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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die ^orge für die Stellung der evangelischen Kirche
in Preußen.

le in der vorigen Sitzungsperiode zuerst und neuerdings wieder
in veränderter Form im preußischen Herrenhause gestellten An¬
träge, welche auf eine größere Selbständigkeit und eine bessere
Dotirung der evangelischen Kirche Preußens abzielen, habe",
namentlich auch mit Rücksicht auf die dem Abschluß nahe Regelung
des Verhältnisses zwischen dem preußischen Staate und der katholischen Kirche,
bei vielen, welche es mit der evangelischen Sache gut meinen, lebhaften Anklang
gefunden, aber vielleicht ebenso viele und nicht bloß Mitglieder des Protestanten¬
vereins, sondern gleichfalls gute evangelische Christen zum Widerspruch gereizt.
Ich will hier nicht auf den materiellen Inhalt der Anträge und deren Be¬
gründung eingehen, obwohl auch in dieser Richtung mancherlei zu fragen wäre,
z. B. ob es wirklich im Interesse der evangelischen Kirche liegen könne, ihre
Verbindung mit dem Staate, mit welchem verbunden sie seit vicrthalbhuudert
Jahren lebt, aufzuheben; ob es ferner wirklich wahr sei, daß bei der Refor¬
mation der Staat die Kirchengüter meist kirchlichen Zwecken entfremdet habe,
oder ob diese nicht nur meistens wie früher zu Zwecken verwandt werden,
welche man im Mittelalter zum Gebiete kirchlicher Thätigkeit rechnete u. a. in.
Ich will, wie gesagt, alle materiellen Fragen beiseite setzen und nnr eine formelle
auswerfen, welche von entscheidender Bedeutung ist, nämlich die: Wo ist denn
die evangelische Kirche, für welche man sorgen will?

Ich habe bereits angedeutet, daß sich der Protestantismus nur unter An¬
lehnung an die weltliche Macht entwickelt hat, und darin liegt ein sehr wesent¬
liches Moment, indem es dadurch möglich wurde, an Stelle der alle Nationalität
vernichtenden katholischen Kirche eine Kirche mit nationaler Gestaltung zu setzen.
Eines solchen Glückes wurden alle germanischen Staaten teilhaftig, außer
Deutschland, welches damals nicht das Glück hatte, einen Mann an seiner Spitze
zu haben, der Verständnis für die neue Bewegung der Geister hatte, und
welches damals nicht in seinem Interesse, sondern in dem der spanischen Welt¬
monarchie regiert wurde. Abgesehen von der großen Spaltung Deutschlands
in Katholiken und Protestanten erreichten wir es dann, daß auch der Protestan¬
tismus sich nicht einheitlich, sondern nur in unmittelbarer Anlehnung an die
einzelnen Staatsgewalten entwickeln konnte. Der aus dem damaligen Privat-
rechte des Landesherrn an seinem Lande abgeleitete, uns heute, unter ganz ver-


Die ^orge für die Stellung der evangelischen Kirche
in Preußen.

le in der vorigen Sitzungsperiode zuerst und neuerdings wieder
in veränderter Form im preußischen Herrenhause gestellten An¬
träge, welche auf eine größere Selbständigkeit und eine bessere
Dotirung der evangelischen Kirche Preußens abzielen, habe»,
namentlich auch mit Rücksicht auf die dem Abschluß nahe Regelung
des Verhältnisses zwischen dem preußischen Staate und der katholischen Kirche,
bei vielen, welche es mit der evangelischen Sache gut meinen, lebhaften Anklang
gefunden, aber vielleicht ebenso viele und nicht bloß Mitglieder des Protestanten¬
vereins, sondern gleichfalls gute evangelische Christen zum Widerspruch gereizt.
Ich will hier nicht auf den materiellen Inhalt der Anträge und deren Be¬
gründung eingehen, obwohl auch in dieser Richtung mancherlei zu fragen wäre,
z. B. ob es wirklich im Interesse der evangelischen Kirche liegen könne, ihre
Verbindung mit dem Staate, mit welchem verbunden sie seit vicrthalbhuudert
Jahren lebt, aufzuheben; ob es ferner wirklich wahr sei, daß bei der Refor¬
mation der Staat die Kirchengüter meist kirchlichen Zwecken entfremdet habe,
oder ob diese nicht nur meistens wie früher zu Zwecken verwandt werden,
welche man im Mittelalter zum Gebiete kirchlicher Thätigkeit rechnete u. a. in.
Ich will, wie gesagt, alle materiellen Fragen beiseite setzen und nnr eine formelle
auswerfen, welche von entscheidender Bedeutung ist, nämlich die: Wo ist denn
die evangelische Kirche, für welche man sorgen will?

