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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Uhland und die altfrauzösischo Poesie.

Cramer, denen Uhland schon frühzeitig sehr zugethan war, sich breit machten,
ist ein zielbewußter Forscher geworden, der die Existenz von alten Gedichten
auch bei andern Völkern ahnt und gern derselben habhaft werden möchte.
Hauptzweck blieb ihm dabei das deutsche Altertum, wenn man seine spätere
Gesinnung auf die Jugend zurückbezicht, und dies erhellt auch aus einem
Briefe Uhlcmds an Kölle in Paris, worin es heißt: "So wollte ich Sie
beschwören beim heiligen Mutternamen Deutschland, gehen Sie, wenn Sie
immer können, in die Bibliotheken von Paris, suchen Sie hervor, was da be¬
graben liegt von den Schätzen altdeutscher Poesie. . . . Allein sehen Sie nicht
ausschließend auf deutsche Altertümer, achten Sie auf die romantische Vorwelt
Frankreichs. Ein Geist des Rittertums waltete über ganz Europa. Wo Sie
in einen" alten Buche eine schöne Kunde, Legende u. s. w. finden, lassen Sie die
nicht verloren gehen, wir haben ja so großen Mangel an poetischen Stoffen."
Wie eifrig mag Uhland Kölles Antwort gelesen haben, worin es zum Schlüsse
heißt: "Jede Entdeckung werde ich mit meinem Freunde teilen. Um Gottes
Willen, kommen Sie nach dem Examen gleich hierher!"

Nebst Kölle war es besonders Varnhagen, den er um diese Zeit kennen
lernte, und der seine Vorliebe für alte Sagen und Erzählungen teilte; eine
herzliche Freundschaft verband ihn mit diesem und mit den Freunden aus älterer
Zeit, die ihm auch teilweise mit einer Pariser Reise vorangingen, so Rosen,
Eduard und Hermann Gmelin.

Er selbst hegte wohl damals schon denselben Plan, konnte ihn aber vor¬
derhand nicht ausführen, weil er gerade jetzt mit den Arbeiten zu seinem Fakul¬
tätsexamen beschäftigt war. Es war dies im Jahre 1808. Inzwischen las er
aber fleißig alles, was er in Tübingen selbst bekommen konnte. So wissen wir
daß er die deutsche Übersetzung der ^oeufs Ah Invisrno, eines spanischen Sammel¬
werkes in Prosa, worin die beliebtesten altfranzösischen Sagen in vielfach un¬
gestalteter Fassung erzählt werden, kennen gelernt und sein Gedicht "Klein Ro¬
land" nach dieser Quelle gefertigt hat.

Dieses Buch muß ihn ganz besonders angezogen haben; die Anregung zu
einem so reizenden Gedichte beweist es, und der weitere Umstand, daß er gerade
in dieser Zeit einen größern Plan faßte. Er wollte, wie Jahr und Notker über¬
einstimmend bemerken, ein "Dekamerone altfranzösischer Erzählungen" liefern.
Wir wissen nicht, ob die Ausführung gerade so gedacht war, wie in dem spätern
Plane eines "Märchenbuches des Königs von Frankreich"; für diese Zeit aber, in
welcher er die altfranzösischen Kunden noch nicht an den Originalen studirt hatte,
können wir uns nur denken, daß die so verstümmelte Fassung der meisten mittel¬
alterlichen Sagenstvffe in ihm den Gedanken wachgerufen habe, den Inhalt der¬
selben in geklärter Form zu einer Art von Dekamerone zu vereinigen, mit irgend¬
einem frei ersonnenen Nahmen für das Ganze. Dem sei, wie ihm wolle, Thatsache
ist, daß er nun immer inniger und konsequenter seinem Ziele zuging. Er konnte


Ludwig Uhland und die altfrauzösischo Poesie.

Cramer, denen Uhland schon frühzeitig sehr zugethan war, sich breit machten,
ist ein zielbewußter Forscher geworden, der die Existenz von alten Gedichten
auch bei andern Völkern ahnt und gern derselben habhaft werden möchte.
Hauptzweck blieb ihm dabei das deutsche Altertum, wenn man seine spätere
Gesinnung auf die Jugend zurückbezicht, und dies erhellt auch aus einem
Briefe Uhlcmds an Kölle in Paris, worin es heißt: „So wollte ich Sie
beschwören beim heiligen Mutternamen Deutschland, gehen Sie, wenn Sie
immer können, in die Bibliotheken von Paris, suchen Sie hervor, was da be¬
graben liegt von den Schätzen altdeutscher Poesie. . . . Allein sehen Sie nicht
ausschließend auf deutsche Altertümer, achten Sie auf die romantische Vorwelt
Frankreichs. Ein Geist des Rittertums waltete über ganz Europa. Wo Sie
in einen« alten Buche eine schöne Kunde, Legende u. s. w. finden, lassen Sie die
nicht verloren gehen, wir haben ja so großen Mangel an poetischen Stoffen."
Wie eifrig mag Uhland Kölles Antwort gelesen haben, worin es zum Schlüsse
heißt: „Jede Entdeckung werde ich mit meinem Freunde teilen. Um Gottes
Willen, kommen Sie nach dem Examen gleich hierher!"

Nebst Kölle war es besonders Varnhagen, den er um diese Zeit kennen
lernte, und der seine Vorliebe für alte Sagen und Erzählungen teilte; eine
herzliche Freundschaft verband ihn mit diesem und mit den Freunden aus älterer
Zeit, die ihm auch teilweise mit einer Pariser Reise vorangingen, so Rosen,
Eduard und Hermann Gmelin.

