Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

hat, wird sich hüten, eine zweite einzurichten, die mit ihrer Forderung einer
"evangelischen Hierarchie," wie man sie von gewisser Seite ganz unverhohlen stellt,
sich zu einem Wettlauf mit der katholischen Hierarchie zu rüsten für die Haupt¬
sache halten möchte, immer mit dem Zielpunkt im Auge, welche von beiden
"Schwesterkirchen" dem Staate am meisten "Rechte der freien Kirche" abpressen
könnte. Was dann aus dem Staate würde, das würde für die Hierarchie
immer erst, wenn es gut geht, eine Frage zweiten Ranges sein. Ich sage,
wenn es gut geht; denn im Grunde haßt jede Hierarchie den Staat als ihren
Gegner. Hausrath hat ganz Recht, wenn er sagt, daß es durch alle Jahr¬
hunderte die einzelnen Einrichtungen, Handlungen, Staatsgesetze waren, die der
Klerus angriff, daß es aber der Staat selbst war, den er meinte. Die Hier¬
archie verneint immer den Staat selbst, und das hat Fürst Bismarck erkannt,
wenn er den Kampf zwischen dem Priester und dem König für Jahrtausende
alt erklärt und einen ein- für allemal abschließenden Frieden zwischen den beiden
für nicht möglich hält. Sobald der Staat seine Rechtsordnung auch vom
Klerus beobachtet wissen will, wird sich die Kirche immer von Zeit zu Zeit
veranlaßt fühlen, von der erdrückenden Tyrannei des Staates zu reden, wie
sie selbst unter einem Philipp II., der mit seinem Glaubeusfcmatismus eine
Welt umspannte, von "diokletianischer Verfolgung" redete, als derselbe ihr nicht
allein dienen wollte, sondern auch etwas für sich sein. Es wird also mit der
einmal in die Staatsordnung aufgenommenen Hierarchie immer nur einen
inoclns vivöncli geben, der sich in der Hauptsache darauf gründet, daß der Klerus
begreift und nötigenfalls von Zeit zu Zeit erfährt, daß auch er verwundbare
Stellen hat und der Staat die Macht besitzt, ihn an'diesen Stellen zu treffen,
sobald ihm, dem Klerus, der Streit lieber zu sein anfängt als der Friede.
Wir wollen nicht sagen, wie Hausrath sagt, daß der Streit die Arbeit des
Klerus sei, neben der, was er sonst thut, kaum in Betracht komme; es paßt
dies Nur zu Zeiten, wie in unsrer Zeit; aber so viel ist sicher: der Staat, und
vollends der Staat mit protestantischen Charakter, muß gegenüber der Hier¬
archie stets geradeso auf der Wacht stehen, wie gegenüber den fremden staat¬
lichen Mächten, die ihm nicht gewogen sind.

