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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen^ Studiums.

Gottes zu verkündigen." Aber er meint dabei, diese eine Aufgabe gliedere sich
in eine große Fülle einzelner Aufgaben, und will am wenigsten die Aufgabe
des Amtes beschränkt wissen auf das, was als öffentlich kirchliche Einwirkung
auf die Gemeinde hervortrete, also auf Predigt, Sakramentsverwaltung, Liturgie,
kirchliche Katechese, Konfirmandenunterricht, Kasualien, Seelsorge. Abgesehen
davon, daß der Geistliche als Pfarrer auch kirchlicher Verwaltnngsbeamter sei
und eine gewisse Nechtskenntnis besitzen müsse, habe er statistische Nachrichten
zusammenzustellen, Zeugnisse zu schreiben, die Sitzungen des Kirchenvorstandes
z" leiten, dürfe einer langen Reihe verschiedner Vereine nicht fern bleiben, sei
das hervorragendste Organ für Armenpflege, müsse das Interesse für die Mission
wecken und nähren, müsse an Leid und Frende der Gemeinde teilnehmen ?c.
Auch in den sozialen Fragen unsrer Tage müsse er bewandert sein, solle seinen
Gemeindegliedern auch in irdischen Dingen mit Rat und That' dienen, bildende
und erbauende Bücher und Zeitschriften ausbreiten helfen, auch wohl durch be¬
sondre Vorträge über wichtige Fragen des Volkslebens Klarheit schaffen, sich
wissenschaftlich weiter bilden, "kurz, der Pfarrer muß ein Christ sein und doch
auch in allen weltlichen Verhältnissen ein erfahrener Mann."

Das alles scheint sehr viel, aber zum Teil sind es Dinge, die für den
Pfarrer nicht weiter nötig sind als für jeden andern, der an den Aufgaben
unsrer Zeit Teil zu nehmen für helpe Pflicht hält, zum Teil wächst er in die
Sachen von selbst hinein. Das, was es ihm lehrt, ist das Amt; das Studium
auf der Universität kaun ihm das nicht geben und braucht es ihm nicht zu
geben. Da ist z, B. die Seelsorge. Sie scheint einen guten Teil des Amtes
auszumachen; viele Pastoren sprechen auch von ihr als von etwas außer¬
ordentlich Wichtigem und schweren. Und doch ist die beste Seelsorge eine gute
Predigt und eine gute Rede bei Kasnalien; jede andre amtlich ausgeführte
Seelsorge kann gar zu leicht, wie der Geheime Kirchenrat Schwarz in Jena
einmal sagte, Quatsch werden; auch ist eine Menge der sogenannten geistlichen
Bedürfnisse nur das Erzeugnis der Langenweile, besonders beim weiblichen Ge¬
schlechte. Entschieden schadet es nicht, sondern der Pastor thut eher gut, nicht
den Bedürfnissen der Seelen allzu eifrig nachzugehen, da er gar zu leicht auch
da Bedürfnisse entdeckt, wo keine sind, sondern abzuwarten, bis sie an ihn heran¬
treten. Geschieht das aber, so giebt ihm für ihre Behandlung kein Universitäts¬
studium die geringste Handhabe, nur Einblick in die menschlichen Verhältnisse
und Erfahrung treffen da das Rechte. Hat der Geistliche ein Herz, das sich
der Not und dem Jammer aufthut, so findet auch jede verarmte Seele bei ihm
Trost und Stütze, und sein Wort kommt über jeden Fragenden und Bittenden
mit sicherer Gewalt. Aber kein Kollegium und keine Dozentenweisheit lehrt
dieses Wort.

Listen, Berichte, statistische Nachrichten, Führung der Kirchenbücher u. dergl-
sind Dinge, die in kleinen Gemeinden weder besondre Kenntnisse noch viele Zeit


Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen^ Studiums.

Gottes zu verkündigen." Aber er meint dabei, diese eine Aufgabe gliedere sich
in eine große Fülle einzelner Aufgaben, und will am wenigsten die Aufgabe
des Amtes beschränkt wissen auf das, was als öffentlich kirchliche Einwirkung
auf die Gemeinde hervortrete, also auf Predigt, Sakramentsverwaltung, Liturgie,
kirchliche Katechese, Konfirmandenunterricht, Kasualien, Seelsorge. Abgesehen
davon, daß der Geistliche als Pfarrer auch kirchlicher Verwaltnngsbeamter sei
und eine gewisse Nechtskenntnis besitzen müsse, habe er statistische Nachrichten
zusammenzustellen, Zeugnisse zu schreiben, die Sitzungen des Kirchenvorstandes
z» leiten, dürfe einer langen Reihe verschiedner Vereine nicht fern bleiben, sei
das hervorragendste Organ für Armenpflege, müsse das Interesse für die Mission
wecken und nähren, müsse an Leid und Frende der Gemeinde teilnehmen ?c.
Auch in den sozialen Fragen unsrer Tage müsse er bewandert sein, solle seinen
Gemeindegliedern auch in irdischen Dingen mit Rat und That' dienen, bildende
und erbauende Bücher und Zeitschriften ausbreiten helfen, auch wohl durch be¬
sondre Vorträge über wichtige Fragen des Volkslebens Klarheit schaffen, sich
wissenschaftlich weiter bilden, „kurz, der Pfarrer muß ein Christ sein und doch
auch in allen weltlichen Verhältnissen ein erfahrener Mann."

