sich nachgerade bei uns "heraus -
gebildet haben und "auf deren Boden er voll und ganz zu stehen pflegt," auch
wirklich kennt. Denn die Anschauungen von Poesie, die man sich nach ihrem
gegenwärtigen Stande bilden muß - und in Deutschland ist nun einmal der
Trieb, sich "Anschauungen" von Dingen zu bilden, nicht auszurotten -. können
wirklich nicht anders ausfallen, als von einer Beschäftigung, den größten Selt¬
samkeiten und Ungeheuerlichkeiten dieser schon an sich genug seltsamen Menschen¬
welt nachzustellen, sie auf ein ebenso seltsames und ungeheuerliches Postament
SU setzen und mit der tiefsinnigen Miene des ungelösten Problematikers dar¬
unter zu schreiben: Nöinsuto mori! Wahrhaftig, das Pantheon der Dichtkunst
ist aus einem Kunsttempel ein anatomisches Museum geworden aus einem
Marmorsaal ein Wachsfigurenkabinett in welchem auch die ..Schreckenskammer
nicht fehlt. Da müßte es dann ebenso seltsam zugehen, wenn nicht schließlich
der Marmor billig und das Wachs teuer, der Tempel öde und das Panoptl-
wm voll, derjenige aber, dem es gelingt, dem gaffenden Publikum noch eine
ganz neue wächserne Nase zu drehen, zum Wunderkünstler und Dädalus der
Zeit würde.

Wenn man sich nach der Art chemischer Analysen eine Übersicht machen
wollte, über die in der Dichtung des letzten halben Jahrhunderts durchschnittlich
am häufigsten und am massigsten auftretenden Elemente, so würde man zu
ganz merkwürdigen Ergebnissen kommen. Man würde vor allen Dingen zu dem
Ergebnis kommen, daß in diesen Listen die eigentlich poetischen Elemente der
Menge nach am schwächsten vertreten sind, insofern man unter dem Element
der Dichtung, wie man theoretisch doch noch immer anzuerkennen Pflegt, die
Darstellung des rein Menschlichen in allen Verhältnissen des Daseins verstehen
muß. Die bloße Darstellung des rein Menschlichen, als unsers allvertmutcn,
allverstündlichen und trotz seiner Rätselhaftigkeit allverstandnen Weltsichektes;
acht die zweckbewnßte Ergründung dieses Menschlichen als eines Objektes für
unsern Scharfsinn und unser Wissen, wie alle andern Objekte dieses geheimnis¬
vollen Daseins! Dies ist Sache der Wissenschaft. Freilich, schon vermöge ihres
gemeinsamen Trägers, der Sprache ist die dichterische Kunst von Mr der
Gefahr ausgesetzt gewesen, mit der Wissenschaft zu verfließen, wie sich die Wissen¬
schaft ja überhaupt erst aus ihr entwickelt hat. Die Grenzen gerade zwischen
Poetisch-künstlerischer und wissenschaftlicher Begabung sind überhaupt durchaus


Studium dieses Buches werde es abhängen, ob er ein großer Staatsmann
werden würde oder nicht.
Zukunftspoeten.


Wenn unsre jungen Adepten der Dichtkunst - es giebt ihrer, o unglaub¬
lich es in diesen Literaturläuften erscheinen mag. sehr viel, leider viel M viel -
sich bei einem „voll und ganz auf dem Boden der Jetztzeit stehenden" Poetiker
nach der „Methode" erkundigten, mit der man „ein großer Dichter wird, so
müßten sie zuversichtlich dieselbe Antwort erhalten. Vorausgesetzt nämlich, daß
der Mann die poetischen Anschauungen, wie sie sich nachgerade bei uns „heraus -
gebildet haben und „auf deren Boden er voll und ganz zu stehen pflegt," auch
wirklich kennt. Denn die Anschauungen von Poesie, die man sich nach ihrem
gegenwärtigen Stande bilden muß - und in Deutschland ist nun einmal der
Trieb, sich „Anschauungen" von Dingen zu bilden, nicht auszurotten -. können
wirklich nicht anders ausfallen, als von einer Beschäftigung, den größten Selt¬
samkeiten und Ungeheuerlichkeiten dieser schon an sich genug seltsamen Menschen¬
welt nachzustellen, sie auf ein ebenso seltsames und ungeheuerliches Postament
SU setzen und mit der tiefsinnigen Miene des ungelösten Problematikers dar¬
unter zu schreiben: Nöinsuto mori! Wahrhaftig, das Pantheon der Dichtkunst
ist aus einem Kunsttempel ein anatomisches Museum geworden aus einem
Marmorsaal ein Wachsfigurenkabinett in welchem auch die ..Schreckenskammer
nicht fehlt. Da müßte es dann ebenso seltsam zugehen, wenn nicht schließlich
der Marmor billig und das Wachs teuer, der Tempel öde und das Panoptl-
wm voll, derjenige aber, dem es gelingt, dem gaffenden Publikum noch eine
ganz neue wächserne Nase zu drehen, zum Wunderkünstler und Dädalus der
Zeit würde.