Bei solcher Lage der Dinge wird der Staat, wenn er sich selbst versteht,
nicht willens sein, die Wünsche zu erfüllen, die Stöcker schon am 2. Januar
1875 in seiner Evangelischen Zeitung kundgab: "Unsre wichtigste, ja' unsre
einzigste absolute Forderung ist unsre Freiheit vom Staat.... Möge der
Minister (Fall) was noch zu retten ist, schnell retten, die Kirche dvtiren und
neu organisiren helfen, ihre Unabhängigkeit vom Staat durchsetze" und die be¬
freite'sich selbst zurückgeben." Das war also schon 1875 der dringende Wunsch
der Herren von der "freien Kirche." Der Staat wird diesen Wunsch' nach einer
zweiten, einer evangelischen Hierarchie nicht erfüllen. Er würde sich damit seine
besten Lebenskräfte unterbinden. Und der Verfasser der erwähnten Broschüre


Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

hat, wird sich hüten, eine zweite einzurichten, die mit ihrer Forderung einer
„evangelischen Hierarchie," wie man sie von gewisser Seite ganz unverhohlen stellt,
sich zu einem Wettlauf mit der katholischen Hierarchie zu rüsten für die Haupt¬
sache halten möchte, immer mit dem Zielpunkt im Auge, welche von beiden
„Schwesterkirchen" dem Staate am meisten „Rechte der freien Kirche" abpressen
könnte. Was dann aus dem Staate würde, das würde für die Hierarchie
immer erst, wenn es gut geht, eine Frage zweiten Ranges sein. Ich sage,
wenn es gut geht; denn im Grunde haßt jede Hierarchie den Staat als ihren
Gegner. Hausrath hat ganz Recht, wenn er sagt, daß es durch alle Jahr¬
hunderte die einzelnen Einrichtungen, Handlungen, Staatsgesetze waren, die der
Klerus angriff, daß es aber der Staat selbst war, den er meinte. Die Hier¬
archie verneint immer den Staat selbst, und das hat Fürst Bismarck erkannt,
wenn er den Kampf zwischen dem Priester und dem König für Jahrtausende
alt erklärt und einen ein- für allemal abschließenden Frieden zwischen den beiden
für nicht möglich hält. Sobald der Staat seine Rechtsordnung auch vom
Klerus beobachtet wissen will, wird sich die Kirche immer von Zeit zu Zeit
veranlaßt fühlen, von der erdrückenden Tyrannei des Staates zu reden, wie
sie selbst unter einem Philipp II., der mit seinem Glaubeusfcmatismus eine
Welt umspannte, von „diokletianischer Verfolgung" redete, als derselbe ihr nicht
allein dienen wollte, sondern auch etwas für sich sein. Es wird also mit der
einmal in die Staatsordnung aufgenommenen Hierarchie immer nur einen
inoclns vivöncli geben, der sich in der Hauptsache darauf gründet, daß der Klerus
begreift und nötigenfalls von Zeit zu Zeit erfährt, daß auch er verwundbare
Stellen hat und der Staat die Macht besitzt, ihn an'diesen Stellen zu treffen,
sobald ihm, dem Klerus, der Streit lieber zu sein anfängt als der Friede.
Wir wollen nicht sagen, wie Hausrath sagt, daß der Streit die Arbeit des
Klerus sei, neben der, was er sonst thut, kaum in Betracht komme; es paßt
dies Nur zu Zeiten, wie in unsrer Zeit; aber so viel ist sicher: der Staat, und
vollends der Staat mit protestantischen Charakter, muß gegenüber der Hier¬
archie stets geradeso auf der Wacht stehen, wie gegenüber den fremden staat¬
lichen Mächten, die ihm nicht gewogen sind.

Bei solcher Lage der Dinge wird der Staat, wenn er sich selbst versteht,
nicht willens sein, die Wünsche zu erfüllen, die Stöcker schon am 2. Januar
1875 in seiner Evangelischen Zeitung kundgab: „Unsre wichtigste, ja' unsre
einzigste absolute Forderung ist unsre Freiheit vom Staat.... Möge der
Minister (Fall) was noch zu retten ist, schnell retten, die Kirche dvtiren und
neu organisiren helfen, ihre Unabhängigkeit vom Staat durchsetze« und die be¬
