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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Beusts Erinnerungen.

nur sächsisch, und weil der Partikularismus innerhalb des alten Bundes fröh¬
lich gedieh, überhaupt nur innerhalb einer Verfassung gedeihen konnte, welche
das Ganze zur Ohnmacht verurteilte, darum hielt er an dieser Form im wesent¬
lichen fest, nur mit der Verbesserung, daß er als sächsischer Minister und ge¬
borener Vertreter der dritten Staatengruppe ebensoviel zu sagen hätte, wie die
Minister von Österreich und Preußen. Angeblich war er für den Bund so
eingenommen, weil sich niemand auf der Welt durch ihn beunruhigt fühlte,
während er angegriffen eine unüberwindliche Widerstandskraft entwickelt -- hätte.
Diese Lehre wurde im Frühsommer 1370 durch seine Organe verbreitet, und
noch 1886 bekennt er sich zu derselben. Die "übermächtige, gebietende Stellung"
Deutschlands nach dem Kriege erfüllt ihn mit patriotischer Sorge, und damit
diesem Unglück vorgebeugt würde, hätte natürlich die übermächtige gebietende
Stellung Frankreichs aufrechterhalten werden müssen. Ja er fragt höhnisch,
was der Sachse davon habe, daß jetzt mit auf seine Kosten eine Flotte dem
deutschen Namen Respekt verschafft. Wie schade, daß er nicht mehr hat sehen
können, wie in den letzten Februartagen seine sächsischen Landsleute gegen eine
solche Spießbürgergesinnung Zeugnis ablegten! Aber nicht allein für das deutsche,
für jedes Nationalgefühl mit Ausnahme des französischen geht ihm alles Ver¬
ständnis ab. Ohne Februarrevolution keine deutsche Bewegung, keine National¬
versammlung, kein Klcindeutschlcmd, und ohne das Einschreiten der katholischen
Mächte für die Aufrechterhaltung der Kantonalverfassung in der Schweiz leine
Februarrevolution -- so dozirt er. Wie sehr das deutsche Volk von dem Ein-
heitsgedauken erfüllt war, viel früher und viel allgemeiner als von der Sehn¬
sucht nach einer "Konstitution," davon scheint er nie etwas bemerkt zu haben,
und läßt daher bei seinen vielen Wahrscheinlichkeitsrechnungen die Möglichkeit
ganz außer Acht, daß durch einen andern zufälligen Umstand als die Schüsse
am 24. Februar der Stein ins Rollen gebracht werden konnte. Wir haben
schon oben von der unerhört kleinlichen Auffassung Notiz genommen, daß das
an Blum vollstreckte Todesurteil das preußische Kaisertum ins Leben gerufen
habe; noch in all den Differenzen bis 1852 ignorirt er die unüberbrückbare
Kluft, welche durch Proklamirung der Kremsierer Verfassung zwischen Öster¬
reich und einem geeinigten Deutschland aufgerissen worden war. Die spätere
nationale Bewegung möchte er einfach ans ein preußisches rsvauolls xour Olmüt?
zurückführen. Und dementsprechend beurteilt er die italienischen Dinge. "Nach
Novcira hätte Österreich handeln müssen, wie Bismarck nach Königgrätz," dann
wäre Italien glücklich der geographische Begriff geblieben. Und bei dieser Kritik
der italienischen Politik Österreichs begegnet ihm das Mißgeschick, daß er die
deutsche Politik Preußens rechtfertigt, ohne dessen gewahr zu werden: der Fehler
Österreichs war nämlich, wie er auseinandersetzt, daß es die italienischen Fürsten
gewähren ließ und sie dann schützen mußte, während es sie hätte "bevormunden"
sollen!


Beusts Erinnerungen.

nur sächsisch, und weil der Partikularismus innerhalb des alten Bundes fröh¬
lich gedieh, überhaupt nur innerhalb einer Verfassung gedeihen konnte, welche
das Ganze zur Ohnmacht verurteilte, darum hielt er an dieser Form im wesent¬
lichen fest, nur mit der Verbesserung, daß er als sächsischer Minister und ge¬
borener Vertreter der dritten Staatengruppe ebensoviel zu sagen hätte, wie die
Minister von Österreich und Preußen. Angeblich war er für den Bund so
eingenommen, weil sich niemand auf der Welt durch ihn beunruhigt fühlte,
während er angegriffen eine unüberwindliche Widerstandskraft entwickelt — hätte.
Diese Lehre wurde im Frühsommer 1370 durch seine Organe verbreitet, und
noch 1886 bekennt er sich zu derselben. Die „übermächtige, gebietende Stellung"
Deutschlands nach dem Kriege erfüllt ihn mit patriotischer Sorge, und damit
diesem Unglück vorgebeugt würde, hätte natürlich die übermächtige gebietende
Stellung Frankreichs aufrechterhalten werden müssen. Ja er fragt höhnisch,
was der Sachse davon habe, daß jetzt mit auf seine Kosten eine Flotte dem
deutschen Namen Respekt verschafft. Wie schade, daß er nicht mehr hat sehen
können, wie in den letzten Februartagen seine sächsischen Landsleute gegen eine
solche Spießbürgergesinnung Zeugnis ablegten! Aber nicht allein für das deutsche,
für jedes Nationalgefühl mit Ausnahme des französischen geht ihm alles Ver¬
ständnis ab. Ohne Februarrevolution keine deutsche Bewegung, keine National¬
versammlung, kein Klcindeutschlcmd, und ohne das Einschreiten der katholischen
Mächte für die Aufrechterhaltung der Kantonalverfassung in der Schweiz leine
Februarrevolution — so dozirt er. Wie sehr das deutsche Volk von dem Ein-
heitsgedauken erfüllt war, viel früher und viel allgemeiner als von der Sehn¬
sucht nach einer „Konstitution," davon scheint er nie etwas bemerkt zu haben,
und läßt daher bei seinen vielen Wahrscheinlichkeitsrechnungen die Möglichkeit
ganz außer Acht, daß durch einen andern zufälligen Umstand als die Schüsse
am 24. Februar der Stein ins Rollen gebracht werden konnte. Wir haben
schon oben von der unerhört kleinlichen Auffassung Notiz genommen, daß das
an Blum vollstreckte Todesurteil das preußische Kaisertum ins Leben gerufen
habe; noch in all den Differenzen bis 1852 ignorirt er die unüberbrückbare
Kluft, welche durch Proklamirung der Kremsierer Verfassung zwischen Öster¬
reich und einem geeinigten Deutschland aufgerissen worden war. Die spätere
nationale Bewegung möchte er einfach ans ein preußisches rsvauolls xour Olmüt?
zurückführen. Und dementsprechend beurteilt er die italienischen Dinge. „Nach
Novcira hätte Österreich handeln müssen, wie Bismarck nach Königgrätz," dann
wäre Italien glücklich der geographische Begriff geblieben. Und bei dieser Kritik
der italienischen Politik Österreichs begegnet ihm das Mißgeschick, daß er die
deutsche Politik Preußens rechtfertigt, ohne dessen gewahr zu werden: der Fehler
Österreichs war nämlich, wie er auseinandersetzt, daß es die italienischen Fürsten
gewähren ließ und sie dann schützen mußte, während es sie hätte „bevormunden"
sollen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/38>, abgerufen am 17.09.2024.