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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

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heute die ungelenke Bewunderung, welche den Gemälden von Steinbruch Riedel
u. ni. in der Nationalgalerie einst'entgegenkam? Deshalb verlangen wir ja nicht,
daß sie von ihren Plätzen entfernt werden, bestreikn nicht den Urhebern die ange¬
messene Stelle in der Kunstgeschichte. Daß der Geschmack Wandlungen unterworfen
ist, werden wir nicht ändern, und wollten wir sie verleugnen, sobald es sich um
Deutsche handelt, so wäre das doch erst recht eine Art von Chauvinismus!

Wir sind mit den auffallenden Widersprüchen noch nicht zu Ende. 1869
wird von der "geistigen Verödung der französischen Provinz durch eine alles
aufsaugende Zentralisation" und von der Unverträglichkeit einer Anstalt wie
die ^vüävirüö K-MeMLs mit dem deutschen Wesen gesprochen, fünf Jahre später
aber die merkwürdige Ansicht aufgestellt, daß es für Goethe und Schiller wohl
vorteilhaft gewesen wäre, in einer mächtigen deutschen Hauptstadt zu dichten,
""d zwar geschieht dies bei Gelegenheit des "Traumes" von einer "kaiserlichen
Akademie der deutschen Sprache." Dieser letztere Gedanke ist schon damals
vielfach lind lebhaft angefochten worden, Du Bois meint nun, derselbe sei durch
die Thatsache gerechtfertigt, daß sich die deutscheu Buchdrucker willig der Putt-
kamerschen Rechtschrcibuiig gefügt haben. Das ist denn doch sehr zweierlei.
Aus dem Kunterbunt der verschiednen Schreibungen herauszukommen, war ein
längst gefühltes Bedürfnis, am tiefsten gefühlt natürlich von Buchdrucker", die
froh waren, endlich eine Norm zu erhalten, gleichviel welche. Das Verlangen
"ach gutem Deutsch ist leider sehr wenig verbreitet, und am wenigsten würde
man sich einer Akademie fügen. Der Gedanke ist entschieden anachronistisch.
Was die Berechtigung der Akademien der Wissenschaft in der Gegenwart betrifft,
ist Du Bois selbst nicht frei von Zweifel, gegen die Kunst- und Musikakadcmieu
erheben sich immer mehr fachmännische Stimmen, welche betonen, daß die
großen Talente meistens außerhalb der Akademien oder im Kampfe mit den¬
selben aufgestiegen sind, wogegen jene Anstalten Brutstätten des Kttnstlerprolc-
tariats und des Dilettantentums seien. Das Beste gegen das jetzige Wirrsal
muß die Schule thun, und unterstützt werden kann sie durch die jetzt auf¬
tauchenden Vereine, wenn es diesen gelingt, Einfluß auf die Hauptverbreiter alles
Sprachunsuges, die Zeitungen, zu gewinnen. Übrigens, wer verhindert denn die
bestehenden gelehrten Gesellschaften, sich auch unsrer Muttersprache anzunehmen?

Schließlich können wir nicht umhin, unser Bedauern über den Wieder¬
abdruck der Rede auszusprechen. in welcher eine -- realistische Kritik am "Faust"
geübt wird, um zu beweisen, daß auch Goethe mitunter "dormitirt" habe. Auf
diese Art wird, fürchten wir, nicht ein einziger Strebejüngling auf die Bahn
des Idealismus gelenkt werden, viel eher dürften durch die wegwerfenden Be¬
merkungen über Goethes "Beamteuspielerei" Scharen von verkannten Genies
in der Überzeugung bestärkt werden, daß sie einen Raub an der deutschen Nation
begehen würden, wenn sie sich irgend einer praktischen Beschäftigung widmeten,
anstatt jeden Tag Unsterbliches zu schaffen.




Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

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heute die ungelenke Bewunderung, welche den Gemälden von Steinbruch Riedel
u. ni. in der Nationalgalerie einst'entgegenkam? Deshalb verlangen wir ja nicht,
daß sie von ihren Plätzen entfernt werden, bestreikn nicht den Urhebern die ange¬
messene Stelle in der Kunstgeschichte. Daß der Geschmack Wandlungen unterworfen
ist, werden wir nicht ändern, und wollten wir sie verleugnen, sobald es sich um
Deutsche handelt, so wäre das doch erst recht eine Art von Chauvinismus!

Wir sind mit den auffallenden Widersprüchen noch nicht zu Ende. 1869
wird von der „geistigen Verödung der französischen Provinz durch eine alles
aufsaugende Zentralisation" und von der Unverträglichkeit einer Anstalt wie
die ^vüävirüö K-MeMLs mit dem deutschen Wesen gesprochen, fünf Jahre später
aber die merkwürdige Ansicht aufgestellt, daß es für Goethe und Schiller wohl
vorteilhaft gewesen wäre, in einer mächtigen deutschen Hauptstadt zu dichten,
""d zwar geschieht dies bei Gelegenheit des „Traumes" von einer „kaiserlichen
Akademie der deutschen Sprache." Dieser letztere Gedanke ist schon damals
vielfach lind lebhaft angefochten worden, Du Bois meint nun, derselbe sei durch
die Thatsache gerechtfertigt, daß sich die deutscheu Buchdrucker willig der Putt-
kamerschen Rechtschrcibuiig gefügt haben. Das ist denn doch sehr zweierlei.
Aus dem Kunterbunt der verschiednen Schreibungen herauszukommen, war ein
längst gefühltes Bedürfnis, am tiefsten gefühlt natürlich von Buchdrucker», die
froh waren, endlich eine Norm zu erhalten, gleichviel welche. Das Verlangen
»ach gutem Deutsch ist leider sehr wenig verbreitet, und am wenigsten würde
man sich einer Akademie fügen. Der Gedanke ist entschieden anachronistisch.
Was die Berechtigung der Akademien der Wissenschaft in der Gegenwart betrifft,
ist Du Bois selbst nicht frei von Zweifel, gegen die Kunst- und Musikakadcmieu
erheben sich immer mehr fachmännische Stimmen, welche betonen, daß die
großen Talente meistens außerhalb der Akademien oder im Kampfe mit den¬
selben aufgestiegen sind, wogegen jene Anstalten Brutstätten des Kttnstlerprolc-
tariats und des Dilettantentums seien. Das Beste gegen das jetzige Wirrsal
muß die Schule thun, und unterstützt werden kann sie durch die jetzt auf¬
tauchenden Vereine, wenn es diesen gelingt, Einfluß auf die Hauptverbreiter alles
Sprachunsuges, die Zeitungen, zu gewinnen. Übrigens, wer verhindert denn die
bestehenden gelehrten Gesellschaften, sich auch unsrer Muttersprache anzunehmen?

