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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

Neben diesen, Manne, dem übrigens alle Schüler trotz ihrer Neckereien
und Ungezogenheiten von Herzen zugethan waren, unterrichteten in Tertia noch
der Kantor und ein "Kollaborator." Letzterer war ein Sohn des Konrektors,
galt für einen exzentrischen Charakter, war aufbrausenden Temperaments und
geriet leicht in Zorn. Die Furcht, ihn zu reizen, machte in seinen Stunden
auch die Leichtfertigen, die Uebermütigen still, weshalb auch lautlose Ruhe
herrschte, sobald er die Klasse betrat. Uebrigens blieb er der Schule nicht lange
treu, da Gesundheitsrücksichten ihn nötigten, sich ins Privatleben zurückzuziehen.
Erst nach langen Jahren begegnete ich ihm unerwartet wieder und zwar als
körperlich nud geistig völlig gebrochenem Manne.

Der eben geschilderte Auftritt bei Beginn der Neligionsstnndc war nicht
geeignet, mir den Eintritt in die Schule zu erleichtern. War es mir schon
schwer, das gewohnte Leben daheim mit einer ganz andern Umgebung zu ver¬
tauschen, so fand ich noch viel weniger Gefallen an meinen Mitschülern, von
denen mir kein einziger freundlich entgegenkam. Von Natur Fremden und
Unbekannten gegenüber schüchtern, hielt ich mich etwas zurück, bemerkte aber
sehr bald an' dem heinilichen Flüstern der ältern und an ihren spöttischen
Mienen, daß ihnen irgend etwas an mir auffällig erscheinen mochte. Was das
sein könnte, blieb mir verborgen, obwohl ich eine scharfe Sclbstmusterung und
mir vornahm. Meine Kleidung war allerdings nicht ganz modern, doch trugen
meine Mitschüler weder feinere noch eleganter zugeschnittene Röcke. DaS Ge¬
flüster und Neimlichthun mußte demnach einen andern Grund haben. Bald
sollte ich erfahren, was der ganzen Klasse an mir so auffällig war. Ich ward
nämlich eines Morgens beim Betreten der Klasse von allen Anwesenden mit
dem eigentümlich klingenden Gezwitscher eines Vogels begrüßt, welcher in der
Volkssprache Notwistlich genannt wird. Dieser niedliche Vogel zeichnet sich vor
andern dnrch die brauurote Farbe seines Köpfchens aus. Das c. so war de.
Pudels Kern! Weil mir die Natur rötliches oder richtiger goldblondes Haar
verliehen hatte und ich der Einzige ans dem ganzen Gyninasium war, der sich
durch diese echt deutsche Haarfarbe von allen andern unterschied beehrten in es
meine Mitschüler durch ein Kouzert, das mir bei täglicher Wiederholung doch
unbequem wurde. .

^^
Anfangs setzte ich der Neckerei, obwohl sie mich verdroß Glechmnt en -
gegen. Das genligte aber meinen liebenswürdigen Mitschülern nicht Sie wollten
Spaß. Unterhaltung haben, und dazu bedürfte es einer heftigen Aufreizung ^mich zornig machte. Nun fanden sich alsbald einige boshafte Gesellen die in r
hart ans den Leib rückten und mich, während alle übrigen das mahnte Ge-
Mitscher hören ließen, an den Haaren zupften. Das Mein choler sah s
Temperament ließ mich heftig aufbrausen. Mit wohlgezielten Faustschlägen
trieb ich die frechen Antreiber zurück oder schlug sie zu Boden denn im Hause
und auf dem Felde an schwere körperliche Arbeit gewöhnt, besaß ich eme ziem-


Jugenderinnerungen.

Neben diesen, Manne, dem übrigens alle Schüler trotz ihrer Neckereien
und Ungezogenheiten von Herzen zugethan waren, unterrichteten in Tertia noch
der Kantor und ein „Kollaborator." Letzterer war ein Sohn des Konrektors,
galt für einen exzentrischen Charakter, war aufbrausenden Temperaments und
geriet leicht in Zorn. Die Furcht, ihn zu reizen, machte in seinen Stunden
auch die Leichtfertigen, die Uebermütigen still, weshalb auch lautlose Ruhe
herrschte, sobald er die Klasse betrat. Uebrigens blieb er der Schule nicht lange
treu, da Gesundheitsrücksichten ihn nötigten, sich ins Privatleben zurückzuziehen.
Erst nach langen Jahren begegnete ich ihm unerwartet wieder und zwar als
körperlich nud geistig völlig gebrochenem Manne.

