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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen,

Leben. Noch eine halbe Stunde später war es so hell, daß die feinste Schrift
deutlich zu lesen war. Denn noch stand dunkel die Abendröte im Westen, im
Osten aber stieg laugsam der Mond empor. Der ganze Zauber nordischer
Sommernacht umfing unser Schiff, das jetzt einsam seine Straße zog.

Der nächste Morgen, der vierte Reisetag, sah uns angesichts von Kronstäbe.
Der weithin sichtbare, dicke, weiße Leuchtturm von Tolbuchin auf seiner kleinen
Insel lag schon hinter uns; um fünf Uhr hatten wir das Kronstädter Feuer¬
schiff vor uns, das uns soeben seinen Lootsen entgegenschickte, links lag lang¬
gestreckt die niedrige Sandinsel Kollin, die Kronstäbe trägt, weiter hinaus
blaute die Küste von Finnland, rechts hob sich das grüne Waldgestade von
Ingermannland. Nun rückten näher und näher die mächtigen Forts, welche
die Rhede von Kronstäbe schützen, die neueren niedrig und unscheinbar, aber
doch weit gefährlicher als die hochaufgetürmten Vollwerke Peters des Großen,
aus rotem Granit, die aus drei Stockwerken Feuer speien. An mehreren
Kriegsschiffen vorüber -- unter ihnen die österreichische Fregatte "Donau" --,
die in eherner Ruhe vor Anker lagen, ging unser Dampfer auf die Rhede und
warf gegen sechs Uhr Anker inmitten eines ganzen Geschwaders andrer Fahrzeuge
unter russischer, deutscher, schwedischer, dänischer und englischer Flagge. Während
wir wie sie die Zollbeamten erwarteten, blieb uns Zeit, unsre Umgebung zu
mustern. Gerade vor uns ragte hinter mächtigen Steindämmen aus finnischen
Granit der Mastenwald des Kaufhafens hervor, ihm gegenüber weit draußen
auf der Rhede lag die kaiserliche Jacht "Dershawa" (das Reich), ein mächtiger
Naddampfer mit brauner Mahagonibeplankung und zwei auffallenden wei߬
gelben Schornsteinen; im Süden schimmerte mit Weißen Villen und grünen
Gärten Oranienbaum herüber. Währenddem erschienen die Zollbeamten, endlich
auch als der erste offizielle Vertreter des mächtigen Reiches, in dessen Bannkreis
wir uns nunmehr befanden, der Gensdarmerieoberst von Kronstäbe in eigner
Person, im weißen Sommerrock der russischen Offiziere, um uns die Pässe mit
dem Vermerk, daß nichts unserm Eintritt entgegenstehe, zurückzugeben. Um
1/211 Uhr ging der "Magdeburg" wieder Anker auf. Während nun am südlichen
Gestade die langen, hellen Fronten des Schlosses von Peterhof mit den vergol¬
deten Kuppeln zweier Pavillons inmitten zahlloser Villen und Gurten auf dem
hohen Uferrande sich entfalteten, spähten wir doch alle gespannt nach vorn,
denn dort mußte Petersburg vor uns aufsteigen. Doch über der Stadt lag
eine graue Wolkenschicht; erst als wir uns dem Seekanal näherten, da traten
über dem flachen, grünen Gestade die Türme nud Kuppeln der nordischen Haupt¬
stadt hervor: die fünf spitzen Kuppeln von Marini Verkündigung, der schlanke
Turm der Festungskirche, vergoldet wie jene, endlich alles beherrschend und wie
eine Sonne flammend die riesige, herrliche Renaissancekuppel von Se. Isaak.
Es war zwölf Uhr, als unser Dampfer, langsam durch den Seekanal gleitend,
der jetzt anch schweren Schiffen den Zugang gestattet, draußen im Südwesten


Russische Skizzen,

Leben. Noch eine halbe Stunde später war es so hell, daß die feinste Schrift
deutlich zu lesen war. Denn noch stand dunkel die Abendröte im Westen, im
Osten aber stieg laugsam der Mond empor. Der ganze Zauber nordischer
Sommernacht umfing unser Schiff, das jetzt einsam seine Straße zog.

