Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.

es nicht mehr ans den Augen verlieren, und so trat er denn, nachdem er seine
juristischen Examina glücklich überstanden hatte, am 6. Mai 1810 die lange er¬
sehnte Reise nach Paris wirklich an. Kam doch zu seinen wissenschaftlichen und
dichterischen Neigungen noch der praktische Grund hinzu, daß Würtemberg gar
sehr mit der französischen Rechtspflege zu rechnen hatte, indem man allgemein
darauf gefaßt war. den 0vais Mxol"wu auch in Würtemberg eingeführt zu sehen.
Der Vater nud die Familie glaubten auch, das Studium des letztem würde
Uhlcmds Hauptsorge in Paris sei.,. Er aber hat außer den 0inej, oocw von
d'Hernan und dem Kommentar über den 0oäo civil von Maleville nicht viel
Juristisches mit nach Hause gebracht.

Umso eifriger tummelte er sein Steckenpferd. Dem Museum und der Hand-
schnftensammlnug der Bibliothek galt sein erster Besuch, und dort verweilte er
täglich, so lange es nur möglich war. "Um es in den zur Winterszeit ungeheizten
durch ein großes Kohlenbecken kaum erwärmten Räumen der kaiserlichen Bibliothek
auszuhalten und nicht kostbare Zeit zu verlieren, schrieb er, bis die erstarrte
rechte Hand wieder erwärmt und zur Arbeit tauglich wurde, mit der linken.
Was er eigentlich arbeitete, berichtete er offenherzig nach Hause: "Ich gehe in
der Regel um zehn Uhr in die Bibliothek; hier beschäftige ich mich mit deutschen
und französischen alten Handschriften."

Durch Immanuel Better, den er hier kennen lernte und der uns eine köst¬
liche Schilderung des damaligen Uhland hinterlassen hat. gewann er die richtige
philologische Schulung und die Kenntnis des ProveneMchen; Varnhagen. Cha-
misso und el.i Franzose Jourdain. mit dem er Französisch las. waren ihm gleich-
gesinnte Freunde. Chamisso teilte ihm ältere französische Volkslieder nut. wie
dies von der "Königstochter" erwiesen ist, und er selbst kaufte sich an der obern
Seinebrttcke Erzeugnisse der Lioliotdöanö blono. z. B.: 1^ "narre- Ä8 H-v-
W0U N s W

Auf der Bibliothek kamen ihm zunächst die MWanx in die Hand welche
er selbst "lieblich" nennt, aber nur als Vorschule zu den eigentlichen Epen be¬
trachtet. Dann las er den großen Kodex 7535. in dem 6ir^ av Vi.no
6o N-u-torno u. s. w. enthalten sind, die Handschrift 7188 und L°rw
grau. xi68 und (Arm-- ä'^n". die Handschrift 7498. die er ..gleichfalls
e>>'gesehen hat." und 7182 n.it einer zweiten Fassung der vier Haunonst-über.
und 7183 mit dem Rom-in av NmiM. 7548 mit der Listoirs äos ^o" co
Gallon 1i lie-foro. 0776 mit Nistan, 6987 mit dem Ronian as Rom.

Dies sind die Handschriften, die Uhland nachweislich studirt hat Welch
unmittelbaren Eindruck sie auf ihn machten, zeigt ein ausführlicher ^nes, ven
er am 19. Dezember 1810 an Fouque schrieb: "Ich beschäftige mich hier mehr nut
der Poesie der guten, alten Zeit als mit der eignen. Die altfranzoftschc Poesie
ist herrlich, wenn man bis zu ihrem eigentlichen Kern vordringt. Dies gelang
wir zu spät, um zu einiger Vollständigkeit zu gelangen. Ich hielt mich mit dem


Grenzboten II. 1887.
Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.

