Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jugenderinnerungen.

Es dürfte nicht überflüssig sein, an dieser Stelle einige Worte über den
Unterricht auf Gymnasien im allgemeinen beizufügen. Wie schon bemerkt, lag
damals der Schwerpunkt alles Unterrichts auf gelehrten Schulen ausschließlich
auf Erlernung der alten Kultursprachen. Ueberhaupt lebte der Gymnasiast von
damals weit mehr unter Griechen und Römern als unter modernen Mensche".
Wir standen mit den Weisen des Altertums auf und gingen mit ihnen zu
Bette; wir dachten weit mehr Römisch und Griechisch als Deutsch, wie denn
auch die deutsche Sprache als neuere Kultursprache eine ziemlich stiefmütterliche
Behandlung erfuhr. Ich wüßte nicht, daß irgend einer von uns jemals wegen
seiner Aussprache des Deutschen, mit der wir es uns sehr bequem machten
getadelt worden wäre. Selbst grobe Verstöße gegen die deutsche Grammatik,
die bei dem gewohnten nachlässigen Sprechen nicht ausbleiben konnten, wurden
von den Lehrern nicht ernsthaft gerügt, sondern höchstens belächelt. Dagegen
erging es uns sehr schlecht bei jedem Schnitzer, der sich in ein lateinisches oder
griechisches Skriptum einfchlich. Wem das wiederholt begegnete, der wurde
vor allen seinen Mitschülern jämmeilich heruntergemacht und möglicherweise
ohne weiteres entweder für einen Faulenzer oder schlechtweg für einen Unbe¬
fähigten erklärt, an dem Hopfen und Malz verloren sei.

Es kommt mir gewiß nicht in den Sinn, eine klassische Gymnastalb.ldung
niedrig anzuschlagen, mich dünkt aber, weises Maßhalten sei auch hier sehr zu
empfehlen. So lange ich die gelehrte Schule besuchte, that man aber darin
nach meinem Dafürhalten des Guten viel zu viel. Von allen, die sich auf
unsrer Schule auf die Universität vorbereiteten, wollten höchstens drei oder
vier sich im engern Sinne der Philologie widmen, wir wurden aber alle unter¬
richtet, als ob wir lauter Philologen werden wollten. Es war das jedenfalls
ein Fehler, dessen Folgen dann die meisten von uns im praktischen Leben recht
schmerzlich empfunden haben. Wir lernten lateinische und griechische Verse nach
allen Regeln der Prosodie bauen -- ich habe deren viele Hunderte geschmiedet --,
ohne deshalb Dichter zu werden, ob wir aber gute deutsche Prosa schriebett
oder auch nur die alleroberflächlichste Kenntnis der französischen Sprache uns
aneigneten, darnach ward nie gefragt. Die Verblendung der Erwachsenen und
sonst ganz gescheiter Leute in dieser Beziehung ging so weit, daß mir die
eignen Verwandte", Gelehrte alten Stils und gewaltig stolz auf ihr klassisches
Wissen, in allem Ernste versicherten, Französisch sei eine Sprache für Kaufleute
und für den wahren Gelehrten von gar keinem Wert. Wer sich nur gründlich
des Lateinischen bemächtige, brauche sich um alle neuern Sprachen nicht zu
kümmern.

(Hier brechen die Aufzeichnungen Ernst Willkomms ab.)




Jugenderinnerungen.

Es dürfte nicht überflüssig sein, an dieser Stelle einige Worte über den
Unterricht auf Gymnasien im allgemeinen beizufügen. Wie schon bemerkt, lag
damals der Schwerpunkt alles Unterrichts auf gelehrten Schulen ausschließlich
auf Erlernung der alten Kultursprachen. Ueberhaupt lebte der Gymnasiast von
damals weit mehr unter Griechen und Römern als unter modernen Mensche».
Wir standen mit den Weisen des Altertums auf und gingen mit ihnen zu
Bette; wir dachten weit mehr Römisch und Griechisch als Deutsch, wie denn
auch die deutsche Sprache als neuere Kultursprache eine ziemlich stiefmütterliche
Behandlung erfuhr. Ich wüßte nicht, daß irgend einer von uns jemals wegen
seiner Aussprache des Deutschen, mit der wir es uns sehr bequem machten
getadelt worden wäre. Selbst grobe Verstöße gegen die deutsche Grammatik,
die bei dem gewohnten nachlässigen Sprechen nicht ausbleiben konnten, wurden
von den Lehrern nicht ernsthaft gerügt, sondern höchstens belächelt. Dagegen
erging es uns sehr schlecht bei jedem Schnitzer, der sich in ein lateinisches oder
griechisches Skriptum einfchlich. Wem das wiederholt begegnete, der wurde
vor allen seinen Mitschülern jämmeilich heruntergemacht und möglicherweise
ohne weiteres entweder für einen Faulenzer oder schlechtweg für einen Unbe¬
fähigten erklärt, an dem Hopfen und Malz verloren sei.

