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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zukunftspoeten.

zunehmen, was ich beim Lesen, Denken und Schreiben dahingehöriges bemerkte."
Als er im Mai 1813 den Schluß des Werkes Friedrich Vieweg, dem Gatten
seines einzigen Kindes, der Lotte des Robinson, überreichte, sprach er: "Hier,
lieber Sohn, haben Sie die letzten Bogen, aber damit auch meine letzte Kraft."
In der That war denn auch der letzte Aufschwung seines Geistes dem Kampfe
für die Reinigung der Muttersprache gewidmet gewesen. Bald nach dem Er¬
scheinen der neuen Ausgabe des Verdeutschungswörterbuches umfing ihn eine
mehr und mehr sich verdichtende seelische Umnachtung, von der ihn erst am
am 22. Oktober 1818 der Tod erlöste.

Mehr als zwei Menschenalter sind seitdem vorübergerauscht. Von denen,
die einst nicht ohne persönliche Erregung, sei es für, sei es gegen Campe
und seinen sprachlichen Purismus in die Schranken traten, wandelt kein einziger
mehr unter den Lebenden. Klarer und unbefangener vermag der Enkel und
Urenkel wie die Schwächen, so auch die unleugbaren Verdienste des eifrigen
Mannes zu erkennen; aber der Kampf, in dem er so tapfer und unermüdlich
gestritten hat, ist noch nicht zu einem siegreichen Abschluß gebracht. Von den
fremden Schmarotzern, die auf Kosten unsrer Muttersprache ihr unberechtigtes
Dasein fristen, ist zwar inzwischen eine beträchtliche Anzahl verschwunden und
durch gute deutsche Ausdrücke ersetzt; aber tausende sind geblieben und mehr
als dreihundert neue sind hinzugekommen. Hoffen wir, daß es den jetzigen
Vorkämpfern für die Würde und Reinheit der Muttersprache gelinge" werde,
durch Campische Zähigkeit, Ausdauer und Überzeugungstreue, aber auch unter
Vermeidung Campischer Fehlgriffe und Übereilungen, die Reihen dieser unholden
Fremdlinge so weit zu lichten, daß nur diejenigen von ihnen, welche einen be¬
gründeten Anspruch auf deutsches Bürger- oder Gastrecht aufzuweisen haben,
auf den deutschen Lippen zurückbleiben!




Zukunftspoeten.

in großer Lehrer der Staatskunst wurde einmal von einem
angehenden Politiker gefragt, welche Werke seines Faches er
studiren müsse, um ein großer Staatsmann zu werden. Der
greise Theoretiker gab dem jungen Praktiker auf die naive
Frage die geistreiche Antwort, er möge sich ein möglichst dickes
Buch Papier anschaffen, damit durch die Welt gehen und darin alle Thor¬
heiten und Schwächen der Menschen, welche ihm auffielen, seine eignen nicht
ausgenommen, getreulich verzeichnen. Von dem Ausfalle und dem fleißigen^MHM


Zukunftspoeten.

zunehmen, was ich beim Lesen, Denken und Schreiben dahingehöriges bemerkte."
Als er im Mai 1813 den Schluß des Werkes Friedrich Vieweg, dem Gatten
seines einzigen Kindes, der Lotte des Robinson, überreichte, sprach er: „Hier,
lieber Sohn, haben Sie die letzten Bogen, aber damit auch meine letzte Kraft."
In der That war denn auch der letzte Aufschwung seines Geistes dem Kampfe
für die Reinigung der Muttersprache gewidmet gewesen. Bald nach dem Er¬
scheinen der neuen Ausgabe des Verdeutschungswörterbuches umfing ihn eine
mehr und mehr sich verdichtende seelische Umnachtung, von der ihn erst am
am 22. Oktober 1818 der Tod erlöste.

