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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Abt-mit und die altfrmizöstsche Poesie.

sandte mit einer sehr herzlichen Anerkennung seiner wissenschaftlichen Bedeutung.
In dem Antwortschreiben Uhlcmds an Diez vom 12. Mai 1827 heißt es:
..So sehr ich Raynouards Leistungen dankbar anerkenne, so hat es mir doch
patriotische Befriedigung geboten, zu erkennen, daß die Betrachtung des Gegen¬
standes durch die deutschen Werke an Tiefe, Schärfe und Übersicht gewonnen
habe.... Sie erwähnen zweier altfranzösischen Gedichte, wovon ich einstens Nach¬
richt gegeben. Von allen Quellen entfernt, habe ich die altfranzösischen Studien
seither meistens liegen lassen."

Poetisches hatte er auch seit lange nicht mehr geleistet. Aber gerade
Diezens Werk regte ihn wieder zu einer Ballade an, die von vielen die schönste
der Uhlandschcn Dichtungen überhaupt genannt wird: Vertrau de Born.

Erst das Jahr 1830. wo Uhland als Professor an der Universität Tü¬
bingen zu wirken begann, zeigt wieder eine umfassende Thätigkeit des jetzt schon
allgemein gefeierten Mannes auf dem Gebiete der altfranzösischen Literatur¬
geschichte, die inzwischen zu einer kräftig blühenden Wissenschaft herangewachsen war.
Uhland las über ..deutsche Poesie im Mittelalter." und nahm bei dem Abschnitte
..Karolingisches Epos" sehr oft Gelegenheit, auf die altfranzösischen Ongmal-
werle hinzuweisen. Er betonte jetzt besonders das Vorhandensein zweier Züch¬
tungen, nämlich der religiösen Epen, in denen Karl stets imposant erscheint und
als Kämpfer für die Christenheit, und der weltlichen (jetzt würden wir "Vci-
sallenlieder" sagen), in denen die mächtigen, trotzigen Vasallen die Hauptrolle
spielen, während Karl sehr klein und sogar verächtlich erscheint.

Im Winterhalbjahre 1831/32 und im Sommer 1332 las Uhland über
"die Sagengeschichte der germanischen und romanischen Völker." und so lang-
dauernd und nachhaltig war die Nichtigkeit der von ihm zuerst ausgesprochenen
Anschauungen, daß er auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren, dieselbe Einteilung
des Stoffes, dieselben Gesichtspunkte und Folgerungen beibehalten konnte, die
^ in seinem Aufsatze in den "Musen" veröffentlicht hatte. Fürwahr, ein
glänzendes Zeugnis für den Gelehrten einer Wissenschaft, die noch in den
Kinderjahren stand und daher stündlichen Wandlungen ausgesetzt sein mußte!

Dasselbe können wir in einem Briefe des hochverdienten Ferdinand Wolf
lese.,, den er 1833 samt einem Exemplar seines Werkes: ..Über die neuesten
Leistungen der Franzosen" an den bewährten Altmeister sandte. Es secht
darin: "Fast auf jeder Seite habe ich Ihren trefflichen Aufsatz über diesen
Gegenstand benutzt und angeführt, und er ist trotz der neuern Leistungen der
Franzosen mein sicherster Führer, ja die Grundlage meines Büchleins geblieben
worauf Uhland unter anderm antwortet: "Mit Herzen blieb ich gleichwohl
°Uer Sage und Liederdichtung treulich zugethan, und so habe ich auch alle-,
was Sie für dieses Feld teils in eignen Schriften, teils in Wiener Jahrbüchern
und den ..Altdeutschen Blättern" geleistet, zu meiner Belehrung und Freude
N"t regem Anteil verfolgt. Die jüngere Zeit war auch unserm gemeinsamen


Ludwig Abt-mit und die altfrmizöstsche Poesie.

sandte mit einer sehr herzlichen Anerkennung seiner wissenschaftlichen Bedeutung.
In dem Antwortschreiben Uhlcmds an Diez vom 12. Mai 1827 heißt es:
..So sehr ich Raynouards Leistungen dankbar anerkenne, so hat es mir doch
patriotische Befriedigung geboten, zu erkennen, daß die Betrachtung des Gegen¬
standes durch die deutschen Werke an Tiefe, Schärfe und Übersicht gewonnen
habe.... Sie erwähnen zweier altfranzösischen Gedichte, wovon ich einstens Nach¬
richt gegeben. Von allen Quellen entfernt, habe ich die altfranzösischen Studien
seither meistens liegen lassen."

Poetisches hatte er auch seit lange nicht mehr geleistet. Aber gerade
Diezens Werk regte ihn wieder zu einer Ballade an, die von vielen die schönste
der Uhlandschcn Dichtungen überhaupt genannt wird: Vertrau de Born.

Erst das Jahr 1830. wo Uhland als Professor an der Universität Tü¬
bingen zu wirken begann, zeigt wieder eine umfassende Thätigkeit des jetzt schon
allgemein gefeierten Mannes auf dem Gebiete der altfranzösischen Literatur¬
geschichte, die inzwischen zu einer kräftig blühenden Wissenschaft herangewachsen war.
Uhland las über ..deutsche Poesie im Mittelalter." und nahm bei dem Abschnitte
..Karolingisches Epos" sehr oft Gelegenheit, auf die altfranzösischen Ongmal-
werle hinzuweisen. Er betonte jetzt besonders das Vorhandensein zweier Züch¬
tungen, nämlich der religiösen Epen, in denen Karl stets imposant erscheint und
als Kämpfer für die Christenheit, und der weltlichen (jetzt würden wir „Vci-
sallenlieder" sagen), in denen die mächtigen, trotzigen Vasallen die Hauptrolle
spielen, während Karl sehr klein und sogar verächtlich erscheint.

Im Winterhalbjahre 1831/32 und im Sommer 1332 las Uhland über
»die Sagengeschichte der germanischen und romanischen Völker." und so lang-
dauernd und nachhaltig war die Nichtigkeit der von ihm zuerst ausgesprochenen
Anschauungen, daß er auch jetzt noch, nach zwanzig Jahren, dieselbe Einteilung
des Stoffes, dieselben Gesichtspunkte und Folgerungen beibehalten konnte, die
^ in seinem Aufsatze in den „Musen" veröffentlicht hatte. Fürwahr, ein
glänzendes Zeugnis für den Gelehrten einer Wissenschaft, die noch in den
Kinderjahren stand und daher stündlichen Wandlungen ausgesetzt sein mußte!

Dasselbe können wir in einem Briefe des hochverdienten Ferdinand Wolf
lese.,, den er 1833 samt einem Exemplar seines Werkes: ..Über die neuesten
Leistungen der Franzosen" an den bewährten Altmeister sandte. Es secht
darin: „Fast auf jeder Seite habe ich Ihren trefflichen Aufsatz über diesen
Gegenstand benutzt und angeführt, und er ist trotz der neuern Leistungen der
Franzosen mein sicherster Führer, ja die Grundlage meines Büchleins geblieben
worauf Uhland unter anderm antwortet: „Mit Herzen blieb ich gleichwohl
°Uer Sage und Liederdichtung treulich zugethan, und so habe ich auch alle-,
was Sie für dieses Feld teils in eignen Schriften, teils in Wiener Jahrbüchern
und den ..Altdeutschen Blättern" geleistet, zu meiner Belehrung und Freude
N"t regem Anteil verfolgt. Die jüngere Zeit war auch unserm gemeinsamen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/223>, abgerufen am 17.09.2024.