Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Österreich im Frühjahre^S^-

daran, sichvutschlandin den Beratungen über dessen künftige Ver¬
fassung loszusagen." daß die zweitägige Schlacht bei Kapolna :in Grunde er¬
gebnislos geblieben war. und daß der Oberbefehlshaber in Siebenbürgen dem
Bem gegenüberstand, "ein leider nur zu gerechtfertigtes Mißtrauen in seinen
Generalstab und die ihm beigegebnen Generale" hegte. Werden wir mi hin
über die weitere Entwicklung der Dinge auf den wichtigsten Punt en un un¬
klaren gelassen, so tritt mit umso größerer Deutlichkeit das eme hervor, daß
die meisten handelnden Personen selbst sich über die allernächste Zukunft hinaus
keine Gedanken gemacht haben. Minister. Generale, Abgeordnete gingen an den
schwierigen Fragen vorsichtig vorüber. Das Verhältnis der ^ scWaw. es n
Länder untereinander, deren Verhältnis zu Ungarn, zu Italien, das Verhältnis
des Gesamtstaates zu Deutschland - alle diese Nüsse zu knacken, überließ man
wie es scheint, dem ..sprichwörtlichen Glücke Österreichs." Und wem wir uns
°n das Losbrechen gegen Sardinien im Jahre 1859. an den Fürstentag von
1863 und so manches andre erinnern, so kommen wir auf die Vermutung, daß
es zu den eingewurzelten Eigentümlichkeiten Österreichs gehöre em großes
Spiel zu beginnen, bevor jeder Zug gehörig überlegt worden ist Wenn orr
Heisere glauben dürfen, hat in jener Zeit nur ein Mann em festes Programm
klare Einsicht und festen Willen gehabt. Fürst Windischgrätz. Aber Heisere ist
ein zu unbedingter Bewunderer desselben, er beugt sogar wie eme besorgte
Mutter dem ungünstigen Urteile über des Feldmarschalls Leistungen im
ungarischen Kriege vor. welche bekanntlich zu seiner Abberufung führten, als er.
immer siegreich, fast ganz Ungarn an die "Rebellen" verloren hatte; daß der
Sieg bei Kapolna nicht ausgebeutet wurde, "dazu wirkte eine Reihe von Um¬
ständen zusammen, von denen keiner der Oberleitung zur Last fiel' - das i,r
die letzte Mitteilung von jenem Teile des Kriegsschauplatzes, und wir tonnen
uns daher denken, daß dieselben Umstände den Feldherrn nötigten, d.e berühmte
Rückwärts-Konzentrirung auszuführen.

^Welche Parteistellung Heisere selbst eigentlich einnimmt, wird Nicht recyr
deutlich. Er haßt Preußen, das unterliegt keinem Zweifel, er ist em Gegner
der Magyaren und liebt die Slawen. Das alles würde sich mit der Stellung
eines Mitgliedes der Regierung wohl vereinigen lassen, welche den osterreichl chen
Gesamtstaat deutschen Charakters zu begründen und Preußen zu demütigen
bemüht war; allein aus verschiedenen Andeutungen, namentlich auch in seiner
Kritik der Verfassung vom 4. März, ist zu entnehmen, daß er den Zentralismus
mehr mit Föderalismus gemischt wünschte. Das dürfte etwa auf dasjenige
System hinauslaufen, zu dem sich bis vor kurzem das Ministerium ^aasse
bekannte; denn von dem Verfasfungsentwurfe, den der Reichstag zuletzt zustanoe
gebracht hatte und in dem ebenfalls die Erhaltung nationaler und provmzialer
Besonderheiten innerhalb der Staatseinheit angestrebt war. will er naturlich
nichts wissen. Übrigens deutet auch er schüchtern an, daß die meisten damals


