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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zugenderinnernngen.

sirmationsfähige Alter erreichte, für einen wohl vorbereiteten Konfirmanden

Von den, Standpunkte heutiger religiöser Anschauungen würde freilich die
Untcrwcisungsinethode meines Vaters -- beiläufig bemerkt, die aller damaligen
östlichen -- kaum allgemeine Billigung finden. Dennoch hatte sie ihre volle
Berechtigung in der Durchschnittsbildung des Volkes und in der daraus sich
v"n selbst ergebenden Fassungskraft desselben, ja sie war sogar die allein mög-
"he. Nicht gewöhnt an selbständiges Denken, hielten sich Kinder wie Erwachsene
Ureng an das Wort des Lehrers lind Predigers, der ihnen von Obrigkeits wegen
" s Leiter und Seelsorger vorgesetzt war. Es fiel in meiner Jngend nur sehr
ausnahmsweise den Mitgliedern christlicher Dorfgemeinden ein, das Wort, die
^ehre und Predigt eines Geistlichen zu bekritteln oder deren unumstößliche
Wahrheit zu bezweifeln. Tauchten hie und da solche kritische Geister auf, so
I ander sie sicherlich bei der Menge in keiner besondern Achtung. Man wich
U)"en vielmehr ans, denn das streng gläubige Volk wollte entschieden nicht
den Spöttern sitzen.

Es leuchtete mir erst später ein, als ich auf der Schule zum Selbstdenken
Mvachte und angehalten wurde, an alles, selbst an das Heilige, die kritische
"vnde z" legen, daß des Vaters Konfirmationsunterricht zwar überall nur
tatsächliches, wie es die evangelisch-lutherische Kirche festgestellt hatte, Vor¬
zug, daß aber die Begründung des Vorgetragenen und insbesondre dessen Stich¬
haltigkeit gar manches zu wünschen ließ. Es ward den Kindern in Kirche und
schule immer und immer wieder gesagt: das habt ihr euch einzuprägen, das
"klebt ihr glauben! Seid ihr so fest in diesem Wissen, daß ihr jedermann dar¬
über Rede stehen könnt, so habt ihr das rechte Ehriftentlun und erwerbe euch
damit das volle Bürgerrecht in der evangelisch-lutherischen Kirche:

Was das Bessere sein mag, die damalige kindlich fromme Gläubigkeit des
"viles, das Gottes Allmacht in allem erblickte und sich in Demut vor ihr
engte, oder die jetzige in alle Kreise eingedrungene Glaubenslosigkeit, die alles
^zweifelt und bespöttelt, will ich hier nicht erörtern. Jedenfalls fühlte sich
c>s Volk vor sechzig oder siebzig Jahren in seiner unerschütterlichen Gläubigkeit
glücklicher als das bellte lebende Geschlecht in seiner Halbbildung, der der sitt-
uche Halt abgeht.

^"zwischen kam die Zeit heran, wo ich das Elternhaus verlassen und nach
"Ulan übersiedeln sollte, um gleich meinem ältern Bruder das dortige Gym-
astuin zu beziehen. Wäre ich um meine Meinung gefragt worden, so würde
'e) schwerlich eine zustimmende Antwort gegeben haben, denn ich fühlte in mir
"rchaus keinen Drang, eine gelehrte Laufbahn einzuschlagen. Es gefiel mir
ascia ganz gut, und hätte man mich gewähren lassen, so würde ich den Vesuch
e wa einer landwirtschaftlichen oder einer Forstschule dem Gymnasium, das in
althergebrachter Weise einen Gelehrten aus mir machen sollte, unbedingt vor-


Grmzbvten II. 1837. 24
Zugenderinnernngen.

sirmationsfähige Alter erreichte, für einen wohl vorbereiteten Konfirmanden

Von den, Standpunkte heutiger religiöser Anschauungen würde freilich die
Untcrwcisungsinethode meines Vaters — beiläufig bemerkt, die aller damaligen
östlichen — kaum allgemeine Billigung finden. Dennoch hatte sie ihre volle
Berechtigung in der Durchschnittsbildung des Volkes und in der daraus sich
v»n selbst ergebenden Fassungskraft desselben, ja sie war sogar die allein mög-
«he. Nicht gewöhnt an selbständiges Denken, hielten sich Kinder wie Erwachsene
Ureng an das Wort des Lehrers lind Predigers, der ihnen von Obrigkeits wegen
" s Leiter und Seelsorger vorgesetzt war. Es fiel in meiner Jngend nur sehr
ausnahmsweise den Mitgliedern christlicher Dorfgemeinden ein, das Wort, die
^ehre und Predigt eines Geistlichen zu bekritteln oder deren unumstößliche
Wahrheit zu bezweifeln. Tauchten hie und da solche kritische Geister auf, so
I ander sie sicherlich bei der Menge in keiner besondern Achtung. Man wich
U)"en vielmehr ans, denn das streng gläubige Volk wollte entschieden nicht
den Spöttern sitzen.

