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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

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für der Hölle verfallene Verdammte halten mußte? Und wie konnte der Vater
in seiner Eigenschaft als protestantischer Geistlicher es mit seinem prresterllchen
Gewissen vereinigen, vertrauliche Gespräche zu pflegen mit Priestern einer Kirche,
deren Dogmen auch von ihm als irrtümliche bezeichnet wurden? Wahrlich,
es war kein Wunder, wenn alles Glauben mir immer rätselhafter ward, und
wenn die Lust, dereinst in die Fußtapfen des Vaters zu treten und allenfalls
evangelisch-lutherischer Prediger zu werden, in meiner Seele immer mehr schwand.
Trübe Gedanken machte ich'mir deshalb nicht. Ich war noch zu jung und zu
lebenslustig, um über das. was die Zukunft bringen könne, ängstlich zu grübeln
Über etwaige dunkle Stunden, die wohl vorübergehend den somngen Horizont
verdunkelten, half ich mir mit dem väterlichen Satz hinweg: man müsse den
lieben Gott in schlimmen Tagen einen guten Mann sein lassen! Probat war
dieser Satz, das lehrte mich die Erfahrung; denn meine gute Mutter hatte oft
Ursache, bekümmert zu sein, und verlor doch niemals ihre heitere Laune. Mit
lächelnder Miene scherzte sie. ob es ihr noch so bang und weh ums Herz sein
mochte, und erzählte uns allerhand Schnurren, damit sie stets frohe Gesichter
um sich sah.

Selbstverständlich war regelmäßiger Kirchenbesuch aller Hausgenossen
strenges Gebot. Die Familie des Predigers, das Dienstpersonal acht ausge¬
schlossen, sollte der Gemeinde mit gutem Beispiele vorangehen. Ich wurde
demnach schon in frühester Kindheit mit in die Kirche genommen, um den
Vater predigen zu hören. Zweifelsohne würde dies für den des Lesens noch
nicht kundigen Knaben sehr langweilig gewesen sein, hätte die innere Aus¬
schmückung des Gotteshauses nicht Unterhaltung in Hülle und Fülle geboten.

Der sogenannte Pfarrstand lag der Kanzel gerade gegenüber, so daß ich,
neben der Mutter sitzend, dem Vater stets ins Gesicht sah. Rechts und links
an die Kanzel schlössen sich die Emporen an. die Sonntag für Sonntag mit
andächtig zuhörenden Bauern vollbesetzt waren. Da auch von diesen jeder seinen
bestimmten Kirchenstand besaß, der in der Familie vom Vater auf den Sohn
erbte, so richteten sich die Bauern gewissermaßen häuslich in der Kirche em,
indem sie zum Aufhängen ihrer rauhhaarige" Hüte im Sommer und ihrer
hohen Pelzmützen im Winter mehrarmige Eisenstangen an den Emporen hatten
anbringen lassen, die ziemlich weit in das Schiff hineinragten und mit dem
Schmuck der verschiedenartig geformten Kopfbedeckungen sich wunderlich genug
ausnahmen. Einem Kinde, das für die ernsten Dinge, welche der Gemeinde
vorgetragen wurden, noch kein Verständnis hatte, gewährten diese seltsamen ^er-
ziernngen immerhin einige Unterhaltung. Ungleich mehr beschäftigten ."ich aber
die vielen Gemälde - Darstellungen aus der biblische" Geschichte, und denen
alle Emporen geschmückt waren. Diese Gemälde, die selbstverständlich keinen
Anspruch auf irgendwelchen Kunstwert machen konnten, waren für mich eme
Fundgrube unerschöpflicher Unterhaltung, weshalb ich denn auch, in ihre Be-


Zugenderinnerungen.

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für der Hölle verfallene Verdammte halten mußte? Und wie konnte der Vater
in seiner Eigenschaft als protestantischer Geistlicher es mit seinem prresterllchen
Gewissen vereinigen, vertrauliche Gespräche zu pflegen mit Priestern einer Kirche,
deren Dogmen auch von ihm als irrtümliche bezeichnet wurden? Wahrlich,
es war kein Wunder, wenn alles Glauben mir immer rätselhafter ward, und
wenn die Lust, dereinst in die Fußtapfen des Vaters zu treten und allenfalls
evangelisch-lutherischer Prediger zu werden, in meiner Seele immer mehr schwand.
Trübe Gedanken machte ich'mir deshalb nicht. Ich war noch zu jung und zu
lebenslustig, um über das. was die Zukunft bringen könne, ängstlich zu grübeln
Über etwaige dunkle Stunden, die wohl vorübergehend den somngen Horizont
verdunkelten, half ich mir mit dem väterlichen Satz hinweg: man müsse den
lieben Gott in schlimmen Tagen einen guten Mann sein lassen! Probat war
dieser Satz, das lehrte mich die Erfahrung; denn meine gute Mutter hatte oft
Ursache, bekümmert zu sein, und verlor doch niemals ihre heitere Laune. Mit
lächelnder Miene scherzte sie. ob es ihr noch so bang und weh ums Herz sein
mochte, und erzählte uns allerhand Schnurren, damit sie stets frohe Gesichter
um sich sah.

Selbstverständlich war regelmäßiger Kirchenbesuch aller Hausgenossen
strenges Gebot. Die Familie des Predigers, das Dienstpersonal acht ausge¬
schlossen, sollte der Gemeinde mit gutem Beispiele vorangehen. Ich wurde
demnach schon in frühester Kindheit mit in die Kirche genommen, um den
Vater predigen zu hören. Zweifelsohne würde dies für den des Lesens noch
nicht kundigen Knaben sehr langweilig gewesen sein, hätte die innere Aus¬
schmückung des Gotteshauses nicht Unterhaltung in Hülle und Fülle geboten.

