Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

spräche sich gleichgiltig verhielt, nun auf einmal so plötzlich und scheinbar un¬
vermittelt zu einem der eifrigsten Vorkämpfer für sie zu werden vermochte.
Es ist, um diese in Wahrheit sehr auffällige Thatsache begreiflich zu machen,
erforderlich, auf Campes Parteistellung und die daraus ihm erwachsenen Kämpfe
und Fehden einen flüchtigen Blick zu werfen.

Durch seinen Bildungsgang wurde Campe von Jugend auf unter den
Einfluß jener Denkweise gestellt, die man insgemein als Aufklärung zu bezeichnen
pflegt und die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die weitesten
Kreise des deutschen Volkes beherrschte. Mit Lebhaftigkeit hatte er die Grund¬
sätze seines Zeitalters ergriffen und darf als einer der reinsten und zcihesten
Vertreter derselben betrachtet werden. Wie allen seinen Gesinnungsgenossen, so
waren auch ihm die tiefen Wahrheiten des Christentums zu den abstrakten Be¬
griffen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zusammengeschrumpft; mit der ganzen
rationalistischen Denkweise hatte er auch den derselben eigentümlichen Mangel
an Verständnis für das geschichtlich Gewordene und den Mangel an Achtung
vor der Ansicht des Gegners in sich aufgenommen; die Anhänger des alten
Glaubens schienen ihm entweder Heuchler oder Dummköpfe zu sein. Für die
Jngend besaß er ein warmes Herz; was er ihr aber zu bieten vermochte, ging
im Grunde über wohlgemeinte sittliche Ratschläge und über eine Anleitung zur
irdischen Glückseligkeit nicht weit hinaus. Nur was handgreiflich und nützlich,
im äußern Leben unmittelbar verwendbar ist, hatte für ihn wirklichen Wert.
Obgleich er selbst nicht ohne Geschick Verse zu machen wußte, stellte er doch
"das Verdienst dessen, der den Kartoffelbau bei uns einheimisch gemacht oder
das Spinnrad erfunden hatte, höher als das Verdienst des Dichters einer Ilias
und Odyssee." Derartige nüchterne Anschauungen waren auch andern Ver¬
tretern der Aufklärung nicht fremd; bei Campe aber waren die engen Verhält¬
nisse, aus denen er sich unter großen Entbehrungen und nur mit Hilfe einer
eisernen Willenskraft emporgerungen hatte, noch in ganz besondrer Weise auf
seine Wertschätzung der Güter des Lebens von Einfluß gewesen.

Seine Grundsätze verfocht Campe mit großer Offenheit, Festigkeit und
Überzeugungstreue, nicht selten mit Bitterkeit und Schärfe. Kein Wunder, daß
auch die Gegner ihn nicht schonten und seine rücksichtslosen Angriffe mit gleicher
Münze heimzahlten. Nur zu oft erhielten daher seine Fehden einen höchst
unerquicklichen Beigeschmack, durch nichts mehr als durch seine beiden Fragmente
"Über einige verkannte, wenigstens ungenützte Mittel zur Industrie, der Be¬
völkerung und des öffentlichen Wohlstandes," in denen er 1786 die Landgeist¬
lichen in ihrer Bildung und Stellung zu pädagogischen, landwirtschaftlichen,
ärztlichen und tierärztlichen Beratern ihrer Pfarrkinder herabzudrücken unter¬
nommen hatte. Wenn man die oberflächlichen und absprechender Ausführungen
Campes überblickt und dazu den weitgehenden Einfluß in Betracht zieht, dessen
er sich gerade damals namentlich bei der braunschweigischen Regierung erfreute,


Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.

spräche sich gleichgiltig verhielt, nun auf einmal so plötzlich und scheinbar un¬
vermittelt zu einem der eifrigsten Vorkämpfer für sie zu werden vermochte.
Es ist, um diese in Wahrheit sehr auffällige Thatsache begreiflich zu machen,
erforderlich, auf Campes Parteistellung und die daraus ihm erwachsenen Kämpfe
und Fehden einen flüchtigen Blick zu werfen.

