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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache

so begreift man den Sturm der Entrüstung, den diese Schrift nicht bloß bei
den Anhängern des alten Glaubens, sondern überhaupt bei alle" denen hervor¬
rief, denen die Wirksamkeit und die Würde des geistlichen Amtes am Herzen
lag. Selbst von den entschiedenen Freunden und Bewunderern wurden nicht
wenige stutzig; das große Ansehen, dessen er sich bisher in den weitesten Kreisen
erfreut hatte, geriet in ein bedenkliches Schwanken. Mehr noch wurde es ge¬
schädigt, als Campe in, Sommer 1789, bald nach dem Ausbruche der fran¬
zösische" Staatsumwälzung, mit seinem ehemaligen Schüler Wilhelm von Hum¬
boldt, der damals gerade seine Universitätsstudien beendigt hatte, an das Ufer
der Seine eilte und dann, berauscht von dem dort eingesogenen Frciheitstaumel,
i" den "Briefen aus Paris" sich als einen begeisterten Anhänger der republi¬
kanischen Grundsätze kundgab.

Psychologisch läßt sich allerdings Campes Schwärmerei für die Ideen der
französischen Revolution sehr wohl begreife". Auch andern deutschen Männern
wurden anfangs die Augen von einem Glänze geblendet, der sich als die Morgen¬
röte eines vorher kaum geahnten Völkerfrühlings ankündigte. Bei Campe aber
ist diese Schwärmerei umso erklärlicher, als er zu den wärmsten Verehrern
Rousseaus gehörte, die diesseits des Rheins gelebt haben. Sein ganzes Streben
auf dem Gebiete der Jugenderziehung und des Unterrichts ruht auf den Ge¬
danken, die der Einsiedler von Ermenonville in seinem "Emile" niedergelegt
hatte. Zu seinem "Robinson" erhielt Campe gerade aus diesem Buche die
Anregung. Es ist zwar eine Legende, wenn berichtet wird, in dem großen
Saale seines Braunschweiger Hauses habe eine Büste Rousseaus gestanden und
darunter in goldnen Buchstaben die Worte: "Mein Heiliger." In Wahrheit
lautete die Unterschrift: "Er zerknickte die Ruten für Kiuder und Volker.
Aber gerade diese Worte lassen erkenne", daß "eben de.. pädagogische" Reform-
Vorschläge" des "Emile" auch die sozialpolitischen Ideale des eMtrat "o^t
die Seele des sonst so nüchternen und besonnenen Mannes bezaubert hatten.
Was Wunder, daß der Schüler sich für die Früchte begeisterte, die aus der
von dem Meister gestreuten Saat so üppig hervorwuchsen! Die Zeitgenosse"
freilich wußten Campes republikanische Schwärmerei wenig zu würdigen; in der
Stadt Braunschweig inbesondre schalt man ihn einen Jakobiner und Franzosen-
freund, und als gar die Republik ihn 1792 ebenso wie Klopstock und Schiller
zum Ehrenbürger Frankreichs ernannte, machte sich der Unwille der Einwohner¬
schaft in so heftigen Drohungen und Schmähwortm Luft, daß Campe steh
veranlaßt sah, zu seiner Rechtfertigung el" Schriftche" unter dem Titel ,,A"
meine Mitbürger" in der Stadt verteilen zu lassen.

Gerade in die Zeit, als Campes Ansehe", ohnehin scho" durch die unbesonnenen
..Fragmente" erschüttert, durch die "Pariser Briefe" einen neuen Stoß erhalten
hatte, fällt die Veröffentlichung seiner bereits erwähnten sprachrein.gerben Erst¬
lingsschrift. Sollte dieses Zusammentreffen ein zufälliges sem? Sollte er


Grenzboten II. 1887.
Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache

so begreift man den Sturm der Entrüstung, den diese Schrift nicht bloß bei
den Anhängern des alten Glaubens, sondern überhaupt bei alle» denen hervor¬
rief, denen die Wirksamkeit und die Würde des geistlichen Amtes am Herzen
lag. Selbst von den entschiedenen Freunden und Bewunderern wurden nicht
wenige stutzig; das große Ansehen, dessen er sich bisher in den weitesten Kreisen
erfreut hatte, geriet in ein bedenkliches Schwanken. Mehr noch wurde es ge¬
schädigt, als Campe in, Sommer 1789, bald nach dem Ausbruche der fran¬
zösische» Staatsumwälzung, mit seinem ehemaligen Schüler Wilhelm von Hum¬
boldt, der damals gerade seine Universitätsstudien beendigt hatte, an das Ufer
der Seine eilte und dann, berauscht von dem dort eingesogenen Frciheitstaumel,
i" den „Briefen aus Paris" sich als einen begeisterten Anhänger der republi¬
kanischen Grundsätze kundgab.

