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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

auf Erfüllung. Schon giebt es denkende Politiker auch unter den Tschechen,
die ihn wenigstens für diskutirbar erklären. Nur verlangen sie ein Kompromiß:
Dentschböhmen soll mit tschechischer Amtirung verschont und dafür soll den
Tschechen hinfort nicht mehr zugemutet werde", Deutsch zu lernen. Das wäre
ein Verzicht auf die Staatssprache, und es fragt sich vielleicht nicht mehr lange,
ob die Deutschen, die keine andre Rettung sehen, sich entscheiden sollen, auf einen
solchen Vertrag einzugehen. Noch ist es nicht soweit, da einerseits die Mehr¬
heit der Deutschen noch nicht dahin gekommen ist, sich mehr als solche denn
als Österreicher zu fühlen und das Interesse der Nationalität über das des
Reiches zu stellen, und da anderseits jene Denkenden unter den Tschechen noch
die Minderheit derselben bilden.

Das letztere zeigte sich deutlich in der Behandlung, welche der Zwciteilungs-
gedcmke während der letzten Jahre im böhmischen Landtage erfuhr. Am 22. De¬
zember 1884 wurde dieser Gedanke hier zum erstenmale vorgetragen, indem der
Abgeordnete Herbst den von ihm und sechzig Genossen eingebrachten Antrag
auf möglichst gleichartige nationale Abgrenzung sämtlicher Bezirke Böhmens
begründete. Die Einteilung des Landes in Gerichtssprcngel nimmt, so sagte
der Redner, sehr wenig auf die nationalen Verhältnisse Rücksicht. Indes sind
mindestens drei Viertel der Bezirke in der Art einheitlich organisirt, daß in
denselben nur Gemeinden einer und derselben Nationalität vorkommen, was
beweist, daß die sprachlichen und nationalen Gebiete der Provinz von Natur
und Geschichte weit schärfer abgegrenzt sind, als man vielfach glaubt. Daneben
aber sind durch die Organisation von 1850 ohne Not sprachlich gemischte Be¬
zirke geschaffen worden, ja man begegnet der merkwürdigen Erscheinung, daß
eine Reihe derselben, und zwar gerade die, in welchen nicht bloß eine oder einige,
sondern viele Gemeinden der zweiten Nationalität vorkommen, dieselben also
denen der ersten an Zahl nahezu die Wage halten, von der sprachlichen Grenze
in zwei Teile zerschnitten werden. (Beispiele habe ich im fünften Briefe ange¬
führt.) Es ergiebt sich daraus, daß es fast gar keine Schwierigkeit haben würde,
die Bezirke nach Sprachgrenzen umzugestalten. Dies wird dadurch bestätigt,
daß das Land bereits auf dem Gebiete des Schulwesens nach solchen Gesichts¬
punkten gegliedert worden ist, und zwar in vollständig befriedigender Weise.
Mit Ausnahme Prags gehört jede böhmische Gemeinde entweder zu einem deutschen
oder zu einem tschechischen Schulbezirke. 1883 zählte man 1952 Volksschulen
mit deutscher und 2518 mit tschechischer Unterrichtssprache, und von jenen waren
nur 22 in tschechischen, von diesen nur 8 in deutschen Schulbezirken. Was aber
hier erreichbar war und hier zur Erhaltung des Friedens diente, ist ohne Zweifel
auch auf andern: Gebiete möglich. Ich kann darauf verzichten, die vielen andern
Gründe, mit denen Herbst seinen Antrag empfahl, hier anzuführen, da sie im
wesentlichen im fünften dieser Briefe mitgeteilt worden sind, und berichte nur,
daß das Verlangen der deutschen Abgeordneten zur Vorberatung an die Kom-


Deutsch-böhmische Briefe.

auf Erfüllung. Schon giebt es denkende Politiker auch unter den Tschechen,
die ihn wenigstens für diskutirbar erklären. Nur verlangen sie ein Kompromiß:
Dentschböhmen soll mit tschechischer Amtirung verschont und dafür soll den
Tschechen hinfort nicht mehr zugemutet werde», Deutsch zu lernen. Das wäre
ein Verzicht auf die Staatssprache, und es fragt sich vielleicht nicht mehr lange,
ob die Deutschen, die keine andre Rettung sehen, sich entscheiden sollen, auf einen
solchen Vertrag einzugehen. Noch ist es nicht soweit, da einerseits die Mehr¬
heit der Deutschen noch nicht dahin gekommen ist, sich mehr als solche denn
als Österreicher zu fühlen und das Interesse der Nationalität über das des
Reiches zu stellen, und da anderseits jene Denkenden unter den Tschechen noch
die Minderheit derselben bilden.

