Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsch-böhmische Briefe.

unter etwas mehr als billig in schwungvollen Reden und Liedern geleistet und
viel mit allerhand bei uns außer Kurs gesetzten Symbolen und Emblemen,
z. B. den schwarzrotgelbeu Fahnen und Bändern der Traumzeit vor 1866, ge¬
spielt wird, aber immerhin manches Solide zurückbleibt. Die Erfolge dieser
Wirksamkeit sind allenthalben zu erkennen: die deutsche Bevölkerung Böhmens
ist erwacht aus ihrem alten Schlafe, sie fühlt sich gegenüber den Tschechen, sie
weiß, was ihr droht und was ihr notthut, sie benutzt fleißig ihr Wahlrecht,
steht in der Hauptsache, d. h. in dem Beschlusse, sich nicht unter die Ansprüche
der Slawen zu beugen, einmütig hinter ihren Vertretern im Landtage und
Reichsrate, und ist bereit, Opfer zu bringen. So in den Städten und so auch
auf dem Lande, selbst da, wo die Gefahr der Tschechisiruug nicht unmittelbar
vor Thür und Fenster steht.

Der Hauptkampf wird auf parlamentarischem Boden mit Anträgen, Reden,
Gegenreden und Abstimmungen und anderseits auf dem Gebiete der Schule mit
den Mitteln des Schulvereins geführt. Dort ist bis jetzt nichts erreicht, höchstens
vielleicht einiges Schlimme aufgehalten, hier dagegen ist an mehreren Orten das
Ärgste abgewendet oder doch gelindert und an andern recht Erfreuliches ge¬
schaffen worden.

Betrachten wir zunächst die Verteidigung des Deutschtums durch dessen
parlamentarische Vertreter, so begegnen wir in der Taaffeschen Ära, ans die
wir uns beschränken, zunächst dem Wurmbrandschen Antrage, der dem Wiener
Abgeordnetenhause am 10. Mai 1880 überreicht wurde und dahin lautete, das
Hans wolle beschließen: "Die Negierung wird aufgefordert, in Ausführung des
Artikels XIX. des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1367*) über die
allgemeinen Rechte der Staatsbürger einen Gesetzentwurf einzubringen, wodurch
unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der
landesüblichen Sprachen in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt wird."
Dieser Antrag ging am 4. Dezember an einen Ausschuß, in welchem der Minister¬
präsident Graf Taasfe erklärte, der verlangte Gesetzentwurf werde erst dann
zweckmäßig sein, wenn die verschiednen Nationalitäten und politischen Parteien
sich in der Sache verständigt hätten. Auch möge der Antragsteller zuerst defi-
niren, was er unter Staatssprache verstehe. Dieser Aufforderung wurde nicht
entsprochen, und die Debatte bewegte sich in Allgemeinheiten über die Sprachen-



*) Derselbe sanktionirt den Grundsatz der sprachlichen Gleichberechtigung aller Volks-
stämme Österreichs mit folgenden Worten: "Alle Volksstümme sind gleichberechtigt, und jeder
Volksstcnnin hat ein uiwerletzliches Recht ans Wahrung und Pflege seiner Nationalität und
Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprache" in Schule, Amt und öffent¬
lichem Leben wird bon Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämim'
wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, das; ohne An-
wendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volks-
siiiuime die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält."
Deutsch-böhmische Briefe.

unter etwas mehr als billig in schwungvollen Reden und Liedern geleistet und
viel mit allerhand bei uns außer Kurs gesetzten Symbolen und Emblemen,
z. B. den schwarzrotgelbeu Fahnen und Bändern der Traumzeit vor 1866, ge¬
spielt wird, aber immerhin manches Solide zurückbleibt. Die Erfolge dieser
Wirksamkeit sind allenthalben zu erkennen: die deutsche Bevölkerung Böhmens
ist erwacht aus ihrem alten Schlafe, sie fühlt sich gegenüber den Tschechen, sie
weiß, was ihr droht und was ihr notthut, sie benutzt fleißig ihr Wahlrecht,
steht in der Hauptsache, d. h. in dem Beschlusse, sich nicht unter die Ansprüche
der Slawen zu beugen, einmütig hinter ihren Vertretern im Landtage und
Reichsrate, und ist bereit, Opfer zu bringen. So in den Städten und so auch
auf dem Lande, selbst da, wo die Gefahr der Tschechisiruug nicht unmittelbar
vor Thür und Fenster steht.

