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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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wechselnden Mode, Den dreieckigen Hut mit niederzuschlagenden Klappen trug
er bei allen Amtsverrichtungen so lange, bis er nicht mehr zusammenhielt. Eine
ähnliche Vorliebe bekundete er für veraltete Kleidertracht, der er noch lange
treu blieb, als seine Amtsbruder sich schon längst der herrschenden neuen Mode
unterworfen hatten. Gegen unsern Wunsch mußten wir Brüder uns in dieser
Beziehung ganz dem Willen des Vaters fügen, den etwas zu beugen nur dem
alten Schneider gelang, der für den Vater schon seit undenklichen Zeiten arbeitete.
Dieser Mann, in seiner Art ein erfindungsreicher Kopf, verstand es, eine Art
Mittelmodeschnitt herzustellen.

Kuhring -- so hieß unser Bekleidungskünstler -- bewohnte eine Mansarde
auf der Neustadt in einem jener sogenannten "Bierhöfe," an denen Zittau so
reich war. Ein Hinterzimmer seiner nicht eben großen Wohnung stand unbe¬
nutzt, und dieses Zimmer, das wir zu jedem Jahrmarkt ans einige Zeit räumen
mußten, weil es dann an einen Fremden vermietet wurde, sollte uns Brüdern
fortan als Wohnung dienen. Das einzige Fenster desselben gewährte Aussicht
in einen kleinen viereckigen Hof und in die gegenüberliegende Wohnung einer
alten triefäugigen Waschfrau, die mit ihrer auch schon bejahrten Tochter Tag
für Tag den "häuslichen Zwist" aufführte. Das Zimmer war eben groß genug,
um zwei Menschen Raum zur Arbeit an einem gemeinsamen Tische zu geben;
sogar ein kleines Klavier, ein sogenanntes Spinett von zweifelhaftem, sanft
wispernden Ton und noch zweifelhafterer Stimmung, fand darin Platz. Als
Schlafraum diente ein daran stoßender stockfinsterer, dumpfiger Alkoven, dem
wir nur während unsrer Abwesenheit Luft zuführen konnten.

Fenster und Thür schlössen schlecht, und so würde das Zimmer im Winter,
weil es sehr hoch war und als Decke nur die ungekcilkte Bretterdiele des dar¬
über liegenden Bodens auswies, kaum heizbar gewesen sein. Diesem Übelstande
wußte jedoch unser wackerer Meister von der Nadel auf erfinderische Weise ab¬
zuhelfen. Er schaffte sich das dickste Packpapier an, setzte sich auf seine Werk¬
statt und nähte daraus eine Decke zusammen, welche dem Zimmer wie ange¬
gossen paßte. Durch diese Vorrichtung wurde unser Museum heizbar, auch
ward durch sie für einige Unterhaltung gesorgt, da sich bisweilen den himmel¬
blau angemalten Papierdeckel über unsern Köpfen einige neugierige Mäuschen
zum Spielplatze erkoren, ohne ihn anznnagen oder gar durchzuknuppern. Es
war mit einem Wort "ein schönes Dings," wie der Meister sich ausdrückte,
und ich habe unter dem ewig schaukelnden und oft recht unheimlich raschelnden
Papierhimmel, der noch viele Jahre später das kleine Mansardenstübchen so
eigentümlich zierte, sehr ruhig, wenn auch nicht immer glücklich gelebt. Um
glücklich zu sein, fehlte mir die Zufriedenheit mit meiner Lage, die eine ge¬
zwungene war und blieb, da ich gegen Wunsch und Neigung einem Berufe mich
widmen mußte, den ich aus innerm Drange niemals erwählt hätte.

(Schlusz folgt.)


wechselnden Mode, Den dreieckigen Hut mit niederzuschlagenden Klappen trug
er bei allen Amtsverrichtungen so lange, bis er nicht mehr zusammenhielt. Eine
ähnliche Vorliebe bekundete er für veraltete Kleidertracht, der er noch lange
treu blieb, als seine Amtsbruder sich schon längst der herrschenden neuen Mode
unterworfen hatten. Gegen unsern Wunsch mußten wir Brüder uns in dieser
Beziehung ganz dem Willen des Vaters fügen, den etwas zu beugen nur dem
alten Schneider gelang, der für den Vater schon seit undenklichen Zeiten arbeitete.
Dieser Mann, in seiner Art ein erfindungsreicher Kopf, verstand es, eine Art
Mittelmodeschnitt herzustellen.

Kuhring — so hieß unser Bekleidungskünstler — bewohnte eine Mansarde
auf der Neustadt in einem jener sogenannten „Bierhöfe," an denen Zittau so
reich war. Ein Hinterzimmer seiner nicht eben großen Wohnung stand unbe¬
nutzt, und dieses Zimmer, das wir zu jedem Jahrmarkt ans einige Zeit räumen
mußten, weil es dann an einen Fremden vermietet wurde, sollte uns Brüdern
fortan als Wohnung dienen. Das einzige Fenster desselben gewährte Aussicht
in einen kleinen viereckigen Hof und in die gegenüberliegende Wohnung einer
alten triefäugigen Waschfrau, die mit ihrer auch schon bejahrten Tochter Tag
für Tag den „häuslichen Zwist" aufführte. Das Zimmer war eben groß genug,
um zwei Menschen Raum zur Arbeit an einem gemeinsamen Tische zu geben;
sogar ein kleines Klavier, ein sogenanntes Spinett von zweifelhaftem, sanft
wispernden Ton und noch zweifelhafterer Stimmung, fand darin Platz. Als
Schlafraum diente ein daran stoßender stockfinsterer, dumpfiger Alkoven, dem
wir nur während unsrer Abwesenheit Luft zuführen konnten.

Fenster und Thür schlössen schlecht, und so würde das Zimmer im Winter,
weil es sehr hoch war und als Decke nur die ungekcilkte Bretterdiele des dar¬
über liegenden Bodens auswies, kaum heizbar gewesen sein. Diesem Übelstande
wußte jedoch unser wackerer Meister von der Nadel auf erfinderische Weise ab¬
zuhelfen. Er schaffte sich das dickste Packpapier an, setzte sich auf seine Werk¬
statt und nähte daraus eine Decke zusammen, welche dem Zimmer wie ange¬
gossen paßte. Durch diese Vorrichtung wurde unser Museum heizbar, auch
ward durch sie für einige Unterhaltung gesorgt, da sich bisweilen den himmel¬
blau angemalten Papierdeckel über unsern Köpfen einige neugierige Mäuschen
zum Spielplatze erkoren, ohne ihn anznnagen oder gar durchzuknuppern. Es
war mit einem Wort „ein schönes Dings," wie der Meister sich ausdrückte,
und ich habe unter dem ewig schaukelnden und oft recht unheimlich raschelnden
Papierhimmel, der noch viele Jahre später das kleine Mansardenstübchen so
eigentümlich zierte, sehr ruhig, wenn auch nicht immer glücklich gelebt. Um
glücklich zu sein, fehlte mir die Zufriedenheit mit meiner Lage, die eine ge¬
zwungene war und blieb, da ich gegen Wunsch und Neigung einem Berufe mich
widmen mußte, den ich aus innerm Drange niemals erwählt hätte.

(Schlusz folgt.)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/240>, abgerufen am 17.09.2024.