Durch seinen Bildungsgang wurde Campe von Jugend auf unter den
Einfluß jener Denkweise gestellt, die man insgemein als Aufklärung zu bezeichnen
pflegt und die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die weitesten
Kreise des deutschen Volkes beherrschte. Mit Lebhaftigkeit hatte er die Grund¬
sätze seines Zeitalters ergriffen und darf als einer der reinsten und zcihesten
Vertreter derselben betrachtet werden. Wie allen seinen Gesinnungsgenossen, so
waren auch ihm die tiefen Wahrheiten des Christentums zu den abstrakten Be¬
griffen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zusammengeschrumpft; mit der ganzen
rationalistischen Denkweise hatte er auch den derselben eigentümlichen Mangel
an Verständnis für das geschichtlich Gewordene und den Mangel an Achtung
vor der Ansicht des Gegners in sich aufgenommen; die Anhänger des alten
Glaubens schienen ihm entweder Heuchler oder Dummköpfe zu sein. Für die
Jngend besaß er ein warmes Herz; was er ihr aber zu bieten vermochte, ging
im Grunde über wohlgemeinte sittliche Ratschläge und über eine Anleitung zur
irdischen Glückseligkeit nicht weit hinaus. Nur was handgreiflich und nützlich,
im äußern Leben unmittelbar verwendbar ist, hatte für ihn wirklichen Wert.
Obgleich er selbst nicht ohne Geschick Verse zu machen wußte, stellte er doch
„das Verdienst dessen, der den Kartoffelbau bei uns einheimisch gemacht oder
das Spinnrad erfunden hatte, höher als das Verdienst des Dichters einer Ilias
und Odyssee." Derartige nüchterne Anschauungen waren auch andern Ver¬
tretern der Aufklärung nicht fremd; bei Campe aber waren die engen Verhält¬
nisse, aus denen er sich unter großen Entbehrungen und nur mit Hilfe einer
eisernen Willenskraft emporgerungen hatte, noch in ganz besondrer Weise auf
seine Wertschätzung der Güter des Lebens von Einfluß gewesen.

