Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Iugenderinnerungeii. trachtung vertieft, die Predigten des Vaters nur im Winter zu lang fand, Es ist gewiß nicht zu tadeln, wenn man Kindern frühzeitig religiöse Ein¬ Iugenderinnerungeii. trachtung vertieft, die Predigten des Vaters nur im Winter zu lang fand, Es ist gewiß nicht zu tadeln, wenn man Kindern frühzeitig religiöse Ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0192" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288645"/> <fw type="header" place="top"> Iugenderinnerungeii.</fw><lb/> <p xml:id="ID_554" prev="#ID_553"> trachtung vertieft, die Predigten des Vaters nur im Winter zu lang fand,<lb/> wenn mir in der eisigen Kirche vor Frost die Zähne klapperten.</p><lb/> <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> Es ist gewiß nicht zu tadeln, wenn man Kindern frühzeitig religiöse Ein¬<lb/> drücke beizubringen sucht, indes dürfte gerade hier weises Maßhalten ganz be¬<lb/> sonders zu empfehlen sein. Die Nüchternheit wenigstens des protestantischen<lb/> Gottesdienstes kann auf empfängliche Kindergemütcr sehr leicht abstoßend wirken,<lb/> wenn ihnen von dieser geistigen Speise des Guten zu viel geboten wird. Was<lb/> mich selbst betrifft, so bekenne ich ganz offen, daß ich auch später weniger aus<lb/> innerm Drange als weil es einmal so herkömmlich war, die Kirche besuchte.<lb/> Tief ergriffen vou dem allsonntüglichen Gottesdienste und innerlich erbaut habe<lb/> ich mich nie gefühlt. Es war ein Pensum, dessen ich mich, so gut es ging, zu<lb/> entledigen befliß. Geschah dies später mit innerm Widerstreben, so trug daran<lb/> wesentlich der Religionsunterricht Schuld, den ich auf der gelehrten Schule in<lb/> Zittau genoß. Vonseiten der Eltern wurde im Hanse nichts unterlassen, den<lb/> Sinn für Religion in uns Kindern zu wecken und uns dieselbe lieb zu machen.<lb/> Von großem Eindruck auf mich waren in dieser Beziehung die sehr eingehenden,<lb/> durchaus populär gehaltenen und darum auch allgemein verständlichen Religions¬<lb/> stunden, welche der Vater als Ortsgeistlicher in jedem Winter den Konfirmanden<lb/> zu geben verpflichtet war. Dieser Religionsunterricht begann regelmäßig um<lb/> Weihnachten und wurde ununterbrochen bis in die Woche vor dem Palmsonn¬<lb/> tage fortgesetzt. Behufs desselben erschienen die Konfirmanden aus beiden Orts¬<lb/> schulen zweimal wöchentlich im Pastorat und wurden jedesmal volle zwei<lb/> Stunden unterrichtet. Da dem Vater dieser Unterricht wesentlich Sache des<lb/> Herzens war und er sich einen Menschen ohne gefesteten Glauben an die Heils¬<lb/> lehren der Kirche nicht denken konnte, so ging er an die Ausübung seiner<lb/> Pflichten mit dem ganzen Ernst apostolischer Überzeugungstreue. Mit in¬<lb/> brünstigen Gebet ward jede Stunde eingeleitet, mit Gebet jede geschlossen.<lb/> Man hieß deshalb auch die Konfirmanden auf dem Lande allerwärts bezeichnend<lb/> „Betkinder." Die heutige Welt findet dies wohl kaum noch begreiflich. Ist<lb/> man doch geflissentlich bemüht, den Unterricht des heranwachsenden Geschlechtes<lb/> in unsern Schulen von religiöser Beimischung möglichst fern zu halten, damit<lb/> die jungen Seelen sich recht frei und selbständig entwickeln können. Ich muß<lb/> aber doch bekennen, daß ich die alte Sitte für besser halte, uicht weil ich etwa<lb/> ein Gegner zeitgemäßer Neuerungen bin, sondern weil mich das Leben gelehrt<lb/> hat, daß religiöse Keime, in früher Jugend dem empfänglichen Kindesgemüt<lb/> eingepflanzt, oft erst spät beseligende Früchte tragen. Noch heute in meinem<lb/> Alter versetze ich mich gern zurück in jene längst vergangnen Tage, wo es mir<lb/> vergönnt war, als Knabe neben der still arbeitenden Mutter im gemeinsamen<lb/> großen Familienzimmer zu sitzen und dem unterrichtenden Vater zuzuhören.<lb/> Ich machte auf solche Weise mehrmals den Konfirmationsunterricht von<lb/> Anfang bis zu Ende durch und konnte viel früher, als ich selbst das kom-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0192]
Iugenderinnerungeii.