es nicht mehr ans den Augen verlieren, und so trat er denn, nachdem er seine
juristischen Examina glücklich überstanden hatte, am 6. Mai 1810 die lange er¬
sehnte Reise nach Paris wirklich an. Kam doch zu seinen wissenschaftlichen und
dichterischen Neigungen noch der praktische Grund hinzu, daß Würtemberg gar
sehr mit der französischen Rechtspflege zu rechnen hatte, indem man allgemein
darauf gefaßt war. den 0vais Mxol«wu auch in Würtemberg eingeführt zu sehen.
Der Vater nud die Familie glaubten auch, das Studium des letztem würde
Uhlcmds Hauptsorge in Paris sei.,. Er aber hat außer den 0inej, oocw von
d'Hernan und dem Kommentar über den 0oäo civil von Maleville nicht viel
Juristisches mit nach Hause gebracht.

Umso eifriger tummelte er sein Steckenpferd. Dem Museum und der Hand-
schnftensammlnug der Bibliothek galt sein erster Besuch, und dort verweilte er
täglich, so lange es nur möglich war. „Um es in den zur Winterszeit ungeheizten
durch ein großes Kohlenbecken kaum erwärmten Räumen der kaiserlichen Bibliothek
auszuhalten und nicht kostbare Zeit zu verlieren, schrieb er, bis die erstarrte
rechte Hand wieder erwärmt und zur Arbeit tauglich wurde, mit der linken.
Was er eigentlich arbeitete, berichtete er offenherzig nach Hause: „Ich gehe in
der Regel um zehn Uhr in die Bibliothek; hier beschäftige ich mich mit deutschen
und französischen alten Handschriften."

Durch Immanuel Better, den er hier kennen lernte und der uns eine köst¬
liche Schilderung des damaligen Uhland hinterlassen hat. gewann er die richtige
philologische Schulung und die Kenntnis des ProveneMchen; Varnhagen. Cha-
misso und el.i Franzose Jourdain. mit dem er Französisch las. waren ihm gleich-
gesinnte Freunde. Chamisso teilte ihm ältere französische Volkslieder nut. wie
dies von der „Königstochter" erwiesen ist, und er selbst kaufte sich an der obern
Seinebrttcke Erzeugnisse der Lioliotdöanö blono. z. B.: 1^ «narre- Ä8 H-v-
W0U N s W

Auf der Bibliothek kamen ihm zunächst die MWanx in die Hand welche
er selbst „lieblich" nennt, aber nur als Vorschule zu den eigentlichen Epen be¬
trachtet. Dann las er den großen Kodex 7535. in dem 6ir^ av Vi.no
6o N-u-torno u. s. w. enthalten sind, die Handschrift 7188 und L°rw
grau. xi68 und (Arm-- ä'^n«. die Handschrift 7498. die er ..gleichfalls
e>>'gesehen hat." und 7182 n.it einer zweiten Fassung der vier Haunonst-über.
und 7183 mit dem Rom-in av NmiM. 7548 mit der Listoirs äos ^o« co
Gallon 1i lie-foro. 0776 mit Nistan, 6987 mit dem Ronian as Rom.

Dies sind die Handschriften, die Uhland nachweislich studirt hat Welch
unmittelbaren Eindruck sie auf ihn machten, zeigt ein ausführlicher ^nes, ven
er am 19. Dezember 1810 an Fouque schrieb: „Ich beschäftige mich hier mehr nut
der Poesie der guten, alten Zeit als mit der eignen. Die altfranzoftschc Poesie
ist herrlich, wenn man bis zu ihrem eigentlichen Kern vordringt. Dies gelang
wir zu spät, um zu einiger Vollständigkeit zu gelangen. Ich hielt mich mit dem


