Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

fasser drei Beispiele, angeknüpft an die drei Themata von der Rechtfertigung
aus dem Glauben, von der Gottheit Christi, von der Wiederkunft des Herrn.
Nehmen wir das mittlere, so soll der Lehrer der praktischen Theologie zunächst
"mit Hilfe der Exegese und der biblischen Theologie sowohl dasjenige, was sich
im Alten Testament als Vorstufe und Ansatz zu diesem Dogma bezeichnen läßt,
als auch das neutestamentliche Material resttmiren." Dabei soll er auf die
wesentliche Übereinstimmung in der Hauptsache und auf die verschiedenartigen
Formulirungen, sowie auf die zeitgeschichtlichen Bedingungen aufmerksam machen.
Es soll ein Gang durch die Dogmengeschichte folge", wobei "die kultisch-reli¬
giöse Anerkennung der Gottheit Christi ohne feste Formulirung gezeigt werde";
dann sollen die monarchianischen Christvlogien mit ihren Vorzügen und Schwächen
aufgewiesen werden, endlich der Sieg der Lvgoschristvlogie mit ihren Vorzügen
und bedenklichen Seiten. Weiter soll dann die Fixirung des altkirchlichen
Dogmas durch die Streitigkeiten des vierten bis siebenten Jahrhunderts er¬
folgen, ein Blick auf das Mittelalter soll die Wahrheit von der Gottheit Christi
in neuer kultischer und theologischer Beleuchtung zeigen; die Symbolik soll die
verschiedne Bedeutung des Dogmas von der Gottheit Christi bei den verschiednen
Konfessionen zeigen, aus der Dogmatik soll dann die richtige, systematische
Formulirung des Glaubenssatzes (die aber noch nicht gefunden ist) beigebracht
und der Zusammenhang mit den übrigen Gliedern des Systems aufgedeckt
werden. Ein Hinweis auf die Ethik soll denn die Bedeutung des Dogmas
für die christliche Sittlichkeit darlegen.

Das soll so ein Stück Reform sein in dem Hauptteil des Studiums selbst,
in der praktischen Theologie. Ich fürchte, wenn der Professor der praktischen
Theologie sich in der angegebenen Weise mit diesen Dingen gründlich befassen
will, so treibt er die Sache recht unpraktisch und nimmt sich die Zeit für Besseres.
Der Student hat ja alles das oder doch das meiste davon gehört und gelernt,
und wem, er sich darüber seinen gesunden Menschenverstand bewahrt hat, so
wird er seine Kenntnisse vornehmlich als Warnungstafeln benutzen, die ihm
zeigen, wohin er in der Predigt nicht steuern soll. Der Professor der prak¬
tischen Theologie aber sollte doch froh sein, daß er seine Studenten auf grüne
Auen führen und zeige" kann, wie man aus den: Texte, und zwar dem Ur¬
texte, auch für die Menschen dieser Tage giltige Wahrheiten entwickeln kann,
die von dem Gewissen auch des modernen Mensche" bejaht werden, weil sie
fort und fort die sittliche Substanz der Gegenwart ausmachen. Aus dem Text
kann für die Gegenwart viel gewonnen werden, aus dem Dogma nichts. Die
Theologen irren sich vollständig, die da meinen, daß die ethischen Aussagen
unsers Gewissens mit dem Dogma zusammenhingen. Sie hängen mit den
religiösen Prinzipien des Christentums zusammen, nicht mit dem Dogma. Mit
dem Dogma -- man nehme nur irgend eines, z. B. das vom Abendmahl -
kommen sofort die Streitigkeiten, deren doch, wie der Verfasser selbst sagt, das


Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

fasser drei Beispiele, angeknüpft an die drei Themata von der Rechtfertigung
aus dem Glauben, von der Gottheit Christi, von der Wiederkunft des Herrn.
Nehmen wir das mittlere, so soll der Lehrer der praktischen Theologie zunächst
„mit Hilfe der Exegese und der biblischen Theologie sowohl dasjenige, was sich
im Alten Testament als Vorstufe und Ansatz zu diesem Dogma bezeichnen läßt,
als auch das neutestamentliche Material resttmiren." Dabei soll er auf die
wesentliche Übereinstimmung in der Hauptsache und auf die verschiedenartigen
Formulirungen, sowie auf die zeitgeschichtlichen Bedingungen aufmerksam machen.
Es soll ein Gang durch die Dogmengeschichte folge», wobei „die kultisch-reli¬
giöse Anerkennung der Gottheit Christi ohne feste Formulirung gezeigt werde";
dann sollen die monarchianischen Christvlogien mit ihren Vorzügen und Schwächen
aufgewiesen werden, endlich der Sieg der Lvgoschristvlogie mit ihren Vorzügen
und bedenklichen Seiten. Weiter soll dann die Fixirung des altkirchlichen
Dogmas durch die Streitigkeiten des vierten bis siebenten Jahrhunderts er¬
folgen, ein Blick auf das Mittelalter soll die Wahrheit von der Gottheit Christi
in neuer kultischer und theologischer Beleuchtung zeigen; die Symbolik soll die
verschiedne Bedeutung des Dogmas von der Gottheit Christi bei den verschiednen
Konfessionen zeigen, aus der Dogmatik soll dann die richtige, systematische
Formulirung des Glaubenssatzes (die aber noch nicht gefunden ist) beigebracht
und der Zusammenhang mit den übrigen Gliedern des Systems aufgedeckt
werden. Ein Hinweis auf die Ethik soll denn die Bedeutung des Dogmas
für die christliche Sittlichkeit darlegen.

