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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Sorge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen.

daß die verschiednen Konfessionen verschiedne Gesangbücher brauchen, daß aber
innerhalb eines konfessionellen Gebietes eine Einigung über das Gesangbuch
unmöglich sei, sollte man für schier undenkbar halten, und doch hat uns wiederum
Hannover vor wenigen Jahren ein Beispiel dazu- geliefert, wo man, statt ein
einziges neues Gesangbuch einzuführen, nichts weiter fertig brachte als den
neunzehn in Gebrauch befindlichen Gesangbüchern ein zwanzigstes hinzuzufügen.
Es gab einmal eine Zeit, da hoffte man eine gemeinsame protestantische Kirche
wenigstens der einzelnen deutschen Staaten ins Leben zu rufen, es war das
die Zeit, als aus dem Schlafe des Nationalismus, der übrigens durch Ab¬
schleifen der äußersten konfessionellen Gegensätze auch eine Kulturaufgabe gelöst
hat, ein neues kirchliches Leben erwachte; damals versuchte man aller Orten in
Anknüpfung an das Reformationsjubiläum von 1817 eine Vereinigung der evan¬
gelischen Glaubensgenossen durchzuführen, in einzelnen Ländern, z. B. Nassau,
brachte man es bis zur Bekenntnisunion, ein noch höheres Ziel erstrebte man
in Preußen, indem man dort den Unterschied der evangelischen Bekenntnisse als
etwas unerhebliches erklärte, jedem Gemeindegliede überließ, was es davon an¬
nehmen wollte, aber alle evangelischen Christen in der Gemeinschaft des Altars,
der Kirchengüter und des Kirchenregiments vereinigte. Aber dies schöne Werk
kam ins Stocken; mit dem kirchlichen Leben erwachte auch der Fanatismus der
einzelnen Religionsparteien wieder, und indem man stellenweise mit den Namen
der Reformatoren Götzendienst trieb, ging man gegen die Union vor; es ge¬
hörte längst zur Mode, die besondre Konfession hervorzuheben, der man, wenn
auch innerhalb der Union, angehöre, es wurde garnicht der Versuch gemacht,
die 1866 einverleibten Länder dem preußischen Oberkirchenrat zu unterstellen,
im Gegenteil wurde allerseits in diesen Ländern als höchste Gunst erbeten, daß
nur nicht die verhaßte Union eingeführt werde; erklärte diese doch die Unter¬
schiede der einzelnen evangelischen Bekenntnisse für unwesentlich, während die
Größen der einzelnen Partikularkirchen gerade ans diesen Unterschieden beruhten.
Leider fanden diese partikularistischen Bestrebungen die lebhafteste Unterstützung
an der Partei, aus deren Mitte jetzt die Anträge auf größere Selbständigkeit
der evangelischen Kirche abzielen, und deren Beruf zur Vertretung der evange¬
lischen Kirche schon aus diesem Grunde höchst fragwürdig erscheint.

Eine evangelische Kirche in Preußen giebt es garnicht, es würde also alles,
was jetzt geschehen kann, entweder nur einem größern oder geringern Bruchteil
der preußischen Protestanten zu Gute kommen, oder aber, wenn man für alle
einzelnen Kirchengemeinschaften etwas thun wollte, deren Trennung nur noch
dauerhafter machen.

Mit alledem entrolle ich allerdings ein düsteres Bild des deutschen und
insbesondre des preußischen Protestantismus; aber es geht mir dabei, wie dem
Juden Boccaceios, der, bevor er sich taufen ließ, nach Rom ging, um das
Christentum an der Quelle kennen zu lernen, und dann das Christentum für


Die Sorge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen.

daß die verschiednen Konfessionen verschiedne Gesangbücher brauchen, daß aber
innerhalb eines konfessionellen Gebietes eine Einigung über das Gesangbuch
unmöglich sei, sollte man für schier undenkbar halten, und doch hat uns wiederum
Hannover vor wenigen Jahren ein Beispiel dazu- geliefert, wo man, statt ein
einziges neues Gesangbuch einzuführen, nichts weiter fertig brachte als den
neunzehn in Gebrauch befindlichen Gesangbüchern ein zwanzigstes hinzuzufügen.
Es gab einmal eine Zeit, da hoffte man eine gemeinsame protestantische Kirche
wenigstens der einzelnen deutschen Staaten ins Leben zu rufen, es war das
die Zeit, als aus dem Schlafe des Nationalismus, der übrigens durch Ab¬
schleifen der äußersten konfessionellen Gegensätze auch eine Kulturaufgabe gelöst
hat, ein neues kirchliches Leben erwachte; damals versuchte man aller Orten in
Anknüpfung an das Reformationsjubiläum von 1817 eine Vereinigung der evan¬
gelischen Glaubensgenossen durchzuführen, in einzelnen Ländern, z. B. Nassau,
brachte man es bis zur Bekenntnisunion, ein noch höheres Ziel erstrebte man
in Preußen, indem man dort den Unterschied der evangelischen Bekenntnisse als
etwas unerhebliches erklärte, jedem Gemeindegliede überließ, was es davon an¬
nehmen wollte, aber alle evangelischen Christen in der Gemeinschaft des Altars,
der Kirchengüter und des Kirchenregiments vereinigte. Aber dies schöne Werk
kam ins Stocken; mit dem kirchlichen Leben erwachte auch der Fanatismus der
einzelnen Religionsparteien wieder, und indem man stellenweise mit den Namen
der Reformatoren Götzendienst trieb, ging man gegen die Union vor; es ge¬
hörte längst zur Mode, die besondre Konfession hervorzuheben, der man, wenn
auch innerhalb der Union, angehöre, es wurde garnicht der Versuch gemacht,
die 1866 einverleibten Länder dem preußischen Oberkirchenrat zu unterstellen,
im Gegenteil wurde allerseits in diesen Ländern als höchste Gunst erbeten, daß
nur nicht die verhaßte Union eingeführt werde; erklärte diese doch die Unter¬
schiede der einzelnen evangelischen Bekenntnisse für unwesentlich, während die
Größen der einzelnen Partikularkirchen gerade ans diesen Unterschieden beruhten.
Leider fanden diese partikularistischen Bestrebungen die lebhafteste Unterstützung
an der Partei, aus deren Mitte jetzt die Anträge auf größere Selbständigkeit
der evangelischen Kirche abzielen, und deren Beruf zur Vertretung der evange¬
lischen Kirche schon aus diesem Grunde höchst fragwürdig erscheint.