Grenzboten II. 1887.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288670"/>
          <fw type="header" place="top"> Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_620" prev="#ID_619"> es nicht mehr ans den Augen verlieren, und so trat er denn, nachdem er seine<lb/>
juristischen Examina glücklich überstanden hatte, am 6. Mai 1810 die lange er¬<lb/>
sehnte Reise nach Paris wirklich an. Kam doch zu seinen wissenschaftlichen und<lb/>
dichterischen Neigungen noch der praktische Grund hinzu, daß Würtemberg gar<lb/>
sehr mit der französischen Rechtspflege zu rechnen hatte, indem man allgemein<lb/>
darauf gefaßt war. den 0vais Mxol«wu auch in Würtemberg eingeführt zu sehen.<lb/>
Der Vater nud die Familie glaubten auch, das Studium des letztem würde<lb/>
Uhlcmds Hauptsorge in Paris sei.,. Er aber hat außer den 0inej, oocw von<lb/>
d'Hernan und dem Kommentar über den 0oäo civil von Maleville nicht viel<lb/>
Juristisches mit nach Hause gebracht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_621"> Umso eifriger tummelte er sein Steckenpferd. Dem Museum und der Hand-<lb/>
schnftensammlnug der Bibliothek galt sein erster Besuch, und dort verweilte er<lb/>
täglich, so lange es nur möglich war. &#x201E;Um es in den zur Winterszeit ungeheizten<lb/>
durch ein großes Kohlenbecken kaum erwärmten Räumen der kaiserlichen Bibliothek<lb/>
auszuhalten und nicht kostbare Zeit zu verlieren, schrieb er, bis die erstarrte<lb/>
rechte Hand wieder erwärmt und zur Arbeit tauglich wurde, mit der linken.<lb/>
Was er eigentlich arbeitete, berichtete er offenherzig nach Hause: &#x201E;Ich gehe in<lb/>
der Regel um zehn Uhr in die Bibliothek; hier beschäftige ich mich mit deutschen<lb/>
und französischen alten Handschriften."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_622"> Durch Immanuel Better, den er hier kennen lernte und der uns eine köst¬<lb/>
liche Schilderung des damaligen Uhland hinterlassen hat. gewann er die richtige<lb/>
philologische Schulung und die Kenntnis des ProveneMchen; Varnhagen. Cha-<lb/>
misso und el.i Franzose Jourdain. mit dem er Französisch las. waren ihm gleich-<lb/>
gesinnte Freunde. Chamisso teilte ihm ältere französische Volkslieder nut. wie<lb/>
dies von der &#x201E;Königstochter" erwiesen ist, und er selbst kaufte sich an der obern<lb/>
Seinebrttcke Erzeugnisse der Lioliotdöanö blono. z. B.: 1^ «narre- Ä8 H-v-<lb/>
W0U N s W</p><lb/>
          <p xml:id="ID_623"> Auf der Bibliothek kamen ihm zunächst die MWanx in die Hand welche<lb/>
er selbst &#x201E;lieblich" nennt, aber nur als Vorschule zu den eigentlichen Epen be¬<lb/>
trachtet. Dann las er den großen Kodex 7535. in dem 6ir^ av Vi.no<lb/>
6o N-u-torno u. s. w. enthalten sind, die Handschrift 7188 und L°rw<lb/>
grau. xi68 und (Arm-- ä'^n«. die Handschrift 7498. die er ..gleichfalls<lb/>
e&gt;&gt;'gesehen hat." und 7182 n.it einer zweiten Fassung der vier Haunonst-über.<lb/>
und 7183 mit dem Rom-in av NmiM. 7548 mit der Listoirs äos ^o« co<lb/>
Gallon 1i lie-foro. 0776 mit Nistan, 6987 mit dem Ronian as Rom.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> Dies sind die Handschriften, die Uhland nachweislich studirt hat Welch<lb/>
unmittelbaren Eindruck sie auf ihn machten, zeigt ein ausführlicher ^nes, ven<lb/>
er am 19. Dezember 1810 an Fouque schrieb: &#x201E;Ich beschäftige mich hier mehr nut<lb/>
der Poesie der guten, alten Zeit als mit der eignen. Die altfranzoftschc Poesie<lb/>