Der sogenannte Pfarrstand lag der Kanzel gerade gegenüber, so daß ich,
neben der Mutter sitzend, dem Vater stets ins Gesicht sah. Rechts und links
an die Kanzel schlössen sich die Emporen an. die Sonntag für Sonntag mit
andächtig zuhörenden Bauern vollbesetzt waren. Da auch von diesen jeder seinen
bestimmten Kirchenstand besaß, der in der Familie vom Vater auf den Sohn
erbte, so richteten sich die Bauern gewissermaßen häuslich in der Kirche em,
indem sie zum Aufhängen ihrer rauhhaarige» Hüte im Sommer und ihrer
hohen Pelzmützen im Winter mehrarmige Eisenstangen an den Emporen hatten
anbringen lassen, die ziemlich weit in das Schiff hineinragten und mit dem
Schmuck der verschiedenartig geformten Kopfbedeckungen sich wunderlich genug
ausnahmen. Einem Kinde, das für die ernsten Dinge, welche der Gemeinde
vorgetragen wurden, noch kein Verständnis hatte, gewährten diese seltsamen ^er-
ziernngen immerhin einige Unterhaltung. Ungleich mehr beschäftigten .»ich aber
die vielen Gemälde - Darstellungen aus der biblische» Geschichte, und denen
alle Emporen geschmückt waren. Diese Gemälde, die selbstverständlich keinen
Anspruch auf irgendwelchen Kunstwert machen konnten, waren für mich eme
Fundgrube unerschöpflicher Unterhaltung, weshalb ich denn auch, in ihre Be-


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[0191] Zugenderinnerungen. ____ für der Hölle verfallene Verdammte halten mußte? Und wie konnte der Vater in seiner Eigenschaft als protestantischer Geistlicher es mit seinem prresterllchen Gewissen vereinigen, vertrauliche Gespräche zu pflegen mit Priestern einer Kirche, deren Dogmen auch von ihm als irrtümliche bezeichnet wurden? Wahrlich, es war kein Wunder, wenn alles Glauben mir immer rätselhafter ward, und wenn die Lust, dereinst in die Fußtapfen des Vaters zu treten und allenfalls evangelisch-lutherischer Prediger zu werden, in meiner Seele immer mehr schwand. Trübe Gedanken machte ich'mir deshalb nicht. Ich war noch zu jung und zu lebenslustig, um über das. was die Zukunft bringen könne, ängstlich zu grübeln Über etwaige dunkle Stunden, die wohl vorübergehend den somngen Horizont verdunkelten, half ich mir mit dem väterlichen Satz hinweg: man müsse den lieben Gott in schlimmen Tagen einen guten Mann sein lassen! Probat war dieser Satz, das lehrte mich die Erfahrung; denn meine gute Mutter hatte oft Ursache, bekümmert zu sein, und verlor doch niemals ihre heitere Laune. Mit lächelnder Miene scherzte sie. ob es ihr noch so bang und weh ums Herz sein mochte, und erzählte uns allerhand Schnurren, damit sie stets frohe Gesichter um sich sah. Selbstverständlich war regelmäßiger Kirchenbesuch aller Hausgenossen strenges Gebot. Die Familie des Predigers, das Dienstpersonal acht ausge¬ schlossen, sollte der Gemeinde mit gutem Beispiele vorangehen. Ich wurde demnach schon in frühester Kindheit mit in die Kirche genommen, um den Vater predigen zu hören. Zweifelsohne würde dies für den des Lesens noch nicht kundigen Knaben sehr langweilig gewesen sein, hätte die innere Aus¬ schmückung des Gotteshauses nicht Unterhaltung in Hülle und Fülle geboten. Der sogenannte Pfarrstand lag der Kanzel gerade gegenüber, so daß ich, neben der Mutter sitzend, dem Vater stets ins Gesicht sah. Rechts und links an die Kanzel schlössen sich die Emporen an. die Sonntag für Sonntag mit andächtig zuhörenden Bauern vollbesetzt waren. Da auch von diesen jeder seinen bestimmten Kirchenstand besaß, der in der Familie vom Vater auf den Sohn erbte, so richteten sich die Bauern gewissermaßen häuslich in der Kirche em, indem sie zum Aufhängen ihrer rauhhaarige» Hüte im Sommer und ihrer hohen Pelzmützen im Winter mehrarmige Eisenstangen an den Emporen hatten anbringen lassen, die ziemlich weit in das Schiff hineinragten und mit dem Schmuck der verschiedenartig geformten Kopfbedeckungen sich wunderlich genug ausnahmen. Einem Kinde, das für die ernsten Dinge, welche der Gemeinde vorgetragen wurden, noch kein Verständnis hatte, gewährten diese seltsamen ^er- ziernngen immerhin einige Unterhaltung. Ungleich mehr beschäftigten .»ich aber die vielen Gemälde - Darstellungen aus der biblische» Geschichte, und denen alle Emporen geschmückt waren. Diese Gemälde, die selbstverständlich keinen Anspruch auf irgendwelchen Kunstwert machen konnten, waren für mich eme Fundgrube unerschöpflicher Unterhaltung, weshalb ich denn auch, in ihre Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/191>, abgerufen am 17.09.2024.