Mehr als zwei Menschenalter sind seitdem vorübergerauscht. Von denen,
die einst nicht ohne persönliche Erregung, sei es für, sei es gegen Campe
und seinen sprachlichen Purismus in die Schranken traten, wandelt kein einziger
mehr unter den Lebenden. Klarer und unbefangener vermag der Enkel und
Urenkel wie die Schwächen, so auch die unleugbaren Verdienste des eifrigen
Mannes zu erkennen; aber der Kampf, in dem er so tapfer und unermüdlich
gestritten hat, ist noch nicht zu einem siegreichen Abschluß gebracht. Von den
fremden Schmarotzern, die auf Kosten unsrer Muttersprache ihr unberechtigtes
Dasein fristen, ist zwar inzwischen eine beträchtliche Anzahl verschwunden und
durch gute deutsche Ausdrücke ersetzt; aber tausende sind geblieben und mehr
als dreihundert neue sind hinzugekommen. Hoffen wir, daß es den jetzigen
Vorkämpfern für die Würde und Reinheit der Muttersprache gelinge» werde,
durch Campische Zähigkeit, Ausdauer und Überzeugungstreue, aber auch unter
Vermeidung Campischer Fehlgriffe und Übereilungen, die Reihen dieser unholden
Fremdlinge so weit zu lichten, daß nur diejenigen von ihnen, welche einen be¬
gründeten Anspruch auf deutsches Bürger- oder Gastrecht aufzuweisen haben,
auf den deutschen Lippen zurückbleiben!




Zukunftspoeten.

in großer Lehrer der Staatskunst wurde einmal von einem
angehenden Politiker gefragt, welche Werke seines Faches er
studiren müsse, um ein großer Staatsmann zu werden. Der
greise Theoretiker gab dem jungen Praktiker auf die naive
Frage die geistreiche Antwort, er möge sich ein möglichst dickes
Buch Papier anschaffen, damit durch die Welt gehen und darin alle Thor¬
heiten und Schwächen der Menschen, welche ihm auffielen, seine eignen nicht
ausgenommen, getreulich verzeichnen. Von dem Ausfalle und dem fleißigen^MHM


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[0380] Zukunftspoeten. zunehmen, was ich beim Lesen, Denken und Schreiben dahingehöriges bemerkte." Als er im Mai 1813 den Schluß des Werkes Friedrich Vieweg, dem Gatten seines einzigen Kindes, der Lotte des Robinson, überreichte, sprach er: „Hier, lieber Sohn, haben Sie die letzten Bogen, aber damit auch meine letzte Kraft." In der That war denn auch der letzte Aufschwung seines Geistes dem Kampfe für die Reinigung der Muttersprache gewidmet gewesen. Bald nach dem Er¬ scheinen der neuen Ausgabe des Verdeutschungswörterbuches umfing ihn eine mehr und mehr sich verdichtende seelische Umnachtung, von der ihn erst am am 22. Oktober 1818 der Tod erlöste. Mehr als zwei Menschenalter sind seitdem vorübergerauscht. Von denen, die einst nicht ohne persönliche Erregung, sei es für, sei es gegen Campe und seinen sprachlichen Purismus in die Schranken traten, wandelt kein einziger mehr unter den Lebenden. Klarer und unbefangener vermag der Enkel und Urenkel wie die Schwächen, so auch die unleugbaren Verdienste des eifrigen Mannes zu erkennen; aber der Kampf, in dem er so tapfer und unermüdlich gestritten hat, ist noch nicht zu einem siegreichen Abschluß gebracht. Von den fremden Schmarotzern, die auf Kosten unsrer Muttersprache ihr unberechtigtes Dasein fristen, ist zwar inzwischen eine beträchtliche Anzahl verschwunden und durch gute deutsche Ausdrücke ersetzt; aber tausende sind geblieben und mehr als dreihundert neue sind hinzugekommen. Hoffen wir, daß es den jetzigen Vorkämpfern für die Würde und Reinheit der Muttersprache gelinge» werde, durch Campische Zähigkeit, Ausdauer und Überzeugungstreue, aber auch unter Vermeidung Campischer Fehlgriffe und Übereilungen, die Reihen dieser unholden Fremdlinge so weit zu lichten, daß nur diejenigen von ihnen, welche einen be¬ gründeten Anspruch auf deutsches Bürger- oder Gastrecht aufzuweisen haben, auf den deutschen Lippen zurückbleiben! Zukunftspoeten. in großer Lehrer der Staatskunst wurde einmal von einem angehenden Politiker gefragt, welche Werke seines Faches er studiren müsse, um ein großer Staatsmann zu werden. Der greise Theoretiker gab dem jungen Praktiker auf die naive Frage die geistreiche Antwort, er möge sich ein möglichst dickes Buch Papier anschaffen, damit durch die Welt gehen und darin alle Thor¬ heiten und Schwächen der Menschen, welche ihm auffielen, seine eignen nicht ausgenommen, getreulich verzeichnen. Von dem Ausfalle und dem fleißigen^MHM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/380>, abgerufen am 17.09.2024.