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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Sorge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen,

änderten Verhältnissen, so schwer verständliche Grundsatz, das? der Landesherr
Religion der Unterthanen zu bestimmen habe (ousus rsAio, sjus relissio),
war für das sechzehnte Jahrhundert ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege
der Entwicklung der Religionsfreiheit; denn wenn er auch die Möglichkeit zur
gewaltsamen Gegenreformation wie in den österreichischen Landen, im F"t-
aschen u. s. w, gab oder noch später die Austreibung der Salzburger Prote¬
stanten gestattete, so gab er doch auch anderseits einen Rechtstitel für die Er¬
haltung des Protestantismus in den Gebieten, welche einen protestantisch
gesinnte" Landesherrn (Fürsten oder Rat der Stadt) hatten. Da nun aber
Deutschland damals in einige hundert selbständige Gebiete (Staaten kann man
le meisten derselben nicht nennen) zerfiel, so entwickelte sich auch der Prote¬
stantismus in der buntscheckigsten Weise, je nachdem dem einen Landesherrn die
ehre Luthers, dem andern die Zwinglis oder Calvins mehr zusagte oder je
nachdem er eine vermittelnde Stellung einnahm und seine Hoftheologen diese
. "steht weiter entwickelten. Von einer Vertiefung der religiösen Anschauung
un Volke konnte aber bei einer solchen Kommandirung derselben umso weniger
dle Rede sein, als die Ansichten des Landesherrn sich öfters änderten, wie z. B.
w der Pfalz; wohl aber konnte ein Fanatismus der einzelnen Glaubens-
. nntnisse, welche ja alle ihre Selbständigkeit wahren mußten, und anderseits
wie dogmatische Erstarrung dieser einzelnen Landeskirchen, vielfach ergänzt
^res immer größer werdende Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegen das
^ogma überhaupt, zur vollsten Entwicklung kommen. Dieser Fanatismus
Me um Laufe des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts manches ganz
^angelisch gewordene Gebiet den Katholizismus überliefert, die Reformirung
Mancher Länder verhindert, weil die, welche hätten helfen können, es nicht über
U 1 brachten, eine Reformation zu unterstützen, die sich auf ein von dem ihren
^weichendes Bekenntnis gründete, wir sehen unaufhörlich das, was 1529
Mischen Zwingli und Luther vorging, sich wiederholen, wie von der einen Seite
le Bruderhand geboten, von der andern zurückgestoßen wird, obwohl Luther
selbst auf seinem Totenbett das entgegengesetzte Verfahren anempfohlen
)6ete. Dieser Fanatismus dauert aber bis zur Stunde fort, es mag als Bei-
> el dafür die Abschließung der hannoverschen und Schleswig-holsteinischen
frischen "Landeskirchen" gelten gegenüber den Lutheranern andrer Länder,
on der wir in den letzten Jahren oft genug Beispiele bei Gelegenheit der
lchtbestätigung auf auswärtige Geistliche gefallener Wahlen erlebten, es mag
ein weiteres Beispiel darauf hingewiesen werden, daß wir es noch nicht
"mal zu einem allgemeinen Kirchengesangbuche gebracht haben, endlich auch
^/auf, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, einen gemeinschaftlichen Bußtag für
^protestantische Kirche Deutschlands einzuführen, und damit den Unfug ad-
h ,cyneiden, zu dem die verschiednen Bußtage in Nachbarstädten (man denke an
Wg und Halle, Leipzig und Altenburg) alljährlich führen. Es mag ja sein,


