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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

dem Vortrage Nutzen ziehen zu können. Es wurden deshalb allerhand Allotria
getrieben. Um diesem Übelstande zu steuern, erlaubten sich einzelne Oberprimaner
auf ihre Art die Schuldisziplin zu handhaben, rannten mitten in der Stunde
scheltend in der Klasse auf und ab und machten damit das Übel nur noch
ärger. Kurz, es riß in manchen Stunden ein heilloser Wirrwarr ein, der auf
die Dauer von den nachteiligsten Folgen sein mußte. Lockerte sich aber die
Disziplin demi Korrektor durch allzu große Milde, so verdarb es der Sub-
rektor durch seine Derbheit, die nicht selten in einfache Grobheit umschlug. Die
Schiller hatten vor seinen Ausfällen und originellen, oft mehr als zu derben
Ausdrücken wohl eine gewisse Furcht, trieben aber hinter seinem Rücken doch
argen Unfug, der in den meisten Fällen nicht von ihm bemerkt wurde.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange die direktorlose Zeit des
Gymnasiums dauerte. Sie endigte mit Einführung des Direktor Lindemann,
dem der Ruf eines gewiegten Schulmannes und gründlichen Kenners der alten
Sprachen vorausging, auf welche das meiste Gewicht gelegt wurde; denn klassisch,
ausschließlich klassisch war und sollte in meiner Jugend alle Gymnasial¬
bildung sein.

Der neue Direktor war ein stattlicher Mann, dessen sicheres Auftreten den
Schülern Respekt einflößte. Mit anerkennenswerter Energie führte er ein ganz
andres Regiment ein, veränderte den althergebrachten Lehrplan, ordnete die An¬
schaffung neuer Grammatiker und bestimmter Ausgaben der Klassiker an, die in
den verschiednen Klassen von Obertertia bis Oberprima nach einem gewissen
System gelesen werden sollten. Das war gewiß sehr löblich, fand aber keines¬
wegs die allgemeine Beistimmung weder der ältern Lehrer noch der Eltern,
welche ihre Söhne dem Gymnasium zur Ausbildung anvertraut hatten. Jene
waren gleichsam verwachsen mit den alten Grammatiker und mußten sich in
die neuen, ganz anders eingekeilten und abgefaßten erst einstudiren, was bei
Männern reiferen Alters, die ihr Fach doch auch zu kenne" vermeinten und
dem neuen Direktor, wenn nicht an Wissen, so doch an Jahren und an Er¬
fahrung überlegen waren, immer einige Schwierigkeiten machte; diese fanden,
daß man durch Anschaffung neuer Bücher ihnen unnütze Kosten verursache.
Bisher hatte man bei dem einzigen Antiquar der Stadt für wenige Groschen
den ganzen Lernapparat anschaffen können, den ein Gymnasiast brauchte. Das
ließ sich jetzt nicht mehr thun, denn der neue Direktor verlangte nicht bloß neue
Bücher, sondern auch die neuesten Auflagen der betreffendrn Autoren. Stcreotyp-
Ansgaben kannte man noch nicht.

Alle diese an sich unbedeutenden Neuerungen fanden nur bei Einzelnen
Billigung, bei weitem die Mehrzahl hielt sich darüber auf und lobte das alte
Regiment. Auch im Lehrerpersonal mochte eine entgegengesetzte Strömung vor¬
handen sein, obwohl dein Direktor niemand offenen Widerstand entgegensetzte.
Jedenfalls verlief demselben die erste Zeit seiner Amtsführung nicht ohne heimliche


Jugenderinnerungen.

dem Vortrage Nutzen ziehen zu können. Es wurden deshalb allerhand Allotria
getrieben. Um diesem Übelstande zu steuern, erlaubten sich einzelne Oberprimaner
auf ihre Art die Schuldisziplin zu handhaben, rannten mitten in der Stunde
scheltend in der Klasse auf und ab und machten damit das Übel nur noch
ärger. Kurz, es riß in manchen Stunden ein heilloser Wirrwarr ein, der auf
die Dauer von den nachteiligsten Folgen sein mußte. Lockerte sich aber die
Disziplin demi Korrektor durch allzu große Milde, so verdarb es der Sub-
rektor durch seine Derbheit, die nicht selten in einfache Grobheit umschlug. Die
Schiller hatten vor seinen Ausfällen und originellen, oft mehr als zu derben
Ausdrücken wohl eine gewisse Furcht, trieben aber hinter seinem Rücken doch
argen Unfug, der in den meisten Fällen nicht von ihm bemerkt wurde.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange die direktorlose Zeit des
Gymnasiums dauerte. Sie endigte mit Einführung des Direktor Lindemann,
dem der Ruf eines gewiegten Schulmannes und gründlichen Kenners der alten
Sprachen vorausging, auf welche das meiste Gewicht gelegt wurde; denn klassisch,
ausschließlich klassisch war und sollte in meiner Jugend alle Gymnasial¬
bildung sein.

