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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

Im nachstehenden die Geschichte dieses Versuches, das Schicksal der verschiednen
Vorschlüge, mit denen er wiederholt wurde, und weiteres zu seiner Würdigung.
Die Deutschen, welche die administrative Teilung Böhmens in eine deutsche und
eine tschechische Hälfte beantragten, waren nicht die ersten, welche auf Wesen in
der That sehr praktischen Gedanken verfielen. Derselbe ist vielmehr 1848 von
den Tscheche" ausgegangen, die darin ein Vcrteidigungsmittel erblickten. Pa-
lacky stellte damals den bekannten Antrag auf Gruppirung der Provinzen
Österreichs nach Sprachgrenzen und wollte dabei u. a. auch ein Deutschösterreuh
neben einem Tschechovicn. Rieger befürwortete dies am 24. Dezember 1349
mit Schwung und Wärme, indem er sagte: "Die Einteilung Österreichs nach
den bisherigen Provinzen ist nicht mehr zeitgemäß. Ich finde einige zu groß,
andre zu klein. Könnte man eine Abtrennung deutschen Gebietes von Böhmen
glücklich zustande bringen, so würde ich es mit Freuden annehmen; denn der
slawische Böhme will nur selbständig sein, nicht erobern und andre Elemente
unterdrücken. Nimmt man Palackys Vorschlag nicht an, so weiß ich keinen
andern anzugeben und gebe für meine Person die Konstituirung eines einigen
Österreich auf." So der Tschcchenführer Rieger 1849, als seine Partei in der
Defensive stand. Anders jetzt, wo die Deutschen sich zu verteidigen haben und
jene Partei erobern und unterdrücken will, ja bereits thatsächlich damit begonnen
hat. Jetzt weisen er und Gregr mit ihrer Gefolgschaft Vorschläge gleich denen
Palackys schroff zurück. Sie haben 1849 vergessen. Sie wissen trotz ihres
"rechtshistorischen Bewußtseins" auch nichts mehr davon, daß solche Vorschläge
in der Geschichte Böhmens schon einmal Gesetz waren und Jahrhunderte hin¬
durch als solches und als Gewohnheitsrecht die Stellung des deutschen Elements
zum tschechischen bestimmten. Im Sobicslawschen Privilegium, das den Deutsch¬
böhmen um 1175 verliehen wurde, in Wirklichkeit aber nur eine Bestätigung
der Freiheiten war, die Wradislaw II. ihnen hundert Jahre zuvor gewährt hatte,
heißt es: ?1g.oft) nrini, ciuoä sicut iiäonr rsrckovioi sunt as Losnüs n^eiono
ätversi, sie sti-un a IZosniis sorumeius IsZs se ooususwcllns sint äivisi. Diese
imtiouis äivsrsitW und IsZis äivisis geht wie ein roter Faden durch die Rechts-
geschichte Böhmens. Bis ins fünfzehnte Jahrhundert waren hier die Deutschen
und die Tschechen nach Recht und Gesetz streng von einander geschieden, bis
ins fünfzehnte Jahrhundert standen sich hier deutsches Stadtrecht und slawisches
Landrecht gegenüber, und als man die Scheidung tschcchischerseits nicht mehr
wollte, war eine blutige Revolution erforderlich, um die Nationen widernatür¬
lich zusammenzuschweißen. Jetzt dagegen sollte, nachdem die Natur wieder zu
ihrem Rechte gelangt war, die nationale Trennung einfach hinwegdckretirt werden.
In der That, die Sprachenverordnungen, die das bezweckten, waren acht bloß
eine schreiende Ungerechtigkeit, sondern ein grober Verstoß gegen die Lehren der
Geschichte. Die einzige rechte Antwort darauf war der in ganz Dcutschböhmm
wiederhallende Ruf: "Los von Tschechien!" Dieser Ruf ist nicht ganz ohne Aussicht


Deutsch-böhmische Briefe.