Österreich im Frühjahre^S^-

daran, sichvutschlandin den Beratungen über dessen künftige Ver¬
fassung loszusagen." daß die zweitägige Schlacht bei Kapolna :in Grunde er¬
gebnislos geblieben war. und daß der Oberbefehlshaber in Siebenbürgen dem
Bem gegenüberstand, „ein leider nur zu gerechtfertigtes Mißtrauen in seinen
Generalstab und die ihm beigegebnen Generale" hegte. Werden wir mi hin
über die weitere Entwicklung der Dinge auf den wichtigsten Punt en un un¬
klaren gelassen, so tritt mit umso größerer Deutlichkeit das eme hervor, daß
die meisten handelnden Personen selbst sich über die allernächste Zukunft hinaus
keine Gedanken gemacht haben. Minister. Generale, Abgeordnete gingen an den
schwierigen Fragen vorsichtig vorüber. Das Verhältnis der ^ scWaw. es n
Länder untereinander, deren Verhältnis zu Ungarn, zu Italien, das Verhältnis
des Gesamtstaates zu Deutschland - alle diese Nüsse zu knacken, überließ man
wie es scheint, dem ..sprichwörtlichen Glücke Österreichs." Und wem wir uns
°n das Losbrechen gegen Sardinien im Jahre 1859. an den Fürstentag von
1863 und so manches andre erinnern, so kommen wir auf die Vermutung, daß
es zu den eingewurzelten Eigentümlichkeiten Österreichs gehöre em großes
Spiel zu beginnen, bevor jeder Zug gehörig überlegt worden ist Wenn orr
Heisere glauben dürfen, hat in jener Zeit nur ein Mann em festes Programm
klare Einsicht und festen Willen gehabt. Fürst Windischgrätz. Aber Heisere ist
ein zu unbedingter Bewunderer desselben, er beugt sogar wie eme besorgte
Mutter dem ungünstigen Urteile über des Feldmarschalls Leistungen im
ungarischen Kriege vor. welche bekanntlich zu seiner Abberufung führten, als er.
immer siegreich, fast ganz Ungarn an die „Rebellen" verloren hatte; daß der
Sieg bei Kapolna nicht ausgebeutet wurde, „dazu wirkte eine Reihe von Um¬
ständen zusammen, von denen keiner der Oberleitung zur Last fiel' - das i,r
die letzte Mitteilung von jenem Teile des Kriegsschauplatzes, und wir tonnen
uns daher denken, daß dieselben Umstände den Feldherrn nötigten, d.e berühmte
Rückwärts-Konzentrirung auszuführen.

^Welche Parteistellung Heisere selbst eigentlich einnimmt, wird Nicht recyr
deutlich. Er haßt Preußen, das unterliegt keinem Zweifel, er ist em Gegner
der Magyaren und liebt die Slawen. Das alles würde sich mit der Stellung
eines Mitgliedes der Regierung wohl vereinigen lassen, welche den osterreichl chen
Gesamtstaat deutschen Charakters zu begründen und Preußen zu demütigen
bemüht war; allein aus verschiedenen Andeutungen, namentlich auch in seiner
Kritik der Verfassung vom 4. März, ist zu entnehmen, daß er den Zentralismus
mehr mit Föderalismus gemischt wünschte. Das dürfte etwa auf dasjenige
System hinauslaufen, zu dem sich bis vor kurzem das Ministerium ^aasse
bekannte; denn von dem Verfasfungsentwurfe, den der Reichstag zuletzt zustanoe
gebracht hatte und in dem ebenfalls die Erhaltung nationaler und provmzialer
Besonderheiten innerhalb der Staatseinheit angestrebt war. will er naturlich
nichts wissen. Übrigens deutet auch er schüchtern an, daß die meisten damals