Der nächste Morgen, der vierte Reisetag, sah uns angesichts von Kronstäbe.
Der weithin sichtbare, dicke, weiße Leuchtturm von Tolbuchin auf seiner kleinen
Insel lag schon hinter uns; um fünf Uhr hatten wir das Kronstädter Feuer¬
schiff vor uns, das uns soeben seinen Lootsen entgegenschickte, links lag lang¬
gestreckt die niedrige Sandinsel Kollin, die Kronstäbe trägt, weiter hinaus
blaute die Küste von Finnland, rechts hob sich das grüne Waldgestade von
Ingermannland. Nun rückten näher und näher die mächtigen Forts, welche
die Rhede von Kronstäbe schützen, die neueren niedrig und unscheinbar, aber
doch weit gefährlicher als die hochaufgetürmten Vollwerke Peters des Großen,
aus rotem Granit, die aus drei Stockwerken Feuer speien. An mehreren
Kriegsschiffen vorüber — unter ihnen die österreichische Fregatte „Donau" —,
die in eherner Ruhe vor Anker lagen, ging unser Dampfer auf die Rhede und
warf gegen sechs Uhr Anker inmitten eines ganzen Geschwaders andrer Fahrzeuge
unter russischer, deutscher, schwedischer, dänischer und englischer Flagge. Während
wir wie sie die Zollbeamten erwarteten, blieb uns Zeit, unsre Umgebung zu
mustern. Gerade vor uns ragte hinter mächtigen Steindämmen aus finnischen
Granit der Mastenwald des Kaufhafens hervor, ihm gegenüber weit draußen
auf der Rhede lag die kaiserliche Jacht „Dershawa" (das Reich), ein mächtiger
Naddampfer mit brauner Mahagonibeplankung und zwei auffallenden wei߬
gelben Schornsteinen; im Süden schimmerte mit Weißen Villen und grünen
Gärten Oranienbaum herüber. Währenddem erschienen die Zollbeamten, endlich
auch als der erste offizielle Vertreter des mächtigen Reiches, in dessen Bannkreis
wir uns nunmehr befanden, der Gensdarmerieoberst von Kronstäbe in eigner
Person, im weißen Sommerrock der russischen Offiziere, um uns die Pässe mit
dem Vermerk, daß nichts unserm Eintritt entgegenstehe, zurückzugeben. Um
1/211 Uhr ging der „Magdeburg" wieder Anker auf. Während nun am südlichen
Gestade die langen, hellen Fronten des Schlosses von Peterhof mit den vergol¬
deten Kuppeln zweier Pavillons inmitten zahlloser Villen und Gurten auf dem
hohen Uferrande sich entfalteten, spähten wir doch alle gespannt nach vorn,
denn dort mußte Petersburg vor uns aufsteigen. Doch über der Stadt lag
eine graue Wolkenschicht; erst als wir uns dem Seekanal näherten, da traten
über dem flachen, grünen Gestade die Türme nud Kuppeln der nordischen Haupt¬
stadt hervor: die fünf spitzen Kuppeln von Marini Verkündigung, der schlanke
Turm der Festungskirche, vergoldet wie jene, endlich alles beherrschend und wie
eine Sonne flammend die riesige, herrliche Renaissancekuppel von Se. Isaak.
Es war zwölf Uhr, als unser Dampfer, langsam durch den Seekanal gleitend,
der jetzt anch schweren Schiffen den Zugang gestattet, draußen im Südwesten


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[0342] Russische Skizzen, Leben. Noch eine halbe Stunde später war es so hell, daß die feinste Schrift deutlich zu lesen war. Denn noch stand dunkel die Abendröte im Westen, im Osten aber stieg laugsam der Mond empor. Der ganze Zauber nordischer Sommernacht umfing unser Schiff, das jetzt einsam seine Straße zog. Der nächste Morgen, der vierte Reisetag, sah uns angesichts von Kronstäbe. Der weithin sichtbare, dicke, weiße Leuchtturm von Tolbuchin auf seiner kleinen Insel lag schon hinter uns; um fünf Uhr hatten wir das Kronstädter Feuer¬ schiff vor uns, das uns soeben seinen Lootsen entgegenschickte, links lag lang¬ gestreckt die niedrige Sandinsel Kollin, die Kronstäbe trägt, weiter hinaus blaute die Küste von Finnland, rechts hob sich das grüne Waldgestade von Ingermannland. Nun rückten näher und näher die mächtigen Forts, welche die Rhede von Kronstäbe schützen, die neueren niedrig und unscheinbar, aber doch weit gefährlicher als die hochaufgetürmten Vollwerke Peters des Großen, aus rotem Granit, die aus drei Stockwerken Feuer speien. An mehreren Kriegsschiffen vorüber — unter ihnen die österreichische Fregatte „Donau" —, die in eherner Ruhe vor Anker lagen, ging unser Dampfer auf die Rhede und warf gegen sechs Uhr Anker inmitten eines ganzen Geschwaders andrer Fahrzeuge unter russischer, deutscher, schwedischer, dänischer und englischer Flagge. Während wir wie sie die Zollbeamten erwarteten, blieb uns Zeit, unsre Umgebung zu mustern. Gerade vor uns ragte hinter mächtigen Steindämmen aus finnischen Granit der Mastenwald des Kaufhafens hervor, ihm gegenüber weit draußen auf der Rhede lag die kaiserliche Jacht „Dershawa" (das Reich), ein mächtiger Naddampfer mit brauner Mahagonibeplankung und zwei auffallenden wei߬ gelben Schornsteinen; im Süden schimmerte mit Weißen Villen und grünen Gärten Oranienbaum herüber. Währenddem erschienen die Zollbeamten, endlich auch als der erste offizielle Vertreter des mächtigen Reiches, in dessen Bannkreis wir uns nunmehr befanden, der Gensdarmerieoberst von Kronstäbe in eigner Person, im weißen Sommerrock der russischen Offiziere, um uns die Pässe mit dem Vermerk, daß nichts unserm Eintritt entgegenstehe, zurückzugeben. Um 1/211 Uhr ging der „Magdeburg" wieder Anker auf. Während nun am südlichen Gestade die langen, hellen Fronten des Schlosses von Peterhof mit den vergol¬ deten Kuppeln zweier Pavillons inmitten zahlloser Villen und Gurten auf dem hohen Uferrande sich entfalteten, spähten wir doch alle gespannt nach vorn, denn dort mußte Petersburg vor uns aufsteigen. Doch über der Stadt lag eine graue Wolkenschicht; erst als wir uns dem Seekanal näherten, da traten über dem flachen, grünen Gestade die Türme nud Kuppeln der nordischen Haupt¬ stadt hervor: die fünf spitzen Kuppeln von Marini Verkündigung, der schlanke Turm der Festungskirche, vergoldet wie jene, endlich alles beherrschend und wie eine Sonne flammend die riesige, herrliche Renaissancekuppel von Se. Isaak. Es war zwölf Uhr, als unser Dampfer, langsam durch den Seekanal gleitend, der jetzt anch schweren Schiffen den Zugang gestattet, draußen im Südwesten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/342>, abgerufen am 17.09.2024.