Seine Grundsätze verfocht Campe mit großer Offenheit, Festigkeit und
Überzeugungstreue, nicht selten mit Bitterkeit und Schärfe. Kein Wunder, daß
auch die Gegner ihn nicht schonten und seine rücksichtslosen Angriffe mit gleicher
Münze heimzahlten. Nur zu oft erhielten daher seine Fehden einen höchst
unerquicklichen Beigeschmack, durch nichts mehr als durch seine beiden Fragmente
„Über einige verkannte, wenigstens ungenützte Mittel zur Industrie, der Be¬
völkerung und des öffentlichen Wohlstandes," in denen er 1786 die Landgeist¬
lichen in ihrer Bildung und Stellung zu pädagogischen, landwirtschaftlichen,
ärztlichen und tierärztlichen Beratern ihrer Pfarrkinder herabzudrücken unter¬
nommen hatte. Wenn man die oberflächlichen und absprechender Ausführungen
Campes überblickt und dazu den weitgehenden Einfluß in Betracht zieht, dessen
er sich gerade damals namentlich bei der braunschweigischen Regierung erfreute,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288821"/>
          <fw type="header" place="top"> Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1057" prev="#ID_1056"> spräche sich gleichgiltig verhielt, nun auf einmal so plötzlich und scheinbar un¬<lb/>
vermittelt zu einem der eifrigsten Vorkämpfer für sie zu werden vermochte.<lb/>
Es ist, um diese in Wahrheit sehr auffällige Thatsache begreiflich zu machen,<lb/>
erforderlich, auf Campes Parteistellung und die daraus ihm erwachsenen Kämpfe<lb/>
und Fehden einen flüchtigen Blick zu werfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1058"> Durch seinen Bildungsgang wurde Campe von Jugend auf unter den<lb/>
Einfluß jener Denkweise gestellt, die man insgemein als Aufklärung zu bezeichnen<lb/>
pflegt und die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die weitesten<lb/>
Kreise des deutschen Volkes beherrschte. Mit Lebhaftigkeit hatte er die Grund¬<lb/>
sätze seines Zeitalters ergriffen und darf als einer der reinsten und zcihesten<lb/>
Vertreter derselben betrachtet werden. Wie allen seinen Gesinnungsgenossen, so<lb/>
waren auch ihm die tiefen Wahrheiten des Christentums zu den abstrakten Be¬<lb/>
griffen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zusammengeschrumpft; mit der ganzen<lb/>
rationalistischen Denkweise hatte er auch den derselben eigentümlichen Mangel<lb/>
an Verständnis für das geschichtlich Gewordene und den Mangel an Achtung<lb/>
vor der Ansicht des Gegners in sich aufgenommen; die Anhänger des alten<lb/>
Glaubens schienen ihm entweder Heuchler oder Dummköpfe zu sein. Für die<lb/>
Jngend besaß er ein warmes Herz; was er ihr aber zu bieten vermochte, ging<lb/>
im Grunde über wohlgemeinte sittliche Ratschläge und über eine Anleitung zur<lb/>
irdischen Glückseligkeit nicht weit hinaus. Nur was handgreiflich und nützlich,<lb/>
im äußern Leben unmittelbar verwendbar ist, hatte für ihn wirklichen Wert.<lb/>
Obgleich er selbst nicht ohne Geschick Verse zu machen wußte, stellte er doch<lb/>
&#x201E;das Verdienst dessen, der den Kartoffelbau bei uns einheimisch gemacht oder<lb/>
das Spinnrad erfunden hatte, höher als das Verdienst des Dichters einer Ilias<lb/>
und Odyssee." Derartige nüchterne Anschauungen waren auch andern Ver¬<lb/>
tretern der Aufklärung nicht fremd; bei Campe aber waren die engen Verhält¬<lb/>
nisse, aus denen er sich unter großen Entbehrungen und nur mit Hilfe einer<lb/>
eisernen Willenskraft emporgerungen hatte, noch in ganz besondrer Weise auf<lb/>
seine Wertschätzung der Güter des Lebens von Einfluß gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059" next="#ID_1060"> Seine Grundsätze verfocht Campe mit großer Offenheit, Festigkeit und<lb/>
Überzeugungstreue, nicht selten mit Bitterkeit und Schärfe. Kein Wunder, daß<lb/>
auch die Gegner ihn nicht schonten und seine rücksichtslosen Angriffe mit gleicher<lb/>
Münze heimzahlten. Nur zu oft erhielten daher seine Fehden einen höchst<lb/>
unerquicklichen Beigeschmack, durch nichts mehr als durch seine beiden Fragmente<lb/>
&#x201E;Über einige verkannte, wenigstens ungenützte Mittel zur Industrie, der Be¬<lb/>
völkerung und des öffentlichen Wohlstandes," in denen er 1786 die Landgeist¬<lb/>
lichen in ihrer Bildung und Stellung zu pädagogischen, landwirtschaftlichen,<lb/>
ärztlichen und tierärztlichen Beratern ihrer Pfarrkinder herabzudrücken unter¬<lb/>
nommen hatte. Wenn man die oberflächlichen und absprechender Ausführungen<lb/>
Campes überblickt und dazu den weitgehenden Einfluß in Betracht zieht, dessen<lb/>
er sich gerade damals namentlich bei der braunschweigischen Regierung erfreute,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Joachim Heinrich Lampe als Vorkämpfer für die Reinheit der Muttersprache. spräche sich gleichgiltig verhielt, nun auf einmal so plötzlich und scheinbar un¬ vermittelt zu einem der eifrigsten Vorkämpfer für sie zu werden vermochte. Es ist, um diese in Wahrheit sehr auffällige Thatsache begreiflich zu machen, erforderlich, auf Campes Parteistellung und die daraus ihm erwachsenen Kämpfe und Fehden einen flüchtigen Blick zu werfen. Durch seinen Bildungsgang wurde Campe von Jugend auf unter den Einfluß jener Denkweise gestellt, die man insgemein als Aufklärung zu bezeichnen pflegt und die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die weitesten Kreise des deutschen Volkes beherrschte. Mit Lebhaftigkeit hatte er die Grund¬ sätze seines Zeitalters ergriffen und darf als einer der reinsten und zcihesten Vertreter derselben betrachtet werden. Wie allen seinen Gesinnungsgenossen, so waren auch ihm die tiefen Wahrheiten des Christentums zu den abstrakten Be¬ griffen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zusammengeschrumpft; mit der ganzen rationalistischen Denkweise hatte er auch den derselben eigentümlichen Mangel an Verständnis für das geschichtlich Gewordene und den Mangel an Achtung vor der Ansicht des Gegners in sich aufgenommen; die Anhänger des alten Glaubens schienen ihm entweder Heuchler oder Dummköpfe zu sein. Für die Jngend besaß er ein warmes Herz; was er ihr aber zu bieten vermochte, ging im Grunde über wohlgemeinte sittliche Ratschläge und über eine Anleitung zur irdischen Glückseligkeit nicht weit hinaus. Nur was handgreiflich und nützlich, im äußern Leben unmittelbar verwendbar ist, hatte für ihn wirklichen Wert. Obgleich er selbst nicht ohne Geschick Verse zu machen wußte, stellte er doch „das Verdienst dessen, der den Kartoffelbau bei uns einheimisch gemacht oder das Spinnrad erfunden hatte, höher als das Verdienst des Dichters einer Ilias und Odyssee." Derartige nüchterne Anschauungen waren auch andern Ver¬ tretern der Aufklärung nicht fremd; bei Campe aber waren die engen Verhält¬ nisse, aus denen er sich unter großen Entbehrungen und nur mit Hilfe einer eisernen Willenskraft emporgerungen hatte, noch in ganz besondrer Weise auf seine Wertschätzung der Güter des Lebens von Einfluß gewesen. Seine Grundsätze verfocht Campe mit großer Offenheit, Festigkeit und Überzeugungstreue, nicht selten mit Bitterkeit und Schärfe. Kein Wunder, daß auch die Gegner ihn nicht schonten und seine rücksichtslosen Angriffe mit gleicher Münze heimzahlten. Nur zu oft erhielten daher seine Fehden einen höchst unerquicklichen Beigeschmack, durch nichts mehr als durch seine beiden Fragmente „Über einige verkannte, wenigstens ungenützte Mittel zur Industrie, der Be¬ völkerung und des öffentlichen Wohlstandes," in denen er 1786 die Landgeist¬ lichen in ihrer Bildung und Stellung zu pädagogischen, landwirtschaftlichen, ärztlichen und tierärztlichen Beratern ihrer Pfarrkinder herabzudrücken unter¬ nommen hatte. Wenn man die oberflächlichen und absprechender Ausführungen Campes überblickt und dazu den weitgehenden Einfluß in Betracht zieht, dessen er sich gerade damals namentlich bei der braunschweigischen Regierung erfreute,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/368>, abgerufen am 17.09.2024.