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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Lin fauler Fleck im Gerichtskostengosetz.

Gebühren bestehen bleiben läßt, obgleich die Kosten des Verfahrens von einem
andern übernommen sind. Ein solches Übereinkommen mit dem Gegner ab¬
zuschließen oder nicht abzuschließen liegt im Belieben des Vorschuszpslichtigen;
schließt er es ab, so hat er dafür einzustehen, daß der Gegner die übernommene
Verpflichtung erfüllt. Den Staat schlechthin auf denjenigen zu verweisen, der im
Wege des Vergleichs die Kosten übernommen hat, wäre auch darum bedenklich,
weil die Parteien dadurch leicht verleitet werden könnten, die Übernahme der
Kosten auf denjenigen Teil zu vereinbaren, von dem ein Ersatz nicht oder nur
schwierig zu erlangen ist.

Durchaus verwerflich aber ist die Bestimmung des Z 90, daß die siegende
Partei für den Gebührenvorschuß auch dann haftet, wenn der Gegner rechts¬
kräftig in die Kosten verurteilt worden ist. Für diese Bestimmung läßt sich
schlechterdings kein anständiger Grund, läßt sich kein andrer Grund anführen
als -- das Interesse des Fiskus.

Was ist die Bedeutung oder der Zweck des "Gebührenvorschusses"? Wird
ein Kostenvorschuß für eine Beweisaufnahme gefordert, so ist die Leistung des
Vorschusses Bedingung der Beweisaufnahme. Die Leistung des Gebührenvor¬
schusses dagegen ist -- wenigstens Inländern gegenüber -- niemals Bedingung
der Einleitung oder des Fortganges des gerichtlichen Verfahrens, die Vorschu߬
pflicht soll vielmehr ein Sicherungsmittel gegen mutwilliges Prozessiren sein.
Inwieweit sie wirklich als solches Mittel sich bewährt, kann dahingestellt bleiben,
theoretisch wird gegen dieselbe kaum etwas einzuwenden sein, da, wie eben be¬
merkt worden ist, die Nichtleistung des Vorschusses nicht etwa eine Hemmung
des Verfahrens zur Folge hat, eine unvermögliche Partei durch das Armen¬
recht geschützt ist, und ein vernünftiger Richter auch gegenüber einer nicht gerade
armen, aber auch nicht wohlhabenden Partei, die eine anscheinend gerechte Sache
führt, bei der Beitreibung des Vorschusses mit Schonung vorgehen wird. Aus
dem Begriffe des "Vorschusses" und aus dem Zwecke der Vorschußpflicht in
Verbindung mit dem oben angeführten Z 86 des Gerichtskostengesetzes würde
sich nun ergeben, daß, wenn der Prozeß zu Gunsten der vorschußpslichtigen
Partei rechtskräftig entschieden ist, der geleistete Vorschuß ihr zurückerstattet und,
wenn sie ihn noch nicht geleistet hat, sie von der Verpflichtung zur Leistung
befreit wird; denn es steht nunmehr fest, daß sie nicht mutwillig, sondern mit
vollem Rechte prozessirt hat, und nach K 86 ist es jetzt gewiß, daß die Gegen¬
partei Schuldnerin der Gerichtsgebühr ist.

Der Z 90 aber verfügt das Gegenteil: der geleistete Vorschuß wird der
siegenden Partei nicht zurückgegeben, diese mag vielmehr zusehen, wie sich sich
von dem Gegner Ersatz verschafft, obwohl doch kaum etwas gewisser ist, als
daß sie den Vorschuß nicht für diesen, sondern für sich, für den Fall ihres
eignen Unterliegens geleistet hat. Ja noch mehr: hat sie den Vorschuß nicht
geleistet, so versucht zwar der Staat gemäß Z 86 zunächst die Gebühr von dem


Lin fauler Fleck im Gerichtskostengosetz.

Gebühren bestehen bleiben läßt, obgleich die Kosten des Verfahrens von einem
andern übernommen sind. Ein solches Übereinkommen mit dem Gegner ab¬
zuschließen oder nicht abzuschließen liegt im Belieben des Vorschuszpslichtigen;
schließt er es ab, so hat er dafür einzustehen, daß der Gegner die übernommene
Verpflichtung erfüllt. Den Staat schlechthin auf denjenigen zu verweisen, der im
Wege des Vergleichs die Kosten übernommen hat, wäre auch darum bedenklich,
weil die Parteien dadurch leicht verleitet werden könnten, die Übernahme der
Kosten auf denjenigen Teil zu vereinbaren, von dem ein Ersatz nicht oder nur
schwierig zu erlangen ist.

Durchaus verwerflich aber ist die Bestimmung des Z 90, daß die siegende
Partei für den Gebührenvorschuß auch dann haftet, wenn der Gegner rechts¬
kräftig in die Kosten verurteilt worden ist. Für diese Bestimmung läßt sich
schlechterdings kein anständiger Grund, läßt sich kein andrer Grund anführen
als — das Interesse des Fiskus.

Was ist die Bedeutung oder der Zweck des „Gebührenvorschusses"? Wird
ein Kostenvorschuß für eine Beweisaufnahme gefordert, so ist die Leistung des
Vorschusses Bedingung der Beweisaufnahme. Die Leistung des Gebührenvor¬
schusses dagegen ist — wenigstens Inländern gegenüber — niemals Bedingung
der Einleitung oder des Fortganges des gerichtlichen Verfahrens, die Vorschu߬
pflicht soll vielmehr ein Sicherungsmittel gegen mutwilliges Prozessiren sein.
Inwieweit sie wirklich als solches Mittel sich bewährt, kann dahingestellt bleiben,
theoretisch wird gegen dieselbe kaum etwas einzuwenden sein, da, wie eben be¬
merkt worden ist, die Nichtleistung des Vorschusses nicht etwa eine Hemmung
des Verfahrens zur Folge hat, eine unvermögliche Partei durch das Armen¬
recht geschützt ist, und ein vernünftiger Richter auch gegenüber einer nicht gerade
armen, aber auch nicht wohlhabenden Partei, die eine anscheinend gerechte Sache
führt, bei der Beitreibung des Vorschusses mit Schonung vorgehen wird. Aus
dem Begriffe des „Vorschusses" und aus dem Zwecke der Vorschußpflicht in
Verbindung mit dem oben angeführten Z 86 des Gerichtskostengesetzes würde
sich nun ergeben, daß, wenn der Prozeß zu Gunsten der vorschußpslichtigen
Partei rechtskräftig entschieden ist, der geleistete Vorschuß ihr zurückerstattet und,
wenn sie ihn noch nicht geleistet hat, sie von der Verpflichtung zur Leistung
befreit wird; denn es steht nunmehr fest, daß sie nicht mutwillig, sondern mit
vollem Rechte prozessirt hat, und nach K 86 ist es jetzt gewiß, daß die Gegen¬
partei Schuldnerin der Gerichtsgebühr ist.

Der Z 90 aber verfügt das Gegenteil: der geleistete Vorschuß wird der
siegenden Partei nicht zurückgegeben, diese mag vielmehr zusehen, wie sich sich
von dem Gegner Ersatz verschafft, obwohl doch kaum etwas gewisser ist, als
daß sie den Vorschuß nicht für diesen, sondern für sich, für den Fall ihres
eignen Unterliegens geleistet hat. Ja noch mehr: hat sie den Vorschuß nicht
geleistet, so versucht zwar der Staat gemäß Z 86 zunächst die Gebühr von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/30>, abgerufen am 17.09.2024.