Der Hauptkampf wird auf parlamentarischem Boden mit Anträgen, Reden,
Gegenreden und Abstimmungen und anderseits auf dem Gebiete der Schule mit
den Mitteln des Schulvereins geführt. Dort ist bis jetzt nichts erreicht, höchstens
vielleicht einiges Schlimme aufgehalten, hier dagegen ist an mehreren Orten das
Ärgste abgewendet oder doch gelindert und an andern recht Erfreuliches ge¬
schaffen worden.

Betrachten wir zunächst die Verteidigung des Deutschtums durch dessen
parlamentarische Vertreter, so begegnen wir in der Taaffeschen Ära, ans die
wir uns beschränken, zunächst dem Wurmbrandschen Antrage, der dem Wiener
Abgeordnetenhause am 10. Mai 1880 überreicht wurde und dahin lautete, das
Hans wolle beschließen: „Die Negierung wird aufgefordert, in Ausführung des
Artikels XIX. des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1367*) über die
allgemeinen Rechte der Staatsbürger einen Gesetzentwurf einzubringen, wodurch
unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der
landesüblichen Sprachen in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt wird."
Dieser Antrag ging am 4. Dezember an einen Ausschuß, in welchem der Minister¬
präsident Graf Taasfe erklärte, der verlangte Gesetzentwurf werde erst dann
zweckmäßig sein, wenn die verschiednen Nationalitäten und politischen Parteien
sich in der Sache verständigt hätten. Auch möge der Antragsteller zuerst defi-
niren, was er unter Staatssprache verstehe. Dieser Aufforderung wurde nicht
entsprochen, und die Debatte bewegte sich in Allgemeinheiten über die Sprachen-