trachtung vertieft, die Predigten des Vaters nur im Winter zu lang fand,
wenn mir in der eisigen Kirche vor Frost die Zähne klapperten.
Es ist gewiß nicht zu tadeln, wenn man Kindern frühzeitig religiöse Ein¬
drücke beizubringen sucht, indes dürfte gerade hier weises Maßhalten ganz be¬
sonders zu empfehlen sein. Die Nüchternheit wenigstens des protestantischen
Gottesdienstes kann auf empfängliche Kindergemütcr sehr leicht abstoßend wirken,
wenn ihnen von dieser geistigen Speise des Guten zu viel geboten wird. Was
mich selbst betrifft, so bekenne ich ganz offen, daß ich auch später weniger aus
innerm Drange als weil es einmal so herkömmlich war, die Kirche besuchte.
Tief ergriffen vou dem allsonntüglichen Gottesdienste und innerlich erbaut habe
ich mich nie gefühlt. Es war ein Pensum, dessen ich mich, so gut es ging, zu
entledigen befliß. Geschah dies später mit innerm Widerstreben, so trug daran
wesentlich der Religionsunterricht Schuld, den ich auf der gelehrten Schule in
Zittau genoß. Vonseiten der Eltern wurde im Hanse nichts unterlassen, den
Sinn für Religion in uns Kindern zu wecken und uns dieselbe lieb zu machen.
Von großem Eindruck auf mich waren in dieser Beziehung die sehr eingehenden,
durchaus populär gehaltenen und darum auch allgemein verständlichen Religions¬
stunden, welche der Vater als Ortsgeistlicher in jedem Winter den Konfirmanden
zu geben verpflichtet war. Dieser Religionsunterricht begann regelmäßig um
Weihnachten und wurde ununterbrochen bis in die Woche vor dem Palmsonn¬
tage fortgesetzt. Behufs desselben erschienen die Konfirmanden aus beiden Orts¬
schulen zweimal wöchentlich im Pastorat und wurden jedesmal volle zwei
Stunden unterrichtet. Da dem Vater dieser Unterricht wesentlich Sache des
Herzens war und er sich einen Menschen ohne gefesteten Glauben an die Heils¬
lehren der Kirche nicht denken konnte, so ging er an die Ausübung seiner
Pflichten mit dem ganzen Ernst apostolischer Überzeugungstreue. Mit in¬
brünstigen Gebet ward jede Stunde eingeleitet, mit Gebet jede geschlossen.
Man hieß deshalb auch die Konfirmanden auf dem Lande allerwärts bezeichnend
„Betkinder." Die heutige Welt findet dies wohl kaum noch begreiflich. Ist
man doch geflissentlich bemüht, den Unterricht des heranwachsenden Geschlechtes
in unsern Schulen von religiöser Beimischung möglichst fern zu halten, damit
die jungen Seelen sich recht frei und selbständig entwickeln können. Ich muß
aber doch bekennen, daß ich die alte Sitte für besser halte, uicht weil ich etwa
ein Gegner zeitgemäßer Neuerungen bin, sondern weil mich das Leben gelehrt
hat, daß religiöse Keime, in früher Jugend dem empfänglichen Kindesgemüt
eingepflanzt, oft erst spät beseligende Früchte tragen. Noch heute in meinem
Alter versetze ich mich gern zurück in jene längst vergangnen Tage, wo es mir
vergönnt war, als Knabe neben der still arbeitenden Mutter im gemeinsamen
großen Familienzimmer zu sitzen und dem unterrichtenden Vater zuzuhören.
Ich machte auf solche Weise mehrmals den Konfirmationsunterricht von
Anfang bis zu Ende durch und konnte viel früher, als ich selbst das kom-
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