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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.

reich der mannichfaltigsten Natioualmhthen vereinige. Um sich dieses zur leben¬
digsten Anschauung zu bringen, fordert er die Anwesenden auf, Märchen zu
erzählen, und zwar soll jeder eine seinem Stamme, seiner Heimat eigentüm¬
liche Kunde vortragen. So folgt nun eine Reihe fränkischer, normännischer,
proper^alischer, gascognischer und andrer Erzählungen und Romanzen, welche
durch angemessene Gespräche untereinander verbunden sind. Ein Kciplan des
Königs schreibt in der Folge alles zusammen in ein Buch nieder, das, mit
Bildern ausgeschmückt, in der Schatzkammer des Königs zu Krone und Szepter
niedergelegt und das "Märchenbuch des Königs von Frankreich" benannt wird."

Wie schade, daß dieser Gedanke unausgeführt blieb! Wie schön hätte
Uhland die reizenden Episoden voll Kampfesmut und Liebesglut, voll fröhlicher
Schlauheit und ritterlicher Treue in dem blinkenden Rahmen zu vereinigen
gewußt! Er wäre ein zweiter, keuscherer Boccaccio für die Deutschen geworden.
Vielleicht ist es nicht bloß ein Zufall, daß gerade in den Jahren 1811 und
1812 die meisten und schönsten seiner altfranzösischen Dichtungen entstanden,
z. B. Roland Schildträger, König Karls Meerfahrt, Taillefer; und scheint
es nicht, als ob die Idee zu einem Cyklus "Säugerliebc," welche er auch
schon 1812 faßte, auf diesen größern Plan zurückzuführen sei? Sind Ge¬
dichte wie Don Massias, Kastellan von Couch, Nudello, Durand und Dante
nicht wie geschaffen, um an einem solchen Minnehofe, wie ihn Uhland sich
dachte, vorgetragen zu werden im Kreise blühender Ritter und Jungfrauen?
Das klingt doch nicht unwahrscheinlich, und er mag vielleicht gerade durch seine
größere Absicht zum Lesen von Crescimbeni und Bouterwek veranlaßt worden
sein. Genug, der Plan kam leider nicht zur Ausführung, ebensowenig wie der
etwas spätere einer dramatischen Bearbeitung des Obarloiruig-no ü. -lörusalöm, ot
g, OouLwntiuoxle, welcher ungefähr in das Jahr 1814 fällt.

Bei alledem bildeten für ihn die Beziehungen zum deutschen Volke und
Schrifttum" den Mittelpunkt. Das lehrt ein Brief an Weckherlin vom
27. Juli 1312: "Wenn ich mehr Muße und Gelegenheit hätte, so wäre meine
liebste Beschäftigung das Verfolgen der germanischen Poesie einerseits in den
Norden hinauf und bis in den Orient, anderseits durch die verschiednen, von
germanischen Nationen eroberten und besetzten Länder. Im Mittelalter ist der
Zusammenhang unverkennbar."

Es folgten hierauf für Uhland trübe Jahre, voll Ungewißheit und äußerer
Sorgen. Bald brach der große Befreiungskrieg aus, da war an ein friedliches
Studiren und Dichten nicht zu denken, zumal da llhlcmds lebhaftes Wesen
selbst in die politischen Wirren Würtembergs hineingerissen wurde. Fortan
begegnen wir keinem größern Werke auf unserm besondern Gebiete. Er blieb
mir immer auf dem Laufenden, und sein Interesse blieb stets ungeschwächt. Die
Deutschen erkannten nun auch an, was er geleistet hatte, z. B. Diez, der im
Jahre 1826 sein Werk über die "Poesie der Troubadours" an Uhland über-


Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.

reich der mannichfaltigsten Natioualmhthen vereinige. Um sich dieses zur leben¬
digsten Anschauung zu bringen, fordert er die Anwesenden auf, Märchen zu
erzählen, und zwar soll jeder eine seinem Stamme, seiner Heimat eigentüm¬
liche Kunde vortragen. So folgt nun eine Reihe fränkischer, normännischer,
proper^alischer, gascognischer und andrer Erzählungen und Romanzen, welche
durch angemessene Gespräche untereinander verbunden sind. Ein Kciplan des
Königs schreibt in der Folge alles zusammen in ein Buch nieder, das, mit
Bildern ausgeschmückt, in der Schatzkammer des Königs zu Krone und Szepter
niedergelegt und das »Märchenbuch des Königs von Frankreich« benannt wird."

Wie schade, daß dieser Gedanke unausgeführt blieb! Wie schön hätte
Uhland die reizenden Episoden voll Kampfesmut und Liebesglut, voll fröhlicher
Schlauheit und ritterlicher Treue in dem blinkenden Rahmen zu vereinigen
gewußt! Er wäre ein zweiter, keuscherer Boccaccio für die Deutschen geworden.
Vielleicht ist es nicht bloß ein Zufall, daß gerade in den Jahren 1811 und
1812 die meisten und schönsten seiner altfranzösischen Dichtungen entstanden,
z. B. Roland Schildträger, König Karls Meerfahrt, Taillefer; und scheint
es nicht, als ob die Idee zu einem Cyklus „Säugerliebc," welche er auch
schon 1812 faßte, auf diesen größern Plan zurückzuführen sei? Sind Ge¬
dichte wie Don Massias, Kastellan von Couch, Nudello, Durand und Dante
nicht wie geschaffen, um an einem solchen Minnehofe, wie ihn Uhland sich
dachte, vorgetragen zu werden im Kreise blühender Ritter und Jungfrauen?
Das klingt doch nicht unwahrscheinlich, und er mag vielleicht gerade durch seine
größere Absicht zum Lesen von Crescimbeni und Bouterwek veranlaßt worden
sein. Genug, der Plan kam leider nicht zur Ausführung, ebensowenig wie der
etwas spätere einer dramatischen Bearbeitung des Obarloiruig-no ü. -lörusalöm, ot
g, OouLwntiuoxle, welcher ungefähr in das Jahr 1814 fällt.

