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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

beseitigt und unter dessen Nachfolgern ein neuer, in seiner Mehrheit verfassungs¬
treuer Landtag gewählt worden war.

Auch jetzt war es eine Überraschung, wenn über den sehr maßvollen
Plenerschen Antrag kurzweg zur Tagesordnung übergegangen wurde. OsMoie
Stimmen hatten gehofft, die "politische Klugheit" der Mchrheü werde den¬
selben einer leidenschaftslosen Prüfung unterziehen. Niegers "PoUM paue
geschrieben: "Da die Antragsteller behaupten, die vorgeschlagene Teilung
Böhmens sei das geeignetste Mittel, den nationalen Frieden im Königreiche
Böhmen herzustellen, so dürfte ihr Antrag jedenfalls einer eingehenden sach¬
lichen Prüfung unterzogen werden, in welchem Umstände unsre deutschen Mit¬
bürger nicht nur einen Achtuugsbeweis für die Opposition, sondern auch eme
ernsthafte Demonstration für den nationalen Frieden erblicken und diesen Re
des Entgegenkommens von diesem Standpunkte aus beurteilen mögen ^etzt
sah man, was dieses Phrasengeklingel von Versöhnung und Rücksichtnahme aus
Seiten der Mehrheit wert war. Sie that einfach, was die extremsten ver
Tschechen in den "Narodny Lisei" verlangt hatten, als sie hier erklärten, der
Pierersche Antrag dürfe garnicht zu einer Vorberatung in der Kommission ge¬
langen, sondern müsse "sofort zertreten werden wie ein Skorpion."ten

Aber nicht fo sehr gegen die unerhört schroffe Behandlung der deusch
Minderheit Vonseiten der tschechisch-feudalen Mehrheit, als gegen das ganze ver¬
fahren der Regierung im nationalen Kampfe richtete sich der Auszug der Linken
aus der böhmischen Landtagsstube. Jene grobe Tyrannei stieß nur dem ^asse
den Boden aus. welches die Taaffeschen und Prazakschen Verordnungen mit
Bitterkeit bis zum Rande gefüllt hatten. Die Regierung hat auf dem ^ege
dieser Verordnungen Thatsachen geschaffen, die auf parlamentarischem Wege
nicht so schnell und nur unter heftigen Erschütterungen durchgesetzt worden
wären. Sie behauptete, ihr Vorgehen sei durchaus gesetzmäßig. Die Oppo¬
sition bestritt dies mit guten Gründen, und Männer vom höchsten Mistigen
Ansehen schlössen sich dieser Meinung an. Im Hinblick auf jene Thatsachen
und in der gerechtfertigten Befürchtung, daß ihnen ähnliche folgen wurden
thaten die Vertreter Dcutschböhmens ihren Schritt. Ein Hausbesitzer wollte caua
auf seinem Grund und Boden einen Neubau ausführen, konnte aber dazu nicht
die erforderliche Bewilligung erlangen. Was that er da? Er ver chaffte sich
die Erlaubnis zum Umbau erst des einen, dann des andern Teiles seines alten
Hauses und begann damit, und siehe da. als die Gerüste von den Arbeitn
entfernt wurden, stand ein völlig neues Gebäude da, ganz das, welches er ur-
sprünglich im Sinne gehabt hatte. Genau dasselbe ist in unserm Falle zu
erwarten, wenn es so fortgeht. Graf Hohenwart entwickelte 1871 in keinen
Fuudamentalartikeln einen Plan zu einem föderalistischen Neubau Österreichs,
konnte ihn aber, da er mit ihm allgemeiner Entrüstung der Deutschen begegnete
nicht ausführen. Seitdem baut man bald oben, bald unten, bald vorn, bald


Deutsch-böhmische Briefe.

beseitigt und unter dessen Nachfolgern ein neuer, in seiner Mehrheit verfassungs¬
treuer Landtag gewählt worden war.

Auch jetzt war es eine Überraschung, wenn über den sehr maßvollen
Plenerschen Antrag kurzweg zur Tagesordnung übergegangen wurde. OsMoie
Stimmen hatten gehofft, die „politische Klugheit" der Mchrheü werde den¬
selben einer leidenschaftslosen Prüfung unterziehen. Niegers „PoUM paue
geschrieben: „Da die Antragsteller behaupten, die vorgeschlagene Teilung
Böhmens sei das geeignetste Mittel, den nationalen Frieden im Königreiche
Böhmen herzustellen, so dürfte ihr Antrag jedenfalls einer eingehenden sach¬
lichen Prüfung unterzogen werden, in welchem Umstände unsre deutschen Mit¬
bürger nicht nur einen Achtuugsbeweis für die Opposition, sondern auch eme
ernsthafte Demonstration für den nationalen Frieden erblicken und diesen Re
des Entgegenkommens von diesem Standpunkte aus beurteilen mögen ^etzt
sah man, was dieses Phrasengeklingel von Versöhnung und Rücksichtnahme aus
Seiten der Mehrheit wert war. Sie that einfach, was die extremsten ver
Tschechen in den „Narodny Lisei" verlangt hatten, als sie hier erklärten, der
Pierersche Antrag dürfe garnicht zu einer Vorberatung in der Kommission ge¬
langen, sondern müsse „sofort zertreten werden wie ein Skorpion."ten

