Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischenZStudiums.

fruchtete. Diese Jünger wurden reifer dadurch als die jetzigen Lehrlinge der
Theologie, nicht bloß in der Wissenschaft, sondern auch fürs Leben. Traten
sie in das Pfarramt, so traten sie ein auch mit einem Urteil über das Hohe
und Edle, was außerhalb der Kirchenwände das Menschendasein stützt, bereichert
und verschönt. Auch das war ein großer und unermeßlicher Vorteil für das
geistliche Amt selbst, daß viele Theologe", und zwar gerade die besten, sich erst
lange Jahre im Schuldienst bewegt hatten. Das ist jetzt verschwunden. Anstatt
der human gebildeten, für das Edle und Große begeisterten jungen geistlichen
Aspiranten, die man als eine Auswahl aus dem gesamten Theologenbestande
herausnahm und zum Unterricht verwendete, und die mit feinem Gefühl und
hohem Sinn die Klassiker in den Gymnasien erklärten, selbst noch immer mit¬
lernend und anstrebend und so ihren Schülern näher stehend, kommen jetzt an
die Gelehrtenschulen philologische Spezialistin, höchst ausgebildet in ihrem Fache
und mit der Kenntnis minutiösester Details voll ausgerüstet, aber oft unfähig,
mit Liebe und Hingebung das Einzelne und das Ganze zu umfassen, und wenig
fähig, selbst noch als Mitlernende und Mitstrebende mit ihren Schülern sich
der Herrlichkeit und Größe der alten Welt zu erfreuen. Und anstatt vieler,
die sich so jung erhalten haben mit den Jungen und doch als gereifte Männer
dann willig ins Pfarramt traten und mit gesunden Lebensansichten das Amt
anfaßten, gehen jetzt Hunderte von jungen Leuten ins Amt, ausgerüstet mit
dem, was ihnen die Mache einer geistlichen Anstalt oder eines für innere oder
äußere Mission abrichtenden Stiftes geboten hat, in welchem als die Haupt¬
sache am Schlüsse des Jahresberichts berechnet wird, wie viel Besuche bei Un-
kirchlichen gemacht worden sind, wieviele Traktate ausgeteilt, wie viel Juden in
Katechumenenunterrichr genommen und gewonnen oder auch wieder rückfällig ge¬
worden sind, kurz, ein Gemisch von katholischem und sektirerischem Treiben, das
man evangelisch nennt und womit heutzutage die Fanatiker meinen, eine Kirche
zu erbauen, die "das Gewissen und die Freundin der Nation" sein würde. Sie
wird ihre Todfeindin sein, die Feindin des deutschen Gewissens und der evan¬
gelischen Freiheit.

Darum sehe man sich ja vor, das Studium der Theologie mehr priesterlich
zu verengern, als es schon in der Sache und der Vorbereitung für das Pfarramt
liegt. Alles, was der Hammcrsteinsche Antrag bezweckt, läuft darauf hinaus,
daß die evangelische Kirche eine Kopie der römischen "Schwesterkirche" werde.
Wenn Stöcker diese Anträge damit empfahl, daß er sagte: "Vor allem gilt es,
dem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen, daß wir in unsrer Kirche eine
Partei haben, die nicht bauen, sondern zerstören will; wenn wir unabhängig
geworden sind und diese Partei zum Schweigen gebracht haben, dann sind wir
stark genug, um Deutschland das evangelische Gepräge zu geben, das ihm von
Gott und Rechtswegen gebührt," so mögen alle, die aus der Geschichte wissen,
welches Elend und welcher Druck das Gefolge der Hierarchie unvermeidlich


Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischenZStudiums.

fruchtete. Diese Jünger wurden reifer dadurch als die jetzigen Lehrlinge der
Theologie, nicht bloß in der Wissenschaft, sondern auch fürs Leben. Traten
sie in das Pfarramt, so traten sie ein auch mit einem Urteil über das Hohe
und Edle, was außerhalb der Kirchenwände das Menschendasein stützt, bereichert
und verschönt. Auch das war ein großer und unermeßlicher Vorteil für das
geistliche Amt selbst, daß viele Theologe», und zwar gerade die besten, sich erst
lange Jahre im Schuldienst bewegt hatten. Das ist jetzt verschwunden. Anstatt
der human gebildeten, für das Edle und Große begeisterten jungen geistlichen
Aspiranten, die man als eine Auswahl aus dem gesamten Theologenbestande
herausnahm und zum Unterricht verwendete, und die mit feinem Gefühl und
hohem Sinn die Klassiker in den Gymnasien erklärten, selbst noch immer mit¬
lernend und anstrebend und so ihren Schülern näher stehend, kommen jetzt an
die Gelehrtenschulen philologische Spezialistin, höchst ausgebildet in ihrem Fache
und mit der Kenntnis minutiösester Details voll ausgerüstet, aber oft unfähig,
mit Liebe und Hingebung das Einzelne und das Ganze zu umfassen, und wenig
fähig, selbst noch als Mitlernende und Mitstrebende mit ihren Schülern sich
der Herrlichkeit und Größe der alten Welt zu erfreuen. Und anstatt vieler,
die sich so jung erhalten haben mit den Jungen und doch als gereifte Männer
dann willig ins Pfarramt traten und mit gesunden Lebensansichten das Amt
anfaßten, gehen jetzt Hunderte von jungen Leuten ins Amt, ausgerüstet mit
dem, was ihnen die Mache einer geistlichen Anstalt oder eines für innere oder
äußere Mission abrichtenden Stiftes geboten hat, in welchem als die Haupt¬
sache am Schlüsse des Jahresberichts berechnet wird, wie viel Besuche bei Un-
kirchlichen gemacht worden sind, wieviele Traktate ausgeteilt, wie viel Juden in
Katechumenenunterrichr genommen und gewonnen oder auch wieder rückfällig ge¬
worden sind, kurz, ein Gemisch von katholischem und sektirerischem Treiben, das
man evangelisch nennt und womit heutzutage die Fanatiker meinen, eine Kirche
zu erbauen, die „das Gewissen und die Freundin der Nation" sein würde. Sie
wird ihre Todfeindin sein, die Feindin des deutschen Gewissens und der evan¬
gelischen Freiheit.

