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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Uhland und die altfranzösische j)oesie.

Interesse für die altfranzösische Sagengeschichte überaus günstig. Durch die
rüstige und einsichtsvolle Thätigkeit Michels und andrer öffnen sich die Quellen
ergiebiger: und doch, wie vieles ist hier noch zu thun! Weitverzweigte Adern
des karolingischen Epos sind kaum geschürft."

Es kann hier nicht der Ort sein, zu zeigen, was in und seit jenen Jahren
von Deutschen und Franzosen in der altfranzösischen Forschung geleistet wurde.
Aber wohl thut es, zu sehen, wie der schon greise Gelehrte seine Bemühungen
dankbar anerkannt sah.

Wilhelm Hertz, der begabte Landsmann Uhlands und von ihm unterstützt,
widmete seine Übersetzung des nun wieder erstandenen Nvlandsliedes "dem
Herrn Dr. Ludwig Uhland in dankbarer Verehrung," und wenige Tage vor
seinem Tode wurde er noch von dem Franzosen Michelant durch die Widmung
der "Haimonskinder" erfreut.

Uhland ist tot, und andre haben sein Werk in ungeahnter Ausdehnung
fortgesetzt und teilweise vollendet. Mit Wärme aber müssen die jetzigen Meister
romanischer Forschung des Bahnbrechers gedenken, der so viel zur Erschließung
des gänzlich unbekannten Landes gethan hat.

Wir kommen nun zur Betrachtung dessen, was Uhland in seiner eignen
Dichtung durch die Beschäftigung mit der altfranzösischen Poesie gewonnen hat.
Diese Arbeit ist schön und lohnend; sind es doch Perlen der Poesie überhaupt,
welche wir diesem Studium verdanken. Die Hauptmasse der hierher gehörigen
Werke fällt in die Jahre 1810 bis 1814, als Borläufer können wir ansehen
"Klein Roland" vom Jahre 1803 und als herrliche Nachblüte Vertrcm de
Born vom Jahre 1829.

Wir unterscheiden dreierlei: 1. Übersetzungen, 2. Bearbeitungen, 3. freie
Erfindungen. Für sich stehen zwei dramatische Fragmente, die ganz oder teil¬
weise aus dem Studium der altfranzösischen Poesie angeregt worden sind.

1. Übersetzungen: a) Die größte und wichtigste ist die von 36 Tiraden aus
dem üowaii av ViMs, die Uhland gleich nach seiner Rückkehr von Paris
anfertigte. Die fünf ersten Tiraden erschienen zuerst in Kerners Musenalmanach
für 1812 nnter dem Titel: Roland und Aube; uoch in demselben Jahre wurden
sie einer nochmaligen Durchsicht unterworfen und mit den übrigen einunddreißig
in den "Musen" abgedruckt. Die Gedichtausgaben haben jedoch nie mehr
als die ersten fünf gebracht, und die Gründe der Ausschließung des Restes
sind wohl diese: sie erzählen in der weitschweifigen Weise des altfranzösischen
Epos den Kampf zwischen Olivier und Roland auf einem Flußwerder vor der
Stadt Viene, und wenn auch zahlreiche schöne Züge darin vorkommen, so
nimmt doch im ganzen die Kampfschilderung den meisten Raum ein; es mochte
Uhland bedenklich sein, die einförmigen Wiederholungen von Angriff und Ver¬
teidigung einem deutschen Publikum anzubieten, wogegen die anmutige Begeg¬
nung zwischen Roland und Alba samt den harmlosen Witzen, die dabei vor-


Ludwig Uhland und die altfranzösische j)oesie.

Interesse für die altfranzösische Sagengeschichte überaus günstig. Durch die
rüstige und einsichtsvolle Thätigkeit Michels und andrer öffnen sich die Quellen
ergiebiger: und doch, wie vieles ist hier noch zu thun! Weitverzweigte Adern
des karolingischen Epos sind kaum geschürft."

Es kann hier nicht der Ort sein, zu zeigen, was in und seit jenen Jahren
von Deutschen und Franzosen in der altfranzösischen Forschung geleistet wurde.
Aber wohl thut es, zu sehen, wie der schon greise Gelehrte seine Bemühungen
dankbar anerkannt sah.

Wilhelm Hertz, der begabte Landsmann Uhlands und von ihm unterstützt,
widmete seine Übersetzung des nun wieder erstandenen Nvlandsliedes „dem
Herrn Dr. Ludwig Uhland in dankbarer Verehrung," und wenige Tage vor
seinem Tode wurde er noch von dem Franzosen Michelant durch die Widmung
der „Haimonskinder" erfreut.

Uhland ist tot, und andre haben sein Werk in ungeahnter Ausdehnung
fortgesetzt und teilweise vollendet. Mit Wärme aber müssen die jetzigen Meister
romanischer Forschung des Bahnbrechers gedenken, der so viel zur Erschließung
des gänzlich unbekannten Landes gethan hat.

Wir kommen nun zur Betrachtung dessen, was Uhland in seiner eignen
Dichtung durch die Beschäftigung mit der altfranzösischen Poesie gewonnen hat.
Diese Arbeit ist schön und lohnend; sind es doch Perlen der Poesie überhaupt,
welche wir diesem Studium verdanken. Die Hauptmasse der hierher gehörigen
Werke fällt in die Jahre 1810 bis 1814, als Borläufer können wir ansehen
„Klein Roland" vom Jahre 1803 und als herrliche Nachblüte Vertrcm de
Born vom Jahre 1829.

