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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das Goheimmittelwesen.

eine andre (Düsseldorf. 29. August 1880) erklärt, daß in diesem Falle von
"Geheimmittel" garnicht die Rede sein könne, und daß der Verkauf von Ge-
heimmitteln in Apotheken gestattet sei, wenn die Zusammensetzung bekannt sei,
wenn der Preis des Mittels der Arzneitaxe entspreche und wenn die einzelnen
Bestandteile im Handverkauf abgegeben werden dürfen. Diese Anschauung wird
am 12. Mai 1886 und ganz neuerdings am 28. März d. I. für die bekannten
und von allen möglichen Autoritäten (z. V. Virchow) empfohlenen, von Ärzten
viel verordneten Schweizer Pillen aufgehoben, was allerdings damit begründet
wird, daß ihre Zusammensetzung wechsele und dem beigegebenen Rezept acht
entspreche.

Die Regierungen von Danzig (23. März 1873) und Wiesbaden (13. Fe¬
bruar 1873) halten das Anpreisen von Geheimmitteln durch Apotheken für un¬
erlaubtes Kuriren, während eine Ministerialverfügung (vom 22. Februar 1873,
Ueberhand) sagt, daß dem Anpreisen von Geheimmitteln nach Lage deS Pa߬
gesetzes nicht entgegengetreten werden könne. Dieser Anschauung entgegen er¬
kannte wieder das Kammergericht, daß eine Polizciverordnung (Licgmtz, 12. De¬
zember 1855), die das Anpreisen von Arzneimitteln verbietet, auch jetzt noch
zu Recht bestehe. .

.^.Alle augeführten Verordnungen gleichen sich darin, daß sie gegen die "Se-
heimmittel gerichtet sind, daß aber keine erklärt, was sie eigentlich unter d^em
Gespenst versteht. Unsers Wissens ist amtlich überhaupt nur einmal eine Defi¬
nition gegeben worden, und zwar in einer Ministerialverfügung vom 12. Ok¬
tober 1867 (Lehnert). Sie bezeichnet als Geheimmittel "an sich wertlose Sub¬
stanzen oder Gemische gegen eine Schar von Krankheiten." in Ansehung der
überaus geringen Anzahl von Spezifizis eine Definition, die ungefähr auf jede
gesetzlich unanfechtbare ärztliche Verordnung paßt.

Dieser Mangel, der die sämtlichen gesetzlichen Verfügungen hinfällig oder
z" Waffen gegen'Unschuldige und zum Schutz für lichtscheues Gebahren macht,
ist schwer zu beklagen und offenbar ein Zeichen einer gewissen Ratlosigkeit in
'maßgebenden Kreisen. Die durch das laissM Msr sanktionirte Rechtsunsicherheit
wird allerseits schwer empfunden und Hilfe von den unmittelbar beteiligten
Kreisen, von der Journalistik u. s. w. versucht. So haben Bock. Richter, Beta
in Populär-wissenschaftlichen Schriften theoretisch gegen die Gehelmnnttclmduswe
geeifert - ohne Erfolg. Teilweise von Erfolg sind nur die Schritte der Apo¬
theker gewesen, die gegen einige Mittel, welche sich als offenbarer schwinde
entpuppten (z. B. Lalsamuin anwrturitiouw) rechtzeitig Front machten. An
Grund der bestehenden Gesetzgebung sind die Apotheker aber ebenfalls nicht
imstande, endgiltig und immer zu helfen. Das kann allein eine gesetzliche, den
Verhältnissen Rechnung tragende Regelung nicht des Geheimen.edel-, sondern des
Heilmittelverkehrs. Unsers Trachtens verlangen Berücksichtigung in allererster
Reihe das leidende, heilungsuchende Publikum, dann das allgemeine staatliche


Das Goheimmittelwesen.

eine andre (Düsseldorf. 29. August 1880) erklärt, daß in diesem Falle von
„Geheimmittel" garnicht die Rede sein könne, und daß der Verkauf von Ge-
heimmitteln in Apotheken gestattet sei, wenn die Zusammensetzung bekannt sei,
wenn der Preis des Mittels der Arzneitaxe entspreche und wenn die einzelnen
Bestandteile im Handverkauf abgegeben werden dürfen. Diese Anschauung wird
am 12. Mai 1886 und ganz neuerdings am 28. März d. I. für die bekannten
und von allen möglichen Autoritäten (z. V. Virchow) empfohlenen, von Ärzten
viel verordneten Schweizer Pillen aufgehoben, was allerdings damit begründet
wird, daß ihre Zusammensetzung wechsele und dem beigegebenen Rezept acht
entspreche.

Die Regierungen von Danzig (23. März 1873) und Wiesbaden (13. Fe¬
bruar 1873) halten das Anpreisen von Geheimmitteln durch Apotheken für un¬
erlaubtes Kuriren, während eine Ministerialverfügung (vom 22. Februar 1873,
Ueberhand) sagt, daß dem Anpreisen von Geheimmitteln nach Lage deS Pa߬
gesetzes nicht entgegengetreten werden könne. Dieser Anschauung entgegen er¬
kannte wieder das Kammergericht, daß eine Polizciverordnung (Licgmtz, 12. De¬
zember 1855), die das Anpreisen von Arzneimitteln verbietet, auch jetzt noch
zu Recht bestehe. .

.^.Alle augeführten Verordnungen gleichen sich darin, daß sie gegen die «Se-
heimmittel gerichtet sind, daß aber keine erklärt, was sie eigentlich unter d^em
Gespenst versteht. Unsers Wissens ist amtlich überhaupt nur einmal eine Defi¬
nition gegeben worden, und zwar in einer Ministerialverfügung vom 12. Ok¬
tober 1867 (Lehnert). Sie bezeichnet als Geheimmittel „an sich wertlose Sub¬
stanzen oder Gemische gegen eine Schar von Krankheiten." in Ansehung der
überaus geringen Anzahl von Spezifizis eine Definition, die ungefähr auf jede
gesetzlich unanfechtbare ärztliche Verordnung paßt.

Dieser Mangel, der die sämtlichen gesetzlichen Verfügungen hinfällig oder
z» Waffen gegen'Unschuldige und zum Schutz für lichtscheues Gebahren macht,
ist schwer zu beklagen und offenbar ein Zeichen einer gewissen Ratlosigkeit in
'maßgebenden Kreisen. Die durch das laissM Msr sanktionirte Rechtsunsicherheit
wird allerseits schwer empfunden und Hilfe von den unmittelbar beteiligten
Kreisen, von der Journalistik u. s. w. versucht. So haben Bock. Richter, Beta
in Populär-wissenschaftlichen Schriften theoretisch gegen die Gehelmnnttclmduswe
geeifert - ohne Erfolg. Teilweise von Erfolg sind nur die Schritte der Apo¬
theker gewesen, die gegen einige Mittel, welche sich als offenbarer schwinde
entpuppten (z. B. Lalsamuin anwrturitiouw) rechtzeitig Front machten. An
Grund der bestehenden Gesetzgebung sind die Apotheker aber ebenfalls nicht
imstande, endgiltig und immer zu helfen. Das kann allein eine gesetzliche, den
Verhältnissen Rechnung tragende Regelung nicht des Geheimen.edel-, sondern des
Heilmittelverkehrs. Unsers Trachtens verlangen Berücksichtigung in allererster
Reihe das leidende, heilungsuchende Publikum, dann das allgemeine staatliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/275>, abgerufen am 17.09.2024.