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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

oder nicht. Und dies Verhältnis sollte doch vor allem einem Anthropologen ein¬
leuchten. Er freilich hat für die Deutschen eine ganz eigne Spezies von National¬
gefühl entdeckt: "Weltbürgertum ist das echte deutsche Nationalgefühl." Wenn
das mehr sein soll als ein geistreiches Paradoxon, wie von einem Menschen wohl
gesagt wird: sein Charakter ist die Charakterlosigkeit, dann begreift sich aller¬
dings, daß der Ton seiner Kriegsrede ihm jetzt ..fremd klingt." Wir möchten
dem Redner nicht Unrecht thun, aber aus den verschiedenen Äußerungen scheint
sich der Grundgedanke zu ergeben: Wir sind es zufrieden, daß durch die höchsten
Leistungen der Staats- und Kriegskunst und die Energie des Volkes endlich
wieder ein Reich deutscher Nation geschaffen worden ist. wir erkennen dankbar
die Thatsache und die Größe der Opfer an. aber nun wollen wir wieder das
gemütliche Stillleben führen wie ehedem. "Wie karg erschien selbst uns. denen
doch die Wissenschaft zumeist am Herzen liegt, der Trost einer angeblichen
Überlegenheit auf geistigem Gebiete (gegenüber dem Gefühle der Zerrissenheit
und Ohnmacht) -- sprach er 1869. zur Zeit des Norddeutschen Bundes --;
wir beruhigen uns, wenngleich das deutsche Vaterland, wie König Wilhelm
es uns gab, noch nicht das einst besungene ist.... Viel tiefer schmerzt es. daß
im jenseitigen Lager, zu erneuter Schmach des deutschen Namens, nichtswürdiger
Landesverrat mit den schlechtesten Leidenschaften gallischer Volksart liebäugelt.
Ebenda tritt er der Befürchtung entgegen, daß "die Neugestaltung Deutschlands
einen ungünstigen Einfluß auf das deutsche Geistesleben üben" werde. Heute
aber soll "Anrufung des Nationalgefühls Anrufung des Nationalhasses" sein?
Wenn ich meine Mutter als die vortrefflichste aller Frauen verehre, auf sie
stolz bin, muß ich deshalb andre Frauen hassen, ja nur ungerecht in deren
Beurteilung sein? Wenn ich mein Heim mit keinem andern vertauschen möchte,
soll ich außer Stande sein, zu begreifen, weshalb andre ebenso an dem ihren
hängen? Wohl uns, daß wir Nationalgefühl haben! Ohne dasselbe würden wir
das Werk unsrer Staatsmänner und Feldherrn nur zu bald wieder zertrümmert
sehen, und auch zum Nationalstolz haben wir Ursache, er braucht ja nicht in Über¬
treibung auszuarten. Aber Du Bois scheint keinen Unterschied zu machen zwischen
Nationalgefühl. Nationalstolz. Nationaleitelkeit. Nationalneid, Chauvinismus.
Wer die wehmütigen Erinnerungen an die Zeiten liest, in welchen die Gebildeten
und Gelehrten sich im Kosmopolitismus gefielen und das deutsche Volk als
Ganzes national und politisch gleichgiltig war. der sollte meinen, daß wir uns
heute um Wissenschaft. Literatur. Kunst nur kümmerten, insofern sie mnerhaw
der schwarzweißrotcn Grcnzpfcihle vorhanden sind! Wissenschaftlicher Hochmut.
Strebertum und was Du Bois sonst rügt, kommen ohne Zweifel vor aber sur
solche Erscheinungen ist das Nationalgefühl nicht verantwortlich zu machen; und
sollte das Nationalgefühl sich hie und da zu lebhaft äußern, so muß doch be¬
dacht werden, daß wir thatsächlich noch nicht im Frieden leben. Sollte es dem
bösen Nachbar endlich gefallen, die Thatsachen von 1871 ehrlich anzuerkennen.


Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden.

oder nicht. Und dies Verhältnis sollte doch vor allem einem Anthropologen ein¬
leuchten. Er freilich hat für die Deutschen eine ganz eigne Spezies von National¬
gefühl entdeckt: „Weltbürgertum ist das echte deutsche Nationalgefühl." Wenn
das mehr sein soll als ein geistreiches Paradoxon, wie von einem Menschen wohl
gesagt wird: sein Charakter ist die Charakterlosigkeit, dann begreift sich aller¬
dings, daß der Ton seiner Kriegsrede ihm jetzt ..fremd klingt." Wir möchten
dem Redner nicht Unrecht thun, aber aus den verschiedenen Äußerungen scheint
sich der Grundgedanke zu ergeben: Wir sind es zufrieden, daß durch die höchsten
Leistungen der Staats- und Kriegskunst und die Energie des Volkes endlich
wieder ein Reich deutscher Nation geschaffen worden ist. wir erkennen dankbar
die Thatsache und die Größe der Opfer an. aber nun wollen wir wieder das
gemütliche Stillleben führen wie ehedem. „Wie karg erschien selbst uns. denen
doch die Wissenschaft zumeist am Herzen liegt, der Trost einer angeblichen
Überlegenheit auf geistigem Gebiete (gegenüber dem Gefühle der Zerrissenheit
und Ohnmacht) — sprach er 1869. zur Zeit des Norddeutschen Bundes —;
wir beruhigen uns, wenngleich das deutsche Vaterland, wie König Wilhelm
es uns gab, noch nicht das einst besungene ist.... Viel tiefer schmerzt es. daß
im jenseitigen Lager, zu erneuter Schmach des deutschen Namens, nichtswürdiger
Landesverrat mit den schlechtesten Leidenschaften gallischer Volksart liebäugelt.
Ebenda tritt er der Befürchtung entgegen, daß „die Neugestaltung Deutschlands
einen ungünstigen Einfluß auf das deutsche Geistesleben üben" werde. Heute
aber soll „Anrufung des Nationalgefühls Anrufung des Nationalhasses" sein?
Wenn ich meine Mutter als die vortrefflichste aller Frauen verehre, auf sie
stolz bin, muß ich deshalb andre Frauen hassen, ja nur ungerecht in deren
Beurteilung sein? Wenn ich mein Heim mit keinem andern vertauschen möchte,
soll ich außer Stande sein, zu begreifen, weshalb andre ebenso an dem ihren
hängen? Wohl uns, daß wir Nationalgefühl haben! Ohne dasselbe würden wir
das Werk unsrer Staatsmänner und Feldherrn nur zu bald wieder zertrümmert
sehen, und auch zum Nationalstolz haben wir Ursache, er braucht ja nicht in Über¬
treibung auszuarten. Aber Du Bois scheint keinen Unterschied zu machen zwischen
Nationalgefühl. Nationalstolz. Nationaleitelkeit. Nationalneid, Chauvinismus.
Wer die wehmütigen Erinnerungen an die Zeiten liest, in welchen die Gebildeten
und Gelehrten sich im Kosmopolitismus gefielen und das deutsche Volk als
Ganzes national und politisch gleichgiltig war. der sollte meinen, daß wir uns
heute um Wissenschaft. Literatur. Kunst nur kümmerten, insofern sie mnerhaw
der schwarzweißrotcn Grcnzpfcihle vorhanden sind! Wissenschaftlicher Hochmut.
Strebertum und was Du Bois sonst rügt, kommen ohne Zweifel vor aber sur
solche Erscheinungen ist das Nationalgefühl nicht verantwortlich zu machen; und
sollte das Nationalgefühl sich hie und da zu lebhaft äußern, so muß doch be¬
dacht werden, daß wir thatsächlich noch nicht im Frieden leben. Sollte es dem
bösen Nachbar endlich gefallen, die Thatsachen von 1871 ehrlich anzuerkennen.