Wir unterscheiden dreierlei: 1. Übersetzungen, 2. Bearbeitungen, 3. freie
Erfindungen. Für sich stehen zwei dramatische Fragmente, die ganz oder teil¬
weise aus dem Studium der altfranzösischen Poesie angeregt worden sind.

1. Übersetzungen: a) Die größte und wichtigste ist die von 36 Tiraden aus
dem üowaii av ViMs, die Uhland gleich nach seiner Rückkehr von Paris
anfertigte. Die fünf ersten Tiraden erschienen zuerst in Kerners Musenalmanach
für 1812 nnter dem Titel: Roland und Aube; uoch in demselben Jahre wurden
sie einer nochmaligen Durchsicht unterworfen und mit den übrigen einunddreißig
in den „Musen" abgedruckt. Die Gedichtausgaben haben jedoch nie mehr
als die ersten fünf gebracht, und die Gründe der Ausschließung des Restes
sind wohl diese: sie erzählen in der weitschweifigen Weise des altfranzösischen
Epos den Kampf zwischen Olivier und Roland auf einem Flußwerder vor der
Stadt Viene, und wenn auch zahlreiche schöne Züge darin vorkommen, so
nimmt doch im ganzen die Kampfschilderung den meisten Raum ein; es mochte
Uhland bedenklich sein, die einförmigen Wiederholungen von Angriff und Ver¬
teidigung einem deutschen Publikum anzubieten, wogegen die anmutige Begeg¬
nung zwischen Roland und Alba samt den harmlosen Witzen, die dabei vor-


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[0224] Ludwig Uhland und die altfranzösische j)oesie. Interesse für die altfranzösische Sagengeschichte überaus günstig. Durch die rüstige und einsichtsvolle Thätigkeit Michels und andrer öffnen sich die Quellen ergiebiger: und doch, wie vieles ist hier noch zu thun! Weitverzweigte Adern des karolingischen Epos sind kaum geschürft." Es kann hier nicht der Ort sein, zu zeigen, was in und seit jenen Jahren von Deutschen und Franzosen in der altfranzösischen Forschung geleistet wurde. Aber wohl thut es, zu sehen, wie der schon greise Gelehrte seine Bemühungen dankbar anerkannt sah. Wilhelm Hertz, der begabte Landsmann Uhlands und von ihm unterstützt, widmete seine Übersetzung des nun wieder erstandenen Nvlandsliedes „dem Herrn Dr. Ludwig Uhland in dankbarer Verehrung," und wenige Tage vor seinem Tode wurde er noch von dem Franzosen Michelant durch die Widmung der „Haimonskinder" erfreut. Uhland ist tot, und andre haben sein Werk in ungeahnter Ausdehnung fortgesetzt und teilweise vollendet. Mit Wärme aber müssen die jetzigen Meister romanischer Forschung des Bahnbrechers gedenken, der so viel zur Erschließung des gänzlich unbekannten Landes gethan hat. Wir kommen nun zur Betrachtung dessen, was Uhland in seiner eignen Dichtung durch die Beschäftigung mit der altfranzösischen Poesie gewonnen hat. Diese Arbeit ist schön und lohnend; sind es doch Perlen der Poesie überhaupt, welche wir diesem Studium verdanken. Die Hauptmasse der hierher gehörigen Werke fällt in die Jahre 1810 bis 1814, als Borläufer können wir ansehen „Klein Roland" vom Jahre 1803 und als herrliche Nachblüte Vertrcm de Born vom Jahre 1829. Wir unterscheiden dreierlei: 1. Übersetzungen, 2. Bearbeitungen, 3. freie Erfindungen. Für sich stehen zwei dramatische Fragmente, die ganz oder teil¬ weise aus dem Studium der altfranzösischen Poesie angeregt worden sind. 1. Übersetzungen: a) Die größte und wichtigste ist die von 36 Tiraden aus dem üowaii av ViMs, die Uhland gleich nach seiner Rückkehr von Paris anfertigte. Die fünf ersten Tiraden erschienen zuerst in Kerners Musenalmanach für 1812 nnter dem Titel: Roland und Aube; uoch in demselben Jahre wurden sie einer nochmaligen Durchsicht unterworfen und mit den übrigen einunddreißig in den „Musen" abgedruckt. Die Gedichtausgaben haben jedoch nie mehr als die ersten fünf gebracht, und die Gründe der Ausschließung des Restes sind wohl diese: sie erzählen in der weitschweifigen Weise des altfranzösischen Epos den Kampf zwischen Olivier und Roland auf einem Flußwerder vor der Stadt Viene, und wenn auch zahlreiche schöne Züge darin vorkommen, so nimmt doch im ganzen die Kampfschilderung den meisten Raum ein; es mochte Uhland bedenklich sein, die einförmigen Wiederholungen von Angriff und Ver¬ teidigung einem deutschen Publikum anzubieten, wogegen die anmutige Begeg¬ nung zwischen Roland und Alba samt den harmlosen Witzen, die dabei vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/224>, abgerufen am 17.09.2024.