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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Iugenderiimerungen.

liebe Muskelkraft und nahm es wohl mit drei bis vier städtisch erzogenen
Knaben auf. Leider aber kamen den zurückgeschlagenen sofort andre zu Hilfe,
es entstand eine allgemeine Katzbalgerei, die gegen mich, den Einzelnen, gerichtet
war, und so mußte ich unterliege".

Szenen solcher Art wiederholten sich Tag für Tag, wenn ich es nicht
vorzog, in den Pausen zwischen den Stunden das Freie zu suchen, was sich
nicht immer thun ließ. Ich befand mich demnach in einer Übeln Lage, die mir
das Leben in der Schule selbst gründlich verleidete. Dem Abhilfe zu schaffen,
wollte sich mir kein zweckdienliches Mittel darbieten. Gegen meine Quäler bei
den Lehrern klagbar zu werden, widerstand mir. Es sah dies feig aus und
würde mir sicherlich alle Schüler, auch die besser gearteten, die sich gleichgiltig
verhielten, zu Feinden gemacht haben. So übte ich mich denn im Dulden und
in "passivem Widerstande," schlug mich zuweilen, wenn es meine nichtsnutzigen
Quälgeister gar zu arg trieben, und vermaledeite im Stillen die Stunde, die
mich in diese Gesellschaft gebracht hatte.

Glücklicherweise pflegen Knaben im Alter der Flegcljcihrc bei ihren Be¬
lustigungen selten große Ausdauer zu entwickeln. Ihr Bedürfnis, sich an mir
zu reiben und mich zu heftigen Zornesausbrüchen zu reizen, entsprang dem
eingebornen Drange nach zerstreuenden Zeitvertreib. Mit dem Reiz der Neuheit
verlor sich auch die Lust dazu, besonders, als sie gewahrten, daß ich mich
möglichst fern von ihnen hielt und mich wohl hütete, mit irgend einem von
ihnen in ein freundschaftliches Verhältnis zu treten. Ich fühlte mich von allen
gleich tief verletzt und verachtete sie. Was gab ihnen auch ein Recht, mich in
der Schule um jede ruhige Minute zu bringen einer Haarfarbe wegen, die ich
mir doch nicht selbst gewählt hatte? Daß man mich dieses Naturgeschenkes
wegen mit wahrhaft teuflischer Konsequenz immer von neuem zu martern begann,
machte mich mißtrauisch gegen alle Altersgenossen, verleidete mir das Leben
auf der Schule und trieb mich schon früh in die Einsamkeit. Dort konnte ich
meinen Gedanken nachhängen, ward von niemand geneckt, verhöhnt und verfolgt
und befand mich deshalb wenigstens fo wohl, wie dies in einer unvollkommen
eingerichteten Welt, in der es selten nach Recht und Verdienst geht, einem
schuldlos verfolgten überhaupt möglich sein kann.

Nach und nach verlor sich zwar das tief gewurzelte Mißtrauen gegen
meine Mitschüler, die ich manchmal für besessen hielt, besessen vom Teufel, an
dessen Existenz ich damals noch nicht zweifelte; ein unbehagliches Gefühl aber
verließ mich nie ganz bei lcingerm Zusammensein mit ihnen. Erst später glückte
es mir, das Vertrauen einiger um zwei Jahre jüngeren zu gewinnen, mit
denen ich einen innigen Freundschaftsbund schloß. Diese entrissen mich einer
bereits tief gewurzelten Neigung zum Menschenhaß, die sich unter den ange¬
deuteten Verhältnissen in mir zu entwickeln begann. Die Neigung aber, mich
etwas abseits von der großen Menge zu halten und nur durch lange Prüfungen


Iugenderiimerungen.

liebe Muskelkraft und nahm es wohl mit drei bis vier städtisch erzogenen
Knaben auf. Leider aber kamen den zurückgeschlagenen sofort andre zu Hilfe,
es entstand eine allgemeine Katzbalgerei, die gegen mich, den Einzelnen, gerichtet
war, und so mußte ich unterliege».

Szenen solcher Art wiederholten sich Tag für Tag, wenn ich es nicht
vorzog, in den Pausen zwischen den Stunden das Freie zu suchen, was sich
nicht immer thun ließ. Ich befand mich demnach in einer Übeln Lage, die mir
das Leben in der Schule selbst gründlich verleidete. Dem Abhilfe zu schaffen,
wollte sich mir kein zweckdienliches Mittel darbieten. Gegen meine Quäler bei
den Lehrern klagbar zu werden, widerstand mir. Es sah dies feig aus und
würde mir sicherlich alle Schüler, auch die besser gearteten, die sich gleichgiltig
verhielten, zu Feinden gemacht haben. So übte ich mich denn im Dulden und
in „passivem Widerstande," schlug mich zuweilen, wenn es meine nichtsnutzigen
Quälgeister gar zu arg trieben, und vermaledeite im Stillen die Stunde, die
mich in diese Gesellschaft gebracht hatte.