Das soll so ein Stück Reform sein in dem Hauptteil des Studiums selbst,
in der praktischen Theologie. Ich fürchte, wenn der Professor der praktischen
Theologie sich in der angegebenen Weise mit diesen Dingen gründlich befassen
will, so treibt er die Sache recht unpraktisch und nimmt sich die Zeit für Besseres.
Der Student hat ja alles das oder doch das meiste davon gehört und gelernt,
und wem, er sich darüber seinen gesunden Menschenverstand bewahrt hat, so
wird er seine Kenntnisse vornehmlich als Warnungstafeln benutzen, die ihm
zeigen, wohin er in der Predigt nicht steuern soll. Der Professor der prak¬
tischen Theologie aber sollte doch froh sein, daß er seine Studenten auf grüne
Auen führen und zeige» kann, wie man aus den: Texte, und zwar dem Ur¬
texte, auch für die Menschen dieser Tage giltige Wahrheiten entwickeln kann,
die von dem Gewissen auch des modernen Mensche» bejaht werden, weil sie
fort und fort die sittliche Substanz der Gegenwart ausmachen. Aus dem Text
kann für die Gegenwart viel gewonnen werden, aus dem Dogma nichts. Die
Theologen irren sich vollständig, die da meinen, daß die ethischen Aussagen
unsers Gewissens mit dem Dogma zusammenhingen. Sie hängen mit den
religiösen Prinzipien des Christentums zusammen, nicht mit dem Dogma. Mit
dem Dogma — man nehme nur irgend eines, z. B. das vom Abendmahl -
kommen sofort die Streitigkeiten, deren doch, wie der Verfasser selbst sagt, das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288715"/>
          <fw type="header" place="top"> Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_775" prev="#ID_774"> fasser drei Beispiele, angeknüpft an die drei Themata von der Rechtfertigung<lb/>
aus dem Glauben, von der Gottheit Christi, von der Wiederkunft des Herrn.<lb/>
Nehmen wir das mittlere, so soll der Lehrer der praktischen Theologie zunächst<lb/>
&#x201E;mit Hilfe der Exegese und der biblischen Theologie sowohl dasjenige, was sich<lb/>
im Alten Testament als Vorstufe und Ansatz zu diesem Dogma bezeichnen läßt,<lb/>
als auch das neutestamentliche Material resttmiren." Dabei soll er auf die<lb/>
wesentliche Übereinstimmung in der Hauptsache und auf die verschiedenartigen<lb/>
Formulirungen, sowie auf die zeitgeschichtlichen Bedingungen aufmerksam machen.<lb/>
Es soll ein Gang durch die Dogmengeschichte folge», wobei &#x201E;die kultisch-reli¬<lb/>
giöse Anerkennung der Gottheit Christi ohne feste Formulirung gezeigt werde";<lb/>
dann sollen die monarchianischen Christvlogien mit ihren Vorzügen und Schwächen<lb/>
aufgewiesen werden, endlich der Sieg der Lvgoschristvlogie mit ihren Vorzügen<lb/>
und bedenklichen Seiten. Weiter soll dann die Fixirung des altkirchlichen<lb/>
Dogmas durch die Streitigkeiten des vierten bis siebenten Jahrhunderts er¬<lb/>
folgen, ein Blick auf das Mittelalter soll die Wahrheit von der Gottheit Christi<lb/>
in neuer kultischer und theologischer Beleuchtung zeigen; die Symbolik soll die<lb/>
verschiedne Bedeutung des Dogmas von der Gottheit Christi bei den verschiednen<lb/>
Konfessionen zeigen, aus der Dogmatik soll dann die richtige, systematische<lb/>
Formulirung des Glaubenssatzes (die aber noch nicht gefunden ist) beigebracht<lb/>
und der Zusammenhang mit den übrigen Gliedern des Systems aufgedeckt<lb/>
werden. Ein Hinweis auf die Ethik soll denn die Bedeutung des Dogmas<lb/>
für die christliche Sittlichkeit darlegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_776" next="#ID_777"> Das soll so ein Stück Reform sein in dem Hauptteil des Studiums selbst,<lb/>
in der praktischen Theologie. Ich fürchte, wenn der Professor der praktischen<lb/>
Theologie sich in der angegebenen Weise mit diesen Dingen gründlich befassen<lb/>
will, so treibt er die Sache recht unpraktisch und nimmt sich die Zeit für Besseres.<lb/>
Der Student hat ja alles das oder doch das meiste davon gehört und gelernt,<lb/>
und wem, er sich darüber seinen gesunden Menschenverstand bewahrt hat, so<lb/>
wird er seine Kenntnisse vornehmlich als Warnungstafeln benutzen, die ihm<lb/>
zeigen, wohin er in der Predigt nicht steuern soll. Der Professor der prak¬<lb/>