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288808"/>
          <fw type="header" place="top"> Österreich im Frühjahre^S^-</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1022" prev="#ID_1021"> daran, sichvutschlandin den Beratungen über dessen künftige Ver¬<lb/>
fassung loszusagen." daß die zweitägige Schlacht bei Kapolna :in Grunde er¬<lb/>
gebnislos geblieben war. und daß der Oberbefehlshaber in Siebenbürgen dem<lb/>
Bem gegenüberstand, &#x201E;ein leider nur zu gerechtfertigtes Mißtrauen in seinen<lb/>
Generalstab und die ihm beigegebnen Generale" hegte.  Werden wir mi hin<lb/>
über die weitere Entwicklung der Dinge auf den wichtigsten Punt en un un¬<lb/>
klaren gelassen, so tritt mit umso größerer Deutlichkeit das eme hervor, daß<lb/>
die meisten handelnden Personen selbst sich über die allernächste Zukunft hinaus<lb/>
keine Gedanken gemacht haben. Minister. Generale, Abgeordnete gingen an den<lb/>
schwierigen Fragen vorsichtig vorüber. Das Verhältnis der ^ scWaw. es n<lb/>
Länder untereinander, deren Verhältnis zu Ungarn, zu Italien, das Verhältnis<lb/>
des Gesamtstaates zu Deutschland - alle diese Nüsse zu knacken, überließ man<lb/>
wie es scheint, dem ..sprichwörtlichen Glücke Österreichs." Und wem wir uns<lb/>
°n das Losbrechen gegen Sardinien im Jahre 1859. an den Fürstentag von<lb/>
1863 und so manches andre erinnern, so kommen wir auf die Vermutung, daß<lb/>
es zu den eingewurzelten Eigentümlichkeiten Österreichs gehöre em großes<lb/>
Spiel zu beginnen, bevor jeder Zug gehörig überlegt worden ist  Wenn orr<lb/>
Heisere glauben dürfen, hat in jener Zeit nur ein Mann em festes Programm<lb/>
klare Einsicht und festen Willen gehabt. Fürst Windischgrätz. Aber Heisere ist<lb/>
ein zu unbedingter Bewunderer desselben, er beugt sogar wie eme besorgte<lb/>
Mutter dem ungünstigen Urteile über des Feldmarschalls Leistungen im<lb/>
ungarischen Kriege vor. welche bekanntlich zu seiner Abberufung führten, als er.<lb/>
immer siegreich, fast ganz Ungarn an die &#x201E;Rebellen" verloren hatte; daß der<lb/>
Sieg bei Kapolna nicht ausgebeutet wurde, &#x201E;dazu wirkte eine Reihe von Um¬<lb/>
ständen zusammen, von denen keiner der Oberleitung zur Last fiel' - das i,r<lb/>
die letzte Mitteilung von jenem Teile des Kriegsschauplatzes, und wir tonnen<lb/>
uns daher denken, daß dieselben Umstände den Feldherrn nötigten, d.e berühmte<lb/>
Rückwärts-Konzentrirung auszuführen. </p><lb/>
          <p xml:id="ID_1023" next="#ID_1024"> ^Welche Parteistellung Heisere selbst eigentlich einnimmt, wird Nicht recyr<lb/>
deutlich.  Er haßt Preußen, das unterliegt keinem Zweifel, er ist em Gegner<lb/>
der Magyaren und liebt die Slawen. Das alles würde sich mit der Stellung<lb/>
eines Mitgliedes der Regierung wohl vereinigen lassen, welche den osterreichl chen<lb/>
Gesamtstaat deutschen Charakters zu begründen und Preußen zu demütigen<lb/>
bemüht war; allein aus verschiedenen Andeutungen, namentlich auch in seiner<lb/>
Kritik der Verfassung vom 4. März, ist zu entnehmen, daß er den Zentralismus<lb/>
mehr mit Föderalismus gemischt wünschte. Das dürfte etwa auf dasjenige<lb/>
System hinauslaufen, zu dem sich bis vor kurzem das Ministerium ^aasse<lb/>
bekannte; denn von dem Verfasfungsentwurfe, den der Reichstag zuletzt zustanoe<lb/>
gebracht hatte und in dem ebenfalls die Erhaltung nationaler und provmzialer<lb/>