Psychologisch läßt sich allerdings Campes Schwärmerei für die Ideen der
französischen Revolution sehr wohl begreife». Auch andern deutschen Männern
wurden anfangs die Augen von einem Glänze geblendet, der sich als die Morgen¬
röte eines vorher kaum geahnten Völkerfrühlings ankündigte. Bei Campe aber
ist diese Schwärmerei umso erklärlicher, als er zu den wärmsten Verehrern
Rousseaus gehörte, die diesseits des Rheins gelebt haben. Sein ganzes Streben
auf dem Gebiete der Jugenderziehung und des Unterrichts ruht auf den Ge¬
danken, die der Einsiedler von Ermenonville in seinem „Emile" niedergelegt
hatte. Zu seinem „Robinson" erhielt Campe gerade aus diesem Buche die
Anregung. Es ist zwar eine Legende, wenn berichtet wird, in dem großen
Saale seines Braunschweiger Hauses habe eine Büste Rousseaus gestanden und
darunter in goldnen Buchstaben die Worte: „Mein Heiliger." In Wahrheit
lautete die Unterschrift: „Er zerknickte die Ruten für Kiuder und Volker.
Aber gerade diese Worte lassen erkenne», daß »eben de.. pädagogische» Reform-
Vorschläge» des „Emile" auch die sozialpolitischen Ideale des eMtrat »o^t
die Seele des sonst so nüchternen und besonnenen Mannes bezaubert hatten.
Was Wunder, daß der Schüler sich für die Früchte begeisterte, die aus der
von dem Meister gestreuten Saat so üppig hervorwuchsen! Die Zeitgenosse«
freilich wußten Campes republikanische Schwärmerei wenig zu würdigen; in der
Stadt Braunschweig inbesondre schalt man ihn einen Jakobiner und Franzosen-
freund, und als gar die Republik ihn 1792 ebenso wie Klopstock und Schiller
zum Ehrenbürger Frankreichs ernannte, machte sich der Unwille der Einwohner¬
schaft in so heftigen Drohungen und Schmähwortm Luft, daß Campe steh
veranlaßt sah, zu seiner Rechtfertigung el» Schriftche» unter dem Titel ,,A»
meine Mitbürger" in der Stadt verteilen zu lassen.

Gerade in die Zeit, als Campes Ansehe», ohnehin scho» durch die unbesonnenen
..Fragmente" erschüttert, durch die „Pariser Briefe" einen neuen Stoß erhalten
hatte, fällt die Veröffentlichung seiner bereits erwähnten sprachrein.gerben Erst¬
lingsschrift. Sollte dieses Zusammentreffen ein zufälliges sem? Sollte er


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[0369] Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache so begreift man den Sturm der Entrüstung, den diese Schrift nicht bloß bei den Anhängern des alten Glaubens, sondern überhaupt bei alle» denen hervor¬ rief, denen die Wirksamkeit und die Würde des geistlichen Amtes am Herzen lag. Selbst von den entschiedenen Freunden und Bewunderern wurden nicht wenige stutzig; das große Ansehen, dessen er sich bisher in den weitesten Kreisen erfreut hatte, geriet in ein bedenkliches Schwanken. Mehr noch wurde es ge¬ schädigt, als Campe in, Sommer 1789, bald nach dem Ausbruche der fran¬ zösische» Staatsumwälzung, mit seinem ehemaligen Schüler Wilhelm von Hum¬ boldt, der damals gerade seine Universitätsstudien beendigt hatte, an das Ufer der Seine eilte und dann, berauscht von dem dort eingesogenen Frciheitstaumel, i" den „Briefen aus Paris" sich als einen begeisterten Anhänger der republi¬ kanischen Grundsätze kundgab. Psychologisch läßt sich allerdings Campes Schwärmerei für die Ideen der französischen Revolution sehr wohl begreife». Auch andern deutschen Männern wurden anfangs die Augen von einem Glänze geblendet, der sich als die Morgen¬ röte eines vorher kaum geahnten Völkerfrühlings ankündigte. Bei Campe aber ist diese Schwärmerei umso erklärlicher, als er zu den wärmsten Verehrern Rousseaus gehörte, die diesseits des Rheins gelebt haben. Sein ganzes Streben auf dem Gebiete der Jugenderziehung und des Unterrichts ruht auf den Ge¬ danken, die der Einsiedler von Ermenonville in seinem „Emile" niedergelegt hatte. Zu seinem „Robinson" erhielt Campe gerade aus diesem Buche die Anregung. Es ist zwar eine Legende, wenn berichtet wird, in dem großen Saale seines Braunschweiger Hauses habe eine Büste Rousseaus gestanden und darunter in goldnen Buchstaben die Worte: „Mein Heiliger." In Wahrheit lautete die Unterschrift: „Er zerknickte die Ruten für Kiuder und Volker. Aber gerade diese Worte lassen erkenne», daß »eben de.. pädagogische» Reform- Vorschläge» des „Emile" auch die sozialpolitischen Ideale des eMtrat »o^t die Seele des sonst so nüchternen und besonnenen Mannes bezaubert hatten. Was Wunder, daß der Schüler sich für die Früchte begeisterte, die aus der von dem Meister gestreuten Saat so üppig hervorwuchsen! Die Zeitgenosse« freilich wußten Campes republikanische Schwärmerei wenig zu würdigen; in der Stadt Braunschweig inbesondre schalt man ihn einen Jakobiner und Franzosen- freund, und als gar die Republik ihn 1792 ebenso wie Klopstock und Schiller zum Ehrenbürger Frankreichs ernannte, machte sich der Unwille der Einwohner¬ schaft in so heftigen Drohungen und Schmähwortm Luft, daß Campe steh veranlaßt sah, zu seiner Rechtfertigung el» Schriftche» unter dem Titel ,,A» meine Mitbürger" in der Stadt verteilen zu lassen. Gerade in die Zeit, als Campes Ansehe», ohnehin scho» durch die unbesonnenen ..Fragmente" erschüttert, durch die „Pariser Briefe" einen neuen Stoß erhalten hatte, fällt die Veröffentlichung seiner bereits erwähnten sprachrein.gerben Erst¬ lingsschrift. Sollte dieses Zusammentreffen ein zufälliges sem? Sollte er Grenzboten II. 1887.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/369>, abgerufen am 17.09.2024.