Darum sehe man sich ja vor, das Studium der Theologie mehr priesterlich
zu verengern, als es schon in der Sache und der Vorbereitung für das Pfarramt
liegt. Alles, was der Hammcrsteinsche Antrag bezweckt, läuft darauf hinaus,
daß die evangelische Kirche eine Kopie der römischen „Schwesterkirche" werde.
Wenn Stöcker diese Anträge damit empfahl, daß er sagte: „Vor allem gilt es,
dem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen, daß wir in unsrer Kirche eine
Partei haben, die nicht bauen, sondern zerstören will; wenn wir unabhängig
geworden sind und diese Partei zum Schweigen gebracht haben, dann sind wir
stark genug, um Deutschland das evangelische Gepräge zu geben, das ihm von
Gott und Rechtswegen gebührt," so mögen alle, die aus der Geschichte wissen,
welches Elend und welcher Druck das Gefolge der Hierarchie unvermeidlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288709"/>
          <fw type="header" place="top"> Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischenZStudiums.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> fruchtete. Diese Jünger wurden reifer dadurch als die jetzigen Lehrlinge der<lb/>
Theologie, nicht bloß in der Wissenschaft, sondern auch fürs Leben. Traten<lb/>
sie in das Pfarramt, so traten sie ein auch mit einem Urteil über das Hohe<lb/>
und Edle, was außerhalb der Kirchenwände das Menschendasein stützt, bereichert<lb/>
und verschönt. Auch das war ein großer und unermeßlicher Vorteil für das<lb/>
geistliche Amt selbst, daß viele Theologe», und zwar gerade die besten, sich erst<lb/>
lange Jahre im Schuldienst bewegt hatten. Das ist jetzt verschwunden. Anstatt<lb/>
der human gebildeten, für das Edle und Große begeisterten jungen geistlichen<lb/>
Aspiranten, die man als eine Auswahl aus dem gesamten Theologenbestande<lb/>
herausnahm und zum Unterricht verwendete, und die mit feinem Gefühl und<lb/>
hohem Sinn die Klassiker in den Gymnasien erklärten, selbst noch immer mit¬<lb/>
lernend und anstrebend und so ihren Schülern näher stehend, kommen jetzt an<lb/>
die Gelehrtenschulen philologische Spezialistin, höchst ausgebildet in ihrem Fache<lb/>
und mit der Kenntnis minutiösester Details voll ausgerüstet, aber oft unfähig,<lb/>
mit Liebe und Hingebung das Einzelne und das Ganze zu umfassen, und wenig<lb/>
fähig, selbst noch als Mitlernende und Mitstrebende mit ihren Schülern sich<lb/>
der Herrlichkeit und Größe der alten Welt zu erfreuen. Und anstatt vieler,<lb/>
die sich so jung erhalten haben mit den Jungen und doch als gereifte Männer<lb/>
dann willig ins Pfarramt traten und mit gesunden Lebensansichten das Amt<lb/>
anfaßten, gehen jetzt Hunderte von jungen Leuten ins Amt, ausgerüstet mit<lb/>
dem, was ihnen die Mache einer geistlichen Anstalt oder eines für innere oder<lb/>
äußere Mission abrichtenden Stiftes geboten hat, in welchem als die Haupt¬<lb/>
sache am Schlüsse des Jahresberichts berechnet wird, wie viel Besuche bei Un-<lb/>
kirchlichen gemacht worden sind, wieviele Traktate ausgeteilt, wie viel Juden in<lb/>
Katechumenenunterrichr genommen und gewonnen oder auch wieder rückfällig ge¬<lb/>
worden sind, kurz, ein Gemisch von katholischem und sektirerischem Treiben, das<lb/>
man evangelisch nennt und womit heutzutage die Fanatiker meinen, eine Kirche<lb/>
zu erbauen, die &#x201E;das Gewissen und die Freundin der Nation" sein würde. Sie<lb/>
wird ihre Todfeindin sein, die Feindin des deutschen Gewissens und der evan¬<lb/>
gelischen Freiheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765" next="#ID_766"> Darum sehe man sich ja vor, das Studium der Theologie mehr priesterlich<lb/>
zu verengern, als es schon in der Sache und der Vorbereitung für das Pfarramt<lb/>
liegt. Alles, was der Hammcrsteinsche Antrag bezweckt, läuft darauf hinaus,<lb/>
daß die evangelische Kirche eine Kopie der römischen &#x201E;Schwesterkirche" werde.<lb/>
