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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

Pfarreien gern zugesagt und solche Versprechungen auch gehalten wurden, ver¬
stand sich von selbst. Nebenher sprachen in unserm Pfarrhause nicht gar selten
um milde Gaben bittende barmherzige Brüder aus Prag ein, meistenteils Welt¬
leute von feinem Schliff, welche den angenehmsten Eindruck machten, und etwas
derber auftretende terminircnde Bettelmönche mit klotzigen Sandalen an den
Füßen und dem Bettelsack auf der Schulter.

An Großschönau. wo unser Onkel Sintenis als Pfarrer lebte, grenzte
Warnsdorf. jetzt bereits zur Stadt erhoben. Es war schon in meiner Knaben¬
zeit ein stattlicher Ort von etwa siebentausend Einwohnern, höchst gewerb-
treibend. zum Teil mit palastartigen Häusern. Wir konnten den Mittelpunkt
desselben, die Kirche, von unsrer Wohnung aus bequem in drei Stunden er¬
reichen. Dahin nun begleitete ich den Vater verschiedene male, wenn er das
Bedürfnis nach geistiger Anregung und Gedankenaustausch fühlte. Bei semen
Amtsbrüdern in nächster Nähe, mit denen er in loser Verbindung stand, fand
er diesen nicht immer zur Genüge. Auch wurde er von den meisten der ihm
verliehenen großen Rednergabe wegen, die ihm niemand bestritt, weniger geliebt
als beneidet. Da that es dem Vater dann wohl, auch mitunter einmal ge¬
bildete Menschen zu sprechen, die in ihm auch nur den Menschen suchten und
achteten.

Ein solcher Mann war der Dechant L. in Warnsdorf. welcher in der ge¬
räumigen, mit schönem Garten umgebenen Pfarrei wie ein kleiner Prälat lebte
und sehr gern Gäste um sich sah. Das wohleingerichtete Pfarrgebäude, em
wahres Schloß im Verhältnis zu unsrer scheunenartiger Baracke, bewohnte außer
dem Dechanten noch ein junger, blasser und schweigsamer Kaplan und eine keines¬
wegs jugendliche Haushälterin, die aber ihre Stelle vollkommen ausfüllte, denn
sie kochte vortrefflich. Ich wenigstens kann mich heute noch erinnern, daß nur
die Speisen am Tische des würdigen Dechanten stets ausgezeichnet mundeten.

In dieser katholischen Pfarrei kehrte ich sehr gern ein, zunächst weil der
Vater sich immer lebhaft mit dem Dechanten unterhielt und stets heiter gelaunt
den Rückweg antrat, sondern aber auch, weil der ehrwürdige Herr so unge¬
wöhnlich herzlich mit mir sprach, mir in der schönen Kirche des Ortes die
vielen reichgestickten Meßgewänder zeigte, mich als Ministranten in der Sakristei
ankleidete und selbst großes Wohlgefallen daran zu haben schien. Von irgend
welcher Zurückhaltung war bei dem liebenswürdigen geistlichen Herrn durchaus
nicht die Rede, obwohl er in uns nach den Lehren seiner Kirche sündhafte
Ketzer bewirtete, die von ihrem Irrtum zu bekehren ihm wohl obgelegen hatte.
Daran dachte der wackere Mann jedoch nicht. Er ließ es sich vielmehr ange¬
legen sein, uns stets aufs beste zu unterhalten, scherzte und lachte mit dem
Vater und mir. erzählte die lustigsten Geschichten, spielte nicht übel Guitarre
und sang uns dazu Volkslieder im Dialekt der Grenze vor, d.e ich von niemand
anders gehört hatte. Eins davon, das er immer kurz vor unserm Weggange


Zugenderinnerungen.

Pfarreien gern zugesagt und solche Versprechungen auch gehalten wurden, ver¬
stand sich von selbst. Nebenher sprachen in unserm Pfarrhause nicht gar selten
um milde Gaben bittende barmherzige Brüder aus Prag ein, meistenteils Welt¬
leute von feinem Schliff, welche den angenehmsten Eindruck machten, und etwas
derber auftretende terminircnde Bettelmönche mit klotzigen Sandalen an den
Füßen und dem Bettelsack auf der Schulter.

An Großschönau. wo unser Onkel Sintenis als Pfarrer lebte, grenzte
Warnsdorf. jetzt bereits zur Stadt erhoben. Es war schon in meiner Knaben¬
zeit ein stattlicher Ort von etwa siebentausend Einwohnern, höchst gewerb-
treibend. zum Teil mit palastartigen Häusern. Wir konnten den Mittelpunkt
desselben, die Kirche, von unsrer Wohnung aus bequem in drei Stunden er¬
reichen. Dahin nun begleitete ich den Vater verschiedene male, wenn er das
Bedürfnis nach geistiger Anregung und Gedankenaustausch fühlte. Bei semen
Amtsbrüdern in nächster Nähe, mit denen er in loser Verbindung stand, fand
er diesen nicht immer zur Genüge. Auch wurde er von den meisten der ihm
verliehenen großen Rednergabe wegen, die ihm niemand bestritt, weniger geliebt
als beneidet. Da that es dem Vater dann wohl, auch mitunter einmal ge¬
bildete Menschen zu sprechen, die in ihm auch nur den Menschen suchten und
achteten.