Es kommt mir gewiß nicht in den Sinn, eine klassische Gymnastalb.ldung
niedrig anzuschlagen, mich dünkt aber, weises Maßhalten sei auch hier sehr zu
empfehlen. So lange ich die gelehrte Schule besuchte, that man aber darin
nach meinem Dafürhalten des Guten viel zu viel. Von allen, die sich auf
unsrer Schule auf die Universität vorbereiteten, wollten höchstens drei oder
vier sich im engern Sinne der Philologie widmen, wir wurden aber alle unter¬
richtet, als ob wir lauter Philologen werden wollten. Es war das jedenfalls
ein Fehler, dessen Folgen dann die meisten von uns im praktischen Leben recht
schmerzlich empfunden haben. Wir lernten lateinische und griechische Verse nach
allen Regeln der Prosodie bauen — ich habe deren viele Hunderte geschmiedet —,
ohne deshalb Dichter zu werden, ob wir aber gute deutsche Prosa schriebett
oder auch nur die alleroberflächlichste Kenntnis der französischen Sprache uns
aneigneten, darnach ward nie gefragt. Die Verblendung der Erwachsenen und
sonst ganz gescheiter Leute in dieser Beziehung ging so weit, daß mir die
eignen Verwandte», Gelehrte alten Stils und gewaltig stolz auf ihr klassisches
Wissen, in allem Ernste versicherten, Französisch sei eine Sprache für Kaufleute
und für den wahren Gelehrten von gar keinem Wert. Wer sich nur gründlich
des Lateinischen bemächtige, brauche sich um alle neuern Sprachen nicht zu
kümmern.

(Hier brechen die Aufzeichnungen Ernst Willkomms ab.)




