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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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erstes Buch: von der Prozeßordnung, mittels Publikationspatents vom 26. April
1781. Dann folgte die Allgemeine Hypothekenordnung vom 20. Dezember 1783,
welche bis zum 1. Oktober 1872 in Geltung gestanden hat und welcher, mit
gewissen Änderungen späterer Gesetze, das preußische Grundbuchwesen sein Dasein
verdankt. Erst nach dem Tode des großen Königs (1786) wurde das noch
übrige vollendet, und durch Patent vom 20. März 1791 das "Allgemeine
Gesetzbuch für die preußischen Staaten" mit Gesetzeskraft vom 1. Juni 1792
ab veröffentlicht, die Gesetzeskraft jedoch noch vor ihrem Eintritt wieder auf¬
gehoben, weil die ausgebrochene französische Revolution Veranlassung gab, wegen
etwa darin enthaltener staatsgefährlicher Grundsätze die Arbeit einer erneuten
Durchsicht und Umarbeitung zu unterziehen. Auch die Prozeßordnung von 1781
wurde nochmals umgearbeitet und von neuem unter dem Namen "Allgemeine
Gerichtsordnung für die preußischen Staaten" durch Patent vom 6. Juli 1793
veröffentlicht. Endlich erschien auch an Stelle des "Allgemeinen Gesetzbuches"
dessen Umarbeitung, welche den Titel hatte: "Allgemeines Landrecht für die
preußischen Staaten," durch das Patent vom 5. Februar 1794 veröffentlicht
wurde und in Preußen einschließlich der jetzt zu Baiern geschlagenen Fürsten¬
tümer Ansbach und Baireuth seit dem 1. Juni 1794 Gesetzeskraft erlangt hat.
Es enthält das Privatrecht, Kirchenrecht, Staatsrecht und Strafrecht und trat
an die Stelle des gemeinen Rechts, insbesondre des römischen, als subsidiarisches
Recht, wie solches auch das gemeine Recht nur war, sodaß die Provinzial- und
Lokalrechte ihre Geltung behielten und eine volle Rechtseinheit auch für Preußen
dadurch keineswegs hergestellt wurde. Die neue Kodifikation des Strafprozesses
kam erst im Jahre 1805 zustande. Es war die nunmehr für Preußen an die
Stelle des prvzeßrechtlichcn Teils der OtuMirg. tretende "Kriminal-Ordnung,"
während der materielle Teil des Strafrechts schon durch das Allgemeine Land¬
recht neu geregelt war.

Diese von Friedrich dem Großen eingeleitete Gesetzgebung, deren Voll¬
endung er nicht mehr erlebte, war eine sehr bedeutende Arbeit. Zum ersten¬
male hatte man in Deutschland verflicht, den gesamten Rechtsstoff, soweit er
nicht, wie das Völkerrecht, der Bestimmung durch einen einzelnen Staat sich
entzieht, zu bearbeiten. Materiell war das römische Recht die Grundlage ge¬
blieben, aber man hatte eine bequemere Form geschaffen, viele Streitfragen be¬
seitigt und so die Kenntnis des Rechts erleichtert, vor allen Dingen aber den
Dualismus im Privatrecht (römisches und deutsches Recht) für Preußen be¬
seitigt und vieles vom deutschen Rechte dauernd gerettet. Als Fehler ist zu
ernähren das Bestreben der Verfasser, die Auslegung des Gesetzes durch die
Richter und Rechtsgelehrten dadurch möglichst unnötig zu machen, daß man
durch eine ausgedehnte Bestimmung recht vieler Einzelheiten (Kasuistik) Fülle,
in denen das Gesetz nicht unmittelbare Antwort gab, garnicht zulassen wollte,
eine Absicht, welche der Fehlbarkeit des menschlichen Geistes und der Mannich-


erstes Buch: von der Prozeßordnung, mittels Publikationspatents vom 26. April
1781. Dann folgte die Allgemeine Hypothekenordnung vom 20. Dezember 1783,
welche bis zum 1. Oktober 1872 in Geltung gestanden hat und welcher, mit
gewissen Änderungen späterer Gesetze, das preußische Grundbuchwesen sein Dasein
verdankt. Erst nach dem Tode des großen Königs (1786) wurde das noch
übrige vollendet, und durch Patent vom 20. März 1791 das „Allgemeine
Gesetzbuch für die preußischen Staaten" mit Gesetzeskraft vom 1. Juni 1792
ab veröffentlicht, die Gesetzeskraft jedoch noch vor ihrem Eintritt wieder auf¬
gehoben, weil die ausgebrochene französische Revolution Veranlassung gab, wegen
etwa darin enthaltener staatsgefährlicher Grundsätze die Arbeit einer erneuten
Durchsicht und Umarbeitung zu unterziehen. Auch die Prozeßordnung von 1781
wurde nochmals umgearbeitet und von neuem unter dem Namen „Allgemeine
Gerichtsordnung für die preußischen Staaten" durch Patent vom 6. Juli 1793
veröffentlicht. Endlich erschien auch an Stelle des „Allgemeinen Gesetzbuches"
dessen Umarbeitung, welche den Titel hatte: „Allgemeines Landrecht für die
preußischen Staaten," durch das Patent vom 5. Februar 1794 veröffentlicht
wurde und in Preußen einschließlich der jetzt zu Baiern geschlagenen Fürsten¬
tümer Ansbach und Baireuth seit dem 1. Juni 1794 Gesetzeskraft erlangt hat.
Es enthält das Privatrecht, Kirchenrecht, Staatsrecht und Strafrecht und trat
an die Stelle des gemeinen Rechts, insbesondre des römischen, als subsidiarisches
Recht, wie solches auch das gemeine Recht nur war, sodaß die Provinzial- und
Lokalrechte ihre Geltung behielten und eine volle Rechtseinheit auch für Preußen
dadurch keineswegs hergestellt wurde. Die neue Kodifikation des Strafprozesses
kam erst im Jahre 1805 zustande. Es war die nunmehr für Preußen an die
Stelle des prvzeßrechtlichcn Teils der OtuMirg. tretende „Kriminal-Ordnung,"
während der materielle Teil des Strafrechts schon durch das Allgemeine Land¬
recht neu geregelt war.

Diese von Friedrich dem Großen eingeleitete Gesetzgebung, deren Voll¬
endung er nicht mehr erlebte, war eine sehr bedeutende Arbeit. Zum ersten¬
male hatte man in Deutschland verflicht, den gesamten Rechtsstoff, soweit er
nicht, wie das Völkerrecht, der Bestimmung durch einen einzelnen Staat sich
entzieht, zu bearbeiten. Materiell war das römische Recht die Grundlage ge¬
blieben, aber man hatte eine bequemere Form geschaffen, viele Streitfragen be¬
seitigt und so die Kenntnis des Rechts erleichtert, vor allen Dingen aber den
Dualismus im Privatrecht (römisches und deutsches Recht) für Preußen be¬
seitigt und vieles vom deutschen Rechte dauernd gerettet. Als Fehler ist zu
ernähren das Bestreben der Verfasser, die Auslegung des Gesetzes durch die
Richter und Rechtsgelehrten dadurch möglichst unnötig zu machen, daß man
durch eine ausgedehnte Bestimmung recht vieler Einzelheiten (Kasuistik) Fülle,
in denen das Gesetz nicht unmittelbare Antwort gab, garnicht zulassen wollte,
eine Absicht, welche der Fehlbarkeit des menschlichen Geistes und der Mannich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/268>, abgerufen am 17.09.2024.