Ein solcher Mann war der Dechant L. in Warnsdorf. welcher in der ge¬
räumigen, mit schönem Garten umgebenen Pfarrei wie ein kleiner Prälat lebte
und sehr gern Gäste um sich sah. Das wohleingerichtete Pfarrgebäude, em
wahres Schloß im Verhältnis zu unsrer scheunenartiger Baracke, bewohnte außer
dem Dechanten noch ein junger, blasser und schweigsamer Kaplan und eine keines¬
wegs jugendliche Haushälterin, die aber ihre Stelle vollkommen ausfüllte, denn
sie kochte vortrefflich. Ich wenigstens kann mich heute noch erinnern, daß nur
die Speisen am Tische des würdigen Dechanten stets ausgezeichnet mundeten.

In dieser katholischen Pfarrei kehrte ich sehr gern ein, zunächst weil der
Vater sich immer lebhaft mit dem Dechanten unterhielt und stets heiter gelaunt
den Rückweg antrat, sondern aber auch, weil der ehrwürdige Herr so unge¬
wöhnlich herzlich mit mir sprach, mir in der schönen Kirche des Ortes die
vielen reichgestickten Meßgewänder zeigte, mich als Ministranten in der Sakristei
ankleidete und selbst großes Wohlgefallen daran zu haben schien. Von irgend
welcher Zurückhaltung war bei dem liebenswürdigen geistlichen Herrn durchaus
nicht die Rede, obwohl er in uns nach den Lehren seiner Kirche sündhafte
Ketzer bewirtete, die von ihrem Irrtum zu bekehren ihm wohl obgelegen hatte.
Daran dachte der wackere Mann jedoch nicht. Er ließ es sich vielmehr ange¬
legen sein, uns stets aufs beste zu unterhalten, scherzte und lachte mit dem
Vater und mir. erzählte die lustigsten Geschichten, spielte nicht übel Guitarre
und sang uns dazu Volkslieder im Dialekt der Grenze vor, d.e ich von niemand
anders gehört hatte. Eins davon, das er immer kurz vor unserm Weggange


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[0189] Zugenderinnerungen. Pfarreien gern zugesagt und solche Versprechungen auch gehalten wurden, ver¬ stand sich von selbst. Nebenher sprachen in unserm Pfarrhause nicht gar selten um milde Gaben bittende barmherzige Brüder aus Prag ein, meistenteils Welt¬ leute von feinem Schliff, welche den angenehmsten Eindruck machten, und etwas derber auftretende terminircnde Bettelmönche mit klotzigen Sandalen an den Füßen und dem Bettelsack auf der Schulter. An Großschönau. wo unser Onkel Sintenis als Pfarrer lebte, grenzte Warnsdorf. jetzt bereits zur Stadt erhoben. Es war schon in meiner Knaben¬ zeit ein stattlicher Ort von etwa siebentausend Einwohnern, höchst gewerb- treibend. zum Teil mit palastartigen Häusern. Wir konnten den Mittelpunkt desselben, die Kirche, von unsrer Wohnung aus bequem in drei Stunden er¬ reichen. Dahin nun begleitete ich den Vater verschiedene male, wenn er das Bedürfnis nach geistiger Anregung und Gedankenaustausch fühlte. Bei semen Amtsbrüdern in nächster Nähe, mit denen er in loser Verbindung stand, fand er diesen nicht immer zur Genüge. Auch wurde er von den meisten der ihm verliehenen großen Rednergabe wegen, die ihm niemand bestritt, weniger geliebt als beneidet. Da that es dem Vater dann wohl, auch mitunter einmal ge¬ bildete Menschen zu sprechen, die in ihm auch nur den Menschen suchten und achteten. Ein solcher Mann war der Dechant L. in Warnsdorf. welcher in der ge¬ räumigen, mit schönem Garten umgebenen Pfarrei wie ein kleiner Prälat lebte und sehr gern Gäste um sich sah. Das wohleingerichtete Pfarrgebäude, em wahres Schloß im Verhältnis zu unsrer scheunenartiger Baracke, bewohnte außer dem Dechanten noch ein junger, blasser und schweigsamer Kaplan und eine keines¬ wegs jugendliche Haushälterin, die aber ihre Stelle vollkommen ausfüllte, denn sie kochte vortrefflich. Ich wenigstens kann mich heute noch erinnern, daß nur die Speisen am Tische des würdigen Dechanten stets ausgezeichnet mundeten. In dieser katholischen Pfarrei kehrte ich sehr gern ein, zunächst weil der Vater sich immer lebhaft mit dem Dechanten unterhielt und stets heiter gelaunt den Rückweg antrat, sondern aber auch, weil der ehrwürdige Herr so unge¬ wöhnlich herzlich mit mir sprach, mir in der schönen Kirche des Ortes die vielen reichgestickten Meßgewänder zeigte, mich als Ministranten in der Sakristei ankleidete und selbst großes Wohlgefallen daran zu haben schien. Von irgend welcher Zurückhaltung war bei dem liebenswürdigen geistlichen Herrn durchaus nicht die Rede, obwohl er in uns nach den Lehren seiner Kirche sündhafte Ketzer bewirtete, die von ihrem Irrtum zu bekehren ihm wohl obgelegen hatte. Daran dachte der wackere Mann jedoch nicht. Er ließ es sich vielmehr ange¬ legen sein, uns stets aufs beste zu unterhalten, scherzte und lachte mit dem Vater und mir. erzählte die lustigsten Geschichten, spielte nicht übel Guitarre und sang uns dazu Volkslieder im Dialekt der Grenze vor, d.e ich von niemand anders gehört hatte. Eins davon, das er immer kurz vor unserm Weggange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/189>, abgerufen am 17.09.2024.