Es leuchtete mir erst später ein, als ich auf der Schule zum Selbstdenken
Mvachte und angehalten wurde, an alles, selbst an das Heilige, die kritische
«vnde z» legen, daß des Vaters Konfirmationsunterricht zwar überall nur
tatsächliches, wie es die evangelisch-lutherische Kirche festgestellt hatte, Vor¬
zug, daß aber die Begründung des Vorgetragenen und insbesondre dessen Stich¬
haltigkeit gar manches zu wünschen ließ. Es ward den Kindern in Kirche und
schule immer und immer wieder gesagt: das habt ihr euch einzuprägen, das
"klebt ihr glauben! Seid ihr so fest in diesem Wissen, daß ihr jedermann dar¬
über Rede stehen könnt, so habt ihr das rechte Ehriftentlun und erwerbe euch
damit das volle Bürgerrecht in der evangelisch-lutherischen Kirche:

Was das Bessere sein mag, die damalige kindlich fromme Gläubigkeit des
"viles, das Gottes Allmacht in allem erblickte und sich in Demut vor ihr
engte, oder die jetzige in alle Kreise eingedrungene Glaubenslosigkeit, die alles
^zweifelt und bespöttelt, will ich hier nicht erörtern. Jedenfalls fühlte sich
c>s Volk vor sechzig oder siebzig Jahren in seiner unerschütterlichen Gläubigkeit
glücklicher als das bellte lebende Geschlecht in seiner Halbbildung, der der sitt-
uche Halt abgeht.

^»zwischen kam die Zeit heran, wo ich das Elternhaus verlassen und nach
«Ulan übersiedeln sollte, um gleich meinem ältern Bruder das dortige Gym-
astuin zu beziehen. Wäre ich um meine Meinung gefragt worden, so würde
'e) schwerlich eine zustimmende Antwort gegeben haben, denn ich fühlte in mir
»rchaus keinen Drang, eine gelehrte Laufbahn einzuschlagen. Es gefiel mir
ascia ganz gut, und hätte man mich gewähren lassen, so würde ich den Vesuch
e wa einer landwirtschaftlichen oder einer Forstschule dem Gymnasium, das in
althergebrachter Weise einen Gelehrten aus mir machen sollte, unbedingt vor-


Grmzbvten II. 1837. 24
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[0193] Zugenderinnernngen. sirmationsfähige Alter erreichte, für einen wohl vorbereiteten Konfirmanden Von den, Standpunkte heutiger religiöser Anschauungen würde freilich die Untcrwcisungsinethode meines Vaters — beiläufig bemerkt, die aller damaligen östlichen — kaum allgemeine Billigung finden. Dennoch hatte sie ihre volle Berechtigung in der Durchschnittsbildung des Volkes und in der daraus sich v»n selbst ergebenden Fassungskraft desselben, ja sie war sogar die allein mög- «he. Nicht gewöhnt an selbständiges Denken, hielten sich Kinder wie Erwachsene Ureng an das Wort des Lehrers lind Predigers, der ihnen von Obrigkeits wegen " s Leiter und Seelsorger vorgesetzt war. Es fiel in meiner Jngend nur sehr ausnahmsweise den Mitgliedern christlicher Dorfgemeinden ein, das Wort, die ^ehre und Predigt eines Geistlichen zu bekritteln oder deren unumstößliche Wahrheit zu bezweifeln. Tauchten hie und da solche kritische Geister auf, so I ander sie sicherlich bei der Menge in keiner besondern Achtung. Man wich U)"en vielmehr ans, denn das streng gläubige Volk wollte entschieden nicht den Spöttern sitzen. Es leuchtete mir erst später ein, als ich auf der Schule zum Selbstdenken Mvachte und angehalten wurde, an alles, selbst an das Heilige, die kritische «vnde z» legen, daß des Vaters Konfirmationsunterricht zwar überall nur tatsächliches, wie es die evangelisch-lutherische Kirche festgestellt hatte, Vor¬ zug, daß aber die Begründung des Vorgetragenen und insbesondre dessen Stich¬ haltigkeit gar manches zu wünschen ließ. Es ward den Kindern in Kirche und schule immer und immer wieder gesagt: das habt ihr euch einzuprägen, das "klebt ihr glauben! Seid ihr so fest in diesem Wissen, daß ihr jedermann dar¬ über Rede stehen könnt, so habt ihr das rechte Ehriftentlun und erwerbe euch damit das volle Bürgerrecht in der evangelisch-lutherischen Kirche: Was das Bessere sein mag, die damalige kindlich fromme Gläubigkeit des "viles, das Gottes Allmacht in allem erblickte und sich in Demut vor ihr engte, oder die jetzige in alle Kreise eingedrungene Glaubenslosigkeit, die alles ^zweifelt und bespöttelt, will ich hier nicht erörtern. Jedenfalls fühlte sich c>s Volk vor sechzig oder siebzig Jahren in seiner unerschütterlichen Gläubigkeit glücklicher als das bellte lebende Geschlecht in seiner Halbbildung, der der sitt- uche Halt abgeht. ^»zwischen kam die Zeit heran, wo ich das Elternhaus verlassen und nach «Ulan übersiedeln sollte, um gleich meinem ältern Bruder das dortige Gym- astuin zu beziehen. Wäre ich um meine Meinung gefragt worden, so würde 'e) schwerlich eine zustimmende Antwort gegeben haben, denn ich fühlte in mir »rchaus keinen Drang, eine gelehrte Laufbahn einzuschlagen. Es gefiel mir ascia ganz gut, und hätte man mich gewähren lassen, so würde ich den Vesuch e wa einer landwirtschaftlichen oder einer Forstschule dem Gymnasium, das in althergebrachter Weise einen Gelehrten aus mir machen sollte, unbedingt vor- Grmzbvten II. 1837. 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/193>, abgerufen am 17.09.2024.