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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz,

Besorgnissen über die Zunkunft" gegeben. Dazu kamen nun noch Preußens
Ansprüche auf Sachsen, die wieder in der Volksstimmung einen starken Rückhalt
fanden und die Kreise der österreichischen Politik zu stören drohten. Da wandte
sich Stein, der ihn einst sehr geachtet, ja bewundert hatte, mit Unwillen von
ihm ab, und der Dichter Stägemaun, der Gemahl von Gentzens Jugend¬
freundin Elisabeth, sang die zürnenden Verse:


Du hattest einen Freund der jungen Jahre.
Er löste falsch der Lieb' und Heimat Bande:
Die Lieb', Elisabeth, war nicht die wahre;
Es schweigt das Lied von ihm, nicht von der Schande.

Auch die Freunde Humboldt und Varnhagen äußerten sich scharf über ihn.
Karoline von Humboldt schrieb damals an die Nadel: "Er liebt die unsern
nicht, unsre Preußen, verstehst du. Der eigentliche Geist, der die Nation be¬
geistert hat, der sich klar in That und Wort bei Tausenden ausgesprochen hat,
die hat er nicht erkannt. Das kommt eben auch daher, weil er die Liebe nicht
kennt. Nun weiß ich, daß er sie verkleinert, verunglimpft, daß er schon jetzt
nicht leiden kann, wenn die Welt voll ihres Ruhmes ist, und das hat mich
denn nun ganz von ihm abgewendet. Ich werde still und schweigsam mit ihm
sein, wenn er mich aber aufs äußerste treibt, so sag' ich's ihm gerad heraus."

Indes wußte sich auch hier Gentz in die Verhältnisse zu finden; in der
amtlichen Darstellung über die verschiednen Beschlüsse und die letzten Ergebnisse
des Wiener Kongresses, die er im Juni 1815 an den Hospodar sandte, äußert
er sich über Preußen nicht allzu ungerecht: es habe auf dem Kongreß eine der
ersten Rollen gespielt, und sein Einfluß habe sich in allen großen und kleinen
Angelegenheiten fühlbar gemacht. Das System, welches Preußen befolge, sei
zwar nicht immer ein Muster von Uneigennützigkeit und Großmut gewesen, es
habe die Umstände zu benutzen gewußt, nie einen günstigen Augenblick versäumt,
sei in keiner Streitfrage geschlagen worden, und wenn es auch nicht verstanden
habe, sich beliebt zu machen, so sei es ihm doch wenigstens gelungen, sich Achtung
und Furcht zu verschaffen.

So weit führt uns die vorliegende Veröffentlichung. Namentlich in ihrer
zweiten Hälfte enthält sie noch eine Reihe höchst interessanter Denkschriften,
-- über die Schweiz, über die polnische Frage u. a. --, von denen bis jetzt nur
wenige bekannt waren.*) Verhältnismäßig am wenigsten Neues bringen die
Schriftstücke, welche den Abschluß des zweite" Pariser Friedens betreffen. Doch
wird man immer mit Vergnügen die "Schlußbetrachtungen" lesen, die Gentz
damals für den "Beobachter" schrieb und die auch in der Schlesierschen Sammlung



*) Man muß es deu Herausgebern zum Vorwurf machen, daß sie die bereits in der
Sammlung von Prokesch-Osten gedruckten Stücke von dem, was neu ist, nicht unterschieden
haben. Auch dies wird man kaum billigen können, daß die ursprünglich französischen
moirss in deutscher Übersetzung gegeben werden.
Friedrich von Gentz,

Besorgnissen über die Zunkunft" gegeben. Dazu kamen nun noch Preußens
Ansprüche auf Sachsen, die wieder in der Volksstimmung einen starken Rückhalt
fanden und die Kreise der österreichischen Politik zu stören drohten. Da wandte
sich Stein, der ihn einst sehr geachtet, ja bewundert hatte, mit Unwillen von
ihm ab, und der Dichter Stägemaun, der Gemahl von Gentzens Jugend¬
freundin Elisabeth, sang die zürnenden Verse:


Du hattest einen Freund der jungen Jahre.
Er löste falsch der Lieb' und Heimat Bande:
Die Lieb', Elisabeth, war nicht die wahre;
Es schweigt das Lied von ihm, nicht von der Schande.

Auch die Freunde Humboldt und Varnhagen äußerten sich scharf über ihn.
Karoline von Humboldt schrieb damals an die Nadel: „Er liebt die unsern
nicht, unsre Preußen, verstehst du. Der eigentliche Geist, der die Nation be¬
geistert hat, der sich klar in That und Wort bei Tausenden ausgesprochen hat,
die hat er nicht erkannt. Das kommt eben auch daher, weil er die Liebe nicht
kennt. Nun weiß ich, daß er sie verkleinert, verunglimpft, daß er schon jetzt
nicht leiden kann, wenn die Welt voll ihres Ruhmes ist, und das hat mich
denn nun ganz von ihm abgewendet. Ich werde still und schweigsam mit ihm
sein, wenn er mich aber aufs äußerste treibt, so sag' ich's ihm gerad heraus."

Indes wußte sich auch hier Gentz in die Verhältnisse zu finden; in der
amtlichen Darstellung über die verschiednen Beschlüsse und die letzten Ergebnisse
des Wiener Kongresses, die er im Juni 1815 an den Hospodar sandte, äußert
er sich über Preußen nicht allzu ungerecht: es habe auf dem Kongreß eine der
ersten Rollen gespielt, und sein Einfluß habe sich in allen großen und kleinen
Angelegenheiten fühlbar gemacht. Das System, welches Preußen befolge, sei
zwar nicht immer ein Muster von Uneigennützigkeit und Großmut gewesen, es
habe die Umstände zu benutzen gewußt, nie einen günstigen Augenblick versäumt,
sei in keiner Streitfrage geschlagen worden, und wenn es auch nicht verstanden
habe, sich beliebt zu machen, so sei es ihm doch wenigstens gelungen, sich Achtung
und Furcht zu verschaffen.

So weit führt uns die vorliegende Veröffentlichung. Namentlich in ihrer
zweiten Hälfte enthält sie noch eine Reihe höchst interessanter Denkschriften,
— über die Schweiz, über die polnische Frage u. a. —, von denen bis jetzt nur
wenige bekannt waren.*) Verhältnismäßig am wenigsten Neues bringen die
Schriftstücke, welche den Abschluß des zweite» Pariser Friedens betreffen. Doch
wird man immer mit Vergnügen die „Schlußbetrachtungen" lesen, die Gentz
damals für den „Beobachter" schrieb und die auch in der Schlesierschen Sammlung



*) Man muß es deu Herausgebern zum Vorwurf machen, daß sie die bereits in der
Sammlung von Prokesch-Osten gedruckten Stücke von dem, was neu ist, nicht unterschieden
haben. Auch dies wird man kaum billigen können, daß die ursprünglich französischen
moirss in deutscher Übersetzung gegeben werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/176>, abgerufen am 17.09.2024.