tischen Theologie aber sollte doch froh sein, daß er seine Studenten auf grüne<lb/>
Auen führen und zeige» kann, wie man aus den: Texte, und zwar dem Ur¬<lb/>
texte, auch für die Menschen dieser Tage giltige Wahrheiten entwickeln kann,<lb/>
die von dem Gewissen auch des modernen Mensche» bejaht werden, weil sie<lb/>
fort und fort die sittliche Substanz der Gegenwart ausmachen. Aus dem Text<lb/>
kann für die Gegenwart viel gewonnen werden, aus dem Dogma nichts. Die<lb/>
Theologen irren sich vollständig, die da meinen, daß die ethischen Aussagen<lb/>
unsers Gewissens mit dem Dogma zusammenhingen. Sie hängen mit den<lb/>
religiösen Prinzipien des Christentums zusammen, nicht mit dem Dogma. Mit<lb/>
dem Dogma &#x2014; man nehme nur irgend eines, z. B. das vom Abendmahl -<lb/>
kommen sofort die Streitigkeiten, deren doch, wie der Verfasser selbst sagt, das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums. fasser drei Beispiele, angeknüpft an die drei Themata von der Rechtfertigung aus dem Glauben, von der Gottheit Christi, von der Wiederkunft des Herrn. Nehmen wir das mittlere, so soll der Lehrer der praktischen Theologie zunächst „mit Hilfe der Exegese und der biblischen Theologie sowohl dasjenige, was sich im Alten Testament als Vorstufe und Ansatz zu diesem Dogma bezeichnen läßt, als auch das neutestamentliche Material resttmiren." Dabei soll er auf die wesentliche Übereinstimmung in der Hauptsache und auf die verschiedenartigen Formulirungen, sowie auf die zeitgeschichtlichen Bedingungen aufmerksam machen. Es soll ein Gang durch die Dogmengeschichte folge», wobei „die kultisch-reli¬ giöse Anerkennung der Gottheit Christi ohne feste Formulirung gezeigt werde"; dann sollen die monarchianischen Christvlogien mit ihren Vorzügen und Schwächen aufgewiesen werden, endlich der Sieg der Lvgoschristvlogie mit ihren Vorzügen und bedenklichen Seiten. Weiter soll dann die Fixirung des altkirchlichen Dogmas durch die Streitigkeiten des vierten bis siebenten Jahrhunderts er¬ folgen, ein Blick auf das Mittelalter soll die Wahrheit von der Gottheit Christi in neuer kultischer und theologischer Beleuchtung zeigen; die Symbolik soll die verschiedne Bedeutung des Dogmas von der Gottheit Christi bei den verschiednen Konfessionen zeigen, aus der Dogmatik soll dann die richtige, systematische Formulirung des Glaubenssatzes (die aber noch nicht gefunden ist) beigebracht und der Zusammenhang mit den übrigen Gliedern des Systems aufgedeckt werden. Ein Hinweis auf die Ethik soll denn die Bedeutung des Dogmas für die christliche Sittlichkeit darlegen. Das soll so ein Stück Reform sein in dem Hauptteil des Studiums selbst, in der praktischen Theologie. Ich fürchte, wenn der Professor der praktischen Theologie sich in der angegebenen Weise mit diesen Dingen gründlich befassen will, so treibt er die Sache recht unpraktisch und nimmt sich die Zeit für Besseres. Der Student hat ja alles das oder doch das meiste davon gehört und gelernt, und wem, er sich darüber seinen gesunden Menschenverstand bewahrt hat, so wird er seine Kenntnisse vornehmlich als Warnungstafeln benutzen, die ihm zeigen, wohin er in der Predigt nicht steuern soll. Der Professor der prak¬ tischen Theologie aber sollte doch froh sein, daß er seine Studenten auf grüne Auen führen und zeige» kann, wie man aus den: Texte, und zwar dem Ur¬ texte, auch für die Menschen dieser Tage giltige Wahrheiten entwickeln kann, die von dem Gewissen auch des modernen Mensche» bejaht werden, weil sie fort und fort die sittliche Substanz der Gegenwart ausmachen. Aus dem Text kann für die Gegenwart viel gewonnen werden, aus dem Dogma nichts. Die Theologen irren sich vollständig, die da meinen, daß die ethischen Aussagen unsers Gewissens mit dem Dogma zusammenhingen. Sie hängen mit den religiösen Prinzipien des Christentums zusammen, nicht mit dem Dogma. Mit dem Dogma — man nehme nur irgend eines, z. B. das vom Abendmahl - kommen sofort die Streitigkeiten, deren doch, wie der Verfasser selbst sagt, das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/262>, abgerufen am 17.09.2024.