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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Verlegenheiten im Zentrum.

bergischen Wahlkreise wurde ein Flugblatt an das "katholische Volk" verbreitet,
in welchem es hieß: "Die Gegner haben euch immer den Papst vorgeführt und
gegen das Zentrum ausgespielt. Nun leset aber die neueste Depesche aus Rom,
welche das "Deutsche Volksblatt" erhalten hat: Die Aussage der Münchener
Neuesten Nachrichten, die Veröffentlichung der Briefe Jacobinis sei auf Befehl
des Papstes geschehen, wird von maßgebender Seite als Lüge bezeichnet. In
den dem Papste nahestehenden Kreisen herrscht die Überzeugung, die Veröffent-
lichung der Briefe und die Nachrichten der liberalen Zeitungen beruhen auf
Ränken einer Gruppe von Politikern, welche das Zentrum ruiniren möchten.
Der Papst und seine Ratgeber sind entrüstet über diese Ausbeutung der
Briefe." Im fünften badischen Wahlkreise hielt dessen früherer Vertreter,
Rechtsanwalt Marbe, eine Rede, in welcher er nach der Behauptung, Herr
v. Franckenstein sei nicht verpflichtet gewesen, die päpstliche Kundgebung
für das Septennat den Abgeordneten vom Zentrum mitzuteilen, fortfuhr:
"Ich nehme aber keinen Anstand, zu erklären, daß, wenn ich hiervon auch
Kenntnis gehabt hätte, ich mich in meinem Votum nicht hätte anders bestimmen
lassen. In allem, was meinen heiligen Glauben und mein religiöses Leben
anbelangt, bin ich dem Papste in Rom gern zugethan und unterworfen. Aber
in dem, was nicht mit den Geboten Gottes und der Kirche zusammenhängt,
fühle ich mich vollkommen frei und unabhängig." Die päpstliche Äußerung
schloß zweifellos eine Mißbilligung des destruktiven Treibens des Zentrums
ein, und sie als Übergriff in ein Gebiet zu behandeln, wo der heilige Vater
nichts zu sagen hat, war eine Dreistigkeit, die bei einem Advokaten nicht Wunder
nimmt; daß diese Verdrehung der Jacobinischen Schreiben aber unter den Augen
des Erzbischofs von Freiburg vorgenommen wurde, ohne daß dieser ein Wort
fand, um dagegen Verwahrung einzulegen und der Wahrheit ihr Recht zu
schaffen, gab zu denken. Als letzte Probe dieser Wahlagitation antipäpstlicher
Katholiken teilen wir einige Sätze aus einem damals im ersten nassauischen
Wahlkreise verteilten Flugblatte mit. Es hieß da: "Ein Mann der Volks¬
majorität oder einer der Bismarckmajorität ist die Parole____ Die Gegner
führen ihren Kandidaten als guten Katholiken ein und haben sich gegen den
Dekan Wolf (den Kandidaten der Ultramontanen) ans Bischof und Papst be¬
rufen. Als ob dies in politischen Fragen in Deutschland maßgebende Instanzen
wären! Dieselben Leute haben mit jeder bürgerlichen Freiheit auch die Ge¬
wissensfreiheit preisgegeben und laufen jetzt der Macht nach, gegen die sie
früher so hohe Worte machten." Mündlich sprach sich die Geringschätzung der
ultramontanen Demokratie über den heiligen Vater, der nicht ihrer Meinung
war und ihr nicht den Willen that, noch viel gröber aus. Im badischen Orte
Heitersheim drückte im Wirtshause ein Lehrer dem Vikar Vögtle aus Ball¬
rechten sein Erstaunen aus, daß die katholische Geistlichkeit so eifrig gegen das
Septennat agitire, obwohl der Papst dessen Bewilligung wünsche und Bischöfe


Verlegenheiten im Zentrum.

