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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Beusts Erinnerungen.

anhängig gemacht und der von einem ungeschickten Richter verurteilt worden
ist, diesem kann doch niemals ein mutwilliges oder leichtsinniges Prozessiren
vorgeworfen werden, wenn er zur Abwehr des ungerechten Angriffs und zur
Beseitigung des ungerechten Urteils ein Rechtsmittel ergreift.

Der deutschen Reichskasse und den deutschen Staatskassen werden einige
tausend Mark entgehen, wenn die angefochtene Bestimmung des Z 30 aufge¬
hoben wird; aber so bettelarm ist doch gottlob weder das Reich noch irgend
ein deutscher Staat, daß er nicht diesen Ausfall einer ungerechten Einnahme
ertragen könnte. Also fort damit -- sist!




Veusts Erinnerungen.

alte das Geschick dem Grafen Beust noch ein halbes Lebensjahr
gewährt, so dürfte man kein Bedenken tragen, ihn als die Aus¬
nahme zu bezeichnen, welche den bekannten solonischen Satz be¬
stätigt. Daran würde es auch nichts ändern, falls etwa das
Erscheinen seiner Denkwürdigkeiten unangenehme Folgen für ihn
gehabt hätte; die würden ihm nur als neue Beweise dafür gedient haben, daß
es sein Loos sei, verkannt und mit Undank belohnt zu werden. Und dennoch
wäre er glücklich zu preisen? Gewiß. Wenn jemand mit siebenundsiebzig Jahren
auf ein ereignis- und wechselvolles Leben, auf vierzig Jahre Anteil an der
praktischen hohen Politik zurückblickt, und im Grunde genommen nicht einen
Fehler, nicht einen Mißgriff, nicht einen Irrtum auf seiner Seite zu entdecken
vermag, vielmehr immer wieder konstatiren muß, daß Verblendung oder böser
Wille seine weisen Absichten durchkreuzt haben, und wenn, wie er wiederholt
versichert, alles Unrecht und aller Undank, die er erfahren hat, ihn nicht im
Denken und Handeln zu beirren, ja kaum seine Laune zu trüben vermochten,
dann ist man doch genötigt, ihn zu bewundern oder zu beneiden. Der gläubige
Leser des zweibändigen Werkes Aus drei Vierteljahrhunderten. Er¬
innerungen und Aufzeichnungen von Friedrich Ferdinand Graf von Beust
(Stuttgart, Cotta) kann nicht anders als nach Umwenden des letzten Blattes
seufzen: Wäre Friedrich Ferdinand Graf von Beust vor vierzig Jahren -- wenn
schon nicht Selbstherrscher, doch wenigstens Großkanzler von Europa geworden,
welche Periode des Friedens und allgemeinen Wohlergehens hätten wir durch¬
lebt, auf wie festen Grundlagen stünde dann unsre Hoffnung auf eine ebenso
glückliche Zukunft! An den Memoiren Metternichs ist ausgesetzt worden, daß


Beusts Erinnerungen.

anhängig gemacht und der von einem ungeschickten Richter verurteilt worden
ist, diesem kann doch niemals ein mutwilliges oder leichtsinniges Prozessiren
vorgeworfen werden, wenn er zur Abwehr des ungerechten Angriffs und zur
Beseitigung des ungerechten Urteils ein Rechtsmittel ergreift.

Der deutschen Reichskasse und den deutschen Staatskassen werden einige
tausend Mark entgehen, wenn die angefochtene Bestimmung des Z 30 aufge¬
hoben wird; aber so bettelarm ist doch gottlob weder das Reich noch irgend
ein deutscher Staat, daß er nicht diesen Ausfall einer ungerechten Einnahme
ertragen könnte. Also fort damit — sist!




Veusts Erinnerungen.