Wenn Stöcker diese Anträge damit empfahl, daß er sagte: &#x201E;Vor allem gilt es,<lb/>
dem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen, daß wir in unsrer Kirche eine<lb/>
Partei haben, die nicht bauen, sondern zerstören will; wenn wir unabhängig<lb/>
geworden sind und diese Partei zum Schweigen gebracht haben, dann sind wir<lb/>
stark genug, um Deutschland das evangelische Gepräge zu geben, das ihm von<lb/>
Gott und Rechtswegen gebührt," so mögen alle, die aus der Geschichte wissen,<lb/>
welches Elend und welcher Druck das Gefolge der Hierarchie unvermeidlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischenZStudiums. fruchtete. Diese Jünger wurden reifer dadurch als die jetzigen Lehrlinge der Theologie, nicht bloß in der Wissenschaft, sondern auch fürs Leben. Traten sie in das Pfarramt, so traten sie ein auch mit einem Urteil über das Hohe und Edle, was außerhalb der Kirchenwände das Menschendasein stützt, bereichert und verschönt. Auch das war ein großer und unermeßlicher Vorteil für das geistliche Amt selbst, daß viele Theologe», und zwar gerade die besten, sich erst lange Jahre im Schuldienst bewegt hatten. Das ist jetzt verschwunden. Anstatt der human gebildeten, für das Edle und Große begeisterten jungen geistlichen Aspiranten, die man als eine Auswahl aus dem gesamten Theologenbestande herausnahm und zum Unterricht verwendete, und die mit feinem Gefühl und hohem Sinn die Klassiker in den Gymnasien erklärten, selbst noch immer mit¬ lernend und anstrebend und so ihren Schülern näher stehend, kommen jetzt an die Gelehrtenschulen philologische Spezialistin, höchst ausgebildet in ihrem Fache und mit der Kenntnis minutiösester Details voll ausgerüstet, aber oft unfähig, mit Liebe und Hingebung das Einzelne und das Ganze zu umfassen, und wenig fähig, selbst noch als Mitlernende und Mitstrebende mit ihren Schülern sich der Herrlichkeit und Größe der alten Welt zu erfreuen. Und anstatt vieler, die sich so jung erhalten haben mit den Jungen und doch als gereifte Männer dann willig ins Pfarramt traten und mit gesunden Lebensansichten das Amt anfaßten, gehen jetzt Hunderte von jungen Leuten ins Amt, ausgerüstet mit dem, was ihnen die Mache einer geistlichen Anstalt oder eines für innere oder äußere Mission abrichtenden Stiftes geboten hat, in welchem als die Haupt¬ sache am Schlüsse des Jahresberichts berechnet wird, wie viel Besuche bei Un- kirchlichen gemacht worden sind, wieviele Traktate ausgeteilt, wie viel Juden in Katechumenenunterrichr genommen und gewonnen oder auch wieder rückfällig ge¬ worden sind, kurz, ein Gemisch von katholischem und sektirerischem Treiben, das man evangelisch nennt und womit heutzutage die Fanatiker meinen, eine Kirche zu erbauen, die „das Gewissen und die Freundin der Nation" sein würde. Sie wird ihre Todfeindin sein, die Feindin des deutschen Gewissens und der evan¬ gelischen Freiheit. Darum sehe man sich ja vor, das Studium der Theologie mehr priesterlich zu verengern, als es schon in der Sache und der Vorbereitung für das Pfarramt liegt. Alles, was der Hammcrsteinsche Antrag bezweckt, läuft darauf hinaus, daß die evangelische Kirche eine Kopie der römischen „Schwesterkirche" werde. Wenn Stöcker diese Anträge damit empfahl, daß er sagte: „Vor allem gilt es, dem unwürdigen Zustande ein Ende zu machen, daß wir in unsrer Kirche eine Partei haben, die nicht bauen, sondern zerstören will; wenn wir unabhängig geworden sind und diese Partei zum Schweigen gebracht haben, dann sind wir stark genug, um Deutschland das evangelische Gepräge zu geben, das ihm von Gott und Rechtswegen gebührt," so mögen alle, die aus der Geschichte wissen, welches Elend und welcher Druck das Gefolge der Hierarchie unvermeidlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/256>, abgerufen am 17.09.2024.