bergischen Wahlkreise wurde ein Flugblatt an das „katholische Volk" verbreitet,
in welchem es hieß: „Die Gegner haben euch immer den Papst vorgeführt und
gegen das Zentrum ausgespielt. Nun leset aber die neueste Depesche aus Rom,
welche das »Deutsche Volksblatt« erhalten hat: Die Aussage der Münchener
Neuesten Nachrichten, die Veröffentlichung der Briefe Jacobinis sei auf Befehl
des Papstes geschehen, wird von maßgebender Seite als Lüge bezeichnet. In
den dem Papste nahestehenden Kreisen herrscht die Überzeugung, die Veröffent-
lichung der Briefe und die Nachrichten der liberalen Zeitungen beruhen auf
Ränken einer Gruppe von Politikern, welche das Zentrum ruiniren möchten.
Der Papst und seine Ratgeber sind entrüstet über diese Ausbeutung der
Briefe." Im fünften badischen Wahlkreise hielt dessen früherer Vertreter,
Rechtsanwalt Marbe, eine Rede, in welcher er nach der Behauptung, Herr
v. Franckenstein sei nicht verpflichtet gewesen, die päpstliche Kundgebung
für das Septennat den Abgeordneten vom Zentrum mitzuteilen, fortfuhr:
„Ich nehme aber keinen Anstand, zu erklären, daß, wenn ich hiervon auch
Kenntnis gehabt hätte, ich mich in meinem Votum nicht hätte anders bestimmen
lassen. In allem, was meinen heiligen Glauben und mein religiöses Leben
anbelangt, bin ich dem Papste in Rom gern zugethan und unterworfen. Aber
in dem, was nicht mit den Geboten Gottes und der Kirche zusammenhängt,
fühle ich mich vollkommen frei und unabhängig." Die päpstliche Äußerung
schloß zweifellos eine Mißbilligung des destruktiven Treibens des Zentrums
ein, und sie als Übergriff in ein Gebiet zu behandeln, wo der heilige Vater
nichts zu sagen hat, war eine Dreistigkeit, die bei einem Advokaten nicht Wunder
nimmt; daß diese Verdrehung der Jacobinischen Schreiben aber unter den Augen
des Erzbischofs von Freiburg vorgenommen wurde, ohne daß dieser ein Wort
fand, um dagegen Verwahrung einzulegen und der Wahrheit ihr Recht zu
schaffen, gab zu denken. Als letzte Probe dieser Wahlagitation antipäpstlicher
Katholiken teilen wir einige Sätze aus einem damals im ersten nassauischen
Wahlkreise verteilten Flugblatte mit. Es hieß da: „Ein Mann der Volks¬
majorität oder einer der Bismarckmajorität ist die Parole____ Die Gegner
führen ihren Kandidaten als guten Katholiken ein und haben sich gegen den
Dekan Wolf (den Kandidaten der Ultramontanen) ans Bischof und Papst be¬
rufen. Als ob dies in politischen Fragen in Deutschland maßgebende Instanzen
wären! Dieselben Leute haben mit jeder bürgerlichen Freiheit auch die Ge¬
wissensfreiheit preisgegeben und laufen jetzt der Macht nach, gegen die sie
früher so hohe Worte machten." Mündlich sprach sich die Geringschätzung der
ultramontanen Demokratie über den heiligen Vater, der nicht ihrer Meinung
war und ihr nicht den Willen that, noch viel gröber aus. Im badischen Orte
Heitersheim drückte im Wirtshause ein Lehrer dem Vikar Vögtle aus Ball¬
rechten sein Erstaunen aus, daß die katholische Geistlichkeit so eifrig gegen das
Septennat agitire, obwohl der Papst dessen Bewilligung wünsche und Bischöfe


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[0308] Verlegenheiten im Zentrum. bergischen Wahlkreise wurde ein Flugblatt an das „katholische Volk" verbreitet, in welchem es hieß: „Die Gegner haben euch immer den Papst vorgeführt und gegen das Zentrum ausgespielt. Nun leset aber die neueste Depesche aus Rom, welche das »Deutsche Volksblatt« erhalten hat: Die Aussage der Münchener Neuesten Nachrichten, die Veröffentlichung der Briefe Jacobinis sei auf Befehl des Papstes geschehen, wird von maßgebender Seite als Lüge bezeichnet. In den dem Papste nahestehenden Kreisen herrscht die Überzeugung, die Veröffent- lichung der Briefe und die Nachrichten der liberalen Zeitungen beruhen auf Ränken einer Gruppe von Politikern, welche das Zentrum ruiniren möchten. Der Papst und seine Ratgeber sind entrüstet über diese Ausbeutung der Briefe." Im fünften badischen Wahlkreise hielt dessen früherer Vertreter, Rechtsanwalt Marbe, eine Rede, in welcher er nach der Behauptung, Herr v. Franckenstein sei nicht verpflichtet gewesen, die päpstliche Kundgebung für das Septennat den Abgeordneten vom Zentrum mitzuteilen, fortfuhr: „Ich nehme aber keinen Anstand, zu erklären, daß, wenn ich hiervon auch Kenntnis gehabt hätte, ich mich in meinem Votum nicht hätte anders bestimmen lassen. In allem, was meinen heiligen Glauben und mein religiöses Leben anbelangt, bin ich dem Papste in Rom gern zugethan und unterworfen. Aber in dem, was nicht mit den Geboten Gottes und der Kirche zusammenhängt, fühle ich mich vollkommen frei und unabhängig." Die päpstliche Äußerung schloß zweifellos eine Mißbilligung des destruktiven Treibens des Zentrums ein, und sie als Übergriff in ein Gebiet zu behandeln, wo der heilige Vater nichts zu sagen hat, war eine Dreistigkeit, die bei einem Advokaten nicht Wunder nimmt; daß diese Verdrehung der Jacobinischen Schreiben aber unter den Augen des Erzbischofs von Freiburg vorgenommen wurde, ohne daß dieser ein Wort fand, um dagegen Verwahrung einzulegen und der Wahrheit ihr Recht zu schaffen, gab zu denken. Als letzte Probe dieser Wahlagitation antipäpstlicher Katholiken teilen wir einige Sätze aus einem damals im ersten nassauischen Wahlkreise verteilten Flugblatte mit. Es hieß da: „Ein Mann der Volks¬ majorität oder einer der Bismarckmajorität ist die Parole____ Die Gegner führen ihren Kandidaten als guten Katholiken ein und haben sich gegen den Dekan Wolf (den Kandidaten der Ultramontanen) ans Bischof und Papst be¬ rufen. Als ob dies in politischen Fragen in Deutschland maßgebende Instanzen wären! Dieselben Leute haben mit jeder bürgerlichen Freiheit auch die Ge¬ wissensfreiheit preisgegeben und laufen jetzt der Macht nach, gegen die sie früher so hohe Worte machten." Mündlich sprach sich die Geringschätzung der ultramontanen Demokratie über den heiligen Vater, der nicht ihrer Meinung war und ihr nicht den Willen that, noch viel gröber aus. Im badischen Orte Heitersheim drückte im Wirtshause ein Lehrer dem Vikar Vögtle aus Ball¬ rechten sein Erstaunen aus, daß die katholische Geistlichkeit so eifrig gegen das Septennat agitire, obwohl der Papst dessen Bewilligung wünsche und Bischöfe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/308>, abgerufen am 17.09.2024.