Der neue Direktor war ein stattlicher Mann, dessen sicheres Auftreten den
Schülern Respekt einflößte. Mit anerkennenswerter Energie führte er ein ganz
andres Regiment ein, veränderte den althergebrachten Lehrplan, ordnete die An¬
schaffung neuer Grammatiker und bestimmter Ausgaben der Klassiker an, die in
den verschiednen Klassen von Obertertia bis Oberprima nach einem gewissen
System gelesen werden sollten. Das war gewiß sehr löblich, fand aber keines¬
wegs die allgemeine Beistimmung weder der ältern Lehrer noch der Eltern,
welche ihre Söhne dem Gymnasium zur Ausbildung anvertraut hatten. Jene
waren gleichsam verwachsen mit den alten Grammatiker und mußten sich in
die neuen, ganz anders eingekeilten und abgefaßten erst einstudiren, was bei
Männern reiferen Alters, die ihr Fach doch auch zu kenne» vermeinten und
dem neuen Direktor, wenn nicht an Wissen, so doch an Jahren und an Er¬
fahrung überlegen waren, immer einige Schwierigkeiten machte; diese fanden,
daß man durch Anschaffung neuer Bücher ihnen unnütze Kosten verursache.
Bisher hatte man bei dem einzigen Antiquar der Stadt für wenige Groschen
den ganzen Lernapparat anschaffen können, den ein Gymnasiast brauchte. Das
ließ sich jetzt nicht mehr thun, denn der neue Direktor verlangte nicht bloß neue
Bücher, sondern auch die neuesten Auflagen der betreffendrn Autoren. Stcreotyp-
Ansgaben kannte man noch nicht.

Alle diese an sich unbedeutenden Neuerungen fanden nur bei Einzelnen
Billigung, bei weitem die Mehrzahl hielt sich darüber auf und lobte das alte
Regiment. Auch im Lehrerpersonal mochte eine entgegengesetzte Strömung vor¬
handen sein, obwohl dein Direktor niemand offenen Widerstand entgegensetzte.
Jedenfalls verlief demselben die erste Zeit seiner Amtsführung nicht ohne heimliche


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[0300] Jugenderinnerungen. dem Vortrage Nutzen ziehen zu können. Es wurden deshalb allerhand Allotria getrieben. Um diesem Übelstande zu steuern, erlaubten sich einzelne Oberprimaner auf ihre Art die Schuldisziplin zu handhaben, rannten mitten in der Stunde scheltend in der Klasse auf und ab und machten damit das Übel nur noch ärger. Kurz, es riß in manchen Stunden ein heilloser Wirrwarr ein, der auf die Dauer von den nachteiligsten Folgen sein mußte. Lockerte sich aber die Disziplin demi Korrektor durch allzu große Milde, so verdarb es der Sub- rektor durch seine Derbheit, die nicht selten in einfache Grobheit umschlug. Die Schiller hatten vor seinen Ausfällen und originellen, oft mehr als zu derben Ausdrücken wohl eine gewisse Furcht, trieben aber hinter seinem Rücken doch argen Unfug, der in den meisten Fällen nicht von ihm bemerkt wurde. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie lange die direktorlose Zeit des Gymnasiums dauerte. Sie endigte mit Einführung des Direktor Lindemann, dem der Ruf eines gewiegten Schulmannes und gründlichen Kenners der alten Sprachen vorausging, auf welche das meiste Gewicht gelegt wurde; denn klassisch, ausschließlich klassisch war und sollte in meiner Jugend alle Gymnasial¬ bildung sein. Der neue Direktor war ein stattlicher Mann, dessen sicheres Auftreten den Schülern Respekt einflößte. Mit anerkennenswerter Energie führte er ein ganz andres Regiment ein, veränderte den althergebrachten Lehrplan, ordnete die An¬ schaffung neuer Grammatiker und bestimmter Ausgaben der Klassiker an, die in den verschiednen Klassen von Obertertia bis Oberprima nach einem gewissen System gelesen werden sollten. Das war gewiß sehr löblich, fand aber keines¬ wegs die allgemeine Beistimmung weder der ältern Lehrer noch der Eltern, welche ihre Söhne dem Gymnasium zur Ausbildung anvertraut hatten. Jene waren gleichsam verwachsen mit den alten Grammatiker und mußten sich in die neuen, ganz anders eingekeilten und abgefaßten erst einstudiren, was bei Männern reiferen Alters, die ihr Fach doch auch zu kenne» vermeinten und dem neuen Direktor, wenn nicht an Wissen, so doch an Jahren und an Er¬ fahrung überlegen waren, immer einige Schwierigkeiten machte; diese fanden, daß man durch Anschaffung neuer Bücher ihnen unnütze Kosten verursache. Bisher hatte man bei dem einzigen Antiquar der Stadt für wenige Groschen den ganzen Lernapparat anschaffen können, den ein Gymnasiast brauchte. Das ließ sich jetzt nicht mehr thun, denn der neue Direktor verlangte nicht bloß neue Bücher, sondern auch die neuesten Auflagen der betreffendrn Autoren. Stcreotyp- Ansgaben kannte man noch nicht. Alle diese an sich unbedeutenden Neuerungen fanden nur bei Einzelnen Billigung, bei weitem die Mehrzahl hielt sich darüber auf und lobte das alte Regiment. Auch im Lehrerpersonal mochte eine entgegengesetzte Strömung vor¬ handen sein, obwohl dein Direktor niemand offenen Widerstand entgegensetzte. Jedenfalls verlief demselben die erste Zeit seiner Amtsführung nicht ohne heimliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/300>, abgerufen am 17.09.2024.