Glücklicherweise pflegen Knaben im Alter der Flegcljcihrc bei ihren Be¬
lustigungen selten große Ausdauer zu entwickeln. Ihr Bedürfnis, sich an mir
zu reiben und mich zu heftigen Zornesausbrüchen zu reizen, entsprang dem
eingebornen Drange nach zerstreuenden Zeitvertreib. Mit dem Reiz der Neuheit
verlor sich auch die Lust dazu, besonders, als sie gewahrten, daß ich mich
möglichst fern von ihnen hielt und mich wohl hütete, mit irgend einem von
ihnen in ein freundschaftliches Verhältnis zu treten. Ich fühlte mich von allen
gleich tief verletzt und verachtete sie. Was gab ihnen auch ein Recht, mich in
der Schule um jede ruhige Minute zu bringen einer Haarfarbe wegen, die ich
mir doch nicht selbst gewählt hatte? Daß man mich dieses Naturgeschenkes
wegen mit wahrhaft teuflischer Konsequenz immer von neuem zu martern begann,
machte mich mißtrauisch gegen alle Altersgenossen, verleidete mir das Leben
auf der Schule und trieb mich schon früh in die Einsamkeit. Dort konnte ich
meinen Gedanken nachhängen, ward von niemand geneckt, verhöhnt und verfolgt
und befand mich deshalb wenigstens fo wohl, wie dies in einer unvollkommen
eingerichteten Welt, in der es selten nach Recht und Verdienst geht, einem
schuldlos verfolgten überhaupt möglich sein kann.

Nach und nach verlor sich zwar das tief gewurzelte Mißtrauen gegen
meine Mitschüler, die ich manchmal für besessen hielt, besessen vom Teufel, an
dessen Existenz ich damals noch nicht zweifelte; ein unbehagliches Gefühl aber
verließ mich nie ganz bei lcingerm Zusammensein mit ihnen. Erst später glückte
es mir, das Vertrauen einiger um zwei Jahre jüngeren zu gewinnen, mit
denen ich einen innigen Freundschaftsbund schloß. Diese entrissen mich einer
bereits tief gewurzelten Neigung zum Menschenhaß, die sich unter den ange¬
deuteten Verhältnissen in mir zu entwickeln begann. Die Neigung aber, mich
etwas abseits von der großen Menge zu halten und nur durch lange Prüfungen


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[0238] Iugenderiimerungen. liebe Muskelkraft und nahm es wohl mit drei bis vier städtisch erzogenen Knaben auf. Leider aber kamen den zurückgeschlagenen sofort andre zu Hilfe, es entstand eine allgemeine Katzbalgerei, die gegen mich, den Einzelnen, gerichtet war, und so mußte ich unterliege». Szenen solcher Art wiederholten sich Tag für Tag, wenn ich es nicht vorzog, in den Pausen zwischen den Stunden das Freie zu suchen, was sich nicht immer thun ließ. Ich befand mich demnach in einer Übeln Lage, die mir das Leben in der Schule selbst gründlich verleidete. Dem Abhilfe zu schaffen, wollte sich mir kein zweckdienliches Mittel darbieten. Gegen meine Quäler bei den Lehrern klagbar zu werden, widerstand mir. Es sah dies feig aus und würde mir sicherlich alle Schüler, auch die besser gearteten, die sich gleichgiltig verhielten, zu Feinden gemacht haben. So übte ich mich denn im Dulden und in „passivem Widerstande," schlug mich zuweilen, wenn es meine nichtsnutzigen Quälgeister gar zu arg trieben, und vermaledeite im Stillen die Stunde, die mich in diese Gesellschaft gebracht hatte. Glücklicherweise pflegen Knaben im Alter der Flegcljcihrc bei ihren Be¬ lustigungen selten große Ausdauer zu entwickeln. Ihr Bedürfnis, sich an mir zu reiben und mich zu heftigen Zornesausbrüchen zu reizen, entsprang dem eingebornen Drange nach zerstreuenden Zeitvertreib. Mit dem Reiz der Neuheit verlor sich auch die Lust dazu, besonders, als sie gewahrten, daß ich mich möglichst fern von ihnen hielt und mich wohl hütete, mit irgend einem von ihnen in ein freundschaftliches Verhältnis zu treten. Ich fühlte mich von allen gleich tief verletzt und verachtete sie. Was gab ihnen auch ein Recht, mich in der Schule um jede ruhige Minute zu bringen einer Haarfarbe wegen, die ich mir doch nicht selbst gewählt hatte? Daß man mich dieses Naturgeschenkes wegen mit wahrhaft teuflischer Konsequenz immer von neuem zu martern begann, machte mich mißtrauisch gegen alle Altersgenossen, verleidete mir das Leben auf der Schule und trieb mich schon früh in die Einsamkeit. Dort konnte ich meinen Gedanken nachhängen, ward von niemand geneckt, verhöhnt und verfolgt und befand mich deshalb wenigstens fo wohl, wie dies in einer unvollkommen eingerichteten Welt, in der es selten nach Recht und Verdienst geht, einem schuldlos verfolgten überhaupt möglich sein kann. Nach und nach verlor sich zwar das tief gewurzelte Mißtrauen gegen meine Mitschüler, die ich manchmal für besessen hielt, besessen vom Teufel, an dessen Existenz ich damals noch nicht zweifelte; ein unbehagliches Gefühl aber verließ mich nie ganz bei lcingerm Zusammensein mit ihnen. Erst später glückte es mir, das Vertrauen einiger um zwei Jahre jüngeren zu gewinnen, mit denen ich einen innigen Freundschaftsbund schloß. Diese entrissen mich einer bereits tief gewurzelten Neigung zum Menschenhaß, die sich unter den ange¬ deuteten Verhältnissen in mir zu entwickeln begann. Die Neigung aber, mich etwas abseits von der großen Menge zu halten und nur durch lange Prüfungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/238>, abgerufen am 17.09.2024.