freite'sich selbst zurückgeben." Das war also schon 1875 der dringende Wunsch
der Herren von der „freien Kirche." Der Staat wird diesen Wunsch' nach einer
zweiten, einer evangelischen Hierarchie nicht erfüllen. Er würde sich damit seine
besten Lebenskräfte unterbinden. Und der Verfasser der erwähnten Broschüre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288703"/>
          <fw type="header" place="top"> Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_747" prev="#ID_746"> hat, wird sich hüten, eine zweite einzurichten, die mit ihrer Forderung einer<lb/>
&#x201E;evangelischen Hierarchie," wie man sie von gewisser Seite ganz unverhohlen stellt,<lb/>
sich zu einem Wettlauf mit der katholischen Hierarchie zu rüsten für die Haupt¬<lb/>
sache halten möchte, immer mit dem Zielpunkt im Auge, welche von beiden<lb/>
&#x201E;Schwesterkirchen" dem Staate am meisten &#x201E;Rechte der freien Kirche" abpressen<lb/>
könnte. Was dann aus dem Staate würde, das würde für die Hierarchie<lb/>
immer erst, wenn es gut geht, eine Frage zweiten Ranges sein. Ich sage,<lb/>
wenn es gut geht; denn im Grunde haßt jede Hierarchie den Staat als ihren<lb/>
Gegner. Hausrath hat ganz Recht, wenn er sagt, daß es durch alle Jahr¬<lb/>
hunderte die einzelnen Einrichtungen, Handlungen, Staatsgesetze waren, die der<lb/>
Klerus angriff, daß es aber der Staat selbst war, den er meinte. Die Hier¬<lb/>
archie verneint immer den Staat selbst, und das hat Fürst Bismarck erkannt,<lb/>
wenn er den Kampf zwischen dem Priester und dem König für Jahrtausende<lb/>
alt erklärt und einen ein- für allemal abschließenden Frieden zwischen den beiden<lb/>
für nicht möglich hält. Sobald der Staat seine Rechtsordnung auch vom<lb/>
Klerus beobachtet wissen will, wird sich die Kirche immer von Zeit zu Zeit<lb/>
veranlaßt fühlen, von der erdrückenden Tyrannei des Staates zu reden, wie<lb/>
sie selbst unter einem Philipp II., der mit seinem Glaubeusfcmatismus eine<lb/>
Welt umspannte, von &#x201E;diokletianischer Verfolgung" redete, als derselbe ihr nicht<lb/>
allein dienen wollte, sondern auch etwas für sich sein. Es wird also mit der<lb/>
einmal in die Staatsordnung aufgenommenen Hierarchie immer nur einen<lb/>
inoclns vivöncli geben, der sich in der Hauptsache darauf gründet, daß der Klerus<lb/>
begreift und nötigenfalls von Zeit zu Zeit erfährt, daß auch er verwundbare<lb/>
Stellen hat und der Staat die Macht besitzt, ihn an'diesen Stellen zu treffen,<lb/>
sobald ihm, dem Klerus, der Streit lieber zu sein anfängt als der Friede.<lb/>
Wir wollen nicht sagen, wie Hausrath sagt, daß der Streit die Arbeit des<lb/>
Klerus sei, neben der, was er sonst thut, kaum in Betracht komme; es paßt<lb/>
dies Nur zu Zeiten, wie in unsrer Zeit; aber so viel ist sicher: der Staat, und<lb/>
vollends der Staat mit protestantischen Charakter, muß gegenüber der Hier¬<lb/>
archie stets geradeso auf der Wacht stehen, wie gegenüber den fremden staat¬<lb/>
lichen Mächten, die ihm nicht gewogen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_748" next="#ID_749"> Bei solcher Lage der Dinge wird der Staat, wenn er sich selbst versteht,<lb/>
nicht willens sein, die Wünsche zu erfüllen, die Stöcker schon am 2. Januar<lb/>
1875 in seiner Evangelischen Zeitung kundgab: &#x201E;Unsre wichtigste, ja' unsre<lb/>
einzigste absolute Forderung ist unsre Freiheit vom Staat.... Möge der<lb/>
Minister (Fall) was noch zu retten ist, schnell retten, die Kirche dvtiren und<lb/>
neu organisiren helfen, ihre Unabhängigkeit vom Staat durchsetze« und die be¬<lb/>
