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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

nutzt, daher in ewiger Ausbesserung begriffen, das Eisenpflaster haltbarer, aber
für den Fahrenden eine schreckliche Erfindung. Die bessern Privathäuser sind
alle sehr weiträumig und meist auch solid hergestellt, mit breiten, bequemen
Treppen, hohen Zimmern, starken Mauern. Die öffentlichen Gebäude aber,
Kirchen und Klöster, Paläste, Kasernen und Schulen imponiren nicht nur durch
ihre Größe, sondern auch durch ihre architektonischen Verhältnisse und ihre
Ausschmückung, aber sie zeigen fast niemals, seltene Ausnahmen abgerechnet,
echtes Material, sondern gewöhnlich Kalktüuche, die "Kronsgebäude" obendrein
ein Helles Ziegelrot, und da dieser Anstrich aller paar Jahre erneuert wird,
so sehen sie entweder ganz neu oder schadhaft aus. Es fehlt ihnen sozusagen
die historische Palma, die ganze Stadt hat etwas amerikanisches. Die Bau-
formen freilich sind ganz überwiegend die des abendländischen Barock oder
Klassizismus; die moderne Renaissance macht sich noch nicht bemerklich, und der
russisch-byzantinische Stil tritt im ganzen wenig hervor. Denn einen solchen
giebt es für Profanbauten im Grunde nur im hölzernen Bauernhause, sonst
nur für Kirchen; ein paar Versuche, ihn auf städtische Privathüuser zu übertragen,
die offenbar aus der neuesten Zeit stammen, sind so seltsam ausgefallen, daß
sie keine Nachahmung gefunden haben. Selbst die Kirchen tragen meist abend¬
ländische Formen, auch wenn sie auf byzantinischem Grundriß sich erheben,
wenige ausgenommen, wie die von Mariü Verkündigung mit ihren fünf spitzen
Kuppeln; der Einfluß des russischen Geschmacks zeigt sich meist nur in der
Vergoldung der Kuppeln und Türme oder in einer auffallenden Färbung der¬
selben, wie z. B. die Kuppeln der Jsmajlowskij- (Troizkij-) Kathedrale in
Himmelblau mit vergoldeten Sternen prangen. Umso fremdartiger schauen dann
die ganz und gar byzantinischen Heiligenkapellen an der Nikolaibrücke und am
Newskijprospekt mit ihren Mosaiken und goldgrundirten Gemälden in ihre
wesentlich europäische Umgebung hinein.

Aber trotz alledem: ein großartiges Stadtbild ist es doch, das sich zwischen
der Fontanka und der Newa entfaltet. Hier vereinigt sich alles, was man
unter Petersburg in erster Linie versteht. Von der Admiralität führt nach
Südosten die breite, fast endlose Straßenflucht des Newskijprospekts über drei
Kanäle hinweg, bis zum Alexander-Newskijkloster, nach dem sie heißt, etwa
4,5 Kilometer lang, bis zum Moskaner Bahnhof am Snamenskijplatz, in ihren
ersten zwei Dritteln unstreitig eine der großartigsten Straßen der Welt.
Zwischen hohen, meist dreistöckigen Gebäuden, die alle mit vorspringendem
Schutzdach vor der Thür versehen und sowohl an diesem als an den Wänden
mit Schildern und Inschriften oft bis ans Dach bedeckt sind, an prachtvollen
Schaufenstern vorbei, worüber an der langen, nüchternen Front des "Stadt¬
hauses," das sich durch nichts weiter auszeichnet als durch den Signalturm,
und an den endlosen Arkadenreihen des Gostinnoj Door (Kaufhofes) gelaugt
der Wanderer zunächst zu dem Platze der Kascmschen Kathedrale. Fast er-


Russische Skizzen.

nutzt, daher in ewiger Ausbesserung begriffen, das Eisenpflaster haltbarer, aber
für den Fahrenden eine schreckliche Erfindung. Die bessern Privathäuser sind
alle sehr weiträumig und meist auch solid hergestellt, mit breiten, bequemen
Treppen, hohen Zimmern, starken Mauern. Die öffentlichen Gebäude aber,
Kirchen und Klöster, Paläste, Kasernen und Schulen imponiren nicht nur durch
ihre Größe, sondern auch durch ihre architektonischen Verhältnisse und ihre
Ausschmückung, aber sie zeigen fast niemals, seltene Ausnahmen abgerechnet,
echtes Material, sondern gewöhnlich Kalktüuche, die „Kronsgebäude" obendrein
ein Helles Ziegelrot, und da dieser Anstrich aller paar Jahre erneuert wird,
so sehen sie entweder ganz neu oder schadhaft aus. Es fehlt ihnen sozusagen
die historische Palma, die ganze Stadt hat etwas amerikanisches. Die Bau-
formen freilich sind ganz überwiegend die des abendländischen Barock oder
Klassizismus; die moderne Renaissance macht sich noch nicht bemerklich, und der
russisch-byzantinische Stil tritt im ganzen wenig hervor. Denn einen solchen
giebt es für Profanbauten im Grunde nur im hölzernen Bauernhause, sonst
nur für Kirchen; ein paar Versuche, ihn auf städtische Privathüuser zu übertragen,
die offenbar aus der neuesten Zeit stammen, sind so seltsam ausgefallen, daß
sie keine Nachahmung gefunden haben. Selbst die Kirchen tragen meist abend¬
ländische Formen, auch wenn sie auf byzantinischem Grundriß sich erheben,
wenige ausgenommen, wie die von Mariü Verkündigung mit ihren fünf spitzen
Kuppeln; der Einfluß des russischen Geschmacks zeigt sich meist nur in der
Vergoldung der Kuppeln und Türme oder in einer auffallenden Färbung der¬
selben, wie z. B. die Kuppeln der Jsmajlowskij- (Troizkij-) Kathedrale in
Himmelblau mit vergoldeten Sternen prangen. Umso fremdartiger schauen dann
die ganz und gar byzantinischen Heiligenkapellen an der Nikolaibrücke und am
Newskijprospekt mit ihren Mosaiken und goldgrundirten Gemälden in ihre
wesentlich europäische Umgebung hinein.

Aber trotz alledem: ein großartiges Stadtbild ist es doch, das sich zwischen
der Fontanka und der Newa entfaltet. Hier vereinigt sich alles, was man
unter Petersburg in erster Linie versteht. Von der Admiralität führt nach
Südosten die breite, fast endlose Straßenflucht des Newskijprospekts über drei
Kanäle hinweg, bis zum Alexander-Newskijkloster, nach dem sie heißt, etwa
4,5 Kilometer lang, bis zum Moskaner Bahnhof am Snamenskijplatz, in ihren
ersten zwei Dritteln unstreitig eine der großartigsten Straßen der Welt.
Zwischen hohen, meist dreistöckigen Gebäuden, die alle mit vorspringendem
Schutzdach vor der Thür versehen und sowohl an diesem als an den Wänden
mit Schildern und Inschriften oft bis ans Dach bedeckt sind, an prachtvollen
Schaufenstern vorbei, worüber an der langen, nüchternen Front des „Stadt¬
hauses," das sich durch nichts weiter auszeichnet als durch den Signalturm,
und an den endlosen Arkadenreihen des Gostinnoj Door (Kaufhofes) gelaugt
der Wanderer zunächst zu dem Platze der Kascmschen Kathedrale. Fast er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/344>, abgerufen am 17.09.2024.