*) Derselbe sanktionirt den Grundsatz der sprachlichen Gleichberechtigung aller Volks-
stämme Österreichs mit folgenden Worten: „Alle Volksstümme sind gleichberechtigt, und jeder
Volksstcnnin hat ein uiwerletzliches Recht ans Wahrung und Pflege seiner Nationalität und
Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprache» in Schule, Amt und öffent¬
lichem Leben wird bon Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämim'
wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, das; ohne An-
wendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volks-
siiiuime die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält."
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288655"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutsch-böhmische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_587" prev="#ID_586"> unter etwas mehr als billig in schwungvollen Reden und Liedern geleistet und<lb/>
viel mit allerhand bei uns außer Kurs gesetzten Symbolen und Emblemen,<lb/>
z. B. den schwarzrotgelbeu Fahnen und Bändern der Traumzeit vor 1866, ge¬<lb/>
spielt wird, aber immerhin manches Solide zurückbleibt. Die Erfolge dieser<lb/>
Wirksamkeit sind allenthalben zu erkennen: die deutsche Bevölkerung Böhmens<lb/>
ist erwacht aus ihrem alten Schlafe, sie fühlt sich gegenüber den Tschechen, sie<lb/>
weiß, was ihr droht und was ihr notthut, sie benutzt fleißig ihr Wahlrecht,<lb/>
steht in der Hauptsache, d. h. in dem Beschlusse, sich nicht unter die Ansprüche<lb/>
der Slawen zu beugen, einmütig hinter ihren Vertretern im Landtage und<lb/>
Reichsrate, und ist bereit, Opfer zu bringen. So in den Städten und so auch<lb/>
auf dem Lande, selbst da, wo die Gefahr der Tschechisiruug nicht unmittelbar<lb/>
vor Thür und Fenster steht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588"> Der Hauptkampf wird auf parlamentarischem Boden mit Anträgen, Reden,<lb/>
Gegenreden und Abstimmungen und anderseits auf dem Gebiete der Schule mit<lb/>
den Mitteln des Schulvereins geführt. Dort ist bis jetzt nichts erreicht, höchstens<lb/>
vielleicht einiges Schlimme aufgehalten, hier dagegen ist an mehreren Orten das<lb/>
Ärgste abgewendet oder doch gelindert und an andern recht Erfreuliches ge¬<lb/>
schaffen worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_589" next="#ID_590"> Betrachten wir zunächst die Verteidigung des Deutschtums durch dessen<lb/>
parlamentarische Vertreter, so begegnen wir in der Taaffeschen Ära, ans die<lb/>
wir uns beschränken, zunächst dem Wurmbrandschen Antrage, der dem Wiener<lb/>
Abgeordnetenhause am 10. Mai 1880 überreicht wurde und dahin lautete, das<lb/>
Hans wolle beschließen: &#x201E;Die Negierung wird aufgefordert, in Ausführung des<lb/>
Artikels XIX. des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1367*) über die<lb/>
allgemeinen Rechte der Staatsbürger einen Gesetzentwurf einzubringen, wodurch<lb/>
unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der<lb/>
landesüblichen Sprachen in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt wird."<lb/>
Dieser Antrag ging am 4. Dezember an einen Ausschuß, in welchem der Minister¬<lb/>
präsident Graf Taasfe erklärte, der verlangte Gesetzentwurf werde erst dann<lb/>
zweckmäßig sein, wenn die verschiednen Nationalitäten und politischen Parteien<lb/>
sich in der Sache verständigt hätten. Auch möge der Antragsteller zuerst defi-<lb/>
niren, was er unter Staatssprache verstehe. Dieser Aufforderung wurde nicht<lb/>
entsprochen, und die Debatte bewegte sich in Allgemeinheiten über die Sprachen-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_32" place="foot"> *) Derselbe sanktionirt den Grundsatz der sprachlichen Gleichberechtigung aller Volks-<lb/>
stämme Österreichs mit folgenden Worten: &#x201E;Alle Volksstümme sind gleichberechtigt, und jeder<lb/>
Volksstcnnin hat ein uiwerletzliches Recht ans Wahrung und Pflege seiner Nationalität und<lb/>
Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprache» in Schule, Amt und öffent¬<lb/>
lichem Leben wird bon Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämim'<lb/>
wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, das; ohne An-<lb/>
wendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volks-<lb/>
siiiuime die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält."</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Deutsch-böhmische Briefe. unter etwas mehr als billig in schwungvollen Reden und Liedern geleistet und viel mit allerhand bei uns außer Kurs gesetzten Symbolen und Emblemen, z. B. den schwarzrotgelbeu Fahnen und Bändern der Traumzeit vor 1866, ge¬ spielt wird, aber immerhin manches Solide zurückbleibt. Die Erfolge dieser Wirksamkeit sind allenthalben zu erkennen: die deutsche Bevölkerung Böhmens ist erwacht aus ihrem alten Schlafe, sie fühlt sich gegenüber den Tschechen, sie weiß, was ihr droht und was ihr notthut, sie benutzt fleißig ihr Wahlrecht, steht in der Hauptsache, d. h. in dem Beschlusse, sich nicht unter die Ansprüche der Slawen zu beugen, einmütig hinter ihren Vertretern im Landtage und Reichsrate, und ist bereit, Opfer zu bringen. So in den Städten und so auch auf dem Lande, selbst da, wo die Gefahr der Tschechisiruug nicht unmittelbar vor Thür und Fenster steht. Der Hauptkampf wird auf parlamentarischem Boden mit Anträgen, Reden, Gegenreden und Abstimmungen und anderseits auf dem Gebiete der Schule mit den Mitteln des Schulvereins geführt. Dort ist bis jetzt nichts erreicht, höchstens vielleicht einiges Schlimme aufgehalten, hier dagegen ist an mehreren Orten das Ärgste abgewendet oder doch gelindert und an andern recht Erfreuliches ge¬ schaffen worden. Betrachten wir zunächst die Verteidigung des Deutschtums durch dessen parlamentarische Vertreter, so begegnen wir in der Taaffeschen Ära, ans die wir uns beschränken, zunächst dem Wurmbrandschen Antrage, der dem Wiener Abgeordnetenhause am 10. Mai 1880 überreicht wurde und dahin lautete, das Hans wolle beschließen: „Die Negierung wird aufgefordert, in Ausführung des Artikels XIX. des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1367*) über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger einen Gesetzentwurf einzubringen, wodurch unter Festhaltung der deutschen Sprache als Staatssprache der Gebrauch der landesüblichen Sprachen in Amt, Schule und öffentlichem Leben geregelt wird." Dieser Antrag ging am 4. Dezember an einen Ausschuß, in welchem der Minister¬ präsident Graf Taasfe erklärte, der verlangte Gesetzentwurf werde erst dann zweckmäßig sein, wenn die verschiednen Nationalitäten und politischen Parteien sich in der Sache verständigt hätten. Auch möge der Antragsteller zuerst defi- niren, was er unter Staatssprache verstehe. Dieser Aufforderung wurde nicht entsprochen, und die Debatte bewegte sich in Allgemeinheiten über die Sprachen- *) Derselbe sanktionirt den Grundsatz der sprachlichen Gleichberechtigung aller Volks- stämme Österreichs mit folgenden Worten: „Alle Volksstümme sind gleichberechtigt, und jeder Volksstcnnin hat ein uiwerletzliches Recht ans Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache. Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprache» in Schule, Amt und öffent¬ lichem Leben wird bon Staate anerkannt. In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämim' wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, das; ohne An- wendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volks- siiiuime die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/202>, abgerufen am 17.09.2024.