freite'sich selbst zurückgeben." Das war also schon 1875 der dringende Wunsch<lb/>
der Herren von der &#x201E;freien Kirche." Der Staat wird diesen Wunsch' nach einer<lb/>
zweiten, einer evangelischen Hierarchie nicht erfüllen. Er würde sich damit seine<lb/>
besten Lebenskräfte unterbinden.  Und der Verfasser der erwähnten Broschüre</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Noch einmal die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums. hat, wird sich hüten, eine zweite einzurichten, die mit ihrer Forderung einer „evangelischen Hierarchie," wie man sie von gewisser Seite ganz unverhohlen stellt, sich zu einem Wettlauf mit der katholischen Hierarchie zu rüsten für die Haupt¬ sache halten möchte, immer mit dem Zielpunkt im Auge, welche von beiden „Schwesterkirchen" dem Staate am meisten „Rechte der freien Kirche" abpressen könnte. Was dann aus dem Staate würde, das würde für die Hierarchie immer erst, wenn es gut geht, eine Frage zweiten Ranges sein. Ich sage, wenn es gut geht; denn im Grunde haßt jede Hierarchie den Staat als ihren Gegner. Hausrath hat ganz Recht, wenn er sagt, daß es durch alle Jahr¬ hunderte die einzelnen Einrichtungen, Handlungen, Staatsgesetze waren, die der Klerus angriff, daß es aber der Staat selbst war, den er meinte. Die Hier¬ archie verneint immer den Staat selbst, und das hat Fürst Bismarck erkannt, wenn er den Kampf zwischen dem Priester und dem König für Jahrtausende alt erklärt und einen ein- für allemal abschließenden Frieden zwischen den beiden für nicht möglich hält. Sobald der Staat seine Rechtsordnung auch vom Klerus beobachtet wissen will, wird sich die Kirche immer von Zeit zu Zeit veranlaßt fühlen, von der erdrückenden Tyrannei des Staates zu reden, wie sie selbst unter einem Philipp II., der mit seinem Glaubeusfcmatismus eine Welt umspannte, von „diokletianischer Verfolgung" redete, als derselbe ihr nicht allein dienen wollte, sondern auch etwas für sich sein. Es wird also mit der einmal in die Staatsordnung aufgenommenen Hierarchie immer nur einen inoclns vivöncli geben, der sich in der Hauptsache darauf gründet, daß der Klerus begreift und nötigenfalls von Zeit zu Zeit erfährt, daß auch er verwundbare Stellen hat und der Staat die Macht besitzt, ihn an'diesen Stellen zu treffen, sobald ihm, dem Klerus, der Streit lieber zu sein anfängt als der Friede. Wir wollen nicht sagen, wie Hausrath sagt, daß der Streit die Arbeit des Klerus sei, neben der, was er sonst thut, kaum in Betracht komme; es paßt dies Nur zu Zeiten, wie in unsrer Zeit; aber so viel ist sicher: der Staat, und vollends der Staat mit protestantischen Charakter, muß gegenüber der Hier¬ archie stets geradeso auf der Wacht stehen, wie gegenüber den fremden staat¬ lichen Mächten, die ihm nicht gewogen sind. Bei solcher Lage der Dinge wird der Staat, wenn er sich selbst versteht, nicht willens sein, die Wünsche zu erfüllen, die Stöcker schon am 2. Januar 1875 in seiner Evangelischen Zeitung kundgab: „Unsre wichtigste, ja' unsre einzigste absolute Forderung ist unsre Freiheit vom Staat.... Möge der Minister (Fall) was noch zu retten ist, schnell retten, die Kirche dvtiren und neu organisiren helfen, ihre Unabhängigkeit vom Staat durchsetze« und die be¬ freite'sich selbst zurückgeben." Das war also schon 1875 der dringende Wunsch der Herren von der „freien Kirche." Der Staat wird diesen Wunsch' nach einer zweiten, einer evangelischen Hierarchie nicht erfüllen. Er würde sich damit seine besten Lebenskräfte unterbinden. Und der Verfasser der erwähnten Broschüre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/250>, abgerufen am 17.09.2024.