Im nachstehenden die Geschichte dieses Versuches, das Schicksal der verschiednen
Vorschlüge, mit denen er wiederholt wurde, und weiteres zu seiner Würdigung.
Die Deutschen, welche die administrative Teilung Böhmens in eine deutsche und
eine tschechische Hälfte beantragten, waren nicht die ersten, welche auf Wesen in
der That sehr praktischen Gedanken verfielen. Derselbe ist vielmehr 1848 von
den Tscheche» ausgegangen, die darin ein Vcrteidigungsmittel erblickten. Pa-
lacky stellte damals den bekannten Antrag auf Gruppirung der Provinzen
Österreichs nach Sprachgrenzen und wollte dabei u. a. auch ein Deutschösterreuh
neben einem Tschechovicn. Rieger befürwortete dies am 24. Dezember 1349
mit Schwung und Wärme, indem er sagte: „Die Einteilung Österreichs nach
den bisherigen Provinzen ist nicht mehr zeitgemäß. Ich finde einige zu groß,
andre zu klein. Könnte man eine Abtrennung deutschen Gebietes von Böhmen
glücklich zustande bringen, so würde ich es mit Freuden annehmen; denn der
slawische Böhme will nur selbständig sein, nicht erobern und andre Elemente
unterdrücken. Nimmt man Palackys Vorschlag nicht an, so weiß ich keinen
andern anzugeben und gebe für meine Person die Konstituirung eines einigen
Österreich auf." So der Tschcchenführer Rieger 1849, als seine Partei in der
Defensive stand. Anders jetzt, wo die Deutschen sich zu verteidigen haben und
jene Partei erobern und unterdrücken will, ja bereits thatsächlich damit begonnen
hat. Jetzt weisen er und Gregr mit ihrer Gefolgschaft Vorschläge gleich denen
Palackys schroff zurück. Sie haben 1849 vergessen. Sie wissen trotz ihres
„rechtshistorischen Bewußtseins" auch nichts mehr davon, daß solche Vorschläge
in der Geschichte Böhmens schon einmal Gesetz waren und Jahrhunderte hin¬
durch als solches und als Gewohnheitsrecht die Stellung des deutschen Elements
zum tschechischen bestimmten. Im Sobicslawschen Privilegium, das den Deutsch¬
böhmen um 1175 verliehen wurde, in Wirklichkeit aber nur eine Bestätigung
der Freiheiten war, die Wradislaw II. ihnen hundert Jahre zuvor gewährt hatte,
heißt es: ?1g.oft) nrini, ciuoä sicut iiäonr rsrckovioi sunt as Losnüs n^eiono
ätversi, sie sti-un a IZosniis sorumeius IsZs se ooususwcllns sint äivisi. Diese
imtiouis äivsrsitW und IsZis äivisis geht wie ein roter Faden durch die Rechts-
geschichte Böhmens. Bis ins fünfzehnte Jahrhundert waren hier die Deutschen
und die Tschechen nach Recht und Gesetz streng von einander geschieden, bis
ins fünfzehnte Jahrhundert standen sich hier deutsches Stadtrecht und slawisches
Landrecht gegenüber, und als man die Scheidung tschcchischerseits nicht mehr
wollte, war eine blutige Revolution erforderlich, um die Nationen widernatür¬
lich zusammenzuschweißen. Jetzt dagegen sollte, nachdem die Natur wieder zu
ihrem Rechte gelangt war, die nationale Trennung einfach hinwegdckretirt werden.