Er selbst hegte wohl damals schon denselben Plan, konnte ihn aber vor¬
derhand nicht ausführen, weil er gerade jetzt mit den Arbeiten zu seinem Fakul¬
tätsexamen beschäftigt war. Es war dies im Jahre 1808. Inzwischen las er
aber fleißig alles, was er in Tübingen selbst bekommen konnte. So wissen wir
daß er die deutsche Übersetzung der ^oeufs Ah Invisrno, eines spanischen Sammel¬
werkes in Prosa, worin die beliebtesten altfranzösischen Sagen in vielfach un¬
gestalteter Fassung erzählt werden, kennen gelernt und sein Gedicht „Klein Ro¬
land" nach dieser Quelle gefertigt hat.

Dieses Buch muß ihn ganz besonders angezogen haben; die Anregung zu
einem so reizenden Gedichte beweist es, und der weitere Umstand, daß er gerade
in dieser Zeit einen größern Plan faßte. Er wollte, wie Jahr und Notker über¬
einstimmend bemerken, ein „Dekamerone altfranzösischer Erzählungen" liefern.
Wir wissen nicht, ob die Ausführung gerade so gedacht war, wie in dem spätern
Plane eines „Märchenbuches des Königs von Frankreich"; für diese Zeit aber, in
welcher er die altfranzösischen Kunden noch nicht an den Originalen studirt hatte,
können wir uns nur denken, daß die so verstümmelte Fassung der meisten mittel¬
alterlichen Sagenstvffe in ihm den Gedanken wachgerufen habe, den Inhalt der¬
selben in geklärter Form zu einer Art von Dekamerone zu vereinigen, mit irgend¬
einem frei ersonnenen Nahmen für das Ganze. Dem sei, wie ihm wolle, Thatsache
ist, daß er nun immer inniger und konsequenter seinem Ziele zuging. Er konnte


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[0216] Ludwig Uhland und die altfrauzösischo Poesie. Cramer, denen Uhland schon frühzeitig sehr zugethan war, sich breit machten, ist ein zielbewußter Forscher geworden, der die Existenz von alten Gedichten auch bei andern Völkern ahnt und gern derselben habhaft werden möchte. Hauptzweck blieb ihm dabei das deutsche Altertum, wenn man seine spätere Gesinnung auf die Jugend zurückbezicht, und dies erhellt auch aus einem Briefe Uhlcmds an Kölle in Paris, worin es heißt: „So wollte ich Sie beschwören beim heiligen Mutternamen Deutschland, gehen Sie, wenn Sie immer können, in die Bibliotheken von Paris, suchen Sie hervor, was da be¬ graben liegt von den Schätzen altdeutscher Poesie. . . . Allein sehen Sie nicht ausschließend auf deutsche Altertümer, achten Sie auf die romantische Vorwelt Frankreichs. Ein Geist des Rittertums waltete über ganz Europa. Wo Sie in einen« alten Buche eine schöne Kunde, Legende u. s. w. finden, lassen Sie die nicht verloren gehen, wir haben ja so großen Mangel an poetischen Stoffen." Wie eifrig mag Uhland Kölles Antwort gelesen haben, worin es zum Schlüsse heißt: „Jede Entdeckung werde ich mit meinem Freunde teilen. Um Gottes Willen, kommen Sie nach dem Examen gleich hierher!" Nebst Kölle war es besonders Varnhagen, den er um diese Zeit kennen lernte, und der seine Vorliebe für alte Sagen und Erzählungen teilte; eine herzliche Freundschaft verband ihn mit diesem und mit den Freunden aus älterer Zeit, die ihm auch teilweise mit einer Pariser Reise vorangingen, so Rosen, Eduard und Hermann Gmelin. Er selbst hegte wohl damals schon denselben Plan, konnte ihn aber vor¬ derhand nicht ausführen, weil er gerade jetzt mit den Arbeiten zu seinem Fakul¬ tätsexamen beschäftigt war. Es war dies im Jahre 1808. Inzwischen las er aber fleißig alles, was er in Tübingen selbst bekommen konnte. So wissen wir daß er die deutsche Übersetzung der ^oeufs Ah Invisrno, eines spanischen Sammel¬ werkes in Prosa, worin die beliebtesten altfranzösischen Sagen in vielfach un¬ gestalteter Fassung erzählt werden, kennen gelernt und sein Gedicht „Klein Ro¬ land" nach dieser Quelle gefertigt hat. Dieses Buch muß ihn ganz besonders angezogen haben; die Anregung zu einem so reizenden Gedichte beweist es, und der weitere Umstand, daß er gerade in dieser Zeit einen größern Plan faßte. Er wollte, wie Jahr und Notker über¬ einstimmend bemerken, ein „Dekamerone altfranzösischer Erzählungen" liefern. Wir wissen nicht, ob die Ausführung gerade so gedacht war, wie in dem spätern Plane eines „Märchenbuches des Königs von Frankreich"; für diese Zeit aber, in welcher er die altfranzösischen Kunden noch nicht an den Originalen studirt hatte, können wir uns nur denken, daß die so verstümmelte Fassung der meisten mittel¬ alterlichen Sagenstvffe in ihm den Gedanken wachgerufen habe, den Inhalt der¬ selben in geklärter Form zu einer Art von Dekamerone zu vereinigen, mit irgend¬ einem frei ersonnenen Nahmen für das Ganze. Dem sei, wie ihm wolle, Thatsache ist, daß er nun immer inniger und konsequenter seinem Ziele zuging. Er konnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/216>, abgerufen am 17.09.2024.