Eine evangelische Kirche in Preußen giebt es garnicht, es würde also alles,
was jetzt geschehen kann, entweder nur einem größern oder geringern Bruchteil
der preußischen Protestanten zu Gute kommen, oder aber, wenn man für alle
einzelnen Kirchengemeinschaften etwas thun wollte, deren Trennung nur noch
dauerhafter machen.

Mit alledem entrolle ich allerdings ein düsteres Bild des deutschen und
insbesondre des preußischen Protestantismus; aber es geht mir dabei, wie dem
Juden Boccaceios, der, bevor er sich taufen ließ, nach Rom ging, um das
Christentum an der Quelle kennen zu lernen, und dann das Christentum für


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[0232] Die Sorge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen. daß die verschiednen Konfessionen verschiedne Gesangbücher brauchen, daß aber innerhalb eines konfessionellen Gebietes eine Einigung über das Gesangbuch unmöglich sei, sollte man für schier undenkbar halten, und doch hat uns wiederum Hannover vor wenigen Jahren ein Beispiel dazu- geliefert, wo man, statt ein einziges neues Gesangbuch einzuführen, nichts weiter fertig brachte als den neunzehn in Gebrauch befindlichen Gesangbüchern ein zwanzigstes hinzuzufügen. Es gab einmal eine Zeit, da hoffte man eine gemeinsame protestantische Kirche wenigstens der einzelnen deutschen Staaten ins Leben zu rufen, es war das die Zeit, als aus dem Schlafe des Nationalismus, der übrigens durch Ab¬ schleifen der äußersten konfessionellen Gegensätze auch eine Kulturaufgabe gelöst hat, ein neues kirchliches Leben erwachte; damals versuchte man aller Orten in Anknüpfung an das Reformationsjubiläum von 1817 eine Vereinigung der evan¬ gelischen Glaubensgenossen durchzuführen, in einzelnen Ländern, z. B. Nassau, brachte man es bis zur Bekenntnisunion, ein noch höheres Ziel erstrebte man in Preußen, indem man dort den Unterschied der evangelischen Bekenntnisse als etwas unerhebliches erklärte, jedem Gemeindegliede überließ, was es davon an¬ nehmen wollte, aber alle evangelischen Christen in der Gemeinschaft des Altars, der Kirchengüter und des Kirchenregiments vereinigte. Aber dies schöne Werk kam ins Stocken; mit dem kirchlichen Leben erwachte auch der Fanatismus der einzelnen Religionsparteien wieder, und indem man stellenweise mit den Namen der Reformatoren Götzendienst trieb, ging man gegen die Union vor; es ge¬ hörte längst zur Mode, die besondre Konfession hervorzuheben, der man, wenn auch innerhalb der Union, angehöre, es wurde garnicht der Versuch gemacht, die 1866 einverleibten Länder dem preußischen Oberkirchenrat zu unterstellen, im Gegenteil wurde allerseits in diesen Ländern als höchste Gunst erbeten, daß nur nicht die verhaßte Union eingeführt werde; erklärte diese doch die Unter¬ schiede der einzelnen evangelischen Bekenntnisse für unwesentlich, während die Größen der einzelnen Partikularkirchen gerade ans diesen Unterschieden beruhten. Leider fanden diese partikularistischen Bestrebungen die lebhafteste Unterstützung an der Partei, aus deren Mitte jetzt die Anträge auf größere Selbständigkeit der evangelischen Kirche abzielen, und deren Beruf zur Vertretung der evange¬ lischen Kirche schon aus diesem Grunde höchst fragwürdig erscheint. Eine evangelische Kirche in Preußen giebt es garnicht, es würde also alles, was jetzt geschehen kann, entweder nur einem größern oder geringern Bruchteil der preußischen Protestanten zu Gute kommen, oder aber, wenn man für alle einzelnen Kirchengemeinschaften etwas thun wollte, deren Trennung nur noch dauerhafter machen. Mit alledem entrolle ich allerdings ein düsteres Bild des deutschen und insbesondre des preußischen Protestantismus; aber es geht mir dabei, wie dem Juden Boccaceios, der, bevor er sich taufen ließ, nach Rom ging, um das Christentum an der Quelle kennen zu lernen, und dann das Christentum für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/232>, abgerufen am 17.09.2024.