Bei alledem bildeten für ihn die Beziehungen zum deutschen Volke und
Schrifttum« den Mittelpunkt. Das lehrt ein Brief an Weckherlin vom
27. Juli 1312: „Wenn ich mehr Muße und Gelegenheit hätte, so wäre meine
liebste Beschäftigung das Verfolgen der germanischen Poesie einerseits in den
Norden hinauf und bis in den Orient, anderseits durch die verschiednen, von
germanischen Nationen eroberten und besetzten Länder. Im Mittelalter ist der
Zusammenhang unverkennbar."

Es folgten hierauf für Uhland trübe Jahre, voll Ungewißheit und äußerer
Sorgen. Bald brach der große Befreiungskrieg aus, da war an ein friedliches
Studiren und Dichten nicht zu denken, zumal da llhlcmds lebhaftes Wesen
selbst in die politischen Wirren Würtembergs hineingerissen wurde. Fortan
begegnen wir keinem größern Werke auf unserm besondern Gebiete. Er blieb
mir immer auf dem Laufenden, und sein Interesse blieb stets ungeschwächt. Die
Deutschen erkannten nun auch an, was er geleistet hatte, z. B. Diez, der im
Jahre 1826 sein Werk über die „Poesie der Troubadours" an Uhland über-


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[0222] Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie. reich der mannichfaltigsten Natioualmhthen vereinige. Um sich dieses zur leben¬ digsten Anschauung zu bringen, fordert er die Anwesenden auf, Märchen zu erzählen, und zwar soll jeder eine seinem Stamme, seiner Heimat eigentüm¬ liche Kunde vortragen. So folgt nun eine Reihe fränkischer, normännischer, proper^alischer, gascognischer und andrer Erzählungen und Romanzen, welche durch angemessene Gespräche untereinander verbunden sind. Ein Kciplan des Königs schreibt in der Folge alles zusammen in ein Buch nieder, das, mit Bildern ausgeschmückt, in der Schatzkammer des Königs zu Krone und Szepter niedergelegt und das »Märchenbuch des Königs von Frankreich« benannt wird." Wie schade, daß dieser Gedanke unausgeführt blieb! Wie schön hätte Uhland die reizenden Episoden voll Kampfesmut und Liebesglut, voll fröhlicher Schlauheit und ritterlicher Treue in dem blinkenden Rahmen zu vereinigen gewußt! Er wäre ein zweiter, keuscherer Boccaccio für die Deutschen geworden. Vielleicht ist es nicht bloß ein Zufall, daß gerade in den Jahren 1811 und 1812 die meisten und schönsten seiner altfranzösischen Dichtungen entstanden, z. B. Roland Schildträger, König Karls Meerfahrt, Taillefer; und scheint es nicht, als ob die Idee zu einem Cyklus „Säugerliebc," welche er auch schon 1812 faßte, auf diesen größern Plan zurückzuführen sei? Sind Ge¬ dichte wie Don Massias, Kastellan von Couch, Nudello, Durand und Dante nicht wie geschaffen, um an einem solchen Minnehofe, wie ihn Uhland sich dachte, vorgetragen zu werden im Kreise blühender Ritter und Jungfrauen? Das klingt doch nicht unwahrscheinlich, und er mag vielleicht gerade durch seine größere Absicht zum Lesen von Crescimbeni und Bouterwek veranlaßt worden sein. Genug, der Plan kam leider nicht zur Ausführung, ebensowenig wie der etwas spätere einer dramatischen Bearbeitung des Obarloiruig-no ü. -lörusalöm, ot g, OouLwntiuoxle, welcher ungefähr in das Jahr 1814 fällt. Bei alledem bildeten für ihn die Beziehungen zum deutschen Volke und Schrifttum« den Mittelpunkt. Das lehrt ein Brief an Weckherlin vom 27. Juli 1312: „Wenn ich mehr Muße und Gelegenheit hätte, so wäre meine liebste Beschäftigung das Verfolgen der germanischen Poesie einerseits in den Norden hinauf und bis in den Orient, anderseits durch die verschiednen, von germanischen Nationen eroberten und besetzten Länder. Im Mittelalter ist der Zusammenhang unverkennbar." Es folgten hierauf für Uhland trübe Jahre, voll Ungewißheit und äußerer Sorgen. Bald brach der große Befreiungskrieg aus, da war an ein friedliches Studiren und Dichten nicht zu denken, zumal da llhlcmds lebhaftes Wesen selbst in die politischen Wirren Würtembergs hineingerissen wurde. Fortan begegnen wir keinem größern Werke auf unserm besondern Gebiete. Er blieb mir immer auf dem Laufenden, und sein Interesse blieb stets ungeschwächt. Die Deutschen erkannten nun auch an, was er geleistet hatte, z. B. Diez, der im Jahre 1826 sein Werk über die „Poesie der Troubadours" an Uhland über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/222>, abgerufen am 17.09.2024.