ist herrlich, wenn man bis zu ihrem eigentlichen Kern vordringt. Dies gelang<lb/>
wir zu spät, um zu einiger Vollständigkeit zu gelangen. Ich hielt mich mit dem</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1887.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0217] Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie. es nicht mehr ans den Augen verlieren, und so trat er denn, nachdem er seine juristischen Examina glücklich überstanden hatte, am 6. Mai 1810 die lange er¬ sehnte Reise nach Paris wirklich an. Kam doch zu seinen wissenschaftlichen und dichterischen Neigungen noch der praktische Grund hinzu, daß Würtemberg gar sehr mit der französischen Rechtspflege zu rechnen hatte, indem man allgemein darauf gefaßt war. den 0vais Mxol«wu auch in Würtemberg eingeführt zu sehen. Der Vater nud die Familie glaubten auch, das Studium des letztem würde Uhlcmds Hauptsorge in Paris sei.,. Er aber hat außer den 0inej, oocw von d'Hernan und dem Kommentar über den 0oäo civil von Maleville nicht viel Juristisches mit nach Hause gebracht. Umso eifriger tummelte er sein Steckenpferd. Dem Museum und der Hand- schnftensammlnug der Bibliothek galt sein erster Besuch, und dort verweilte er täglich, so lange es nur möglich war. „Um es in den zur Winterszeit ungeheizten durch ein großes Kohlenbecken kaum erwärmten Räumen der kaiserlichen Bibliothek auszuhalten und nicht kostbare Zeit zu verlieren, schrieb er, bis die erstarrte rechte Hand wieder erwärmt und zur Arbeit tauglich wurde, mit der linken. Was er eigentlich arbeitete, berichtete er offenherzig nach Hause: „Ich gehe in der Regel um zehn Uhr in die Bibliothek; hier beschäftige ich mich mit deutschen und französischen alten Handschriften." Durch Immanuel Better, den er hier kennen lernte und der uns eine köst¬ liche Schilderung des damaligen Uhland hinterlassen hat. gewann er die richtige philologische Schulung und die Kenntnis des ProveneMchen; Varnhagen. Cha- misso und el.i Franzose Jourdain. mit dem er Französisch las. waren ihm gleich- gesinnte Freunde. Chamisso teilte ihm ältere französische Volkslieder nut. wie dies von der „Königstochter" erwiesen ist, und er selbst kaufte sich an der obern Seinebrttcke Erzeugnisse der Lioliotdöanö blono. z. B.: 1^ «narre- Ä8 H-v- W0U N s W Auf der Bibliothek kamen ihm zunächst die MWanx in die Hand welche er selbst „lieblich" nennt, aber nur als Vorschule zu den eigentlichen Epen be¬ trachtet. Dann las er den großen Kodex 7535. in dem 6ir^ av Vi.no 6o N-u-torno u. s. w. enthalten sind, die Handschrift 7188 und L°rw grau. xi68 und (Arm-- ä'^n«. die Handschrift 7498. die er ..gleichfalls e>>'gesehen hat." und 7182 n.it einer zweiten Fassung der vier Haunonst-über. und 7183 mit dem Rom-in av NmiM. 7548 mit der Listoirs äos ^o« co Gallon 1i lie-foro. 0776 mit Nistan, 6987 mit dem Ronian as Rom. Dies sind die Handschriften, die Uhland nachweislich studirt hat Welch unmittelbaren Eindruck sie auf ihn machten, zeigt ein ausführlicher ^nes, ven er am 19. Dezember 1810 an Fouque schrieb: „Ich beschäftige mich hier mehr nut der Poesie der guten, alten Zeit als mit der eignen. Die altfranzoftschc Poesie ist herrlich, wenn man bis zu ihrem eigentlichen Kern vordringt. Dies gelang wir zu spät, um zu einiger Vollständigkeit zu gelangen. Ich hielt mich mit dem Grenzboten II. 1887.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/217
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/217>, abgerufen am 17.09.2024.