Der eben geschilderte Auftritt bei Beginn der Neligionsstnndc war nicht
geeignet, mir den Eintritt in die Schule zu erleichtern. War es mir schon
schwer, das gewohnte Leben daheim mit einer ganz andern Umgebung zu ver¬
tauschen, so fand ich noch viel weniger Gefallen an meinen Mitschülern, von
denen mir kein einziger freundlich entgegenkam. Von Natur Fremden und
Unbekannten gegenüber schüchtern, hielt ich mich etwas zurück, bemerkte aber
sehr bald an' dem heinilichen Flüstern der ältern und an ihren spöttischen
Mienen, daß ihnen irgend etwas an mir auffällig erscheinen mochte. Was das
sein könnte, blieb mir verborgen, obwohl ich eine scharfe Sclbstmusterung und
mir vornahm. Meine Kleidung war allerdings nicht ganz modern, doch trugen
meine Mitschüler weder feinere noch eleganter zugeschnittene Röcke. DaS Ge¬
flüster und Neimlichthun mußte demnach einen andern Grund haben. Bald
sollte ich erfahren, was der ganzen Klasse an mir so auffällig war. Ich ward
nämlich eines Morgens beim Betreten der Klasse von allen Anwesenden mit
dem eigentümlich klingenden Gezwitscher eines Vogels begrüßt, welcher in der
Volkssprache Notwistlich genannt wird. Dieser niedliche Vogel zeichnet sich vor
andern dnrch die brauurote Farbe seines Köpfchens aus. Das c. so war de.
Pudels Kern! Weil mir die Natur rötliches oder richtiger goldblondes Haar
verliehen hatte und ich der Einzige ans dem ganzen Gyninasium war, der sich
durch diese echt deutsche Haarfarbe von allen andern unterschied beehrten in es
meine Mitschüler durch ein Kouzert, das mir bei täglicher Wiederholung doch
unbequem wurde. .

^^
Anfangs setzte ich der Neckerei, obwohl sie mich verdroß Glechmnt en -
gegen. Das genligte aber meinen liebenswürdigen Mitschülern nicht Sie wollten
Spaß. Unterhaltung haben, und dazu bedürfte es einer heftigen Aufreizung ^mich zornig machte. Nun fanden sich alsbald einige boshafte Gesellen die in r
hart ans den Leib rückten und mich, während alle übrigen das mahnte Ge-
Mitscher hören ließen, an den Haaren zupften. Das Mein choler sah s
Temperament ließ mich heftig aufbrausen. Mit wohlgezielten Faustschlägen
trieb ich die frechen Antreiber zurück oder schlug sie zu Boden denn im Hause
und auf dem Felde an schwere körperliche Arbeit gewöhnt, besaß ich eme ziem-


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[0237] Jugenderinnerungen. Neben diesen, Manne, dem übrigens alle Schüler trotz ihrer Neckereien und Ungezogenheiten von Herzen zugethan waren, unterrichteten in Tertia noch der Kantor und ein „Kollaborator." Letzterer war ein Sohn des Konrektors, galt für einen exzentrischen Charakter, war aufbrausenden Temperaments und geriet leicht in Zorn. Die Furcht, ihn zu reizen, machte in seinen Stunden auch die Leichtfertigen, die Uebermütigen still, weshalb auch lautlose Ruhe herrschte, sobald er die Klasse betrat. Uebrigens blieb er der Schule nicht lange treu, da Gesundheitsrücksichten ihn nötigten, sich ins Privatleben zurückzuziehen. Erst nach langen Jahren begegnete ich ihm unerwartet wieder und zwar als körperlich nud geistig völlig gebrochenem Manne. Der eben geschilderte Auftritt bei Beginn der Neligionsstnndc war nicht geeignet, mir den Eintritt in die Schule zu erleichtern. War es mir schon schwer, das gewohnte Leben daheim mit einer ganz andern Umgebung zu ver¬ tauschen, so fand ich noch viel weniger Gefallen an meinen Mitschülern, von denen mir kein einziger freundlich entgegenkam. Von Natur Fremden und Unbekannten gegenüber schüchtern, hielt ich mich etwas zurück, bemerkte aber sehr bald an' dem heinilichen Flüstern der ältern und an ihren spöttischen Mienen, daß ihnen irgend etwas an mir auffällig erscheinen mochte. Was das sein könnte, blieb mir verborgen, obwohl ich eine scharfe Sclbstmusterung und mir vornahm. Meine Kleidung war allerdings nicht ganz modern, doch trugen meine Mitschüler weder feinere noch eleganter zugeschnittene Röcke. DaS Ge¬ flüster und Neimlichthun mußte demnach einen andern Grund haben. Bald sollte ich erfahren, was der ganzen Klasse an mir so auffällig war. Ich ward nämlich eines Morgens beim Betreten der Klasse von allen Anwesenden mit dem eigentümlich klingenden Gezwitscher eines Vogels begrüßt, welcher in der Volkssprache Notwistlich genannt wird. Dieser niedliche Vogel zeichnet sich vor andern dnrch die brauurote Farbe seines Köpfchens aus. Das c. so war de. Pudels Kern! Weil mir die Natur rötliches oder richtiger goldblondes Haar verliehen hatte und ich der Einzige ans dem ganzen Gyninasium war, der sich durch diese echt deutsche Haarfarbe von allen andern unterschied beehrten in es meine Mitschüler durch ein Kouzert, das mir bei täglicher Wiederholung doch unbequem wurde. . ^^ Anfangs setzte ich der Neckerei, obwohl sie mich verdroß Glechmnt en - gegen. Das genligte aber meinen liebenswürdigen Mitschülern nicht Sie wollten Spaß. Unterhaltung haben, und dazu bedürfte es einer heftigen Aufreizung ^mich zornig machte. Nun fanden sich alsbald einige boshafte Gesellen die in r hart ans den Leib rückten und mich, während alle übrigen das mahnte Ge- Mitscher hören ließen, an den Haaren zupften. Das Mein choler sah s Temperament ließ mich heftig aufbrausen. Mit wohlgezielten Faustschlägen trieb ich die frechen Antreiber zurück oder schlug sie zu Boden denn im Hause und auf dem Felde an schwere körperliche Arbeit gewöhnt, besaß ich eme ziem-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/237>, abgerufen am 17.09.2024.