Schließlich können wir nicht umhin, unser Bedauern über den Wieder¬
abdruck der Rede auszusprechen. in welcher eine — realistische Kritik am „Faust"
geübt wird, um zu beweisen, daß auch Goethe mitunter „dormitirt" habe. Auf
diese Art wird, fürchten wir, nicht ein einziger Strebejüngling auf die Bahn
des Idealismus gelenkt werden, viel eher dürften durch die wegwerfenden Be¬
merkungen über Goethes „Beamteuspielerei" Scharen von verkannten Genies
in der Überzeugung bestärkt werden, daß sie einen Raub an der deutschen Nation
begehen würden, wenn sie sich irgend einer praktischen Beschäftigung widmeten,
anstatt jeden Tag Unsterbliches zu schaffen.




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[0183] Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden. ____ heute die ungelenke Bewunderung, welche den Gemälden von Steinbruch Riedel u. ni. in der Nationalgalerie einst'entgegenkam? Deshalb verlangen wir ja nicht, daß sie von ihren Plätzen entfernt werden, bestreikn nicht den Urhebern die ange¬ messene Stelle in der Kunstgeschichte. Daß der Geschmack Wandlungen unterworfen ist, werden wir nicht ändern, und wollten wir sie verleugnen, sobald es sich um Deutsche handelt, so wäre das doch erst recht eine Art von Chauvinismus! Wir sind mit den auffallenden Widersprüchen noch nicht zu Ende. 1869 wird von der „geistigen Verödung der französischen Provinz durch eine alles aufsaugende Zentralisation" und von der Unverträglichkeit einer Anstalt wie die ^vüävirüö K-MeMLs mit dem deutschen Wesen gesprochen, fünf Jahre später aber die merkwürdige Ansicht aufgestellt, daß es für Goethe und Schiller wohl vorteilhaft gewesen wäre, in einer mächtigen deutschen Hauptstadt zu dichten, ""d zwar geschieht dies bei Gelegenheit des „Traumes" von einer „kaiserlichen Akademie der deutschen Sprache." Dieser letztere Gedanke ist schon damals vielfach lind lebhaft angefochten worden, Du Bois meint nun, derselbe sei durch die Thatsache gerechtfertigt, daß sich die deutscheu Buchdrucker willig der Putt- kamerschen Rechtschrcibuiig gefügt haben. Das ist denn doch sehr zweierlei. Aus dem Kunterbunt der verschiednen Schreibungen herauszukommen, war ein längst gefühltes Bedürfnis, am tiefsten gefühlt natürlich von Buchdrucker», die froh waren, endlich eine Norm zu erhalten, gleichviel welche. Das Verlangen »ach gutem Deutsch ist leider sehr wenig verbreitet, und am wenigsten würde man sich einer Akademie fügen. Der Gedanke ist entschieden anachronistisch. Was die Berechtigung der Akademien der Wissenschaft in der Gegenwart betrifft, ist Du Bois selbst nicht frei von Zweifel, gegen die Kunst- und Musikakadcmieu erheben sich immer mehr fachmännische Stimmen, welche betonen, daß die großen Talente meistens außerhalb der Akademien oder im Kampfe mit den¬ selben aufgestiegen sind, wogegen jene Anstalten Brutstätten des Kttnstlerprolc- tariats und des Dilettantentums seien. Das Beste gegen das jetzige Wirrsal muß die Schule thun, und unterstützt werden kann sie durch die jetzt auf¬ tauchenden Vereine, wenn es diesen gelingt, Einfluß auf die Hauptverbreiter alles Sprachunsuges, die Zeitungen, zu gewinnen. Übrigens, wer verhindert denn die bestehenden gelehrten Gesellschaften, sich auch unsrer Muttersprache anzunehmen? Schließlich können wir nicht umhin, unser Bedauern über den Wieder¬ abdruck der Rede auszusprechen. in welcher eine — realistische Kritik am „Faust" geübt wird, um zu beweisen, daß auch Goethe mitunter „dormitirt" habe. Auf diese Art wird, fürchten wir, nicht ein einziger Strebejüngling auf die Bahn des Idealismus gelenkt werden, viel eher dürften durch die wegwerfenden Be¬ merkungen über Goethes „Beamteuspielerei" Scharen von verkannten Genies in der Überzeugung bestärkt werden, daß sie einen Raub an der deutschen Nation begehen würden, wenn sie sich irgend einer praktischen Beschäftigung widmeten, anstatt jeden Tag Unsterbliches zu schaffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/183>, abgerufen am 17.09.2024.