Aber nicht fo sehr gegen die unerhört schroffe Behandlung der deusch
Minderheit Vonseiten der tschechisch-feudalen Mehrheit, als gegen das ganze ver¬
fahren der Regierung im nationalen Kampfe richtete sich der Auszug der Linken
aus der böhmischen Landtagsstube. Jene grobe Tyrannei stieß nur dem ^asse
den Boden aus. welches die Taaffeschen und Prazakschen Verordnungen mit
Bitterkeit bis zum Rande gefüllt hatten. Die Regierung hat auf dem ^ege
dieser Verordnungen Thatsachen geschaffen, die auf parlamentarischem Wege
nicht so schnell und nur unter heftigen Erschütterungen durchgesetzt worden
wären. Sie behauptete, ihr Vorgehen sei durchaus gesetzmäßig. Die Oppo¬
sition bestritt dies mit guten Gründen, und Männer vom höchsten Mistigen
Ansehen schlössen sich dieser Meinung an. Im Hinblick auf jene Thatsachen
und in der gerechtfertigten Befürchtung, daß ihnen ähnliche folgen wurden
thaten die Vertreter Dcutschböhmens ihren Schritt. Ein Hausbesitzer wollte caua
auf seinem Grund und Boden einen Neubau ausführen, konnte aber dazu nicht
die erforderliche Bewilligung erlangen. Was that er da? Er ver chaffte sich
die Erlaubnis zum Umbau erst des einen, dann des andern Teiles seines alten
Hauses und begann damit, und siehe da. als die Gerüste von den Arbeitn
entfernt wurden, stand ein völlig neues Gebäude da, ganz das, welches er ur-
sprünglich im Sinne gehabt hatte. Genau dasselbe ist in unserm Falle zu
erwarten, wenn es so fortgeht. Graf Hohenwart entwickelte 1871 in keinen
Fuudamentalartikeln einen Plan zu einem föderalistischen Neubau Österreichs,
konnte ihn aber, da er mit ihm allgemeiner Entrüstung der Deutschen begegnete
nicht ausführen. Seitdem baut man bald oben, bald unten, bald vorn, bald


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[0315] Deutsch-böhmische Briefe. beseitigt und unter dessen Nachfolgern ein neuer, in seiner Mehrheit verfassungs¬ treuer Landtag gewählt worden war. Auch jetzt war es eine Überraschung, wenn über den sehr maßvollen Plenerschen Antrag kurzweg zur Tagesordnung übergegangen wurde. OsMoie Stimmen hatten gehofft, die „politische Klugheit" der Mchrheü werde den¬ selben einer leidenschaftslosen Prüfung unterziehen. Niegers „PoUM paue geschrieben: „Da die Antragsteller behaupten, die vorgeschlagene Teilung Böhmens sei das geeignetste Mittel, den nationalen Frieden im Königreiche Böhmen herzustellen, so dürfte ihr Antrag jedenfalls einer eingehenden sach¬ lichen Prüfung unterzogen werden, in welchem Umstände unsre deutschen Mit¬ bürger nicht nur einen Achtuugsbeweis für die Opposition, sondern auch eme ernsthafte Demonstration für den nationalen Frieden erblicken und diesen Re des Entgegenkommens von diesem Standpunkte aus beurteilen mögen ^etzt sah man, was dieses Phrasengeklingel von Versöhnung und Rücksichtnahme aus Seiten der Mehrheit wert war. Sie that einfach, was die extremsten ver Tschechen in den „Narodny Lisei" verlangt hatten, als sie hier erklärten, der Pierersche Antrag dürfe garnicht zu einer Vorberatung in der Kommission ge¬ langen, sondern müsse „sofort zertreten werden wie ein Skorpion."ten Aber nicht fo sehr gegen die unerhört schroffe Behandlung der deusch Minderheit Vonseiten der tschechisch-feudalen Mehrheit, als gegen das ganze ver¬ fahren der Regierung im nationalen Kampfe richtete sich der Auszug der Linken aus der böhmischen Landtagsstube. Jene grobe Tyrannei stieß nur dem ^asse den Boden aus. welches die Taaffeschen und Prazakschen Verordnungen mit Bitterkeit bis zum Rande gefüllt hatten. Die Regierung hat auf dem ^ege dieser Verordnungen Thatsachen geschaffen, die auf parlamentarischem Wege nicht so schnell und nur unter heftigen Erschütterungen durchgesetzt worden wären. Sie behauptete, ihr Vorgehen sei durchaus gesetzmäßig. Die Oppo¬ sition bestritt dies mit guten Gründen, und Männer vom höchsten Mistigen Ansehen schlössen sich dieser Meinung an. Im Hinblick auf jene Thatsachen und in der gerechtfertigten Befürchtung, daß ihnen ähnliche folgen wurden thaten die Vertreter Dcutschböhmens ihren Schritt. Ein Hausbesitzer wollte caua auf seinem Grund und Boden einen Neubau ausführen, konnte aber dazu nicht die erforderliche Bewilligung erlangen. Was that er da? Er ver chaffte sich die Erlaubnis zum Umbau erst des einen, dann des andern Teiles seines alten Hauses und begann damit, und siehe da. als die Gerüste von den Arbeitn entfernt wurden, stand ein völlig neues Gebäude da, ganz das, welches er ur- sprünglich im Sinne gehabt hatte. Genau dasselbe ist in unserm Falle zu erwarten, wenn es so fortgeht. Graf Hohenwart entwickelte 1871 in keinen Fuudamentalartikeln einen Plan zu einem föderalistischen Neubau Österreichs, konnte ihn aber, da er mit ihm allgemeiner Entrüstung der Deutschen begegnete nicht ausführen. Seitdem baut man bald oben, bald unten, bald vorn, bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/315>, abgerufen am 17.09.2024.