Die Sorge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen,

änderten Verhältnissen, so schwer verständliche Grundsatz, das? der Landesherr
Religion der Unterthanen zu bestimmen habe (ousus rsAio, sjus relissio),
war für das sechzehnte Jahrhundert ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege
der Entwicklung der Religionsfreiheit; denn wenn er auch die Möglichkeit zur
gewaltsamen Gegenreformation wie in den österreichischen Landen, im F»t-
aschen u. s. w, gab oder noch später die Austreibung der Salzburger Prote¬
stanten gestattete, so gab er doch auch anderseits einen Rechtstitel für die Er¬
haltung des Protestantismus in den Gebieten, welche einen protestantisch
gesinnte» Landesherrn (Fürsten oder Rat der Stadt) hatten. Da nun aber
Deutschland damals in einige hundert selbständige Gebiete (Staaten kann man
le meisten derselben nicht nennen) zerfiel, so entwickelte sich auch der Prote¬
stantismus in der buntscheckigsten Weise, je nachdem dem einen Landesherrn die
ehre Luthers, dem andern die Zwinglis oder Calvins mehr zusagte oder je
nachdem er eine vermittelnde Stellung einnahm und seine Hoftheologen diese
. »steht weiter entwickelten. Von einer Vertiefung der religiösen Anschauung
un Volke konnte aber bei einer solchen Kommandirung derselben umso weniger
dle Rede sein, als die Ansichten des Landesherrn sich öfters änderten, wie z. B.
w der Pfalz; wohl aber konnte ein Fanatismus der einzelnen Glaubens-
. nntnisse, welche ja alle ihre Selbständigkeit wahren mußten, und anderseits
wie dogmatische Erstarrung dieser einzelnen Landeskirchen, vielfach ergänzt
^res immer größer werdende Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegen das
^ogma überhaupt, zur vollsten Entwicklung kommen. Dieser Fanatismus
Me um Laufe des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts manches ganz
^angelisch gewordene Gebiet den Katholizismus überliefert, die Reformirung
Mancher Länder verhindert, weil die, welche hätten helfen können, es nicht über
U 1 brachten, eine Reformation zu unterstützen, die sich auf ein von dem ihren
^weichendes Bekenntnis gründete, wir sehen unaufhörlich das, was 1529
Mischen Zwingli und Luther vorging, sich wiederholen, wie von der einen Seite
le Bruderhand geboten, von der andern zurückgestoßen wird, obwohl Luther
selbst auf seinem Totenbett das entgegengesetzte Verfahren anempfohlen
)6ete. Dieser Fanatismus dauert aber bis zur Stunde fort, es mag als Bei-
> el dafür die Abschließung der hannoverschen und Schleswig-holsteinischen
frischen „Landeskirchen" gelten gegenüber den Lutheranern andrer Länder,
on der wir in den letzten Jahren oft genug Beispiele bei Gelegenheit der
lchtbestätigung auf auswärtige Geistliche gefallener Wahlen erlebten, es mag
ein weiteres Beispiel darauf hingewiesen werden, daß wir es noch nicht
«mal zu einem allgemeinen Kirchengesangbuche gebracht haben, endlich auch
^/auf, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, einen gemeinschaftlichen Bußtag für
^protestantische Kirche Deutschlands einzuführen, und damit den Unfug ad-
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[0231] Die Sorge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen, änderten Verhältnissen, so schwer verständliche Grundsatz, das? der Landesherr Religion der Unterthanen zu bestimmen habe (ousus rsAio, sjus relissio), war für das sechzehnte Jahrhundert ein bedeutender Fortschritt auf dem Wege der Entwicklung der Religionsfreiheit; denn wenn er auch die Möglichkeit zur gewaltsamen Gegenreformation wie in den österreichischen Landen, im F»t- aschen u. s. w, gab oder noch später die Austreibung der Salzburger Prote¬ stanten gestattete, so gab er doch auch anderseits einen Rechtstitel für die Er¬ haltung des Protestantismus in den Gebieten, welche einen protestantisch gesinnte» Landesherrn (Fürsten oder Rat der Stadt) hatten. Da nun aber Deutschland damals in einige hundert selbständige Gebiete (Staaten kann man le meisten derselben nicht nennen) zerfiel, so entwickelte sich auch der Prote¬ stantismus in der buntscheckigsten Weise, je nachdem dem einen Landesherrn die ehre Luthers, dem andern die Zwinglis oder Calvins mehr zusagte oder je nachdem er eine vermittelnde Stellung einnahm und seine Hoftheologen diese . »steht weiter entwickelten. Von einer Vertiefung der religiösen Anschauung un Volke konnte aber bei einer solchen Kommandirung derselben umso weniger dle Rede sein, als die Ansichten des Landesherrn sich öfters änderten, wie z. B. w der Pfalz; wohl aber konnte ein Fanatismus der einzelnen Glaubens- . nntnisse, welche ja alle ihre Selbständigkeit wahren mußten, und anderseits wie dogmatische Erstarrung dieser einzelnen Landeskirchen, vielfach ergänzt ^res immer größer werdende Gleichgültigkeit der Bevölkerung gegen das ^ogma überhaupt, zur vollsten Entwicklung kommen. Dieser Fanatismus Me um Laufe des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts manches ganz ^angelisch gewordene Gebiet den Katholizismus überliefert, die Reformirung Mancher Länder verhindert, weil die, welche hätten helfen können, es nicht über U 1 brachten, eine Reformation zu unterstützen, die sich auf ein von dem ihren ^weichendes Bekenntnis gründete, wir sehen unaufhörlich das, was 1529 Mischen Zwingli und Luther vorging, sich wiederholen, wie von der einen Seite le Bruderhand geboten, von der andern zurückgestoßen wird, obwohl Luther selbst auf seinem Totenbett das entgegengesetzte Verfahren anempfohlen )6ete. Dieser Fanatismus dauert aber bis zur Stunde fort, es mag als Bei- > el dafür die Abschließung der hannoverschen und Schleswig-holsteinischen frischen „Landeskirchen" gelten gegenüber den Lutheranern andrer Länder, on der wir in den letzten Jahren oft genug Beispiele bei Gelegenheit der lchtbestätigung auf auswärtige Geistliche gefallener Wahlen erlebten, es mag ein weiteres Beispiel darauf hingewiesen werden, daß wir es noch nicht «mal zu einem allgemeinen Kirchengesangbuche gebracht haben, endlich auch ^/auf, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, einen gemeinschaftlichen Bußtag für ^protestantische Kirche Deutschlands einzuführen, und damit den Unfug ad- h ,cyneiden, zu dem die verschiednen Bußtage in Nachbarstädten (man denke an Wg und Halle, Leipzig und Altenburg) alljährlich führen. Es mag ja sein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/231>, abgerufen am 17.09.2024.