In der That, die Sprachenverordnungen, die das bezweckten, waren acht bloß
eine schreiende Ungerechtigkeit, sondern ein grober Verstoß gegen die Lehren der
Geschichte. Die einzige rechte Antwort darauf war der in ganz Dcutschböhmm
wiederhallende Ruf: „Los von Tschechien!" Dieser Ruf ist nicht ganz ohne Aussicht


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[0311] Deutsch-böhmische Briefe. Im nachstehenden die Geschichte dieses Versuches, das Schicksal der verschiednen Vorschlüge, mit denen er wiederholt wurde, und weiteres zu seiner Würdigung. Die Deutschen, welche die administrative Teilung Böhmens in eine deutsche und eine tschechische Hälfte beantragten, waren nicht die ersten, welche auf Wesen in der That sehr praktischen Gedanken verfielen. Derselbe ist vielmehr 1848 von den Tscheche» ausgegangen, die darin ein Vcrteidigungsmittel erblickten. Pa- lacky stellte damals den bekannten Antrag auf Gruppirung der Provinzen Österreichs nach Sprachgrenzen und wollte dabei u. a. auch ein Deutschösterreuh neben einem Tschechovicn. Rieger befürwortete dies am 24. Dezember 1349 mit Schwung und Wärme, indem er sagte: „Die Einteilung Österreichs nach den bisherigen Provinzen ist nicht mehr zeitgemäß. Ich finde einige zu groß, andre zu klein. Könnte man eine Abtrennung deutschen Gebietes von Böhmen glücklich zustande bringen, so würde ich es mit Freuden annehmen; denn der slawische Böhme will nur selbständig sein, nicht erobern und andre Elemente unterdrücken. Nimmt man Palackys Vorschlag nicht an, so weiß ich keinen andern anzugeben und gebe für meine Person die Konstituirung eines einigen Österreich auf." So der Tschcchenführer Rieger 1849, als seine Partei in der Defensive stand. Anders jetzt, wo die Deutschen sich zu verteidigen haben und jene Partei erobern und unterdrücken will, ja bereits thatsächlich damit begonnen hat. Jetzt weisen er und Gregr mit ihrer Gefolgschaft Vorschläge gleich denen Palackys schroff zurück. Sie haben 1849 vergessen. Sie wissen trotz ihres „rechtshistorischen Bewußtseins" auch nichts mehr davon, daß solche Vorschläge in der Geschichte Böhmens schon einmal Gesetz waren und Jahrhunderte hin¬ durch als solches und als Gewohnheitsrecht die Stellung des deutschen Elements zum tschechischen bestimmten. Im Sobicslawschen Privilegium, das den Deutsch¬ böhmen um 1175 verliehen wurde, in Wirklichkeit aber nur eine Bestätigung der Freiheiten war, die Wradislaw II. ihnen hundert Jahre zuvor gewährt hatte, heißt es: ?1g.oft) nrini, ciuoä sicut iiäonr rsrckovioi sunt as Losnüs n^eiono ätversi, sie sti-un a IZosniis sorumeius IsZs se ooususwcllns sint äivisi. Diese imtiouis äivsrsitW und IsZis äivisis geht wie ein roter Faden durch die Rechts- geschichte Böhmens. Bis ins fünfzehnte Jahrhundert waren hier die Deutschen und die Tschechen nach Recht und Gesetz streng von einander geschieden, bis ins fünfzehnte Jahrhundert standen sich hier deutsches Stadtrecht und slawisches Landrecht gegenüber, und als man die Scheidung tschcchischerseits nicht mehr wollte, war eine blutige Revolution erforderlich, um die Nationen widernatür¬ lich zusammenzuschweißen. Jetzt dagegen sollte, nachdem die Natur wieder zu ihrem Rechte gelangt war, die nationale Trennung einfach hinwegdckretirt werden. In der That, die Sprachenverordnungen, die das bezweckten, waren acht bloß eine schreiende Ungerechtigkeit, sondern ein grober Verstoß gegen die Lehren der Geschichte. Die einzige rechte Antwort darauf war der in ganz Dcutschböhmm wiederhallende Ruf: „Los von Tschechien!" Dieser Ruf ist nicht ganz ohne Aussicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/311>, abgerufen am 17.09.2024.