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[0181] Du Bois-Reymonds Gesammelte Reden. oder nicht. Und dies Verhältnis sollte doch vor allem einem Anthropologen ein¬ leuchten. Er freilich hat für die Deutschen eine ganz eigne Spezies von National¬ gefühl entdeckt: „Weltbürgertum ist das echte deutsche Nationalgefühl." Wenn das mehr sein soll als ein geistreiches Paradoxon, wie von einem Menschen wohl gesagt wird: sein Charakter ist die Charakterlosigkeit, dann begreift sich aller¬ dings, daß der Ton seiner Kriegsrede ihm jetzt ..fremd klingt." Wir möchten dem Redner nicht Unrecht thun, aber aus den verschiedenen Äußerungen scheint sich der Grundgedanke zu ergeben: Wir sind es zufrieden, daß durch die höchsten Leistungen der Staats- und Kriegskunst und die Energie des Volkes endlich wieder ein Reich deutscher Nation geschaffen worden ist. wir erkennen dankbar die Thatsache und die Größe der Opfer an. aber nun wollen wir wieder das gemütliche Stillleben führen wie ehedem. „Wie karg erschien selbst uns. denen doch die Wissenschaft zumeist am Herzen liegt, der Trost einer angeblichen Überlegenheit auf geistigem Gebiete (gegenüber dem Gefühle der Zerrissenheit und Ohnmacht) — sprach er 1869. zur Zeit des Norddeutschen Bundes —; wir beruhigen uns, wenngleich das deutsche Vaterland, wie König Wilhelm es uns gab, noch nicht das einst besungene ist.... Viel tiefer schmerzt es. daß im jenseitigen Lager, zu erneuter Schmach des deutschen Namens, nichtswürdiger Landesverrat mit den schlechtesten Leidenschaften gallischer Volksart liebäugelt. Ebenda tritt er der Befürchtung entgegen, daß „die Neugestaltung Deutschlands einen ungünstigen Einfluß auf das deutsche Geistesleben üben" werde. Heute aber soll „Anrufung des Nationalgefühls Anrufung des Nationalhasses" sein? Wenn ich meine Mutter als die vortrefflichste aller Frauen verehre, auf sie stolz bin, muß ich deshalb andre Frauen hassen, ja nur ungerecht in deren Beurteilung sein? Wenn ich mein Heim mit keinem andern vertauschen möchte, soll ich außer Stande sein, zu begreifen, weshalb andre ebenso an dem ihren hängen? Wohl uns, daß wir Nationalgefühl haben! Ohne dasselbe würden wir das Werk unsrer Staatsmänner und Feldherrn nur zu bald wieder zertrümmert sehen, und auch zum Nationalstolz haben wir Ursache, er braucht ja nicht in Über¬ treibung auszuarten. Aber Du Bois scheint keinen Unterschied zu machen zwischen Nationalgefühl. Nationalstolz. Nationaleitelkeit. Nationalneid, Chauvinismus. Wer die wehmütigen Erinnerungen an die Zeiten liest, in welchen die Gebildeten und Gelehrten sich im Kosmopolitismus gefielen und das deutsche Volk als Ganzes national und politisch gleichgiltig war. der sollte meinen, daß wir uns heute um Wissenschaft. Literatur. Kunst nur kümmerten, insofern sie mnerhaw der schwarzweißrotcn Grcnzpfcihle vorhanden sind! Wissenschaftlicher Hochmut. Strebertum und was Du Bois sonst rügt, kommen ohne Zweifel vor aber sur solche Erscheinungen ist das Nationalgefühl nicht verantwortlich zu machen; und sollte das Nationalgefühl sich hie und da zu lebhaft äußern, so muß doch be¬ dacht werden, daß wir thatsächlich noch nicht im Frieden leben. Sollte es dem bösen Nachbar endlich gefallen, die Thatsachen von 1871 ehrlich anzuerkennen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/181>, abgerufen am 17.09.2024.