alte das Geschick dem Grafen Beust noch ein halbes Lebensjahr
gewährt, so dürfte man kein Bedenken tragen, ihn als die Aus¬
nahme zu bezeichnen, welche den bekannten solonischen Satz be¬
stätigt. Daran würde es auch nichts ändern, falls etwa das
Erscheinen seiner Denkwürdigkeiten unangenehme Folgen für ihn
gehabt hätte; die würden ihm nur als neue Beweise dafür gedient haben, daß
es sein Loos sei, verkannt und mit Undank belohnt zu werden. Und dennoch
wäre er glücklich zu preisen? Gewiß. Wenn jemand mit siebenundsiebzig Jahren
auf ein ereignis- und wechselvolles Leben, auf vierzig Jahre Anteil an der
praktischen hohen Politik zurückblickt, und im Grunde genommen nicht einen
Fehler, nicht einen Mißgriff, nicht einen Irrtum auf seiner Seite zu entdecken
vermag, vielmehr immer wieder konstatiren muß, daß Verblendung oder böser
Wille seine weisen Absichten durchkreuzt haben, und wenn, wie er wiederholt
versichert, alles Unrecht und aller Undank, die er erfahren hat, ihn nicht im
Denken und Handeln zu beirren, ja kaum seine Laune zu trüben vermochten,
dann ist man doch genötigt, ihn zu bewundern oder zu beneiden. Der gläubige
Leser des zweibändigen Werkes Aus drei Vierteljahrhunderten. Er¬
innerungen und Aufzeichnungen von Friedrich Ferdinand Graf von Beust
(Stuttgart, Cotta) kann nicht anders als nach Umwenden des letzten Blattes
seufzen: Wäre Friedrich Ferdinand Graf von Beust vor vierzig Jahren — wenn
schon nicht Selbstherrscher, doch wenigstens Großkanzler von Europa geworden,
welche Periode des Friedens und allgemeinen Wohlergehens hätten wir durch¬
lebt, auf wie festen Grundlagen stünde dann unsre Hoffnung auf eine ebenso
glückliche Zukunft! An den Memoiren Metternichs ist ausgesetzt worden, daß


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[0032] Beusts Erinnerungen. anhängig gemacht und der von einem ungeschickten Richter verurteilt worden ist, diesem kann doch niemals ein mutwilliges oder leichtsinniges Prozessiren vorgeworfen werden, wenn er zur Abwehr des ungerechten Angriffs und zur Beseitigung des ungerechten Urteils ein Rechtsmittel ergreift. Der deutschen Reichskasse und den deutschen Staatskassen werden einige tausend Mark entgehen, wenn die angefochtene Bestimmung des Z 30 aufge¬ hoben wird; aber so bettelarm ist doch gottlob weder das Reich noch irgend ein deutscher Staat, daß er nicht diesen Ausfall einer ungerechten Einnahme ertragen könnte. Also fort damit — sist! Veusts Erinnerungen. alte das Geschick dem Grafen Beust noch ein halbes Lebensjahr gewährt, so dürfte man kein Bedenken tragen, ihn als die Aus¬ nahme zu bezeichnen, welche den bekannten solonischen Satz be¬ stätigt. Daran würde es auch nichts ändern, falls etwa das Erscheinen seiner Denkwürdigkeiten unangenehme Folgen für ihn gehabt hätte; die würden ihm nur als neue Beweise dafür gedient haben, daß es sein Loos sei, verkannt und mit Undank belohnt zu werden. Und dennoch wäre er glücklich zu preisen? Gewiß. Wenn jemand mit siebenundsiebzig Jahren auf ein ereignis- und wechselvolles Leben, auf vierzig Jahre Anteil an der praktischen hohen Politik zurückblickt, und im Grunde genommen nicht einen Fehler, nicht einen Mißgriff, nicht einen Irrtum auf seiner Seite zu entdecken vermag, vielmehr immer wieder konstatiren muß, daß Verblendung oder böser Wille seine weisen Absichten durchkreuzt haben, und wenn, wie er wiederholt versichert, alles Unrecht und aller Undank, die er erfahren hat, ihn nicht im Denken und Handeln zu beirren, ja kaum seine Laune zu trüben vermochten, dann ist man doch genötigt, ihn zu bewundern oder zu beneiden. Der gläubige Leser des zweibändigen Werkes Aus drei Vierteljahrhunderten. Er¬ innerungen und Aufzeichnungen von Friedrich Ferdinand Graf von Beust (Stuttgart, Cotta) kann nicht anders als nach Umwenden des letzten Blattes seufzen: Wäre Friedrich Ferdinand Graf von Beust vor vierzig Jahren — wenn schon nicht Selbstherrscher, doch wenigstens Großkanzler von Europa geworden, welche Periode des Friedens und allgemeinen Wohlergehens hätten wir durch¬ lebt, auf wie festen Grundlagen stünde dann unsre Hoffnung auf eine ebenso glückliche Zukunft! An den Memoiren Metternichs ist ausgesetzt worden, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/32>, abgerufen am 17.09.2024.