Wenn man sich nach der Art chemischer Analysen eine Übersicht machen
wollte, über die in der Dichtung des letzten halben Jahrhunderts durchschnittlich
am häufigsten und am massigsten auftretenden Elemente, so würde man zu
ganz merkwürdigen Ergebnissen kommen. Man würde vor allen Dingen zu dem
Ergebnis kommen, daß in diesen Listen die eigentlich poetischen Elemente der
Menge nach am schwächsten vertreten sind, insofern man unter dem Element
der Dichtung, wie man theoretisch doch noch immer anzuerkennen Pflegt, die
Darstellung des rein Menschlichen in allen Verhältnissen des Daseins verstehen
muß. Die bloße Darstellung des rein Menschlichen, als unsers allvertmutcn,
allverstündlichen und trotz seiner Rätselhaftigkeit allverstandnen Weltsichektes;
acht die zweckbewnßte Ergründung dieses Menschlichen als eines Objektes für
unsern Scharfsinn und unser Wissen, wie alle andern Objekte dieses geheimnis¬
vollen Daseins! Dies ist Sache der Wissenschaft. Freilich, schon vermöge ihres
gemeinsamen Trägers, der Sprache ist die dichterische Kunst von Mr der
Gefahr ausgesetzt gewesen, mit der Wissenschaft zu verfließen, wie sich die Wissen¬
schaft ja überhaupt erst aus ihr entwickelt hat. Die Grenzen gerade zwischen
Poetisch-künstlerischer und wissenschaftlicher Begabung sind überhaupt durchaus


Studium dieses Buches werde es abhängen, ob er ein großer Staatsmann
werden würde oder nicht.
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[0381] Zukunftspoeten. Wenn unsre jungen Adepten der Dichtkunst - es giebt ihrer, o unglaub¬ lich es in diesen Literaturläuften erscheinen mag. sehr viel, leider viel M viel - sich bei einem „voll und ganz auf dem Boden der Jetztzeit stehenden" Poetiker nach der „Methode" erkundigten, mit der man „ein großer Dichter wird, so müßten sie zuversichtlich dieselbe Antwort erhalten. Vorausgesetzt nämlich, daß der Mann die poetischen Anschauungen, wie sie sich nachgerade bei uns „heraus - gebildet haben und „auf deren Boden er voll und ganz zu stehen pflegt," auch wirklich kennt. Denn die Anschauungen von Poesie, die man sich nach ihrem gegenwärtigen Stande bilden muß - und in Deutschland ist nun einmal der Trieb, sich „Anschauungen" von Dingen zu bilden, nicht auszurotten -. können wirklich nicht anders ausfallen, als von einer Beschäftigung, den größten Selt¬ samkeiten und Ungeheuerlichkeiten dieser schon an sich genug seltsamen Menschen¬ welt nachzustellen, sie auf ein ebenso seltsames und ungeheuerliches Postament SU setzen und mit der tiefsinnigen Miene des ungelösten Problematikers dar¬ unter zu schreiben: Nöinsuto mori! Wahrhaftig, das Pantheon der Dichtkunst ist aus einem Kunsttempel ein anatomisches Museum geworden aus einem Marmorsaal ein Wachsfigurenkabinett in welchem auch die ..Schreckenskammer nicht fehlt. Da müßte es dann ebenso seltsam zugehen, wenn nicht schließlich der Marmor billig und das Wachs teuer, der Tempel öde und das Panoptl- wm voll, derjenige aber, dem es gelingt, dem gaffenden Publikum noch eine ganz neue wächserne Nase zu drehen, zum Wunderkünstler und Dädalus der Zeit würde. Wenn man sich nach der Art chemischer Analysen eine Übersicht machen wollte, über die in der Dichtung des letzten halben Jahrhunderts durchschnittlich am häufigsten und am massigsten auftretenden Elemente, so würde man zu ganz merkwürdigen Ergebnissen kommen. Man würde vor allen Dingen zu dem Ergebnis kommen, daß in diesen Listen die eigentlich poetischen Elemente der Menge nach am schwächsten vertreten sind, insofern man unter dem Element der Dichtung, wie man theoretisch doch noch immer anzuerkennen Pflegt, die Darstellung des rein Menschlichen in allen Verhältnissen des Daseins verstehen muß. Die bloße Darstellung des rein Menschlichen, als unsers allvertmutcn, allverstündlichen und trotz seiner Rätselhaftigkeit allverstandnen Weltsichektes; acht die zweckbewnßte Ergründung dieses Menschlichen als eines Objektes für unsern Scharfsinn und unser Wissen, wie alle andern Objekte dieses geheimnis¬ vollen Daseins! Dies ist Sache der Wissenschaft. Freilich, schon vermöge ihres gemeinsamen Trägers, der Sprache ist die dichterische Kunst von Mr der Gefahr ausgesetzt gewesen, mit der Wissenschaft zu verfließen, wie sich die Wissen¬ schaft ja überhaupt erst aus ihr entwickelt hat. Die Grenzen gerade zwischen Poetisch-künstlerischer und wissenschaftlicher Begabung sind überhaupt durchaus Studium dieses Buches werde es abhängen, ob er ein großer Staatsmann werden würde oder nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/381>, abgerufen am 17.09.2024.