Das alles scheint sehr viel, aber zum Teil sind es Dinge, die für den
Pfarrer nicht weiter nötig sind als für jeden andern, der an den Aufgaben
unsrer Zeit Teil zu nehmen für helpe Pflicht hält, zum Teil wächst er in die
Sachen von selbst hinein. Das, was es ihm lehrt, ist das Amt; das Studium
auf der Universität kaun ihm das nicht geben und braucht es ihm nicht zu
geben. Da ist z, B. die Seelsorge. Sie scheint einen guten Teil des Amtes
auszumachen; viele Pastoren sprechen auch von ihr als von etwas außer¬
ordentlich Wichtigem und schweren. Und doch ist die beste Seelsorge eine gute
Predigt und eine gute Rede bei Kasnalien; jede andre amtlich ausgeführte
Seelsorge kann gar zu leicht, wie der Geheime Kirchenrat Schwarz in Jena
einmal sagte, Quatsch werden; auch ist eine Menge der sogenannten geistlichen
Bedürfnisse nur das Erzeugnis der Langenweile, besonders beim weiblichen Ge¬
schlechte. Entschieden schadet es nicht, sondern der Pastor thut eher gut, nicht
den Bedürfnissen der Seelen allzu eifrig nachzugehen, da er gar zu leicht auch
da Bedürfnisse entdeckt, wo keine sind, sondern abzuwarten, bis sie an ihn heran¬
treten. Geschieht das aber, so giebt ihm für ihre Behandlung kein Universitäts¬
studium die geringste Handhabe, nur Einblick in die menschlichen Verhältnisse
und Erfahrung treffen da das Rechte. Hat der Geistliche ein Herz, das sich
der Not und dem Jammer aufthut, so findet auch jede verarmte Seele bei ihm
Trost und Stütze, und sein Wort kommt über jeden Fragenden und Bittenden
mit sicherer Gewalt. Aber kein Kollegium und keine Dozentenweisheit lehrt
dieses Wort.

Listen, Berichte, statistische Nachrichten, Führung der Kirchenbücher u. dergl-
sind Dinge, die in kleinen Gemeinden weder besondre Kenntnisse noch viele Zeit


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[0254] Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen^ Studiums. Gottes zu verkündigen." Aber er meint dabei, diese eine Aufgabe gliedere sich in eine große Fülle einzelner Aufgaben, und will am wenigsten die Aufgabe des Amtes beschränkt wissen auf das, was als öffentlich kirchliche Einwirkung auf die Gemeinde hervortrete, also auf Predigt, Sakramentsverwaltung, Liturgie, kirchliche Katechese, Konfirmandenunterricht, Kasualien, Seelsorge. Abgesehen davon, daß der Geistliche als Pfarrer auch kirchlicher Verwaltnngsbeamter sei und eine gewisse Nechtskenntnis besitzen müsse, habe er statistische Nachrichten zusammenzustellen, Zeugnisse zu schreiben, die Sitzungen des Kirchenvorstandes z» leiten, dürfe einer langen Reihe verschiedner Vereine nicht fern bleiben, sei das hervorragendste Organ für Armenpflege, müsse das Interesse für die Mission wecken und nähren, müsse an Leid und Frende der Gemeinde teilnehmen ?c. Auch in den sozialen Fragen unsrer Tage müsse er bewandert sein, solle seinen Gemeindegliedern auch in irdischen Dingen mit Rat und That' dienen, bildende und erbauende Bücher und Zeitschriften ausbreiten helfen, auch wohl durch be¬ sondre Vorträge über wichtige Fragen des Volkslebens Klarheit schaffen, sich wissenschaftlich weiter bilden, „kurz, der Pfarrer muß ein Christ sein und doch auch in allen weltlichen Verhältnissen ein erfahrener Mann." Das alles scheint sehr viel, aber zum Teil sind es Dinge, die für den Pfarrer nicht weiter nötig sind als für jeden andern, der an den Aufgaben unsrer Zeit Teil zu nehmen für helpe Pflicht hält, zum Teil wächst er in die Sachen von selbst hinein. Das, was es ihm lehrt, ist das Amt; das Studium auf der Universität kaun ihm das nicht geben und braucht es ihm nicht zu geben. Da ist z, B. die Seelsorge. Sie scheint einen guten Teil des Amtes auszumachen; viele Pastoren sprechen auch von ihr als von etwas außer¬ ordentlich Wichtigem und schweren. Und doch ist die beste Seelsorge eine gute Predigt und eine gute Rede bei Kasnalien; jede andre amtlich ausgeführte Seelsorge kann gar zu leicht, wie der Geheime Kirchenrat Schwarz in Jena einmal sagte, Quatsch werden; auch ist eine Menge der sogenannten geistlichen Bedürfnisse nur das Erzeugnis der Langenweile, besonders beim weiblichen Ge¬ schlechte. Entschieden schadet es nicht, sondern der Pastor thut eher gut, nicht den Bedürfnissen der Seelen allzu eifrig nachzugehen, da er gar zu leicht auch da Bedürfnisse entdeckt, wo keine sind, sondern abzuwarten, bis sie an ihn heran¬ treten. Geschieht das aber, so giebt ihm für ihre Behandlung kein Universitäts¬ studium die geringste Handhabe, nur Einblick in die menschlichen Verhältnisse und Erfahrung treffen da das Rechte. Hat der Geistliche ein Herz, das sich der Not und dem Jammer aufthut, so findet auch jede verarmte Seele bei ihm Trost und Stütze, und sein Wort kommt über jeden Fragenden und Bittenden mit sicherer Gewalt. Aber kein Kollegium und keine Dozentenweisheit lehrt dieses Wort. Listen, Berichte, statistische Nachrichten, Führung der Kirchenbücher u. dergl- sind Dinge, die in kleinen Gemeinden weder besondre Kenntnisse noch viele Zeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/254>, abgerufen am 17.09.2024.