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288756"/>
          <fw type="header" place="top"> Jugenderinnerungen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_899"> Es dürfte nicht überflüssig sein, an dieser Stelle einige Worte über den<lb/>
Unterricht auf Gymnasien im allgemeinen beizufügen. Wie schon bemerkt, lag<lb/>
damals der Schwerpunkt alles Unterrichts auf gelehrten Schulen ausschließlich<lb/>
auf Erlernung der alten Kultursprachen. Ueberhaupt lebte der Gymnasiast von<lb/>
damals weit mehr unter Griechen und Römern als unter modernen Mensche».<lb/>
Wir standen mit den Weisen des Altertums auf und gingen mit ihnen zu<lb/>
Bette; wir dachten weit mehr Römisch und Griechisch als Deutsch, wie denn<lb/>
auch die deutsche Sprache als neuere Kultursprache eine ziemlich stiefmütterliche<lb/>
Behandlung erfuhr. Ich wüßte nicht, daß irgend einer von uns jemals wegen<lb/>
seiner Aussprache des Deutschen, mit der wir es uns sehr bequem machten<lb/>
getadelt worden wäre. Selbst grobe Verstöße gegen die deutsche Grammatik,<lb/>
die bei dem gewohnten nachlässigen Sprechen nicht ausbleiben konnten, wurden<lb/>
von den Lehrern nicht ernsthaft gerügt, sondern höchstens belächelt. Dagegen<lb/>
erging es uns sehr schlecht bei jedem Schnitzer, der sich in ein lateinisches oder<lb/>
griechisches Skriptum einfchlich. Wem das wiederholt begegnete, der wurde<lb/>
vor allen seinen Mitschülern jämmeilich heruntergemacht und möglicherweise<lb/>
ohne weiteres entweder für einen Faulenzer oder schlechtweg für einen Unbe¬<lb/>
fähigten erklärt, an dem Hopfen und Malz verloren sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_900"> Es kommt mir gewiß nicht in den Sinn, eine klassische Gymnastalb.ldung<lb/>
niedrig anzuschlagen, mich dünkt aber, weises Maßhalten sei auch hier sehr zu<lb/>
empfehlen. So lange ich die gelehrte Schule besuchte, that man aber darin<lb/>
nach meinem Dafürhalten des Guten viel zu viel. Von allen, die sich auf<lb/>
unsrer Schule auf die Universität vorbereiteten, wollten höchstens drei oder<lb/>
vier sich im engern Sinne der Philologie widmen, wir wurden aber alle unter¬<lb/>
richtet, als ob wir lauter Philologen werden wollten. Es war das jedenfalls<lb/>
ein Fehler, dessen Folgen dann die meisten von uns im praktischen Leben recht<lb/>
schmerzlich empfunden haben. Wir lernten lateinische und griechische Verse nach<lb/>
allen Regeln der Prosodie bauen &#x2014; ich habe deren viele Hunderte geschmiedet &#x2014;,<lb/>
ohne deshalb Dichter zu werden, ob wir aber gute deutsche Prosa schriebett<lb/>
oder auch nur die alleroberflächlichste Kenntnis der französischen Sprache uns<lb/>
aneigneten, darnach ward nie gefragt. Die Verblendung der Erwachsenen und<lb/>
sonst ganz gescheiter Leute in dieser Beziehung ging so weit, daß mir die<lb/>
eignen Verwandte», Gelehrte alten Stils und gewaltig stolz auf ihr klassisches<lb/>
Wissen, in allem Ernste versicherten, Französisch sei eine Sprache für Kaufleute<lb/>
und für den wahren Gelehrten von gar keinem Wert. Wer sich nur gründlich<lb/>
des Lateinischen bemächtige, brauche sich um alle neuern Sprachen nicht zu<lb/>
kümmern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_901"> (Hier brechen die Aufzeichnungen Ernst Willkomms ab.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] Jugenderinnerungen. Es dürfte nicht überflüssig sein, an dieser Stelle einige Worte über den Unterricht auf Gymnasien im allgemeinen beizufügen. Wie schon bemerkt, lag damals der Schwerpunkt alles Unterrichts auf gelehrten Schulen ausschließlich auf Erlernung der alten Kultursprachen. Ueberhaupt lebte der Gymnasiast von damals weit mehr unter Griechen und Römern als unter modernen Mensche». Wir standen mit den Weisen des Altertums auf und gingen mit ihnen zu Bette; wir dachten weit mehr Römisch und Griechisch als Deutsch, wie denn auch die deutsche Sprache als neuere Kultursprache eine ziemlich stiefmütterliche Behandlung erfuhr. Ich wüßte nicht, daß irgend einer von uns jemals wegen seiner Aussprache des Deutschen, mit der wir es uns sehr bequem machten getadelt worden wäre. Selbst grobe Verstöße gegen die deutsche Grammatik, die bei dem gewohnten nachlässigen Sprechen nicht ausbleiben konnten, wurden von den Lehrern nicht ernsthaft gerügt, sondern höchstens belächelt. Dagegen erging es uns sehr schlecht bei jedem Schnitzer, der sich in ein lateinisches oder griechisches Skriptum einfchlich. Wem das wiederholt begegnete, der wurde vor allen seinen Mitschülern jämmeilich heruntergemacht und möglicherweise ohne weiteres entweder für einen Faulenzer oder schlechtweg für einen Unbe¬ fähigten erklärt, an dem Hopfen und Malz verloren sei. Es kommt mir gewiß nicht in den Sinn, eine klassische Gymnastalb.ldung niedrig anzuschlagen, mich dünkt aber, weises Maßhalten sei auch hier sehr zu empfehlen. So lange ich die gelehrte Schule besuchte, that man aber darin nach meinem Dafürhalten des Guten viel zu viel. Von allen, die sich auf unsrer Schule auf die Universität vorbereiteten, wollten höchstens drei oder vier sich im engern Sinne der Philologie widmen, wir wurden aber alle unter¬ richtet, als ob wir lauter Philologen werden wollten. Es war das jedenfalls ein Fehler, dessen Folgen dann die meisten von uns im praktischen Leben recht schmerzlich empfunden haben. Wir lernten lateinische und griechische Verse nach allen Regeln der Prosodie bauen — ich habe deren viele Hunderte geschmiedet —, ohne deshalb Dichter zu werden, ob wir aber gute deutsche Prosa schriebett oder auch nur die alleroberflächlichste Kenntnis der französischen Sprache uns aneigneten, darnach ward nie gefragt. Die Verblendung der Erwachsenen und sonst ganz gescheiter Leute in dieser Beziehung ging so weit, daß mir die eignen Verwandte», Gelehrte alten Stils und gewaltig stolz auf ihr klassisches Wissen, in allem Ernste versicherten, Französisch sei eine Sprache für Kaufleute und für den wahren Gelehrten von gar keinem Wert. Wer sich nur gründlich des Lateinischen bemächtige, brauche sich um alle neuern Sprachen nicht zu kümmern. (Hier brechen die Aufzeichnungen Ernst Willkomms ab.)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/303>, abgerufen am 17.09.2024.