Ich habe bereits angedeutet, daß sich der Protestantismus nur unter An¬
lehnung an die weltliche Macht entwickelt hat, und darin liegt ein sehr wesent¬
liches Moment, indem es dadurch möglich wurde, an Stelle der alle Nationalität
vernichtenden katholischen Kirche eine Kirche mit nationaler Gestaltung zu setzen.
Eines solchen Glückes wurden alle germanischen Staaten teilhaftig, außer
Deutschland, welches damals nicht das Glück hatte, einen Mann an seiner Spitze
zu haben, der Verständnis für die neue Bewegung der Geister hatte, und
welches damals nicht in seinem Interesse, sondern in dem der spanischen Welt¬
monarchie regiert wurde. Abgesehen von der großen Spaltung Deutschlands
in Katholiken und Protestanten erreichten wir es dann, daß auch der Protestan¬
tismus sich nicht einheitlich, sondern nur in unmittelbarer Anlehnung an die
einzelnen Staatsgewalten entwickeln konnte. Der aus dem damaligen Privat-
rechte des Landesherrn an seinem Lande abgeleitete, uns heute, unter ganz ver-


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[0230] Die ^orge für die Stellung der evangelischen Kirche in Preußen. le in der vorigen Sitzungsperiode zuerst und neuerdings wieder in veränderter Form im preußischen Herrenhause gestellten An¬ träge, welche auf eine größere Selbständigkeit und eine bessere Dotirung der evangelischen Kirche Preußens abzielen, habe», namentlich auch mit Rücksicht auf die dem Abschluß nahe Regelung des Verhältnisses zwischen dem preußischen Staate und der katholischen Kirche, bei vielen, welche es mit der evangelischen Sache gut meinen, lebhaften Anklang gefunden, aber vielleicht ebenso viele und nicht bloß Mitglieder des Protestanten¬ vereins, sondern gleichfalls gute evangelische Christen zum Widerspruch gereizt. Ich will hier nicht auf den materiellen Inhalt der Anträge und deren Be¬ gründung eingehen, obwohl auch in dieser Richtung mancherlei zu fragen wäre, z. B. ob es wirklich im Interesse der evangelischen Kirche liegen könne, ihre Verbindung mit dem Staate, mit welchem verbunden sie seit vicrthalbhuudert Jahren lebt, aufzuheben; ob es ferner wirklich wahr sei, daß bei der Refor¬ mation der Staat die Kirchengüter meist kirchlichen Zwecken entfremdet habe, oder ob diese nicht nur meistens wie früher zu Zwecken verwandt werden, welche man im Mittelalter zum Gebiete kirchlicher Thätigkeit rechnete u. a. in. Ich will, wie gesagt, alle materiellen Fragen beiseite setzen und nnr eine formelle auswerfen, welche von entscheidender Bedeutung ist, nämlich die: Wo ist denn die evangelische Kirche, für welche man sorgen will? Ich habe bereits angedeutet, daß sich der Protestantismus nur unter An¬ lehnung an die weltliche Macht entwickelt hat, und darin liegt ein sehr wesent¬ liches Moment, indem es dadurch möglich wurde, an Stelle der alle Nationalität vernichtenden katholischen Kirche eine Kirche mit nationaler Gestaltung zu setzen. Eines solchen Glückes wurden alle germanischen Staaten teilhaftig, außer Deutschland, welches damals nicht das Glück hatte, einen Mann an seiner Spitze zu haben, der Verständnis für die neue Bewegung der Geister hatte, und welches damals nicht in seinem Interesse, sondern in dem der spanischen Welt¬ monarchie regiert wurde. Abgesehen von der großen Spaltung Deutschlands in Katholiken und Protestanten erreichten wir es dann, daß auch der Protestan¬ tismus sich nicht einheitlich, sondern nur in unmittelbarer Anlehnung an die einzelnen Staatsgewalten entwickeln konnte. Der aus dem damaligen Privat- rechte des Landesherrn an seinem Lande abgeleitete, uns heute, unter ganz ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/230>, abgerufen am 17.09.2024.