Besonderheiten innerhalb der Staatseinheit angestrebt war. will er naturlich<lb/>
nichts wissen. Übrigens deutet auch er schüchtern an, daß die meisten damals</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] Österreich im Frühjahre^S^- daran, sichvutschlandin den Beratungen über dessen künftige Ver¬ fassung loszusagen." daß die zweitägige Schlacht bei Kapolna :in Grunde er¬ gebnislos geblieben war. und daß der Oberbefehlshaber in Siebenbürgen dem Bem gegenüberstand, „ein leider nur zu gerechtfertigtes Mißtrauen in seinen Generalstab und die ihm beigegebnen Generale" hegte. Werden wir mi hin über die weitere Entwicklung der Dinge auf den wichtigsten Punt en un un¬ klaren gelassen, so tritt mit umso größerer Deutlichkeit das eme hervor, daß die meisten handelnden Personen selbst sich über die allernächste Zukunft hinaus keine Gedanken gemacht haben. Minister. Generale, Abgeordnete gingen an den schwierigen Fragen vorsichtig vorüber. Das Verhältnis der ^ scWaw. es n Länder untereinander, deren Verhältnis zu Ungarn, zu Italien, das Verhältnis des Gesamtstaates zu Deutschland - alle diese Nüsse zu knacken, überließ man wie es scheint, dem ..sprichwörtlichen Glücke Österreichs." Und wem wir uns °n das Losbrechen gegen Sardinien im Jahre 1859. an den Fürstentag von 1863 und so manches andre erinnern, so kommen wir auf die Vermutung, daß es zu den eingewurzelten Eigentümlichkeiten Österreichs gehöre em großes Spiel zu beginnen, bevor jeder Zug gehörig überlegt worden ist Wenn orr Heisere glauben dürfen, hat in jener Zeit nur ein Mann em festes Programm klare Einsicht und festen Willen gehabt. Fürst Windischgrätz. Aber Heisere ist ein zu unbedingter Bewunderer desselben, er beugt sogar wie eme besorgte Mutter dem ungünstigen Urteile über des Feldmarschalls Leistungen im ungarischen Kriege vor. welche bekanntlich zu seiner Abberufung führten, als er. immer siegreich, fast ganz Ungarn an die „Rebellen" verloren hatte; daß der Sieg bei Kapolna nicht ausgebeutet wurde, „dazu wirkte eine Reihe von Um¬ ständen zusammen, von denen keiner der Oberleitung zur Last fiel' - das i,r die letzte Mitteilung von jenem Teile des Kriegsschauplatzes, und wir tonnen uns daher denken, daß dieselben Umstände den Feldherrn nötigten, d.e berühmte Rückwärts-Konzentrirung auszuführen. ^Welche Parteistellung Heisere selbst eigentlich einnimmt, wird Nicht recyr deutlich. Er haßt Preußen, das unterliegt keinem Zweifel, er ist em Gegner der Magyaren und liebt die Slawen. Das alles würde sich mit der Stellung eines Mitgliedes der Regierung wohl vereinigen lassen, welche den osterreichl chen Gesamtstaat deutschen Charakters zu begründen und Preußen zu demütigen bemüht war; allein aus verschiedenen Andeutungen, namentlich auch in seiner Kritik der Verfassung vom 4. März, ist zu entnehmen, daß er den Zentralismus mehr mit Föderalismus gemischt wünschte. Das dürfte etwa auf dasjenige System hinauslaufen, zu dem sich bis vor kurzem das Ministerium ^aasse bekannte; denn von dem Verfasfungsentwurfe, den der Reichstag zuletzt zustanoe gebracht hatte und in dem ebenfalls die Erhaltung nationaler und provmzialer Besonderheiten innerhalb der Staatseinheit angestrebt war. will er naturlich nichts wissen. Übrigens deutet auch er schüchtern an, daß die meisten damals

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/355>, abgerufen am 17.09.2024.