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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

Rede; die Absicht, das in dieser Hinsicht erforderliche in einem besondern Er¬
gänzungsbande durch den Königsberger Professor Johann Severin Vater
(geht. 1826 als Professor der Theologie zu Halle) nachtragen zu lassen, blieb
unausgeführt, schwerlich zum Schaden der Sache. Zu Campes Entschuldigung
wird man sagen müssen, daß zu seiner Zeit der Zusammenhang des indo¬
europäischen Sprachstammes noch unbekannt war und die allgemeine Sprach¬
wissenschaft, ebenso wie die germanische und romanische Philologie, noch in ihren
Windeln lag; aber auf der andern Seite kann man doch auch nicht leugnen,
daß Campe auch die bereits vorliegenden Ergebnisse sprachlicher Forschung
keineswegs mit der genügenden Ruhe und Sorgfalt geprüft und sich ange¬
eignet hat.

Nicht minder ungünstig gestaltet sich das Urteil, wenn man Campes
Kenntnisse in den klassischen Sprachen ins Auge faßt. Hier begeht er Schnitzer,
die man kaum anders als aus der den Philanthropen überhaupt eigentümlichen
Verachtung der "Humaniora" zu erklären vermag. satt "Polharchie" schreibt
er in beiden Ausgaben seines Verdeutschnngswörterbnches "Pvlygnrchie," viel¬
leicht durch den Hinblick auf "Oligarchie" verleitet, und "orthodox" übersetzt
er mit einer solchen Beharrlichkeit durch "rechtlehrig" und weist dabei die Be¬
deutung "rechtgläubig" mit einer so unmißverständlicher Bestimmtheit zurück,
daß man sich des Verdachtes nicht zu erwehren vermag, er habe die zweite
Hälfte des Wortes entweder auf das lateinische äoovro zurückgeführt oder doch
wenigstens das griechische 6oxe^ für gleichbedeutend mit clookrö gehalten.

Nach alledem bildet die sprachwissenschaftliche Grundlage bei Campe eine
schwache Seite, die durch sein sicheres und absprechendes Auftreten nur übel
verdeckt wird. Er gleicht einem Heilkünster, der an ein Krankenbett tritt, ohne
vo>l der Beschaffenheit des menschlichen Körpers und von der Natur der ihm
zugänglichen Heilmittel eine zulängliche Kenntnis zu besitzen, jn ohne auch nur
uach den Ursache" und dem bisherigen Verlauf des vorliegenden Leidens ein¬
gehend zu fragen. Mau begreift es, daß die Rezepte eines derartigen Arztes
bei den Kundigen, selbst da, wo er das Richtige traf, keine willige Aufnahme
fanden.

Ein zweiter Punkt, der Campe zum Vorwurfe gemacht wird, ist sein
Purismus, d. i. sein übertriebener, nicht selten über das Ziel hinausschießender
Eifer, mit dein er die ausländischen Eindringlinge aus der Muttersprache hinaus¬
zutreiben versucht hat. Jakob Grimm, der für nichts weniger als für einen
Freund der Fremdwörter gelten darf, spricht sich sehr ungehalten darüber aus.
"Ohne an der Schönheit und Fülle unsrer Sprache -- so sagt er -- selbst
wahre Freude zu empfinden, strebt dieser ärgerliche Purismus das Fremde,
wo er seiner nur gewahr werden kann, feindlich zu verfolgen und zu tilgen;
mit plumpem Hcnnmcrschlag schmiedet er seine untauglichen Waffen. Das, was,
ihm völlig uiibewußt, die Sprache längst schon hatte oder was sie zum größten


Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

Rede; die Absicht, das in dieser Hinsicht erforderliche in einem besondern Er¬
gänzungsbande durch den Königsberger Professor Johann Severin Vater
(geht. 1826 als Professor der Theologie zu Halle) nachtragen zu lassen, blieb
unausgeführt, schwerlich zum Schaden der Sache. Zu Campes Entschuldigung
wird man sagen müssen, daß zu seiner Zeit der Zusammenhang des indo¬
europäischen Sprachstammes noch unbekannt war und die allgemeine Sprach¬
wissenschaft, ebenso wie die germanische und romanische Philologie, noch in ihren
Windeln lag; aber auf der andern Seite kann man doch auch nicht leugnen,
daß Campe auch die bereits vorliegenden Ergebnisse sprachlicher Forschung
keineswegs mit der genügenden Ruhe und Sorgfalt geprüft und sich ange¬
eignet hat.

Nicht minder ungünstig gestaltet sich das Urteil, wenn man Campes
Kenntnisse in den klassischen Sprachen ins Auge faßt. Hier begeht er Schnitzer,
die man kaum anders als aus der den Philanthropen überhaupt eigentümlichen
Verachtung der „Humaniora" zu erklären vermag. satt „Polharchie" schreibt
er in beiden Ausgaben seines Verdeutschnngswörterbnches „Pvlygnrchie," viel¬
leicht durch den Hinblick auf „Oligarchie" verleitet, und „orthodox" übersetzt
er mit einer solchen Beharrlichkeit durch „rechtlehrig" und weist dabei die Be¬
deutung „rechtgläubig" mit einer so unmißverständlicher Bestimmtheit zurück,
daß man sich des Verdachtes nicht zu erwehren vermag, er habe die zweite
Hälfte des Wortes entweder auf das lateinische äoovro zurückgeführt oder doch
wenigstens das griechische 6oxe^ für gleichbedeutend mit clookrö gehalten.

Nach alledem bildet die sprachwissenschaftliche Grundlage bei Campe eine
schwache Seite, die durch sein sicheres und absprechendes Auftreten nur übel
verdeckt wird. Er gleicht einem Heilkünster, der an ein Krankenbett tritt, ohne
vo>l der Beschaffenheit des menschlichen Körpers und von der Natur der ihm
zugänglichen Heilmittel eine zulängliche Kenntnis zu besitzen, jn ohne auch nur
uach den Ursache» und dem bisherigen Verlauf des vorliegenden Leidens ein¬
gehend zu fragen. Mau begreift es, daß die Rezepte eines derartigen Arztes
bei den Kundigen, selbst da, wo er das Richtige traf, keine willige Aufnahme
fanden.

Ein zweiter Punkt, der Campe zum Vorwurfe gemacht wird, ist sein
Purismus, d. i. sein übertriebener, nicht selten über das Ziel hinausschießender
Eifer, mit dein er die ausländischen Eindringlinge aus der Muttersprache hinaus¬
zutreiben versucht hat. Jakob Grimm, der für nichts weniger als für einen
Freund der Fremdwörter gelten darf, spricht sich sehr ungehalten darüber aus.
„Ohne an der Schönheit und Fülle unsrer Sprache — so sagt er — selbst
wahre Freude zu empfinden, strebt dieser ärgerliche Purismus das Fremde,
wo er seiner nur gewahr werden kann, feindlich zu verfolgen und zu tilgen;
mit plumpem Hcnnmcrschlag schmiedet er seine untauglichen Waffen. Das, was,
ihm völlig uiibewußt, die Sprache längst schon hatte oder was sie zum größten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/372>, abgerufen am 17.09.2024.