Das letztere zeigte sich deutlich in der Behandlung, welche der Zwciteilungs-
gedcmke während der letzten Jahre im böhmischen Landtage erfuhr. Am 22. De¬
zember 1884 wurde dieser Gedanke hier zum erstenmale vorgetragen, indem der
Abgeordnete Herbst den von ihm und sechzig Genossen eingebrachten Antrag
auf möglichst gleichartige nationale Abgrenzung sämtlicher Bezirke Böhmens
begründete. Die Einteilung des Landes in Gerichtssprcngel nimmt, so sagte
der Redner, sehr wenig auf die nationalen Verhältnisse Rücksicht. Indes sind
mindestens drei Viertel der Bezirke in der Art einheitlich organisirt, daß in
denselben nur Gemeinden einer und derselben Nationalität vorkommen, was
beweist, daß die sprachlichen und nationalen Gebiete der Provinz von Natur
und Geschichte weit schärfer abgegrenzt sind, als man vielfach glaubt. Daneben
aber sind durch die Organisation von 1850 ohne Not sprachlich gemischte Be¬
zirke geschaffen worden, ja man begegnet der merkwürdigen Erscheinung, daß
eine Reihe derselben, und zwar gerade die, in welchen nicht bloß eine oder einige,
sondern viele Gemeinden der zweiten Nationalität vorkommen, dieselben also
denen der ersten an Zahl nahezu die Wage halten, von der sprachlichen Grenze
in zwei Teile zerschnitten werden. (Beispiele habe ich im fünften Briefe ange¬
führt.) Es ergiebt sich daraus, daß es fast gar keine Schwierigkeit haben würde,
die Bezirke nach Sprachgrenzen umzugestalten. Dies wird dadurch bestätigt,
daß das Land bereits auf dem Gebiete des Schulwesens nach solchen Gesichts¬
punkten gegliedert worden ist, und zwar in vollständig befriedigender Weise.
Mit Ausnahme Prags gehört jede böhmische Gemeinde entweder zu einem deutschen
oder zu einem tschechischen Schulbezirke. 1883 zählte man 1952 Volksschulen
mit deutscher und 2518 mit tschechischer Unterrichtssprache, und von jenen waren
nur 22 in tschechischen, von diesen nur 8 in deutschen Schulbezirken. Was aber
hier erreichbar war und hier zur Erhaltung des Friedens diente, ist ohne Zweifel
auch auf andern: Gebiete möglich. Ich kann darauf verzichten, die vielen andern
Gründe, mit denen Herbst seinen Antrag empfahl, hier anzuführen, da sie im
wesentlichen im fünften dieser Briefe mitgeteilt worden sind, und berichte nur,
daß das Verlangen der deutschen Abgeordneten zur Vorberatung an die Kom-


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[0312] Deutsch-böhmische Briefe. auf Erfüllung. Schon giebt es denkende Politiker auch unter den Tschechen, die ihn wenigstens für diskutirbar erklären. Nur verlangen sie ein Kompromiß: Dentschböhmen soll mit tschechischer Amtirung verschont und dafür soll den Tschechen hinfort nicht mehr zugemutet werde», Deutsch zu lernen. Das wäre ein Verzicht auf die Staatssprache, und es fragt sich vielleicht nicht mehr lange, ob die Deutschen, die keine andre Rettung sehen, sich entscheiden sollen, auf einen solchen Vertrag einzugehen. Noch ist es nicht soweit, da einerseits die Mehr¬ heit der Deutschen noch nicht dahin gekommen ist, sich mehr als solche denn als Österreicher zu fühlen und das Interesse der Nationalität über das des Reiches zu stellen, und da anderseits jene Denkenden unter den Tschechen noch die Minderheit derselben bilden. Das letztere zeigte sich deutlich in der Behandlung, welche der Zwciteilungs- gedcmke während der letzten Jahre im böhmischen Landtage erfuhr. Am 22. De¬ zember 1884 wurde dieser Gedanke hier zum erstenmale vorgetragen, indem der Abgeordnete Herbst den von ihm und sechzig Genossen eingebrachten Antrag auf möglichst gleichartige nationale Abgrenzung sämtlicher Bezirke Böhmens begründete. Die Einteilung des Landes in Gerichtssprcngel nimmt, so sagte der Redner, sehr wenig auf die nationalen Verhältnisse Rücksicht. Indes sind mindestens drei Viertel der Bezirke in der Art einheitlich organisirt, daß in denselben nur Gemeinden einer und derselben Nationalität vorkommen, was beweist, daß die sprachlichen und nationalen Gebiete der Provinz von Natur und Geschichte weit schärfer abgegrenzt sind, als man vielfach glaubt. Daneben aber sind durch die Organisation von 1850 ohne Not sprachlich gemischte Be¬ zirke geschaffen worden, ja man begegnet der merkwürdigen Erscheinung, daß eine Reihe derselben, und zwar gerade die, in welchen nicht bloß eine oder einige, sondern viele Gemeinden der zweiten Nationalität vorkommen, dieselben also denen der ersten an Zahl nahezu die Wage halten, von der sprachlichen Grenze in zwei Teile zerschnitten werden. (Beispiele habe ich im fünften Briefe ange¬ führt.) Es ergiebt sich daraus, daß es fast gar keine Schwierigkeit haben würde, die Bezirke nach Sprachgrenzen umzugestalten. Dies wird dadurch bestätigt, daß das Land bereits auf dem Gebiete des Schulwesens nach solchen Gesichts¬ punkten gegliedert worden ist, und zwar in vollständig befriedigender Weise. Mit Ausnahme Prags gehört jede böhmische Gemeinde entweder zu einem deutschen oder zu einem tschechischen Schulbezirke. 1883 zählte man 1952 Volksschulen mit deutscher und 2518 mit tschechischer Unterrichtssprache, und von jenen waren nur 22 in tschechischen, von diesen nur 8 in deutschen Schulbezirken. Was aber hier erreichbar war und hier zur Erhaltung des Friedens diente, ist ohne Zweifel auch auf andern: Gebiete möglich. Ich kann darauf verzichten, die vielen andern Gründe, mit denen Herbst seinen Antrag empfahl, hier anzuführen, da sie im wesentlichen im fünften dieser Briefe mitgeteilt worden sind, und berichte nur, daß das Verlangen der deutschen Abgeordneten zur Vorberatung an die Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/312>, abgerufen am 17.09.2024.